Samstag, 22. Oktober 2011

Berlinfahrt mit dem Chor -- ein Bericht

Vom 22.-25. September war unser Chor in Berlin. Mit einer so heterogenen Gruppe zu verreisen, die obendrein fast alle schlecht sehen, hatte ich schon große Angst. Auch bin ich dort nicht sehr beliebt, bzw., als ich dort anfing mitzusingen, wurde ich kaum beachtet oder wo hin mitgenommen, wenn sie abends weggingen. Die meisten meckern oder lästern nur, wenn ich was sage oder einen Vorschlag mache, und von einigen habe ich zugetragen bekommen, daß sie mich nicht leiden können. Nun kann man nicht alle lieben oder von allen geliebt werden, aber ein gewisses Grundeinvernehmen sollte schon vorhanden sein, wenn auch nur ein oberflächlicher Zusammenhalt. In der Gruppe meiner Alt-Stimme habe ich keine Probleme, und die nach mir neu gekommenen Mitglieder sind alle sehr nett und freundlich zu mir. Bei einem Chor Ausflug war ich vorher noch nie dabei, eben auch aus Angst, dann wieder nur alleine dazusitzen, und weil ich nicht wegen einem Tag meine Dialyse verschieben wollte.


Da wir schon im März die Anzahlung machen mußten, um das Zimmer zu reservieren, und ich meine 100 Euro nicht umsonst einzahlen wollte, um hinterher dann keinen Dialyseplatz zu kriegen, habe ich schon früh die Adresse der Pension erbeten, um mir in der Nähe einen Dialyseplatz zu suchen. Eine unserer Dialyseschwestern suchte mir in Weißensee und Hohenschönhausen einige Dialysen heraus, und ich rief alle nacheinander an. Die meisten sagten, daß sie so früh noch gar keine Zusage machen könnten, da ja immer neue Patienten dazukommen, die diesen Platz dann brauchen. Eine Schwester in Buch sagte mir: „Es ist zwar noch sehr früh, aber ich bin mal mutig und sage ja. Melden Sie sich im August nochmals. Als ich im August anrief, sagte mir eine Schwester am Telefon: „Sie stehen schon drin.“ Jubel, es klappte. Ich fragte bei der Dialyse noch nach einem Taxiunternehmen. Das erste, welches sie mir gaben, war nicht bereit, mich nach der Dialyse woanders als in meine Pension hinzufahren, da sie das zeitlich nicht könnten. Aber es hätte keinen Sinn für mich gemacht, mich in die Pension zurückfahren zu lassen, sondern ich mußte in die Nähe der Sehenswürdigkeit, die die Gruppe zu der Zeit ansah, damit ich auf die Gruppe stoßen konnte. Und außerdem maulte die Dame, hätte sie keinen Fahrer, der mich freitags und samstags fahren könne. So ließ ich mir bei der Dialyse ein zweites Taxiunternehmen nennen, und das sagte zu, sowohl in dem Punkt, mich nach der Dialyse an den von mir gewünschten Ort zu fahren, als auch in puncto Abholung am Freitag und am Samstag. Ich packte meine Reisetasche mit Rädern, die ich aus meinem ebenso hier beschriebenen Türkeiurlaub mitgebracht hatte, und wir trafen uns am Donnerstag den 22. September um kurz nach Vier am Bahnhof.

Die Zugfahrt war recht nett. Ein Chormitglied, der sich schon oft sehr nett um mich gekümmert hatte, etwas besser sah als ich und mich führen konnte, setzte sich neben mich. Später wollte ich unbedingt in den Speisewagen, um dort ein schönes Essen zu genießen, weil mir das immer soviel Spaß macht, und ich ein schönes kleines Budget mitgenommen hatte. Als ich dann mit einer Chorsängerin, die etwas Gleichgewichtsprobleme hatte, mich aber mitnahm, zum Speisewagen gewackelt war, hatten die nur Nürnberger Bratwürste. Ganz toll!

In Berlin angekommen, war alles sehr hektisch, denn der Platz wimmelte von Leuten. Ich konnte mich schlecht führen lassen, da ich in der einen Hand den Stock, in der anderen Hand die Rolltasche hatte. Mein Rucksack war mir , wie ebenfalls hier erwähnt, bei meinem Südtirolurlaub kaputt gegangen, und ich hatte mir zwar vorgenommen, mir einen Rucksack mit Trolly-Funktion zu kaufen, hatte es aber unnötig lang hinausgezögert und nicht an die Berlinfahrt gedacht. Die Leute auf dem Platz waren auch sehr frech, eine maulte: „Die nehmen ja den ganzen Platz ein!“ Typisch Berliner Schnauze, wie ich sie schon aus einigen Aufenthalten vorher erlebt habe. Dann zankten sich auch noch zwei Taxifahrer, wer uns jetzt mitnimmt. Unsere Organisatorin hatte vier Taxen auf Donnerstag bestellt, aber die Dödel kamen am Mittwoch bereits, und da sie dann am Donnerstag nochmals kommen mußten, war einer zuviel dabei, und so lieferten sie sich eine verbale Schlacht, die ich leider nicht selbst mitbekam, sonst hätte ich sie mit meinem neu gekauften Mikrophon auf mein Notizgerät aufgenommen. Denn ich sollte für unser Radioprojekt ein paar lokale Töne einfangen, damit die Leute raten, in welcher Stadt wir waren, und wie „Berlin klingt.“ Jedenfalls mußten einige schnell wieder aus dem Taxi springen, und beinahe wäre das Gepäck auch noch verlorengegangen. Ich selbst stand vor einem Taxi, und der Fahrer sagte zu meiner Begleitung: „Setzen Sie sie oder ihn schonmal ins Taxi,“ woraufhin ich lautstark protestierte, denn erstens sieht man mir wohl trotz meiner geringen Größe an, was für ein Geschlecht ich bin, auch wenn ich behindert bin, und außerdem kann man mit mir selbst reden und nicht, als sei ich ein Objekt, das nichts versteht.

In der Pension angekommen wurden die Zimmer eingeteilt. Ich hatte bereits im Zug eine Bekannte angefragt, ob sie mit mir ins Zimmer gehen würde, weil wir im Chor abends auch immer gemeinsam zur U-Bahnhaltestelle gehen und uns auch aus anderen Zusammenhängen außerhalb des Chores kennen. Sie sagte zu, und dann mußte ich auch drauf bestehen, daß ich im Haupthaus untergebracht war, da das Dialysetaxi ja nur diese Adresse kannte. Einige mußten in ein dem Wirt benachbartes Privathaus einquartiert werden. Es gab zu unserem Schrecken nur Doppel-, Dreier- und sogar Viererzimmer. Da wir ein Pärchen dabei hatten, und nur noch ein Viererzimmer frei war, hätten meine Bekannte und ich nicht mit dem Pärchen ins Viererzimmer gehen können. So mußten vier Jungs in ein Zimmer, wobei einer davon absolut kein Mehrbettzimmer wollte. Es war ausgerechnet der, der mich nicht ausstehen kann, und so war ich einerseits schadenfroh, daß es ihn getroffen hatte, andererseits aber hatte ich ein schlechtes Gewissen, daß wegen mir nun einer ins Viererzimmer mußte, weil ich nicht im Nebenhaus hätte übernachten können.

Die Bekannte und ich gingen in das Zimmer, und uns traf fast der Schlag. Es stand nur ein Bett drin, das andere mußte man darunter hervorziehen, so daß man dann keinen Platz mehr zum Laufen hatte. Der Schrank war nur ein in die Wand eingelassenes Kästchen in Brusthöhe. Die Taschen konnte man nicht ins obere Fach geben, da man sie sonst nicht mehr hätte herausholen können, weil es dafür zu hoch war. Dann kam aber die gute Nachricht, daß wir umziehen könnten. Das andere Zimmer war nicht viel besser. Es hatte lediglich einen Schrank mehr. Das Kästchen in der Wand bekamen wir anfangs gar nicht auf, so daß wir nur den Schrank nutzten. Jede hatte nur ein Fach. Die Kleiderbügel mußte man zur Seite drücken, wenn man den Schrank zumachen wollte. Die Möbel waren aus echtem Holz. Es roch nach Honigwachs, womit sie wohl eingelassen worden waren, aber die Ablagebretter auf den Konsolen lagen nur auf, so daß man sie hinunterschubste, wenn man dranstieß. Es gab eine Minibar, und später machte mich auch noch jemand auf einen Fernseher aufmerksam, da ich mich schon gewundert hatte, was für „Telefone“ da auf der Ablage waren, die sich dann als Fernbedienungen des Fernsehers und Receivers herausstellten. Ich schlug vor, daß ich vorne liegen würde, da ich ja früh raus müsse, und ich sonst über meine Bekannte steigen würde. Sie mußte aber dennoch um 5:20 mit aufstehen, da sie mir half, das Bett reinzuschieben, damit ich die Schranktüren aufmachen konnte. Wir sprachen uns immer gut ab, wer wann seine Sachen wo hinlegte, wer wo seine Reisetasche deponierte, wer wann ins Bad ging, usw. Das klappte hervorragend, und da meine Bekannte mir noch helfen konnte, ging alles glatt. Wir hatten für abends noch was zu essen bestellt, und ich hatte Tiramisu geordert, da ich noch ein Betthupferl wollte. Das hatte unsere Organisatorin bereits von daheim aus gemanagt. Ich hatte schon gar nicht mehr damit gerechnet, daß das klappt und mich daher bereits bettfertig umgezogen. Sie brachte es mir dann aufs Zimmer, und da ich bereits die Zähne geputzt hatte, entschied ich, das Tiramisu zum Frühstück zu verspeisen. Denn vor der Fahrt zur Dialyse, die um kurz nach sechs bestellt war, wollte ich noch was essen, da man an der Dialyse immer erst um acht Frühstück kriegt. Das Büfett war schon aufgebaut, aber alleine wäre ich da nicht zurechtgekommen. Die Schwester unserer „Managerin“ half mir am Freitag vom Zimmer zur Haustüre, die erst aufgesperrt werden mußte. Da die Pension in einer recht abgelegenen Gegend lag, wollte ich auf keinen Fall bei Nacht draußen stehen und warten, weil da weiß Gott was hätte passieren können, bis mich der Taxifahrer holt. So wartete sie mit mir drinnen, sah das Taxi kommen und brachte mich raus. Der Taxifahrer sprach so gar nicht Berlinerisch, sondern er hatte eher einen pfälzischen Einschlag. Als ich ihn fragte, woher er eigentlich sei, meinte er, er sei Heidelberger. Das freute mich sehr, da ich Heidelberg sehr mag und schon oft dort war. Ich erklärte ihm, daß ich nach der Dialyse dann ins Ministerium für Arbeit und Soziales gefahren werden wollte, da wir dort eine Stunde mit einem der Mitarbeiter sprechen konnten. Ich hatte mir schon einige Fragen zum Thema Behinderte und Beschäftigung ausgedacht, und zu diesem besonderen Anlaß hatte ich auch meine schönste Bluse angezogen. Doch der Taxifahrer mußte mein Vorhaben leider zunichte machen, denn aufgrund des Papstbesuches wären wir nicht unter einer Stunde durch die Stadt gekommen, und bis ich dort angekommen wäre, wäre die Veranstaltung vorbei gewesen. So machten wir aus, daß ich nach der Dialyse gleich in ein Café in Hohenschönhausen gebracht werden sollte, welches in der Nähe der Stasigedenkstätte sein sollte. Der Taxifahrer gab mir noch den Tip, an der Dialyse keine Brötchen zu essen, da diese laut Patienten, die ihm das gesteckt hatten, „beschissen“ schmeckten.

An der Dialyse empfing man mich freundlich, ich bekam alle Behandlungsformen, die ich auch daheim hatte, und wie sie in meinem Regime standen. Punktiert wurde ich von einem Arzt, und alles lief glatt. Um abzufragen, was ich zum Frühstück haben wollte, kam eine recht muffelige Berlinerin: „Schrippen oder Schnitten?“ -- „Schnitten“. „Weiß oder schwarz?“ – „Schwarz, und sind die Brote ganz oder halb?“ -- „Ganz!“ – „Dann möchte ich eines mit Wurst und eines mit Käse.“ „Ei auch?“—„SUPER, Eier gibt es hier, dann auch ein Ei!“ Was kam, war ein halbes Wurstbrot und ein halbes Käsebrot und ein halbes Ei. Dafür gab es aber noch einen Obstquark mit Rosinen, so wurde ich doch halbwegs satt. Ich war von der langen Fahrt am Vortag und durch den schlechten Schlaf auf der unbequemen Matratze so müde, daß ich das erste Mal an der Dialyse nichts anhörte und nur vor mich hindöste.

Nach der Dialyse wurde ich also in die Nähe des Stasigefängnisses gefahren. Der Taxifahrer, der mich abholte, hatte keinen blassen Schimmer, wo in der Nähe ein Café sein sollte. Schließlich fanden wir ein Restaurant namens Rustikal in der Nähe der Genslerstraße. Dort gab es aber keine Süßspeisen außer Apfelstrudel, und ich mag mittags nicht so gerne warm essen sondern lieber was Süßes. So bestellte ich den Apfelstrudel mit Vanilleeis und Schokosauce. Das hätte ich mit der schönen beigen Rüschenbluse nicht tun sollen, denn ein Stück Apfelstrudel plumpste zurück auf den Teller, und eine Fontaine aus Vanilleeis und Schokosauce spritzte auf die Bluse. Die Bedienung half mir, das Ganze wegzuwischen, und man sah es auch nicht mehr so. Ich informierte meine Gruppe über Handy, daß ich nicht zum BAMS fahren würde, sondern daß ich in einem Restaurant in der Nähe der Gedenkstätte säße. Sie meinten, daß sie dort vor dem Besuch des Stasigefängnisses auch etwas essen wollten. Allerdings kamen sie sehr spät, da einer aus der Gruppe nicht mehr in die Straßenbahn kam, als diese bereits zumachte, und so mußte einer nochmal zurück und ihn an der Haltestelle abholen. Die anderen meinten schon zu mir: „DU hast es gut, DU hast an der Dialyse ein gutes Frühstück gehabt, WIR hatten nur dieses labberige Brot und schlechten Kaffee.“ Ich machte mich also auf ein schlechtes Frühstück gefaßt.

Auf dem Weg vom Restaurant zur Gedenkstätte hatte ich bereits mein Mikrophon auf mein Notizgerät aufgesteckt, welches ich zuvor meiner Bekannten mitgegeben hatte, damit sie die Schiffahrt aufnimmt, damit ich etwas Material für meinen Bericht „So klingt Berlin“ hatte. Ich hielt das Mikro also schon in die Höhe und ließ mich von meinem Chorbekannten führen. Der sieht aber auch schlecht, und so übersah er eine Bordsteinkante, und ich konnte den Blindenlangstock nicht pendeln lassen, weil ich ja das Mikro in der Hand hatte. So knackste ich völlig um und verdrehte mir den Fuß komplett nach außen. Das tat höllisch weh. Nach einer Weile dann wurde es besser. Aber da wir nirgendwo eine Gelegenheit hatten, daß ich den Fuß hochlegen konnte, schwoll er gar fürchterlich an und tat noch mehr weh.

Im Stasigefängnis waren wir alle sehr beeindruckt. Wir durften erst mal in eine Zelle, die die Gefangenen zur Stalinzeit selbst errichten mußten. Ein Mann führte uns durch dieses Gewölbe, und ich machte einige Aufnahmen seiner Erklärungen und beschrieb die Zelle, deren Wände und Ausstattung. So machten wir es mit einer Gummizelle und einer Mehrpersonenzelle. Es war alles recht grausam. Der Mann ließ dann auch einfließen, daß er selbst in einem Stasigefängnis war, und nach und nach erfuhren wir seine traurige Geschichte, nämlich, daß er im Alter von 18 Jahren versuchte, die DDR zu verlassen, mit lauter Schwerverbrechern eingekerkert war, mit denen sogar eine Toilette ohne Sichtschutz teilen mußte, und er las auch aus seiner Akte vor. Er erzählte auch, daß die anderen Mitgefangenen oft zusehen mußten, wenn sich ein Zellengenosse umbrachte oder es versuchte, eine schauderhafte Vorstellung! Dann ging es in den etwas „moderneren“ Trakt, wo es furchtbar nach Linoleum und Putzmittel und gestrichenen Wänden stank, riechen konnte man das nicht mehr nennen. Es gibt auch ein Museum an diese Gedenkstätte angeschlossen, in dem man die Gerüche der DDR in öffentlichen Gebäuden nachempfinden kann. Der Mann erzählte, daß sogar Spione in die Zellen eingeschleust wurden. Dann ging es in den Vernehmertrakt. Dort gab er uns ein lebendiges Beispiel der sogenannten „operativen Psychologie“. Ein Telefon läutet, und der Vernehmer sagt beispielsweise: „Nein, die sitzt grad bei mir… WAS?! … Die Kinder sind zur Adoption freigegeben worden?!“ Dann legt er auf, macht sich eine Aktennotiz und fragt weiter sein Gegenüber aus. Oder: „Nein, geht grad nicht…. Ja, die sitzt bei mir…. WAS, der Ehemann hat die Scheidung eingereicht?!“ Daß das Telefonat aber gespielt war, wußte der „Delinquent“ nicht. So haben die die Leute fertiggemacht. Oder der Vernehmer sagte, daß er extra den Lieblingstee der zu vernehmenden Person gekocht habe, und die Frage war dann: „WOHER weiß der, welchen Tee ich mag?“ Woher diese Infos kamen, konnte dann der einer oder die andere später in ihrer Akte lesen, und zwar teilweise vom eigenen Ehemann!

Auf dem Hof konnten wir dann noch einen Grotewohl-Express ansehen, in dem die Gefangenen in 2-Quadratmeterzellen à 4 Personen durch die DDR transportiert wurden. Grotewohl war wohl einer der Ministerpräsidenten zu Ulbrichts und Piecks Zeiten. Wir alle waren ziemlich geschockt und „betroffen“, wenn man dieses abgelatschte Wort dafür überhaupt benutzen darf.

Da ich ja bereits in diesem Restaurant in der Nähe gegessen hatte, wurde es dann auch für das Abendessen ausgesucht. Es war alles selbst gekocht und gebraten, und daher dauerte es elendiglich lange, bis jeder etwas zwischen die Kiemen bekam. Die anderen hatten ja angeblich vom Frühstück an bis zu diesem Moment noch nichts gegessen, obwohl die ja auf dem Dampferausflug genug Gelegenheiten hatten, wie ich später in dem MP3-Track des Filmchens hören konnte, das ich für meinen Berlinbericht von meinem Chorbekannten zur Verfügung gestellt bekam. Aber wer jammert, hat halt eben mehr vom Leben. Denn als ich am nächsten Morgen wieder zur Dialyse fuhr, betreute mich unsere Organisatorin, und die konnte mir ein recht gutes Frühstück mit annehmbarem Kaffee kredenzen.

Diesmal war an der Dialyse eine nettere Küchenfrau, die aber total falsche Angaben von ihrer Vorgängerin bekommen hatte, was oft passiert. So erhielt ich ein paar Schnitten mit allerlei verschiedenen Käsevarianten, und diesmal sogar ein GANZES Ei! Auch der Quark war wieder sehr gut. Nach der Dialyse wurde ich zu der Kirche gefahren, in der das Konzert stattfinden sollte, da dort die Probe abgehalten wurde. Ich bekam nur noch das Ende der Probe mit. Die Leute waren recht aufgewühlt, da der Komponist unseres zeitgenössischen Stückes auch da war, und er hatte einen Ton bemängelt, der falsch eingelernt worden sei. Die Leute stürmten alle aus der Kirche, und als ich fragte: „Hallo, nimmt mich jemand mit?“, fand sich keiner. Nur einer führte mich immer, und wenn der mal nicht da war, hatte ich niemanden. Das fand ich schon ärgerlich. Der Bekannte von mir hatte wenig Geld dabei, und weil er mich immer so nett mitnahm, spendierte ich ihm ab und an mal eine Cola oder übernahm seinen Anteil im Taxi. Da ich ja wegen meines angeknacksten Fußes fast nicht mehr laufen konnte, mußte ich immer mit denen fahren, die ein Taxi brauchten. Wir nahmen immer Großraumtaxis, und da mußte das Geld zwischen acht Leuten aufgeteilt werden, da war mein Anteil nicht allzu groß. Aber am Ende der Reise läpperte sich das doch schon auch zusammen.

Nach der Probe fuhren wir zu einem Restaurant. Dort aß ich echte Berliner Currywurst mit Pommes. Abends zuvor hatte ich schon echte Berliner Bouletten nach Omas Art. Der Kellner ließ sich sehr viel Zeit, so daß wir mehrfach zum Zahlen auffordern mußten. Das kostete wieder immens viel Zeit, wo wir uns doch vor dem Konzert daheim noch etwas ausruhen wollten. So kamen wir erst um drei in die Pension, und um vier sollten wir schon wieder unten sein, um in ein Taxi zu steigen. Um vier kam dann aber nur EIN Taxi anstatt der vier bestellten. Dies fuhr mehrmals hin und her. Ich war leider im letzten Taxi, so daß ich mich nicht mehr einsingen konnte und aus dem Taxi raus direkt zum Konzert mußte. In der Früh hatte ich ja auch schon keine Möglichkeit, mich einzusingen. Bei meiner etwas rauheren Stimme ist das fatal, die muß besonders gut gepflegt werden, weil sie sehr störanfällig ist, und die zwei kurzen Nächte trugen das Ihrige dazu bei. So war das Konzert furchtbar anstrengend, obwohl ich eine derjenigen war, die einen Stuhl hingestellt bekam, da ich wegen Fuß und Dialyse nicht so lange stehen kann. Ich war so heiser, daß ich nicht mal beim Anstimmen einen ordentlichen Ton herausbrachte. Das war schon ärgerlich, da arbeitet man das ganze Jahr an diesem großen Tag, und wenn er kommt, kann man nicht singen. So quälte ich mich durch das ganze Konzert, immer kurz davor, mich einfach hinzusetzen und aufzugeben, aber ich hielt grade mal so durch. Danach war ich stockheiser und brachte keinen richtigen Ton mehr raus. Es waren leider nur um die 50 Leute da, so daß nur die ersten Reihen besetzt waren, was ich sehr enttäuschend fand. Aber das Konzert lief ganz gut. Ich gab mein Notizgerät der Schwester unserer „Managerin“, damit sie uns aufnahm. Sie ließ die ganze Zeit das Gerät eingeschaltet und legte es neben sich. Daheim mußte ich dann eine ganze Menge schneiden. Aber immerhin war es eine gute Aufnahme.

Nach dem Konzert wurden wir von einem freundlichen Taxifahrer, den wir am Abend vorher kennengelernt und zu unserem Konzert eingeladen hatten, KOSTENLOS zu einem griechischen Restaurant gefahren, welches einer unserer sehenden Begleiter vorher ausgekundschaftet hatte. Dort war eine Geburtstagsfeier, und es war höllisch laut! Das Essen ließ sehr lange auf sich warten, und der Kellner schaute nur ab und an mal vorbei. Wir durften dann der Geburtstagsgesellschaft noch ein Ständchen bringen und sangen nochmals unseren kleinen Grünen Kaktus und Über sieben Brücken, sozusagen als Hommage an Berlin und vorallem an Ostberlin. Ich war aber dann nur noch froh, als wir endlich wieder in unserem Zimmer waren, da der Lärm selbst mir auf die Nerven ging, die ich doch aus Internatszeiten und von einer großen Familie her sehr viel Krach gewohnt bin.

Am Morgen durfte ich dann gemütlich das gute Frühstück genießen, von wegen labberiges Brot usw. Es gab Tomaten mit Mozzarella, Toastbrot, Schwarzbrot, Vollkornbrot, verschiedene Wurstsorten, Käsesorten aller Art, Obst, Joghurt und guten Kaffee. Hauptsache, man hat was zu meckern und man kann anderen gegenüber behaupten, man habe es schlechter gehabt, von wegen Du hast es gut, Du hast an der Dialyse was Gutes bekommen. Sollen die mal tauschen! Dann war noch genug Zeit zum Packen, und wir hatten trotz der Abfahrtszeit um 12:43 die Taxen schon auf 10:30 bestellt. Anfangs fand ich das lächerlich, aber bald sollte sich herausstellen, daß das sehr klug war. Denn anstatt der bestellten VIER Taxen kamen nur DREI, eines hatte einen Unfall. Die Frau, die uns am Tag zuvor auch schon gefahren hatte, stellte die Taxiuhr ein, begab sich nach draußen und telefonierte. So ging das 20 Minuten lang. Unsere Organisatorin wollte, daß wir alle zusammen fahren sollten, und daher mußten wir auf das verunfallte Taxi warten. Das wußte aber die Taxifahrerin auch, da sie uns ja vom Tag zuvor schon kannte und wußte, daß wir aufgrund unserer Sehbehinderung zusammenbleiben MUSSTEN! Endlich fuhren wir ab, obwohl das kaputte Taxi noch nicht da war, aber länger wollten wir nicht mehr warten. Sie verlangte 44 Euro, und ich war vorne. Wer vorne ist, zahlt, und ich protestierte, da es nicht unsere Schuld war, daß ihr Taxi einen Unfall hatte, das ist Unternehmerrisiko. So „erließ“ sie uns gnädig 4 Euro, faselte was von Großraumtaxi und Extraaufschlag für Gepäck, was ich aber nicht ganz glaubte und daher meine Ohren auf Durchgang stellte. Das Geldbekam ich sofort von allen wieder, und die verteidigten auch noch die Taxifahrerin, die könne ja nichts dafür, wenn unsere Organisatorin auf gemeinsamer Abfahrt bestünde. Ich sah das etwas anders, aber Hauptsache, wir hatten einen Rabatt erhalten, denn UNSERE Schuld war es ja erst recht nicht.

Wir hatten gerade noch Zeit, uns etwas Reiseproviant zu besorgen, mit 25 hochgradig Sehbehinderten die Rolltreppe zum Gleis runterzufahren, und da kam auch schon der Zug.

Im Zug merkte ich erst, wie hundemüde ich war, und nach meinem Kaffee mit den eingekauften Kaffeestückchen hörte ich Musik, schottete mich etwas ab und döste vor mich hin.

Daheim angekommen brachte mich mein Chorbekannter noch zu einem Taxi, dort setzte ich mich rein und war froh, daß alles gut gelaufen war.

Am nächsten Tag machte ich gar nichts, ruhte mich nur aus und ging dann zur Dialyse. Dort war der nette Arzt, der sich mehr Zeit nimmt, und der rief gleich bei der Notaufnahme an wegen meinem Fuß, da er sichergehen wollte, daß nichts gebrochen war. Dort ging ich nach der Dialyse hin. Zum Glück war es nur eine Bänderdehnung, und außer einem Voltarenverband brauchte ich dann nichts mehr zu tun. Es ist mittlerweile fast wieder abgeklungen.

Ich hatte mir von der Chorfahrt erwartet, daß wir uns entweder total zerstreiten, oder daß der Chor sich richtig zusammenschweißt. Keines von beiden ist passiert.

Als ich am 3. Oktober zur Auftaktveranstaltung der Woche des Sehens ein Konzert unserer Chorleiterin besuchte, war der halbe Chor anwesend. Die saßen mehr oder weniger in Grüppchen verstreut, ich saß mal wieder ganz alleine. Wenn ich jemanden grüßte, erhielt ich ein knappes „Hallo“ zurück, so daß mir klar war, daß die Person mich schon längst vorher gesehen haben mußte. Ein ehemaliges Mitglied kam auf mich zu und fragte nach meinen Katzen, aber viel konnte ich ihm nicht erzählen, da war er auch schon umringt von anderen, und ich verdrückte mich. Ich kam noch an ein paar Leuten vorbei und meinte: „Ich möchte Euch auch mal Hallo sagen.“ Als Antwort bekam ich nur zurück: „Hallo, wir haben dich schon gesehen.“ Na toll, und warum haben sie dann nichts gesagt?

Ich haderte mit mir, ob ich weiter zu diesem Chor gehen sollte, wo ich eigentlich gar nicht wirklich gut aufgenommen war abgesehen von einigen vereinzelten Leuten. Da ich ja die Aufnahme so mühevoll geschnitten und überarbeitet hatte, und sie auch angeboten hatte, und sich „immerhin“ zwei-drei Leute für ein Exemplar einer CD gemeldet hatten, ging ich anstandshalber halt nochmal hin. Aber dieser Abend gab mir dann den Rest. Wir hatten ein neues Stück, mal wieder in Englisch, und die Aussprache einiger Leute, einschließlich der unserer Chorleiterin, ist nicht grade „standard English“. Auch waren einige Sachen falsch geschrieben. Ich wies darauf hin, und sie meinte, ja, sie würde das nachschauen. Das stank mir schon wieder sehr, da ich denen schon mehrfach erklärt habe, daß ich Übersetzerin für Englisch bin, und daß solche Kleinigkeiten für mich total einfach sind, also kein großer Zweifel besteht, ob das richtig ist, was ich sage, oder nicht, da es sich ja nicht um komplizierte grammatikalische Wendungen und Fragestellungen handelt. Dann hat sie wieder was verkehrt ausgesprochen, und ich sagte nichts mehr, weil ich keine Lust mehr hatte, mich schon wieder beweisen zu müssen. Da meinte sie, warum ich denn nichts gesagt hätte. Ich erklärte, daß es eh keinen Sinn macht, was sie dann wiederum „versnobt“ fand. Das haben wir mittlerweile geklärt. Aber dennoch habe ich keine Lust mehr, in diesem Chor mitzumachen, mir diesen Streß anzutun, meine Dialyse ständig auf die Frühschicht zu verlegen, um bei den Auftritten dabei zu sein, wenn ich dann gar nicht mit dem ankomme, was ich kann und damit so wenig Beachtung finde. Ich will ja keinen roten Teppich, aber wenn sie dauernd Zweifel hat und alles erst nachprüft, dann stört mich das schon, anstatt, daß sie froh sind, jemanden zu haben, der sich auskennt und anstatt die Fähigkeiten der einzelnen zu nutzen.

Einige andere sind auch ausgetreten, weil sie sich unverstanden fühlten, oder weil sie mal was anderes machen wollten, oder einer ist in einen noch anspruchsvolleren Chor gegangen und hatte uns nur als Sprungbrett und als Interimlösung gesehen.

Ich bin auf nicht allzu viel Verständnis gestoßen, warum ich nicht mehr wollte. Es gab nur eine, die sagte: „Was, und da bist DU SO LANGE geblieben?“ Ansonsten kam eher: Ist doch nicht so wichtig, ob man Anerkennung kriegt, das findest Du in jedem Chor, überall gibt es solche Querelen, und ich halte es ja auch aus. Daß aber viele andere diese Probleme gar nichterst haben, und daß die sich leicht reden, das sieht mal wieder keiner.

Jedenfalls habe ich gestern während der Chorproben eine Übersetzung gemacht und dachte mir, da habe ich eine größere Herausforderung, als daß ich mich damit rumschlagen muß, ob es nun "pumpkin" oder -"punking" heißt.

Nun muß ich nur aufpassen, meine schöne Zeit, die ich jetzt mehr gewonnen habe, auch sinnvoll zu nutzen und nicht wieder nur zu vertrödeln, weil man ja jetzt mehr Zeit hat.

Vielleicht komme ich ein andermal wieder zurück in den Chor, wenn vielleicht andere Leute drin sind, oder sich der Eindruck, den man von mir gewonnen hat, verflüchtigt hat. Denn der erste Eindruck ist der Wichtigste, und ich habe doch sehr offensiv auch Kontakt gesucht, gefragt, ob ich mal mitgehen darf abends, wenn sie nach dem Chor weggehen, und vielleicht war das einigen zu aufdringlich. Allerdings hat mir das genau die Chorleiterin geraten, ich solle mutig sein und auf die Leute zugehen, mich einfach einhängen und mitgehen! Daß das nicht einfach so geht, habe ich schon gespürt, aber ich dachte, vielleicht bin ich einfach nur feige. So habe ich meine Zweifel überwunden und habe nachgefragt, aber gerade das kam nicht gut an.

Insgesamt habe ich gute Erfahrungen gemacht, habe ein paar Leute kennengelernt, die ich heut noch treffe, habe viele Lieder gelernt, meine Stimme verbessert, das erste Mal überhaupt Stimmbildung gehabt und bin rumgekommen, das ist auch was wert. Nur ist halt alles irgendwann auch mal zu Ende und hat seine Zeit. Jetzt kommt was Neues.

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