Mittwoch, 9. November 2011

Mein letzter Kinobesuch

Neulich bin ich mal wieder ins Kino. Es wurde ein Film gegeben, der sogar in der Stadt spielte, in der ich wohne. Ich dachte, der ist sicher beliebt, da melde ich mich gleich telefonisch an und reserviere eine Karte. Ich wollte es mir am 1. November, dem Feiertag, so richtig schön machen und eben mal wieder die Kinoatmosphäre erleben. Es ist doch was anderes, vor dem Fernseher auf der Couch zu lümmeln oder sich auf den Weg zu machen und in einem Saal mit vielen anderen Leuten gemeinsam ein Erlebnis zu haben.


Ich war rechtzeitig genug da, um meine reservierte Karte noch zu bekommen, da sie 20 Minuten vor Filmbeginn dann auch die reservierten Karten verkaufen. Als ich in den großen Kinokomplex mit Cafeteria, Gaststätten und vielen Kinosälen kam, wobei ich einen x-beliebigen Eingang des für mich unförmigen und unübersichtlichen Kinopalastes erwischte, stolperte ich erst einmal über tausend Stühle und war regelrecht in der Cafeteria „gefangen“, bis mich jemand herausfischte. Ich tastete mich zur Rampe, die hinauf zu den Kassen führte. Dort kam ich schnell dran und bat, daß mich doch jemand zu meinem Platz führen möge. Das Kino, in dem der Film stattfindens ollte, wurde noch geputzt, und so wurde ich auf einen Sessel in der obersten Reihe gesetzt, bis mich jemand von den Kinomitarbeitern auf meinen Platz brachte. Da saß ich dann eine Weile, bis auf einmal ein älterer Mann mit seiner Frau und noch ein-zwei Leuten kam. Offenbar waren nicht genügend Plätze für die kleine Gruppe vorhanden, denn sie kamen nicht alle auf ihren reservierten Plätzen unter. Da rief der Mann in meine Richtung: „Das kleine Fräulein sitzt falsch.“ Ich wunderte mich, daß mich jemand mit „kleines Fräulein“ anredete, bzw. über mich redete, was ja oft vorkommt, und tat so, als hätte ich nicht längst gemerkt, daß er mich meint. Ich fragte, wer denn das „kleine Fräulein“ sei, da meinte er, ich sei es. Ich ärgerte mich furchtbar und meinte, daß ich es eine Frechheit fände, als „kleines Fräulein“ bezeichnet zu werden. Davon abgesehen, daß diese Bezeichnung für eine unverheiratete Frau längst abgeschafft ist, ist es diskriminierend, nur weil man behindert ist und klein und kindlich wirkt, nicht als erwachsener Mensch angesprochen zu werden. So dachte ich, daß mich die Kinomitarbeiterin offenbar falsch plaziert hatte und rückte einen Sitz nach rechts. Dann kamen wieder Leute und meinten, ich säße falsch. Ich weigerte mich, aufzustehen, da ich reserviert hatte und bereits schon einmal den Platz wechseln mußte. Da stellte sich heraus, daß die älteren Herrschaften sich geirrt hatten, und ich wieder aufmeinen ursprünglichen Platz zurückrutschen mußte. „ACH, hat das ‚kleine Fräulein‘ offenbar DOCH nicht falsch gesessen,“ giftete ich den Mann laut und unüberhörbar für alle an. Aber die alte Frau neben mir meinte nur: „Ist doch nicht so schlimm.“ Es ging ja nicht um das Hin- und herrücken sondern um die Anrede, die noch nicht mal an mich selbst gerichtet worden war.

Ich war noch so verärgert von der Begebenheit, daß ich den Film gar nicht genießen konnte. Zu allem Überfluß sprachen sie anfangs nur Türkisch, wobei Untertitel eingeblendet waren, deren Vorhandensein ich zwar grade noch erkennen, sie aber nicht lesen konnte. Ich dachte ohnehin, daß was mit der Leinwand nicht stimmte, da ich im Gegensatz zu früheren Kinobesuchen, überhaupt nichts mehr sehen konnte außer Nebel oder mal ein weißes Hemd. Ich konnte gar nicht glauben, daß mein Sehvermögen mittlerweile so schlecht geworden war. Wegen dem Türkisch am Anfang fehlte mir der Hintergrund der Geschichte, so daß ich an vielenStellen nicht mitkam. Ich dachte, wenn die jetzt nicht sofort auf das Deutsche übergehen, gehe ich raus und fordere an der Kasse mein Geld zurück. Ich hatte 7,80 Euro ERMAESSIGT (!!!) zahlen müssen, und das war der Film für mich wahrhaftig nicht wert. Dann lachten dieLeute laufend, weil etwas Komisches passiert war, das mir natürlich entgangen war. So war ich den ganzen Film über nur noch angefressen. Einiges konnte ich mir zusammenreimen, aber ob es stimmt, kann ich natürlich nicht nachprüfen. Sonst gehe ich nur dann ins Kino, wenn ich der Ansichtbin, daß ein Film sicher „verbal“ genug ist, damit ich auch ohne Sehen mitkommen kann. Bei diesem Film hatte ich mich getäuscht. Die Orte aus unserer Stadt, an denen gedreht wurde, konnte ich natürlich absolut nicht erkennen und hatte nicht den Wiedererkennungseffekt, der dem Film sicher noch einen besonderen Charme verlieh, zumindest für die Kinobesucher dieser Stadt.

Auf dem Heimwehg begleitete mich dann ein älteres Ehepaar zur U-Bahn. Auf die Frage, wie mir der Film gefallen hatte, wollte ich nun nicht bloß irgendeine dumme Floskel bringen und meinte, daß ich gar nichts mitgekriegt hätte, und daß ich mir für DAS Geld den Film auch auf DVD ansehen hätte können. „JA, aber ist doch SCHÖN, wenn man mal rauskommt, und die Atmosphäre…“ Ich meinte, daß ich das nächste Mal nicht wieder ins Kino ginge und lieber gleich warte, bis die DVD rauskommt, dann könne ich die Audiodeskription, die dann vielleicht dem Film beigefügt ist, mit einschalten, bzw. mir den Film von jemandem in Ruhe erklären lassen. Natürlich kam dann auch gleich wieder die übliche Art der Gleichmacherei: „ICH muß zu Hause JEDEN Film mit Untertiteln ansehen, weil ich so schlecht höre.“ Ich meinte dann nur höflich und pseudo-anteilnehmend, daß er ja dann auch nicht viel von dem Film mitgekriegt haben könne, was er prompt bestätigte. Das nehme ich ihm nicht so ganz ab, denn mit mir spracher ganz normal, verstand mich auch, und außerdem hört er sicher nicht so schlecht wie ich sehe. Die Leute müssen immer sofort ihre eigenen Wehwehchen herauskramen, wenn ich mal sage, daß etwas nicht mehr geht, aber sie merken nicht, daß sie es dazu im Vergleich noch wesentlich besser haben. Ich sage das ja auch nicht vorwurfsvoll, aber man sollte es halt einfach mal als Tatsache anerkennen. Und man hat doch auch mal das Recht, zu meckern, daß etwas nicht mehr geht. Daß der tatsächlich alles mit Untertiteln ansieht und wirklich vom Film so wenig mitgekriegt haben will, glaube ich einfach nicht. Das machte mich dann noch trauriger, daß ich nie mal die Möglichkeit habe, mit jemandem darüber zu sprechen, daß ich nun auch da nichts mehr sehen kann, und daß ich niemanden habe, der das auch mal auffängt.

Dies warjetzt wirklich der letzte Kinobesuch, den ich gemacht habe. Früher hat es 4Mark gekostet, heute kostet es schon das Vierfache. Dafür kriegt man irgendwann die DVD, auch wenn man dann zur Couch-Potato mutiert, aber habe ich eine andere Wahl? Es gibt andere Veranstaltungen, Konzerte, Kabarett, wo ich mich aufmachen und die schöne Atmosphäre und das Gemeinschaftserlebnis genießen kann. Schade nur, daß der „schöne Tag“, den ich mir machen wollte, nicht so schön wurde, wie ich ihn mir aktiv gestalten wollte.

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