Sonntag, 20. April 2014

Vergangenheitsbewältigung

Im Rahmen einer Diagnostik, bei der ich mir erhoffte, dass endlich einmal gesehen wird, dass meine Internatszeit und Schulzeit traumatisch war, hatte ich einen Klassenkameraden, der sich nicht an dem Mobbing-Aktionen beteiligt hatte, gebeten, mir aus seiner Erinnerung einiges dazu zu schreiben. Hier ist nun das, was er geschrieben hat: "Ich versuche mal zu schildern, an was ich mich noch erinnern kann: Zunächst einmal kann ich mich erinnern, dass es besonders in der 5. und 6. Klasse immer wieder zu moderierten Gesprächen zwischen dem Klassenleiter und den Schülern kam. Es ging darum, Dich vor allem in der Pause stärker zu integrieren. Das hielt ich damals schon für vollkommenen Unfug, weil wir immer Fangen gespielt haben. Einige Schüler haben das ausgenutzt und Dich in das Fangenspiel integriert, was natürlich lediglich deren Belustigung über Deine Hilflosigkeit gedient hat. Genau so warst Du meistens in der ersten Reihe ohne Tischnachbarn gesessen. Der Platz neben Dir war meist frei und wurde von den Lehrern als, ich sage mal Strafbank, genutzt. Wer also was angestellt hatte, musste sich da hin setzen, während die Schüler noch gröhlten "ab auf die Strafbank zur Smottle". In dem Zusammenhang fällt mir auch der Spitzname wieder ein. Ich wusste aber nie, wie er entstanden ist. Jedenfalls, spätestens nach dem Gröhlen der Schüler, hätten es die Lehrer erkennen müssen und es nicht weiter als "Bestrafung" verwenden dürfen. Was die Lehrer anbelangt habe ich aus heutiger Sicht den Eindruck, dass Sie überhaupt nicht dafür ausgebildet waren und vollkommen überfordert waren. War es nicht ein Modellversuch, behinderte Kinder zu integrieren? Es gab doch noch 2 oder 3 andere sehbehinderte Kinder oder? Den Versuch würde ich aber jedenfalls als gescheitert einstufen. Woran ich mich auch erinnern kann, dass immer nur Du im Sexualkunde Unterricht vom Biolehrer abgefragt wurdest. Dies hat auch zur Belustigung der ganzen Klasse beigetragen, weil es natürlich jedem peinlich war. Auch hier ein Beispiel, wie die Lehrkräfte mangelndes Feingefühl hatten. Im Physikunterricht in der 8. hat Dir mal jemand eine Tube Uhu auf dem Sitz ausgedrückt und Du hast Deine Kleidung und Haare damit ruiniert. Normalerweise wurden die Untaten von den Jungs durchgeführt. In diesem Fall war es ein Mädchen. Sie hatte glaube ich eine Wette verloren und das war der Einsatz. Du hattest mal eine Zeit lang einen Schlüsselanhänger, der auf ein Pfeifsignal gepiepst hat. Wochenlang haben die Jungs in der Klasse während dem Unterricht gepfiffen, damit der Schlüsselalarm losgeht. Das hat Dich fast an den Rand des Wahnsinns gebracht. Du hast Dir damals immer sehr heftig in die Hand gebissen, wenn was nicht geklappt hat. Das war Deine Reaktion auf das Pfeifen und das wollten die Schüler provozieren. Das Beissen in Deine Hand hast Du auch gemacht, wenn Du was nicht konntest oder was nicht wusstest, z.B. In Klausuren oder bei mündlichen Abfragen. Im Rahmen des Geschichtsunterrichts über das Dritte Reich, ging es um Euthanasie. Hier waren einige Schüler der Meinung, dass Du heute noch mal Glück gehabt hast. Es gab Parolen und Tafelschmierereien mit "Smottle ins KZ". Und die Lehrer haben es auch gelesen und nicht gehandelt! Dann gab es noch die Aktion mit der Blindenbinde bzw. Ansteckzeichen, die Dir einer geklaut hat, weil sie ein anderer, in einer höheren Klasse kaufen wollte. Und ich erinnere mich, dass Dir mal jemand den Stuhl entfernt hat, den Du dann suchen musstest." Diese Aufzeichnungen habe ich nun mehreren Ärzten und Therapeuten vorgelegt. Das Ergebnis war, dass man mich einmal als histrionische Persönlichkeit bezeichnet hat, die gerne im Mittelpunkt steht, und die viel Aufmerksamkeit fordert. Ansonsten kamen entweder gar keine Rückmeldungen, oder man hat keine Zeit für mich. Ich bin auch an unser Trauma Hilfe- Zentrum gegangen, welches neu eröffnet wurde. Dort hat man mir gesagt, ob ich traumatisiert sei, bräuchte mir niemand zu bestätigen, schließlich wisse ich das selber, und wenn ich von mir glaubte, traumatisiert zu sein, dann sei das wohl auch so. Dazu brauche ich nun wirklich keinen Spezialisten, wenn die mir dann nur sagen, es hinge von meiner eigenen Beurteilung ab. Das nächste Mal gehe ich zum Zahnarzt, und er wird mir sagen, wenn Sie glauben, dass sie ein Loch haben, dann ist das wohl auch so. Zum einen möchte ich eine Entlastung, dass ich nicht einfach verrückt bin und verrückt reagiert habe auf normale Ereignisse, sondern dass ich tatsächlich berechtigterweise mit einem Trauma reagiert habe. Zum anderen möchte ich, dass man mich schließlich auch behandelt. Bislang wurden die Einflüsse, die von außen auf mich eingewirkt haben, in der Diagnostik immer übersehen. Ich finde es nur recht und billig, dass dies auch nun endlich mal mit berücksichtigt wird, und meine Reaktionen und Verhaltensweisen vor diesem Hintergrund gesehen werden. Außerdem wird mir immer gesagt, ob man traumatisiert sei, hinge nicht von der Tat als solche ab sondern davon, wie gut oder schlecht man etwas wegsteckt. Ich hätte gerne einmal gehört, dass mir jemand sagt: egal, wer Du bist, welche Störungen Du sonst hast, wie empfindlich oder stark Du sonst bist, diese Tat hätte jeden verletzt. Dann wäre es die Tat, die mich verletzt hat und nicht ich, die negativ darauf reagiert hat, weil sie zu schwach ist. Wer würde bei einer Frau, die vergewaltigt wurde, sagen, ob man traumatisiert wird, hinge nur davon ab, wie gut man die Tat wegsteckt? Ich glaube, dass endlich anerkannt werden muss, dass auch Mobbing zum Trauma führt, und das emotionale Misshandlungen genauso schlimm sein können wie körperliche oder sexuelle Misshandlung. Ob man von Mobbing traumatisiert ist, hängt ja wahrscheinlich eher davon ab, ob man dem Mobbing entkommen konnte, oder ob man den Mobber vertreiben konnte. Ein Trauma ist ja immer das Missverhältnis von benötigten und de facto vorhandenen Ressourcen. In diesem Falle ist es nur mehr als logisch, dass meine Ressourcen nicht ausreichen konnten außerdem muss man auch auf äußere Ressourcen zurückgreifen können, die in meinem Falle nicht vorhanden waren. Damals wurde mir nicht geglaubt, und man hat mir sogar noch die Schuld an dem Mobbing gegeben und gemeint, ich würde übertreiben. Zumindest habe ich nun in meiner Familie ein bis zwei Leute, die mir zumindest jetzt endlich glauben, dass ich damals nicht bloß übertrieben habe. Allerdings würde ich mir auch den Rückhalt wünschen, dass jemand mich dabei unterstützt, endlich dafür zu sorgen, dass ich auch bei Therapeuten und Ärzten ernst genommen und gehört werde. Schließlich möchte man einfach auch einmal sagen können, ich will gesehen werden, mit dem, was mir passiert ist. Immerhin habe ich eine Therapeutin erlebt, die aber eine lange Warteliste hat, die meinte, man müsse jemandem auch sagen, dass bestimmte Dinge schlimm waren, weil der Patient das selber gar nicht mehr kann. Sie hat mir einige empfohlen, wobei ich mit einer schon länger telefoniert habe, die mir ebenfalls sagte, es sei wichtig, auch einmal in seiner Wahrnehmung, dass Dinge schlimm waren, bestätigt zu werden. Allerdings muss man diese Therapeutin selber bezahlen, da sie keine Kassenzulassung hat. Ob sie dann auch noch hilft, wenn ich vor ihr sitze, weiß ich nicht. Irgendetwas habe ich an mir, was die Therapeuten zur Abwehr zwingt. Aber eigentlich müssten diese Menschen dafür ausgebildet sein, dass man vielleicht als Patient größere Schwierigkeiten hat, eine menschliche Verbindung aufzubauen. Schließlich kommt man ja genau deshalb in die Praxis

Keine Kommentare: