Freitag, 20. Januar 2012

....., vor allem Gesundheit

Wer aufmerksam hinsieht, der merkt, heute ist mein Geburtstag. Heute früh riefen bereits meine Eltern an. Meine Mutter gab den Hörer an meimen Vater weiter: "Alles Gute zum Geburtstag, vorallem Gesundheit." Meine Mutter: "Du darfst ihr doch keine Gesundheit wünschen, sie IST doch nicht gesund!" Ich: "Naja, Du bist die erste, die sowas bemerkt." Mein Vater: "Jeder hat irgendwas." Ich habe keinen Kommentar abgegeben und ihn mit seinem zweiten Faux pas ins Leere laufen lassen, um nicht wieder über solche eigentlich Selbstverständlichkeiten diskutieren zu müssen, und weil man auf so einen Klopps am besten gar nicht reagiert. Er: "... Na, Hallo?" Ich: "Ja, ich bin noch dran." Ich hoffte nur, daß er zumindest emotional noch so ansprechbar ist, daß es ihm peinlich ist oder er etwas verlegen wird. "Das darf man doch alles nicht so wörtlich nehmen." Echo von meiner Mutter: "Das darf man halt nicht so wörtlich nehmen." Ich könnte ja sagen, manche Menschen haben eine Sensibilität wie ein Traktor. Aber gerade ich höre solche Sprüche andauernd, während mein Bruder, der ebenfalls krank ist, nie solche Erfahrungen macht, sondern da passen sie immer genau auf, was sie sagen, oder ob man etwas so sagen darf. So überlegte eine Freundin meiner Mutter: "Darf man Dich überhaupt fragen, wie es Dir geht, oder sollte ich lieber nur fragen: 'Ist Dein Leben erträglich?'" Das zeigt immerhin, daß sie sich Gedanken macht. Als eine Freundin von mir, die psychisch krank ist, uns beim Fastnachtszug nicht beachtet hat und sich separat von uns gestellt hat, hab ich das meinen Eltern erzählt und sagte, daß ich das sehr seltsam fand. Daraufhin sagte mein Vater: "Das kann man doch verstehen, die ist jetzt mit 60 schon in Rente gekommen und ist doch auch krank. Sei DU erst mal so krank." Da war ich allerdings schon mindestens seit einem Jahr an der Dialyse, und ich wurde mit 38 schon berentet, aber das zählt nicht, weil ja jemand mit einer Behinderung sowieso kein Berufsleben oder gar eine berufliche Laufbahn (von Karriere will ich erst gar nicht reden) erwarten kann, und das bei mir so wieso unerheblich ist.

Ich höre schon die Einwende, daß ja die anderen nicht wissen, was sie sagen sollen usw. Ich kann sehr wohl unterscheiden, von wem ich etwas erwarten darf und von wem nicht. Von nahen Angehörigen könnte man schon etwas mehr erwarten. Ich kann schon unterscheiden, ob jemand einfach mit Gefühlsdingen etwas ungeschickt ist und sich Mühe gibt, dabei aber einfach unbeholfen ist, oder ob einer mir mal wieder reindrücken will, daß doch alles gar nicht so schlimm ist, und mich erziehen will, positiv zu denken. Dann würde so jemand, der vielleicht aus einer Generation stammt, die das nicht gelernt hat, und der aber etwas unbeholfen sein Mitgefühl ausdrücken will, doch eher sagen: "Mach das Beste draus, es ist nunmal so, mach weiter so, nimm es hin, wie 's ist, Du machst das schon." Das sind zwar auch nur Phrasen, aber ich hätte dann wenigstens gespürt, daß ich es nicht wörtlich nehmen soll, aberdoch anerkennen muß, daß sich da jemand GEDANKEN gemacht hat. Aber einfach nur Floskeln rauszuhauen wie ein Automat ist schon mehr als schwach. Bei meinem Bruder hätte sich mein Vater oder auch sonst keiner getraut, ihm "Gesundheit" zu wünschen und dann auch noch seinen (bis dahin noch läßlichen) Fehler auch noch damit zu korrigieren, indem er dann noch gesagt hätte: "JEDER hat doch irgendwas." Das ist so ziemlich der stumpfeste und platteste Klopps, den man bringen kann, und dann noch als naher Angehöriger. Da wird gleich wieder argumentiert, daß ihm ja der Abstand fehlt, und daß es für ihn ja auch schwer ist usw. Ich habe das Pech, daß ich in einer Familie geboren bin, wo schon ein Kranker ist, so ist für Mitgefühl mir gegenüber keine Reserve mehr und kein Platz mehr, und ich muß ohne auskommen, weil ich ja Verständnis dafür haben muß, daß das für Eltern zuviel ist, ZWEI solche Kinder zu haben. Aber wo bleibe dann ich? Muß ich dann also ganz ohne Mitgefühl auskommen? Ist dann für mich nichts mehr übrig? JEDER, den ich kenne, drückt mir alle Nase lang rein, daß mein Bruder es ja noch schwerer hat als ich. Wenn ich dann sage: "HALLO, das was ICH habe, ist doch AUCH schon genug!" Dann heißt es sofort: "Ja, eigentlich hat JEDER im Grunde schon genug." Dann wird wieder alles relativiert.

Ich hab eigentlich drei Päckchen zu tragen: Ich darf mit der Erkrankung leben, muß mir die blöden Sätze der anderen anhören UND soll noch Verständnis dafür haben, daß sie ja nicht anders können. Wieder die Frage: WO bleibe ICH dann? Bisher hat sich niemand um diese Frage gekümmert, und alle halten mich nur für egoistisch, selbstbezogen und unreif.

Ich frage mich immer: WAS hab ich getan, daß ich solche Sprüche magisch anziehe? Welcher Teleprompter ist da unsichtbar angeschlossen, daß alle automatisch diese Sätze ausstoßen? WAS mache ich falsch, daß ich NUR solches Verhalten provoziere? KANN ein Mensch wirklich SELBST soviel verkehrt machen, daß er bei anderen solche Sätze auslöst? Habe ich WIRKLICH soviel Einfluß auf das Verhalten anderer? Sind die anderen VÖLLIG FREI von Verantwortung und sind einfach durch mein Verhalten so automatisch dazu gezwungen, ohne ihr eigenes Zutun so reagieren zu müssen? Ich will es gar nicht mehr wissen. Ich will nur wissen: WAS hab ich verbrochen? Nicht wegen der Krankheiten, sondern wegen dem, was ich im Zusammenhang mit diesen dauernd aushalten muß!

Aber eines hab ich mir vorgenommen: ICH hab AUCH kein Mitgefühl mehr. Wenn MIR einer erzählt, wie schlimm doch etwas ist, dann kriegt er von mir kein Mitleid, das muß ich für mich selbst aufbewahren, das kann ich nicht noch an andere vergeben. Es müssen auch mal die Relationen gewahrt bleiben: Ich gehe viermal die Woche zur Dialyse, und mich bedauert auch keiner! Warum soll ich dann jeden bedauern, der beispielsweise im Alter irgendwelche Zipperlein kriegt und sein ganzes Leben davor aber halbwegs gesund im Leben gestanden ist und teilhaben konnte am Berufsleben und an der Gesellschaft? Schade, aber man wird dann selbst so verhärtet, wenn man selbst nur solche Reaktionen erfährt. Da seht Ihr mal, was Ihr mit Euren "GUT gemeinten" Phrasen erreicht habt, GENAU das GEGENTEIL! Und was werde ich nun als Gegenargument auf meine "Anklage" nun wieder hören: "Du mußt das doch verstehen, das ist doch alles nur gut gemeint?" Vielleicht würde es aber mal helfen, drüber nachzudenken, und vielleicht hätte man ja selbst auch was davon, vielleicht ist es ja für einen selbst auch eine Bereicherung, wenn man sich über so was mal Gedanken macht, ob "gut gemeint" nicht auch manchmal verletzt, und ob wirklich nur ICH immer Verständnis haben soll, oder ob man selbst vielleicht auch mal überlegt, was man sich in einer solchen Situation wie in der Meinigen SELBST wünschen würde, vielleicht öffnet das auch den Zugang zum eigenen Gefühl oder gar zum Mitgefühl! Aber das ist ja schon wieder zuviel verlangt, das kann ich wieder nicht erwarten, daß andere über so was nachdenken. Das muß ich verstehen, daß dafür keine Zeit und keine Kraft da ist. Also, dann macht eben weiter so!

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