Samstag, 26. Juli 2014

Das Trauma mit dem Trauma

Wieder so ein Artikel, der nur auf meinem einsamen Blog verschimmeln darf. Ich habe versucht, eine Zeitschrift anzuschreiben, habe sogar versucht, diesen Beitrag der TAZ vorzuschlagen, aber wie immer bekam ich keine Antwort. Ich habe etwas zu sagen, aber ich und das, was ich sagen möchte, landen nur auf dem Schutt Ablageplatz der Zeit. Ich möchte zumindest, wenn ich einmal nicht mehr da bin, dass irgendwann mal einer gelesen hat, was hier ein sozial frühzeitig beseitigter und aus der Gesellschaft ausgeschlossener Mensch einmal geschrieben hat. Ich finde es eine Sauerei, dass die Fähigkeiten, Ideen, Gedanken und Beiträge und die gesamte Intelligenz eines ganzen Menschen einfach so ins Klo gespült werden. Welches Land kann sich eigentlich leisten, seine Ressourcen so dermaßen zu verschwenden?

 

Die traumatische Suche nach dem Trauma

 

Eine Expertin in eigener Sache

 

Vor ca. 30 Jahren, als es den Begriff Trauma noch kaum zu geben schien, war ich als fast Blinde an einer Schule für Sehende und wurde dort mit Mobbing (was schon eher zum Psychoterror tendierte) konfrontiert. Damals wurde mir gesagt, ich bilde mir alles nur ein, oder mir wurde die Schuld daran gegeben, denn irgend einen Grund wird es ja wohl haben, wenn andere somit mir umgehen. Was mit „so“ gemeint ist, konntet Ihr in einem früheren Post lesen.

 

Bis vor einigen Jahren wurde der Begriff Mobbing auf diese Beschreibungen nicht einmal angewendet, sondern diese Aktionen wurden als Hense Laien bezeichnet.  Die meisten Psychologen und Therapeuten waren und sind zum Teil noch der Ansicht, das Mobbingopfer habe einen Anteil an der Situation, und man müsse sich dies in einer Therapie anschauen. Die schwer wiegenden psychischen Folgen, die Mobbing hinterlässt, sind meines Erachtens eher therapiebedürftig als die so genannten „Gründe“, die zu Mobbing geführt haben. Es ist zumindest schon beruhigend, dass mir einige Leute die neuesten Forschungsergebnisse zugetragen haben, dass es keine typische Mobbing-Persönlichkeit gibt. Und es ist gut, dass es für diese Taten nun einen übergeordneten handfesten Begriff gibt. Ich bin somit schon einen Schritt weiter, das es zumindest ein paar Psychologen und Ärzte gibt, die dies so nennen. Zuvor hieß es sogar: sie fühlte sich gemobbt. Und das bringt mich schon zum Kern dieses Artikels.

 

Wenn ich auf meiner Suche nach Anerkennung für dieses Trauma anfrage, ob solche Gewalttaten, wenn sie auch „nur“ emotionaler Natur waren, zu einem Trauma führen können, erhalte ich zumeist sehr vage Aussagen. Der Tenor lautet: für den einen ist das ein Trauma, für den anderen nicht. Ob man sich traumatisiert fühlt, hinge von der eigenen Person ab und der Widerstandsfähigkeit, der eine könne also etwas locker wegstecken, für den anderen sei es der blanke Horror. Jeder erlebe ein Trauma anders, jeder ginge anders damit um. Victor Frankl sei sogar im KZ gewesen, und er habe keine Schäden davongetragen. Andere Menschen seien schon traumatisiert, wenn man sie Idiot nennt. Wenn man natürlich so ein breites Spektrum an Reaktionen ansetzt, wird man nie zu einer Antwort kommen. Ich gehe einmal davon aus, dass abgesehen von diesen Ausnahmen die Menschen sich ziemlich eng beieinander auf diesem Spektrum bewegen. Es mag tolerant klingen, wenn einem ein Diagnostiker zugesteht, dass es für diese Person schlimm war. Dies reduziert aber die Wertung nur auf diese eine Person. Es bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass es wohl für die meisten Menschen dann nicht schlimm gewesen wäre. Dies ist aber objektiv gesehen keine Bestätigung eines Traumas, denn dies stellt keine Entlastung dar, da der Fokus auf die Person und nicht auf die Tat gelegt wird. Im Grunde genommen wird damit nicht gesagt, dass die Tat schlimm war, sondern nur, dass dieses Individuum sie eben schlimm empfand. Würde man bei einer Vergewaltigung zu einer Frau sagen: „für Sie war diese Tat schlimm.“? Würde man zu einem Menschen, der Folter erlitten hat, sagen: „jeder Mensch reagiert eben anders?“ Spontan würde jeder mit nein antworten. Weniger tolerante Menschen würden sogar sagen: „Mobbing oder Hense Laien sind kein Verbrechen, sind daher auch nicht schlimm, und ein Trauma ist ein einmaliges Ereignis, welches lebensbedrohliche Züge haben muss.“ Dies wäre zumindest eine ehrliche Antwort. Denn eigentlich kann man mit der Aussage, dass es für einen selbst schlimm war, nicht viel anfangen, denn das weiß man ja ohnehin schon, bevor man sich Hilfe gesucht hat. Zur Anerkennung eines Traumas gehört meines Erachtens daher auch, dass die Tat als solche unabhängig von der Person als schwerwiegend und verletzend angesehen wird. Nun werden viele Fragen: „was nützt es dem Opfer, wenn es weiß, dass die Tat schlimm war, und was hat das Opfer davon, wenn man ihm bestätigt, dass sein Erlebnis schlimm war?“ Wenn man auf bestimmte Art reagiert, seine Persönlichkeit verändert, misstrauischer wird, Ängste entwickelt und sich nicht mehr als derselbe fühlt, der man mal war, sich irgendwie als gezeichnet empfindet, und das Gefühl hat, irgendwie in seinem Erleben von den anderen getrennt zu sein, ist es eventuell beruhigend zu wissen, dass der Grund dafür etwas gewesen ist, was gemeinhin als schlimm angesehen wird, eine Tat, die real passiert ist und real dazu geeignet ist, einen Schaden bei einem Menschen entstehen zu lassen. Die Beruhigung, das, was Du empfindest, ist vor dem Hintergrund dieser Situation ganz normal, Du bist kein Exot, Du bist nicht verrückt, diese Tat wird von der Gesellschaft als gemeinhin schlimm angesehen, kann entlastend wirken. Das Gefühl dagegen, es sei reine Geschmackssache und (nur) die subjektive Empfindung des Individuums, ob es eine Tat selbst schlimm findet, kann einen in die Isolation treiben. Die wesentlich härteren Beispiele, die ich weiter oben angeführt habe, demonstrieren, dass Mobbing und emotionale Gewalt noch nicht wirklich als schwer wiegende Eingriffe in ein Leben betrachtet werden. Wirklich eindeutig als schädlich und traumatisch können sie irgendwie doch noch nicht angesehen werden, bestenfalls dann eben halt für das einzelne Individuum. Selbstverständlich ist Folter noch um wesentlich viele Kategorien härter als Mobbing und Psychoterror. D.h. aber nicht, dass Letzteres nicht auch schon die Psyche zerstören kann und zwar nicht nur von Menschen mit geringerer Resilienz sondern ganz bestimmt auch von  ganz durchschnittlichen Menschen.

 

Zerstörerisch wirkt sich aber auch aus, dass man in der Beurteilung seines Traumas immer nur auf sich selbst zurückgeworfen wird. Die Anerkennung, sei es  in Form einer ärztlichen Diagnose für den Geschädigten  oder die Sanktionierung der Täter, dass die Gesellschaft solche Taten nicht hinnimmt, und dass es sich hier eindeutig um psychische Gewalt handelt, gibt einem Opfer schon das Gefühl, mit seiner Ansicht und seinen Empfindungen nicht alleine zu sein. Alleine schon das Gefühl, nicht einfach nur besonders verletzlich oder lediglich überempfindlich zu sein, kann den ersten  Schritt zur Heilung bedeuten. Die oben gemachten Aussagen, es sei völlig individuell und subjektiv, wie man etwas empfindet, können zusätzlich ein Trauma bedeuten, da man wieder mit seinen Erlebnissen alleingelassen und nicht ernst genommen wird, da wieder die Tat an sich nicht anerkannt wird, man wieder zu einem besonders sensiblen Zeitgenossen abgestempelt wird. Die Aussagen, man müsse sich doch einfach selbst glauben, was andere sagen, sei doch völlig egal, treiben einen in die Isolation, denn man bekommt das Gefühl, als einzige diese Ansicht zu haben, dass diese Erlebnisse wirklich schlimm waren. Mir sind diese Aussagen und Ansichten, die für mich auch eine verkappte Bagatellisierung von Mobbing und Psychoterror darstellen, auf meiner Suche nach einem Traumatherapeuten oder einer Traumadiagnostik zu 99 % begegnet. Ich fühle mich an damals erinnert, als ich während dieser traumatisierenden Umstände Hilfe suchte, mir aber alle nur sagten, das sei alles nicht so schlimm, da müsse man durch, es passiert doch jedem. Auch Äußerungen wie: wir sind doch alle irgendwie zerbrochen, habe ich auf meiner Suche nach Anerkennung meines Traumas gehört. Dies schiebt den schwarzen Peter irgendwie dem Opfer zu: wir erleben alle unsere schlimmen Dinge, es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht, und der eine kann es eben besser, der andere eben nicht. Sprich: Du kannst es eben nicht so gut. Eigentlich sollte es angebracht sein, im Sinne von Psychoedukation dem Opfer zu erklären, warum es so reagiert, wie es reagiert, und dass die Reaktionen völlig normal sind, dass die Empfindungen verständlich sind, dass diese Erlebnisse außerordentlich waren, und dass daher auch die Reaktionen, die zuweilen außerordentlich ausfallen, gemessen an der Situation normal und nachvollziehbar sind. Dies zeigt, dass man das Opfer wirklich versteht, dass man die Geschehnisse  per se als gravierend ernst nimmt, dass man die Gefühle des Opfers nachempfinden kann, und dass man sie zumindest den negativen Erlebnissen zuordnen kann. Dies hätte ich mir gewünscht, in einer annehmenden, wohlwollenden Atmosphäre, in der auch Feedback und Resonanz hinsichtlich der erlittenen Qualen und dazu passenden Gefühle gegeben wird, und eine  sachgemäße Aufklärung stattfindet, welche Prozesse bei diesen Taten in einem Menschen ablaufen können, auf was man sich als Opfer einstellen muss, und dass man mit seinen Symptomen nicht alleine ist, sondern es auch andere Menschen gibt, die unter solchen Dingen gelitten haben und auch nicht immer stark waren und alles nur weggesteckt haben. Ich habe viele Bücher über Traumatisierung gelesen, in denen eigentlich genau das drin steht. Ich habe mich teilweise sogar an namhafte Buchautoren gewandt, zuweilen aber nur solche bis gar keine Antworten erhalten. Es gab einige wenige, die den Standards, die sie in ihren Büchern gesetzt haben, gefolgt sind. Leider kommt man aber auf der Suche nach Diagnostik nicht an diese Menschen heran, die sich ganz besonders mit dem Thema Trauma beschäftigen, da sie meistens überlaufen sind. Ob diese Bücher auch von anderen Fachleuten gelesen werden, frage ich mich manchmal. Zumindest sollte klar sein: ein Mensch, der traumatisiert ist, verhält sich in manchen Situationen nicht so wie jemand, der so etwas nicht mitgemacht hat. Daher sollte jemand, der einen solchen Menschen diagnostizieren will, darauf vorbereitet sein, es mit jemandem zu tun zu haben, der im Kontakt manchmal nicht ganz einfach ist. Hätte dieser Mensch diese psychischen Probleme nicht, würde er ja schließlich auch den Fachmann nicht aufsuchen. Daher sollte dieser sich nicht abschrecken lassen und dann wiederum negativ auf das Opfer reagieren, was ja wieder Ablehnung bedeutet. Das Schlimmste, was einem bereits traumatisierten Menschen passieren kann ist, wenn ihm gesagt wird, das, was er erlebt habe, sei doch wohl kein Trauma, da gäbe es doch VIEL Schlimmeres,  oder: das ist doch nun nicht wirklich so schlimm, und andere würden das viel besser wegstecken.

 

Romantisch oder pragmatisch veranlagte Menschen werden nun sagen, es ist doch egal, wie man es nennt, Hauptsache man hört demjenigen zu. Ich halte es aber für sehr wichtig, zu wissen, ob man es mit einem Menschen zu tun hat, der ein psychisches Trauma erlitten hat, da dann oft andere Vorgehensweisen vonnöten sind, und da sich einige Störungen dann besser einordnen und erklären lassen. Außerdem, wie oben erläutert, tut es zumindest einmal gut, wenn die Ereignisse als schlimm genug anerkannt werden, dass sie im Normalfall potenziell traumatisierend sein können, und zwar nicht nur für Überempfindliche sondern für ganz normale Menschen. Wie man mir  häufig sagte, mag es einen Unterschied geben darin, ob man etwas Traumatisches erlebt hat, oder ob man tatsächlich auch traumatisiert ist. In beiden Fällen sollte aber die Tat per se als schlimm angesehen werden und nicht die Reaktion des Opfers als eine rein individuelle und subjektive Geschmackssache oder gar als pathologisch dargestellt werden. Dies wird weder einem traumatisierten Menschen noch einem Menschen, der traumatische Dinge erlebt hat, gerecht. Und noch kurz dazu, dass viele jetzt wiederum nicht glauben werden, wie häufig mir diese Aussagen begegnet sind, und dass das doch wohl an meinem auftreten gelegen hat: auch dies birgt wieder die Aussage in sich, dass man selbst zu diesen Äußerungen beigetragen habe, oder dass man bei diesen Erfahrungen einfach nur übertreibt. So setzt sich die Traumatisierung von damals weiter fort. Auch bei einem physischen Trauma würde schließlich niemand sagen: der eine, der sich den Arm gebrochen hat, braucht einen Gips, der andere kommt auch ohne Gips aus. Wenn man einen Schlag auf den Kopf bekommt, ist das für den einen verletzend, der andere steckt das locker weg. Der eine läuft nach einem Beckenringbruch sofort wieder einen Marathon, der andere bleibt drei  Monate im Bett. Auch hier gibt es eindeutige Standards und eindeutige Skalen, wie man das eindringende Ereignis einschätzt, und wie man die Folgen  dementsprechend einordnet und behandelt . Nachdem man heute den Anspruch hat, psychische Traumata genauso ernst zu nehmen wie körperliche Verletzungen, sollte man auch die gleichen Standards dafür anlegen. Denn auch bei einem körperlichen Trauma wünscht man sich doch, dass andere die Schmerzen und die Schwere der Verletzungen und die erlittene Tat als solche würdigen. Hier würde keiner auf die Idee kommen, dass dieses Bedürfnis per se wiederum ein Zeichen von psychischer Labilität ist.

 

Der geneigte Leser wird sich nun fragen, wie kommt eine einzelne  Person darauf, für alle anderen zu sprechen, schließlich empfindet dies  doch jeder unterschiedlich. Na, da haben wir's ja schon wieder!  Nun, ich kann zumindest mit Sicherheit sagen, dass niemand seine Erlebnisse und die dazugehörigen Empfindungen relativiert, individualisiert, und bagatellisiert haben will.  Schließlich bin ich Expertin in eigener Sache.

 

Keine Kommentare: