Samstag, 11. Juni 2011

Ein Erfolg

Vor meinem Urlaub hatte ich bei der Kasse beantragt, daß mir die Taxikosten von meinem Urlaubsort, dem Blindenzentrum in Bozen zur Dialysepraxis in Lana in voller Höhe übernommen werden sollen.  Denn in Bozen gab es keinen Dialyseplatz, und Meran wäre noch weiter gewesen.   Lana ist eine Feriendialyse.  Die Kasse meinte, sie wollten nur das zahlen, was auch an Kosten am Heimatort üblicherweise anfällt. Der Weg ist zwar genauso lang, aber der Preis ist doppelt so hoch. So hätte ich die Hälfte selbst draufzahlen müssen.

Ich legte Widerspruch ein. Zunächst hörten wir nichts, und so wiederholten wir die Prozedur nochmals. Der Arzt in Lana  hatte mir auch ein Attest geschrieben, in welchem er darlegte, daß ich aufgrund meiner Blindheit im Blindenzentrum Urlaub machen mußte, da es anders für mich nicht machbar war, und daß in Bozen und Meran alles voll war. 

Die Kasse schickte mir ein Schreiben, daß  ausnahmsweise die Kosten übernommen würden, ich mich darauf aber beim nächsten Mal nicht berufen dürfe.  Die wollen halt keinen Präzedenzfall schaffen.

Jedenfalls habe ich gejubelt.  Das Geld ist noch nicht da. Ich hoffe, daß sie es auch wirklich zahlen. Sonst müssen wir nochmals nachharken.

Aber immerhin ein Erfolg.  Es lohnt sich, Widerspruch einzulegen.  Denn manchmal denken Behörden, daß man sich eh nicht wehrt.

Der nächste Fall ließ auch nicht auf sich warten.  Ich muß diese  acht Euro zuzahlung bei der Kasse jeden Monat leisten.   Letztes Jahr zahlte dies mein Vater im Ganzen auf einmal   für mich. Wir hörten aber mittlerweile, daß man als Hartz-IV-  oder Grundsicherumgsempfänger gar nicht zahlen müsse.  Dies begründete ich bei der Kasse, als sie dieses Jahr ohne Vorankündigung wieder die 91 Euro bei meinem Vater  für das  Jahr abzogen.  Es gibt einen Rabatt, wenn man alle 12 Monate auf einmal zahlt, nicht, daß hier noch jemand meint, ich wüßte nicht, daß acht mal 12  gleich 96 ist..  Mein Vater holte das Geld zurück, da er meinte, die hätten erst fragen müssen, und außerdem bräuchte ich das ja gar  nicht  zu zahlen.  Ich rief bei der Kasse an, da diese mir nun einen Mahnbescheid mit  zusätzlichen Mahngebühren und Bankgebühren schickte.   Da wurde begründet,  daß  es der  Kasse  obliege, zu entscheiden, ob sie nur Hartz-IV-Empfängern oder auch Menschen mit Grundsicherung die acht Euro erlassen würde.   Man gab mir die Adresse der Hauptgeschäftstelle. Dort schrieb ich hin und argumentierte, daß  die Grundsicherung immer an Hartz-IV gekoppelt sei, und daß es eine Ungleichbehandlung ist, wenn Menschen, die nichtmehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen aufgrund einer  Erkrankung und Grundsicherung  erhalten,  benachteiligt werden gegenüber den Menschen mit Hartz IV.   Es sollte die Einkommensgrenze ausschlaggebend sein, denn ich finde, auch   Leute, die arbeiten aber wenig verdienen, sollten die acht Euro nicht zahlen müssen, denn die sind ja dann wirklich die  Gelackmeierten:  Sie arbeiten und verdienen das, was wir ohne Arbeit kriegen, und werden dann noch benachteiligt.  Mal sehen, was die Kasse schreibt. 

Meine Betreuerin meinte, daß si einen Fall hatte, wo die ARGE die acht Euro zahlen sollte und der Empfängerin nahelegte, die Kasse zu wechseln.  Sie dürfe nur dann mit den acht Euro Unterstützung rechnen, wenn sie begründen könne, daß sie  zwingend in dieser Kasse bleiben müsse, da diese beispielsweise eine bestimmte Therapie bezahlt, die andere Kassen nicht  zahlen.  Die Frau biß in den sauren Apfel und zahlt nun die acht Euro selbst.  Wenn einer das nicht kann, ist er gezwungen, in eine Kasse ohne diese Zuzahlung zu gehen.  Davon abgesehen, daß bald alle Kassen diesen Beitrag verlangen werden, finde ich es sittenwidrig, jemanden zu zwingen, in eine andere  Kasse zu gehen.  Denn dann haben wir bald ein Dreiklassensystem:  Die einen sind  privat Versichert.  Die anderen sind  in einerKasse mit vielen  Menschen, die sich die Zuzahlung leisten können, und die  soviel verdienen, daß die 10%  Zuzahlung errechnet nach ihrem Gehalt der Kasse viel bringen.  Die  dritte Gruppe ist in  den Kassen, die nur noch Geringverdiener oder Transferempfänger haben, diese Kassen nehmen damit auch wenig ein, da die 10%, die die Lohnempfänger zahlen müssen, sich ja nachc ihrem geringeren Einkommen richten.  Diese Kassen zahlen dann irgendwann nur noch das Aller-aller-allernötigste.  Davor graut mir dann wirklich.  Man sieht es ja jetzt schon im Falle der Kasse, die Pleite gegangen ist.  Die Versicherten werden jetzt einfach nicht aufgenommen von anderen Kassen, die mal eben schnell ihre Filialen zumachen, damit sie Neuantragssteller nicht bedienen müssen.  Das wird dann siche rnoch  viel schlimmer werden.

Homo homini lupus est

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf



„Wieviel Prozent siehst Du noch?“ Das werde ich häufig gefragt. Wenn ich dann ehrlich meine Angaben mache, kommt immer ein: „Soviel! DAS seh ICH nicht mehr!“ Dabei beschleicht mich das Gefühl, daß die fragende Person dies nur mit der Sicherheit tut, bei der „Leidensolympiade“ ganz sicher auch als Sieger hervorzugehen. Ich schäme mich sehr für meinen großen Sehrest.  Im Verhältnis zu dem, was mein Visus und mein Gesichtsfeld an Zahlen noch aufweist, müßte ich mehr können. Das muß ich offen zugestehen. Ich sehe 16% und kann an manchen Tagen dennoch auf einem Papier nicht mal mehr erkennen, ob da überhaupt was geschrieben steht. Ich habe noch ein Gesichtsfeld von 5°, aber ich muß mich von anderen führen lassen, die wahrscheinlich nicht mehr sehen als ich. Warum das so ist, wird mir wohl nie jemand sagen können. Soll ich mich jetzt dafür hassen? Ich habe noch andere Beschwerden, wodurch vielleicht auch die Kompensationsfähigkeit eingeschränkt ist. Was ich aber wirklich hasse, ist die Art, wie oft untereinander verglichen wird. Dabei komme ich immer als die Schlechtere weg. Sage ich beispielsweise, daß ich da oder dort noch alleine hingegangen bin, dann heißt es: „Ja, DU siehst ja auch noch was!“ Damit wird mir meine Leistung gleich madig gemacht, obwohl es auch mit so einem eingeschränkten Sehvermögen schon schwierig genug ist. Spreche ich hingegen mit einem Sehenden, dann heißt es: „Ich hab auch eine Lesebrille. Wir haben da auch Probleme.  Das geht doch allen so.“ Ich finde es schon einen Unterschied, ob man sein Leben fast blind verbringt, oder ob man ganz normal sieht. Ich möchte jetzt einmal nicht wieder entschuldigend zugute halten müssen, daß der Sehende sich ja da nicht hineinversetzen kann, sondern ich möchte mal mein Gefühl dazu beschreiben. Rational kann ich nicht erklären, warum mich das so sticht, aber ich fühle mich dann nicht ernst genommen, veralbert und bagatellisiert. Es ist eine Form des gut meinenden Hinwegtröstens, aber gut Meinen ist das Gegenteil von gut. Hilflosigkeit ist zwar der Grund für diese Abwehrreaktion, aber das sollte man für sich selbst reflektieren, denn daran kann man wachsen und was über sich erfahren, und warum sollen das immer nur die Behinderten tun?

Somit gesteht also niemand ein, daß er es in einem Punkt oder einer Sache einfacher hat. Dies hat nichts mit Bemitleiden zu tun sondern mit einer nüchternen und sachlichen, realistischen ernstnehmenden Betrachtungsweise.

Auf der anderen Seite der Skala wird dann wiederum jedes Klitzekleine Mehr an Grad oder Prozent aufgerechnet. "DU siehst ja noch fünf Grad, ICH hab nur drei Grad." Das finde ich so makaber, als würde ein Inder zum anderen sagen: "Du verhungerst mit fünf Reiskörnern, ich hab nur drei!"“ Ab einem gewissen Sehrest ist es, abgesehen von Vollblindheit, im Hinblick auf die Problematik an sich nur noch wichtig, DASS wir dieses Problem haben. Natürlich sehe ich noch das Doppelte eines Menschen, der beispielsweise drei Grad hat, aber das, was da noch halbiert wird, ist ja auch schon nicht mehr allzu üppig. Meistens werden solche Vergleiche dann angestellt, wenn man selbst mit seiner Behinderung ein Problem hat und dieses rechtfertigen will. Oft wird einem der Sehrest dann auch noch vorwürflich hingerieben: „DU hast es ja gut, DU siehst ja noch!“ Mir tut dies sehr weh.

Auch der Zeitpunkt, ab wann man angefangen hat, schlecht zu sehen, wird einem noch unter die Nase gerieben: „Du bist im Vorteil, Du hast ja schon immer schlecht gesehen,“ sagt der Späterblindete. „Du bist im Vorteil, Du hast ja mal besser gesehen,“ sagt der Geburtsvollblinde. Eigentlich bin ich immer diejenige, die im Vorteil ist. „DU bist im Vorteil“, sagt der Sehbehinderte, „Du kannst schon einen Stock benutzen, MIR hingegen sieht man meine Behinderung nicht an, ich bin dauernd in Erklärungsnot!“ Diese Situation kenne ich auch von früher, aber was hindert dann den Sehbehinderten, auch einen Stock zu nehmen? Würde er deshalb am liebsten mit mir tauschen? Ich möchte einfach an der Stelle eingeordnet werden, wo ich de facto stehe, nicht mehr aber auch nicht weniger. Ich bin nicht überall benachteiligt, aber es kann auch nicht sein, daß ich überall im Vorteil bin, denn sonst wäre ich trotz meiner Behinderungen der gesündeste Mensch der Welt, und das bin ich mit Sicherheit nicht. Ohne Bedauern und Jammern habe ich aber doch eine realistische und sachliche Einschätzung meiner Lage verdient. Dies darf nicht immer davon abhängen, wie schlagfertig einer ist, oder wie gut er sich und sein „Leiden“ mir gegenüber verkaufen kann.

Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder, wir erkennen alle Behinderungen gleich an, denn alle haben ihre Vorteile und Nachteile, aber dann darf auch kein Blinder mehr sagen: „ICH hab es aber NOCh schwerer als DU“, denn dann sind ja alle gleich.

Oder wir geben und gestehen zu, daß es Abstufungen gibt, und daß ich noch dankbar sein kann, noch einen so guten Sehrest zu haben, aber dann muß auch der Bessersehende oder der Normalsehende fairerweise zugestehen, daß er jemandem wie mir wiederum gegenüber sogar erheblich im Vorteil ist, denn was mich so verletzt ist, in beiden Richtungen den Kürzeren zu ziehen: Ich muß mich vor dem Blinden schämen, daß ich mit meinem popeligen Problem und dem super Sehrest rumjammere und Probleme habe. Andererseits darf ich aber einem Sehenden gegenüber nicht den Anspruch erheben, daß für mich Vieles schwieriger ist als für ihn, und ich daher auch eine Wertschätzung dafür haben möchte, daß ich dasselbe mit doppelter Kraft schaffen muß, wofür ein Normalsehender weniger Mühe aufwenden muß, und nicht dauernd bagatellisiert werden möchte.

Wie oft habe ich gelästert, wenn andere nicht mehr alleine rausgingen, die schlecht sahen. Und nun, da sich mein Sehen verschlechtert hat, nun traue ich mich zunehmend auch immer weniger hinaus. Das ist nun die Strafe für meinen Hochmut. Doch nun, wenn ICH sage: „Dafür sehe ich ja auch viel schlechter“, wird dies wiederum nicht als Entschuldigung gelten lassen. Dann heißt es: „ Es gibt auch Vollblinde, die fitter sind als Du!“ Da hab ich es mal wieder!

Wenn es um das Thema Vergünstigungen geht, dann sind wir untereinander wie die Wölfe. Bei uns in der Region wurden nun für einen Dienst, den ich aus Schutzgründen nun nicht näher erwähnen möchte, um ihn nicht weiter zu gefährden, Streichungen vorgenommen, die mich sehr treffen. Verständnis für meine Not bekam ich eher von den Sehenden. Die bösesten Kommentare hingegen kamen aus unseren eigenen Reihen. „Wir haben so einen Dienst ja auch nicht bei uns.“ (Soll heißen: Warum soll es Dir besser gehen als uns?). „Dann zahl halt, Du hast ja Blindengeld, man muß ja nicht jedes Recht ausnutzen.“ (Soll heißen: Schäm Dich, daß Du diesen Dienst nutzt, Du bist ein findiger Sozialschmarotzer.) „Andere können das ja auch, und die sehen auch nichts, und Du kannst das nicht. Das muß man auch so können.“ Ich höre da sehr viel Neid und Mißgunst heraus. Anstatt dafür zu streiten, daß in seiner Region auch so eine Vergünstigung angeboten wird, ist man noch schadenfroh oder gleichgültig. Was ich nicht kriege, brauchen andere auch nicht (mehr) zu haben.

Weniger Jammerolympiade und mehr echtes Mitgefühl, mehr Respekt vor den Leistungen trotz anerkannter Einschränkungen, mehr Freude für anderer Leute Vergünstigungen und Mut, diese für sich auch zu erstreiten, weniger Neid, mehr Solidarität und für die Nichtbehinderten: weniger billigen, erzieherischen Trost und dafür mehr echte Anerkennung, Respekt und Würdigung unserer Leistungen in einer immer härter werdenden Zeit.