Montag, 9. Mai 2016

Berg- und Talfahrt

Nun bin ich schon fast einen Monat transplantiert. Es hat sehr lange gedauert, bis sich überhaupt eine Besserung meines Zustandes eingestellt hat. Ich bin noch nicht in der Lage, länger als ein paar Meter zu laufen. Ich bin schon stolz, wenn ich mal mit der Helferin durch den Supermarkt oder durch den Getränkemarkt gehen kann. Ich hätte mir das eigentlich besser vorgestellt. Ich bin noch immer ziemlich schlapp. Vor allem ist es sehr schwierig, dass die Tage so extrem unterschiedlich sind. Es gibt extrem gute und extrem schlechte Tage. An den guten Tagen kann ich ein paar Dinge tun, muss aber auch immer wieder sofort aufhören. An schlechten Tagen liege ich schlimmstenfalls nur im Bett und fühle mich, als hätte jemand auf mich getreten. Die Neurodermitis, bei der man mir in Aussicht stellte, dass sie unter Immunsuppression verschwinden würde, ist wieder vollends aufgeblüht. Die Schlafstörungen, die anfänglich weg waren, sind genauso wieder da wie zu Zeiten der Dialyse. Selbst während der Zeit, als ich 3 mal die Nacht auf Toilette musste, bin ich in Trance und im Schlaf auf Toilette gegangen, habe mich ins Bett gelegt und weiter geschlafen, so das ich am Morgen gar nicht wusste, wie oft ich auf Toilette war. Nun kann ich die ganze Nacht nicht schlafen, sobald ich auf Toilette war, schlafe ich nicht wieder ein, und auch, wenn ich mich ins Bett lege, brauche ich mindestens 1 Stunde oder länger, um endlich einzuschlafen. Ich höre manchmal, wie mein Receiver anfährt, da dieser sich jede Nacht um 4:00 Uhr updatet. Heute Nacht habe ich in der Wohnung über mir einschlägige Geräusche mit Gepolter sehr amüsiert verfolgen können. Ein Medikament mussten wir austauschen, da ich es nicht mehr vertrug. Das neue kann ich auf viermal pro Tag anstatt 2 × 2 Einnahmen aufteilen. Es handelt sich um Cellcept, welches allgemein sehr schlecht verträglich ist, und dass wir nun durch Myfortic ersetzt haben. Außerdem haben wir Prograf, welches man einmal alle 12 Stunden einnimmt, durch das sehr ähnliche Präparat Advagraf, dass man nur einmal am Tag immer zur selben Zeit nehmen muss, ausgetauscht. Da meine Leber, die ich ja immer gut geschont habe, die Medikamente zu gut verstoffwechselt, kann ich den Spiegel, der zwischen sieben und zehn sein müsste, nicht halten, und so mussten wir von 8 auf 10 mg erhöhen. Dies macht mir stark zu schaffen. Nach der Einnahme kann es vorkommen, dass ich alles wieder herausbreche. Allerdings geschieht dies zum Glück erst nach ein bis 2 Stunden, sodass genug von dem Stoff über den Darm in den Körper aufgenommen werden konnte. Ich nehme allerdings ziemlich ab, da ich immer aufpassen muss, dass die Speisen auch drin bleiben. Mein Geschmack hat sich etwas geändert. Zum Beispiel mag ich seit der Transplantation keinen Filter Kaffee mehr, und es würgt mich schon im Halse, wenn ich ihn nur rieche. Ich mag auch kein spritziges Wasser mehr sondern nur noch Medium, da das spritzige Wasser so sticht, und ich doch ziemlich viel trinken muss. Außerdem freue ich mich immer auf das Abendessen, wo es etwas Herzhaftes gibt, was ich meistens auch ganz gut zu Ende essen kann, und es bleibt sogar drin. Letzte Woche habe ich Wäsche waschen müssen, denn leider wäscht diese sich nicht von alleine. Es war einer der schlechten Tage, und ich musste mich dauernd wieder zusammenreißen und aufraffen, um wirklich auch die Wäsche zu waschen, zusammenzulegen und Weg zu räumen. Mir war es Sterbens elend. Ich meine dies wirklich im wahrsten Sinne des Wortes, hätte der liebe Gott gesagt, deine Zeit ist um, ich wäre froh gewesen. Zwischendrin gab es dann wieder ein paar gute Tage, und am Wochenende lag ich komplett flach, ich konnte überhaupt nichts tun. Ich war völlig schlapp, müde, und es zog mich immer wieder ins Bett. Am Montag war alles wieder weg, wobei ich jetzt schon wieder etwas angestrengt bin, da ich schon einige E-Mails durchgearbeitet habe. Mit diesem Umstand bin ich alles andere als zufrieden. Im Moment habe ich noch die Nachteile der Dialyse, die Schlaflosigkeit und die Neurodermitis, die aufgrund der Vergiftungen viel stärker war, kann aber die Vorteile einer Transplantation noch nicht genießen. Ich muss zwar nicht zur Dialyse, doch habe ich dadurch zeitlich und auch so nichts gewonnen, wenn ich alle zwei Tage komplett außer Gefecht gesetzt bin. Zu Zeiten der Dialyse, in denen es mir auch schon ziemlich schlecht ging, da ich in den Intervallen zwischen den Behandlungen die Vergiftungen sehr stark spürte, konnte ich aber immerhin noch alleine raus und einige Dinge selbst erledigen. Im Moment geht dies überhaupt nicht, was noch einen höheren organisatorischen Aufwand erfordert, als ich ihn sowieso schon habe. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: ich fühlte mich also schlapp, und ich hatte das Hämoglobin, das HB in Verdacht, welches wahrscheinlich ziemlich niedrig war. Ich fragte die Ärzte, wie hoch das HB sei, und sie meinten "gut“. Mit dieser Antwort gab ich mich blöderweise zufrieden und wunderte mich, warum ich dann trotzdem so schlapp war. Irgendwann harkte ich dann stärker nach und erfuhr, dass das HB bei neun, irgendetwas lag. Somit wunderte mich nichts mehr, denn der Normalwert liegt bei 15, und nierenkranke sollten bei zwölf gehalten werden. Dass wir nur zwölf haben dürfen, konnte ich an der Dialyse nachvollziehen, denn der Shunt sollte ja nicht zu gehen. Mit einem Transplantat verstehe ich das jetzt nicht mehr ganz, denn wenn die Niere selbst Erythropoietin produziert, fragt ja auch keiner, ob dann der HB-Wert bei zwölf legt oder höher. Ob meine Niere irgendwann sich dazu entschließt, auch Erypo zu machen, weiß ich nicht. Jedenfalls sollte ich nun wieder Epo in Form von Aranesp bekommen. Das Rezept erhielt ich von dem Arzt in der Transplantationsambulanz, aber als ich dort fragte, ob man mir die Spritzen dort verabreichen würde, zog man nicht so recht. So entschloss ich mich, die Spritzen zum Hausarzt bringen zu lassen, wo ich dann einmal pro Woche hingehen und mir wie vor meinen Zeiten der Dialyse diese Spritzen verabreichen lassen konnte. Am Mittwoch war die Praxis der Hausärztin schon zu, am Donnerstag war Feiertag, und am Freitag wollten meine Helferin und ich um 15:00 Uhr dorthin, zuvor in der Apotheke die Spritzen holen, die unter Einhaltung der Kühlkette dann zu Hausärztin transportiert werden sollten. Früher habe ich über einen Laufburschen der Apotheke die Spritzen zum Hausarzt bringen lassen, und so konnte ich jederzeit dorthin, um sie mir verabreichen zu lassen. Dies klappt aber nicht mehr, da dieser Service zwischen 17:30 Uhr und 19:00 Uhr kommt, und die Arztpraxis um 18:00 Uhr schließt. Am Morgen rief ich extra noch mal in der Arztpraxis an, da ich mir noch zwei recht harmlose Medikamente verschreiben lassen wollte, und bei dieser Gelegenheit wollte ich danach fragen, ob ich um 15:00 Uhr kommen könnte, um mir die Spritze geben zu lassen. Mir wurde erklärt, wie auch schon am Freitag zuvor, dass die Ärztin den neunseitigen Arztbrief aus dem Klinikum noch nicht durchgelesen hätte und mir daher nicht einfach etwas verschreiben konnte. Es handelte sich um ein Anti-Pilz-Mittel zur Vorbeugung von Mundpilzen namens Ampho-Moronal sowie um stinknormale Kaliumbrause, die man sogar rezeptfrei erhalten kann. Diese hatte ich dann auf eigene Rechnung zuvor schon gekauft und würde dann bei Vorlage des Rezepts das Geld zurückerstattet bekommen. Außerdem schloss die Praxis am Freitag bereits um 12:00 Uhr und nicht, wie meine Helferin im Internet recherchiert hatte, am Nachmittag. Meine andere Helferin wollte um 12:00 Uhr am Vormittag kommen. Somit hätte sie noch nicht einmal die Rezepte abholen können, und die Spritze konnten wir nun auch vergessen. Ich bin ja ziemlich kreativ, daher rief ich einfach bei meiner alten Dialyse an und fragte, ob sie mir das Rezept für diese beiden Medikamente ausstellen konnten, und wie lange sie auf hatten. Ich hatte Glück, sie hatten bis 12:30 Uhr auf und stellten ohne weiteres großes Nachfragen die beiden Medikamente aus. Ich rief meine Helferin an und bat sie, dass sie nicht zu mir kommen solle sondern direkt zu dieser Praxis fahren solle. Es gab aber nur Schienenersatzverkehr, sodass sie sich ziemlich beeilen musste, um vor Praxisschluss dort zu sein. Danach ging sie unmittelbar zur Apotheke und reichte das Rezept ein mit der Vorgabe, wenn ich nicht bis 17:00 Uhr die Medikamente abgeholt hätte, sollten Sie sie mir nach Hause liefern. Dies war schlau. Ich fragte außerdem bei der Dialyse nach, ob ich mit meiner Helferin und der Spritze kommen könne, um sie mir dort geben zu lassen. Dies wurde mir zugesagt, ich solle wie auch früher, als ich zu Dialyse ging, um 16:30 Uhr da sein, die Schwester würde mir dann das Mittel spritzen. Da die Helferin ja schon um 15:00 Uhr kommen wollte, hätten wir locker den Wasserkasten auch noch besorgen können, da ich die letzte Flasche genau so aufgeteilt hatte, dass mir das Wasser bis dahin reichen würde. So freute ich mich, dass ich doch noch alles gut organisiert hatte. Aber ich habe mal wie immer die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Meine Helferin hat sich einen Wirbel verrenkt und konnte nicht kommen. Es fand sich auch kein Ersatz, und von den vier Leuten, die ich als Assistenten habe, konnte keiner. Mit dem Taxi fahren ging auch nicht, denn wir konnten nicht vor der Apotheke halten, um die Spritzen zu holen, zum einen aus zeitlichen Gründen, und zum anderen, weil es dort keine Möglichkeit gibt, kurz anzuhalten. Somit hatte ich niemanden, der mir die Spritze geben konnte. Ich rief an und sagte bei der Dialyse ab, und die Schwester am Telefon war ziemlich enttäuscht, da sie mich gerne mal nach der Transplantation wieder gesehen hätte. So blieb ich das ganze Wochenende ohne die Spritze. Meine Helferin versprach mir, sie würde zum Chiropraktiker gehen und wäre dann am Montag wieder gesund. Sie würde dann mit zur Transplantationsambulanz gehen und versuchen, die Leute dort zu überreden, dass sie mir doch die Spritze geben könnten. Die Medikamente ließ ich mir von der Apotheke bringen, so konnte ich die Spritzen in einer Kühltüte im Kühlschrank aufbewahren, und wir würden sie dann am Montag gleich griffbereit haben , wenn die Helferin wieder fit war. So machten wir es auch, und dieses Mal trafen wir auf eine nette Schwester, die kein Problem damit hatte, mir das Mittel zu spritzen. Sie riet mir aber, immer nur eine Spritze mitzubringen, falls ich nur alle zwei Wochen einen Termin hätte, könnte ich dann zu Hause jemand anderen suchen, der mir die wöchentlich zu verabreichende Spritze geben konnte. Nun hatte ich ja noch kein Mineralwasser, und so kochte ich über das Wochenende mit dem elektrischen Kessel das Wasser ab, da ich der Wasserqualität nicht mehr traue, seitdem unser Wasser einmal extrem stark nach Chlor gerochen hatte, und bekannt wurde, dass in zwei verschiedenen Stadtteilen ein Unfall im Wasserwerk vorgekommen war. Als transplantierte muss man da besonders vorsichtig sein. Auch zuvor hatte ich kein Leitungswasser mehr getrunken. Am Montag konnten wir einen der beiden Kästen nach Hause tragen, da meine Helferin noch nicht schwer heben darf, den anderen werde ich dann morgen, am Dienstag, mit meiner anderen Helferin besorgen. Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen! Dieses Beispiel zeigt, welchen hohen organisatorischen Aufwand ich nun betreiben muss. Außerdem wollte ich noch ein Rezept über Mimpara , ein sehr teures Mittelpunkt bei der Transplantationsambulanz wollten sie es mir nur geben, wenn ich einen Nachweis der Krankenkasse vorlegen konnte, dass diese die Kosten für dieses teure Medikament übernahm. Soviel ich auch erklärte, dass ich dieses Mittel bereits sieben Jahre von verschiedenen Dialysezentren verordnet bekommen hatte, es ließ sich nichts machen. So wandte ich mich erneut an meine Dialyse und ließ mir das Mittel dort verordnen, damit ich es einstweilen hätte, und bei einem Gespräch mit meiner Betreuerin, der ich die Lage ziemlich drastisch geschildert hatte, bot diese mir an, an die Krankenkasse zu schreiben, da wir auch noch die Übernahme von Fahrtkosten zur Urologie regeln mussten, wo ich die Harnleiterschiene gezogen bekommen sollte, und dann wollte sie auch bei der Krankenkasse nachfragen, ob die Kosten für meine Begleitperson in der Reha auch dann übernommen würden, wenn diese in einer Pension neben der Klinik wohnen würde. Denn die Klinik war bislang nicht bereit, uns jedem ein Einzelzimmer zu zu sagen. Wir sollten ins Doppelzimmer, oder meine Begleitung sollte in der daneben gelegenen Pension übernachten. Da kann es uns passieren, dass die Kasse die Kosten nicht übernimmt, da es sich um eine einfache Pension handelt, obwohl diese wesentlich billiger ist als die Übernachtung in der Klinik. Aber Krankenkassen haben eine andere Logik, daher gilt es dieses abzuklären. Außerdem bleibt die Frage offen, ob die Kasse direkt mit der Pension abrechnet, oder ob mein Bekannter den Betrag vorstrecken muss, um ihn dann (hoffentlich) von meiner Kasse zurückerstattet zu bekommen. Unterm Strich kann ich sagen, es gibt gute und schlechte Tage, das Glas ist halb voll. Es ist aber auch halb leer, das ist logisch. Ich möchte aber ein ganz volles Glas. Ich möchte, dass ich mich wieder gesund fühlen kann wie vor der Dialyse. Ich möchte unterm Strich mehr tun können als zu Zeiten der Dialyse. Ich habe diese Operation gewagt, habe all diese Strapazen auf mich genommen, und nun möchte ich auch etwas davon haben. Bisher ist noch nicht viel gewonnen. Die Medikamente haben starke Nebenwirkungen, einige davon werden im Oktober, also nach einem halben Jahr abgesetzt. Vielleicht kann dann auch der Ziel-Spiegel vom Prograf oder Advagraf etwas gnädiger angesetzt werden. Aber die erste Zeit ist nun mal kritisch, da passieren die meisten Abstoßungen . Als wir das Advagraf von 8 mg auf 10 mg anhoben, stieg das Kreatinin von 1,4 erst auf 1,5 und dann auf 1,6. Da stand schon die Frage im Raum, ist das eine kleine Abstoßung, oder reagiert die Niere nur auf die Erhöhung dieses doch recht aggressiven mittels? Gott sei Dank konnte der Arzt Entwarnung geben, das Kreatinin war auf 1,4 gesunken, da war es auch, als ich vom Krankenhaus entlassen wurde. Es kann durchaus sein, dass die Niere das Kreatinin nicht weiter runterkriegt, aber mein Arzt meinte, es gäbe auch Menschen mit einem Kreatininwert von 2,0, die glücklich und zufrieden 15 Jahre mit einer Niere leben. Die Frage ist nur, wenn die Niere es besser kann, warum der Kreatininwert manchmal ansteigt, und was dann los ist. Ich wünsche mir, dass die Neurodermitis wieder besser wird, dass die Schlafstörungen wieder vergehen, und dass sich die guten Tage mehren mögen. Ein mitbetroffener, der früher mein Klavierlehrer war, erzählte mir einmal, dass er das erste Jahr bereut hätte, diesen Eingriff machen zu lassen, danach aber sehr zufrieden war. Einer meiner Nierenärzte sagte einmal, ein Drittel fühlt sich pudelwohl, ein Drittel ist so lala, und ein Drittel wünscht sich, diese Operation nie gemacht zu haben. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass ich nicht zu diesem Drittel gehören soll. Sonst wäre das Leben wirklich nicht mehr lebenswert.

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