Sonntag, 20. Juni 2010

Hörtheater in Rendsburg

Am Samstag den 29. Mai fuhr ich um halb acht los, um die schon wochenlang vorher geplante und lange Reise nach Rendsburg zum Hörtheater anzutreten. Unter Hörtheater versteht man die Beschreibung, was auf der Bühne passiert, so dass Sehgeschädigte ebenfalls etwas von dem Theaterstück haben und informativ auf dem gleichen Stand sind wie Normalsehende.

In Hamburg klappte es mit der Umsteigehilfe, obwohl sie etwas zu spät kam, da der Zug auf einem anderen Gleis als angegeben eingefahren war. In Rendsburg angekommen wollte ich mir das Taxi sparen, da ich nicht allzu viel Geld dabei hatte, und es noch für die Unterkunftskosten reichen musste. Ich fragte nach einem Bus zum Historischen Hotel Pellihof, es gab aber keinen, das Hotel sei nur ein paar Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Eine Dame, die von ihrer Freundin abgeholt wurde, bot sich an, mich zusammen mit der ortskundigen Freundin zum Hotel zu bringen. Es gab ohnehin kein Taxi, und ohne die Hilfe der beiden netten Damen wäre ich aufgeschmissen gewesen.

Im Hotel angelangt wollte ich einen Kaffee trinken. Es gab aber dort keinen Kuchen, der Cappuccino aus einem Instantbeutel hergestellt mit übersüßter Sahne obendrauf schmeckte nach A… & F…, und es gab nur Schattenplätze im Hof. Da ich nur einen Schluck getrunken und mich dann gleich geschüttelt habe, musste ich den Kaffee nicht mal bezahlen und verließ den schattigen Platz. So beschrieb mir die Hotelfrau denWeg zum Theatercafe. Ich war leider für die Stadtführung zu spät angekommen, sonst hätte ich mitten in der Nacht aufstehen müssen, um so zeitig genug in Rendsburg zu sein. Ich setzte mich also in das Cafe und hörte mein Hörbuch weiter, aß Torte und wartete auf den Einlaß ins Theater um 16:30. Die Gruppe der Stadtführung kam auch pünktlich dort an. Ich lernte die Leute kennen, und es stellte sich heraus, dass ich einige bereits aus der Mailingliste kannte, bzw. mich einige auch von unserer ehemaligen Kassettenzeitschrift her kannten, wo ich öfter einen Beitrag aufgesprochen hatte.

Im Theater durften wir die gesamte Bühne abtasten. Die Bühnenbildnerin, die extra für unsere Fragen zur Verfügung stand, beantwortete uns alles, was wir wissen wollten, und auch der Dramaturg war für Erklärungen zur Stelle. Man hatte die Kostüme der Schauspieler auf Puppen gezogen, damit wir sie abtasten konnten. Bei der Bühnenbegehung, wo wir auch den „eisernen Vorhang beim Heruntergehen abtasten durften, der die Vorbühne von der Hauptbühne trennt, so wie den samtenen Vorhang beim Zugehen beobachten konnten, erfuhren wir viel über das Bühnenbild, das eine Wohnung in Paris darstellen sollte. Alles war mit liebevollen Details ausgeschmückt. Sogar ein Fenster mit Blick zum Eiffelturm war eingebaut. Eine Wohnungstür hinter einem Vorhang aus Schnüren deutete den Weg ins Treppenhaus an, der als Abgang für die Schauspieler diente. Die Stühle und der Tisch wurden extra in französischem Wohnstil angefertigt. Eine französische Wettzeitung lag auf dem Tisch, und dort stand auch ein rundes Aquarium mit einem Katzenfisch und dessen typischen Schnurrhaaren, nach welchen er benannt wurde, da dieser Fisch im Stück eine wichtige Rolle spielte. Unter den Stühlen waren kleine Tunnels angebracht, durch welche die elektrische Spielzeugeisenbahn fuhr, da der Protagonist ein Eisenbahn-Fan war. Neben dem Tisch stand ein durchgesessenes Sofa vor einer kitschigen Blumentapete, an der ein Fischgemälde von Matisse hing. Es gab zusätzlich noch ein altes Schränkchen mit einem alten schnurgebundenen Tastentelefon mit schwer aufzumachenden Schubladen, die ebenfalls eine Rolle im Stück spielten. Das Regal mit den Gläsern und Büchern sowie die Stereoanlage habe ich erst durch die Bühnenbeschreibung vor und während des Stückes mitbekommen.

Auf meinen Wunsch hin durften wir auch mal kurz in den Orchestergraben. Der war mit Brettern zugedeckt, da die Vorbühne gebraucht wurde. Darin standen lauter Notenständer mit je zwei Leuchten für die Noten. Man konnte mit dem Stock bis an die Decke klopfen, die ja, wie erwähnt, zu war. Auch die Seitenbühnen mit den Zügen, nicht den Eisenbahnzügen sondern den Schaltpulten für Vorhänge, Kulissen etc. durften wir uns ansehen, allerdings durften wir nicht an die Pulte fassen, damit nicht versehentlich etwas eingeschaltet wurde.

Nach der ausführlichen Bühnenbegehung gingen wir in den ersten Stock in das Cafe´ im Theater, wo wir eine Einführung in das Stück erhielten. Es handelte sich um eine Komödie mit dem Namen „Der Gast“ von David Pharao. Offenbar wird in Frankreich wenig über den Autor preisgegeben. Der Dramaturg konnte uns nur sagen, dass dieser Autor früher Sitcoms fürs Fernsehen geschrieben hat und auch schon mal eine Komödie. Es war ein ernster Stoff, der heutzutage besser in eine Komödie gepackt wird. Ein lange arbeitsloser Mann bekam Besuch von seinem potentiellen Chef und ließ sich von seinem Nachbarn beraten, wie er seine Wohnung umstylen sollte und wie er sich selbst ebenfalls darstellen musste, um den Job zu erhalten. Es ging um den Zwang zur so genannten Flexibilität, und wie weit man diese von einem Arbeitssuchenden erwartete, und welche Eigenschaften wie Biegsamkeit, Meinungslosigkeit Bereitschaft zu allem etc., von einem Arbeitnehmer verlangt wurden. So war die Komödie, die vordergründig sehr lustig war, doch sehr hintersinnig und wies mehrere sehr unerwartete Wendungen auf. Damit man als Blinder auch mitkam, erhielten wir einen Port mit einem Ohrhörer. Wenn man mit diesem Port durchs Theater lief, erhielt man Informationen, was sich links und rechts von einem befand, beispielsweise die Treppe, die Toiletten etc., und wo man sich grade aufhielt, wobei dies eingehend beschrieben wurde. So hatte ich bald eine für meine Verhältnisse gute und brauchbare Orientierung, da ich immer, wenn ich wo vorbei ging, die Infos erhielt, die Sehende so en passant mitnehmen, weil sie seitlich etwas sehen und somit eine Gesamtoientierung haben. Allerdings hörte man immer nur Bruchteile, denn sobald man drei Schritte weiter ging, wurde ein anderes Areal beschrieben. Sobald man in den Zuschauerraum kam, hörte man die Stimme der Bildbeschreiberin, die vor der Aufführung das Bühnenbild und die Schauspieler beschrieb. Während des Stückes wurden nur die notwendigsten Beschreibungen in den Dialogpausen abgegeben. Dies war sehr nötig, denn sonst hätte man zuweilen nicht mehr gewusst, von was jetzt gesprochen wird. Ein Satz wie: „Sie hielt einen Schraubenzieher über den Kopf“, erklärte dann ihre Bemerkung: „Ich bin noch nicht vorbestraft.“ Oder ein Satz wie: „Er hielt seinem Chef eine Spielzeug-Lok entgegen erklärte, dass er ihm diese schenkte, da sie eine größere Rolle im Verlauf des Stückes spielte.

In der Pause ging eine Sehende mit mir ins Cafe, die nur einfach so mit ihrem Sohn da war und einmal so einen Port ausprobieren wollte. Das Theater war nicht allzu gut besucht, aber alle hatten einen Port mit Kopfhörer, auch die Normalsehenden, die sich für Audiodeskription interessierten und einmal diese Erfahrung machen wollten.

Nach dem Stück durften wir im Café noch mit den Schauspielern diskutieren. Sie fragten uns zunächst, wie das Stück empfunden wurde. Sie äußerten ihre Unsicherheit, ob Blinde ein Stück anders aufnehmen würden. Sie fürchteten, dass allzu aggressive und laute Passagen uns aufregen würden. Sie hätten mal erlebt, dass ein Blinder auf einem Punk-Konzert das Pult zertrümmert hätte, weil es ihm zu laut war. Das Verhalten solcher Komiker fällt dann natürlich gleich wieder auf alle Blinden zurück. Wir erklärten, was wir zum besseren Verständnis eines Stückes brauchen und wünschten uns, dass auch in anderen Theatern mehr solcher Aufführungen stattfinden sollten. Ich, die ich eine von den beiden Süddeutschen Anreisenden gewesen war, äußerte natürlich nachdrücklich den Wunsch, es möge so etwas auch mal im süddeutschen Raum stattfinden. Der Dramaturg erhielt eine Stelle in Heilbronn und wollte sich darum kümmern, dass auch an seiner zukünftigen Wirkungsstätte solche Stücke mit Bildbeschreibung aufgeführt würden.

Ich wurde dann noch von den beiden Organisatoren des ganzen Vorhabens zum Hotel begleitet, da es sehr nahe am Theater war. Ich musste selbst aufsperren und hätte den Eingang nicht mehr alleine gefunden, wo es zu meinem Zimmer geht.

Am nächsten Tag, an dem mich wieder das Ehepaar, welches die Veranstaltung organisiert hatte, am Hotel abholte, gab es noch eine Matinee, bei der die Hauptdarstellerin des Abends eine Lesung aus dem Buch „Schiffbruch mit Tiger“ darbot. Sie spielte alles so lebendig, dass wir richtig mitlebten und mitfieberten. Sie suchte die wichtigsten Stellen aus diesem Abenteuerbuch mit Tiefsinn heraus, so dass man am Ende schon wusste, um was es dem Autor gegangen war. Teilweise war es lustig, gruselig, ekelerregend und dann wieder nachdenklich oder komisch.

Leider dauerte die Lesung nur eine Stunde. Ich hatte meine Rückfahrt einschließlich Umsteigehilfen ab 13:45 geplant, da mir gesagt wurde, die Lesung würde bis ein Uhr dauern. Allerdings war sie eben um zwölf schon zu Ende. Die beiden Organisatoren und der andere Besucher aus München, der bei ihnen übernachtet hatte, begleiteten mich zum Bahnhof und wollten mich eigentlich schnellstmöglich dort zurücklassen. Es gab kein Cafe, keine Bank, nichts. Die Bahnhofsmission war geschlossen, im Reisezentrum durfte ich nicht sitzen bleiben, da sie gleich Mittagspause hatten. So setzten mich die drei um 12:45 auf den zugigen und eiskalten Bahnsteig, wo ich zitternd und frierend bis 13:45 wartete. Ich hatte vorher noch gefragt, ob nicht schon um 12:45 ein Zug nach Neumünster fahren würde, so dass ich dann früher nach Hamburg käme, bzw. in Neumünster dann in einem Wartehäuschen sitzen könnte. Aber die drei verneinten. Als ich nach Neumünster kam, sagte mir der Mann von der Umsteigehilfe, dass es um 13 Uhr einen Zug DIREKT nach Hamburg gegeben hätte. Daß man bei der Rückfahrt ebenfalls direkt von Rendsburg nach Hamburg durchfahren kann, hatte ich nicht mitbedacht. In Neumünster durfte ich tatsächlich in einem Wartehaus sitzen, bis er wieder kam, um mich in den Zug zu setzen.

In Hamburg kamen wir laut Angaben der Umsteigehilfe an einem Bäckerstand vorbei, so dass ich billiger als im Zug einen Muffin und eine Tasse Kaffee erstand. Ich konnte dieses Wochenende recht viel Geld sparen, da ich auch kein Taxi brauchte. Die Fahrt und die Übernachtung waren ohnehin schon teuer genug.

Ich fand das Ganze sehr interessant und würde es wieder einmal machen. Allerdings möchte ich dann nicht sechs-sieben Stunden fahren müssen, um so ein Erlebnis zu haben. Ich hoffe, dass bald in Süddeutschland ebenfalls so etwas stattfindet. Die Schauspielerin erzählte mir noch kurz, dass sie in Hof jemanden kennt, und dass sie ihn mal auf so eine Veranstaltung ansprechen würde. Das lässt hoffen.

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