Sonntag, 21. Juni 2015

Sind alle Inkludierbar?

Ein provokantes Stück Text
 
Inklusion ist ein hehres Ziel, doch hat sie, wie die Autorin bisher erfahren hat, auch ihre Grenzen. Hier soll der Frage nachgegangen werden, welche Wünsche und Erwartungen die Inklusion erfüllen soll und kann, und welche Kosten hierfür realistischerweise eingesetzt werden können.
Was ist Inklusion, und was hat sie mit mir zu tun?
Inklusion bedeutet ja eigentlich, dass alle Menschen bereits einbezogen sind, so wie sie sind, und daher niemand integriert werden muss. Somit müssen Voraussetzungen geschaffen werden, bei denen alle Menschen automatisch teilhaben können. Ist dies wirklich für alle möglich? Ich möchte dies anhand meines eigenen Beispieles  diskutieren.
Ich bin fast blind, bin seit 9 Jahren an der Dialyse mit allen dazugehörigen Problemen wie Übelkeit, verringerte Merkfähigkeit, Schwäche und verringerte Leistungsfähigkeit. Im Rahmen meiner Grunderkrankung namens Senior-Loken-Syndrom stellt sich auch die Frage, ob die nun endlich diagnostizierte multimodale Wahrnehmungsstörung dazugehört, und eventuell auch der atypische Autismus, der im Jahre 2012 diagnostiziert wurde. Ich selbst betrachte mich als schwerstmehrfach behindert. Nach meiner Schulzeit, die ich zum Teil in einer integrativen Einrichtung verbracht hatte , deren Scheitern ich schon an anderen Stellen näher beschrieben hatte, habe ich mit Normalsehenden studiert, wobei die Universität aber prinzipiell auf alle sehbehinderten und blinden Rücksicht nahm, da das Studium der angewandten Sprach- und Kulturwissenschaft mit dem Berufsziel Übersetzer ideal für Sehgeschädigte zu sein schien. Nach meinem Studium tat ich alles erdenklich Mögliche, um Arbeit zu finden, bin aber kläglich gescheitert. Kein Arbeitgeber konnte sich vorstellen, eine blinde Frau einzustellen. Als Übersetzerin hätte ich nämlich auch andere Bürotätigkeiten machen müssen, die dann eine Arbeitsassistenz hätte erledigen müssen, wobei dieses Konzept zu derzeit noch nicht ausgereift war. Freiberuflich zu arbeiten war  ebenfalls keine Option, da ich aus welchen Gründen auch immer, trotz großer Bemühungen nie an Aufträge heran kam.
Es war dann ein Projekt im Dunkeln, dass mir zu meiner Arbeitsstelle verhalf, bei der ich 2 Jahre bleiben sollte. Nach der Arbeit im Dunkelgang, wo ausschließlich Sehgeschädigte arbeiteten, musste jeder von uns, der eine solche ABM bekommen hatte, ein Praktikum in einer anderen Einrichtung machen. Der Zufall wollte es, dass im Berufsförderungswerk eine Lehrerin kündigte, und ich spontan diese Chance ergriff, ihre Arbeit als englisch-Ausbilderin übernahm und mich dann mithilfe meines Abteilungsleiters für die vakante Stelle bewarb. Damals wurden von der Agentur für Arbeit im Rahmen eines Projektes 1000 Jobs für Schwerbehinderte geschaffen, wobei das BFW während der 2 Jahre ein Jahr mein Gehalt von der Arbeitsagentur bekam. Der Vertrag wurde nicht verlängert, da in diesem Fachbereich an Festanstellungen gekürzt wurde. Ich hätte auch nicht mehr als Honorarkraft dort arbeiten können, da ich als Schein selbstständig gegolten hätte, wenn ich meine Hilfsmittel dort untergebracht hätte, um in den Ausbildungs-Lücken meinen Unterricht vorzubereiten, wie ich es als fest angestellte in meinem eigenen Büro getan hatte. Zu dieser Zeit gab es noch keine Möglichkeit, mit dem öffentlichen Nahverkehr in dieser Einrichtung zu fahren, so das ich zwischen den Ausbildungs-Lücken auch nicht nach Hause hätte fahren können, um dort den Unterricht vorzubereiten und dann wieder ins BFW zu fahren, denn die Pendelbusse des BFW fuhren nur morgens und abends. Aus diesen und anderen Gründen war meine Arbeit dann nach 2 Jahren dort beendet. Ein Jahr später wurde ich dialysepflichtig und berentet.
Reicht Inklusion auch in Freizeit und Privatleben?
Was stellt man nun an, wenn man den ganzen Tag nichts zu tun hat? Ich unternahm mehrere erfolglose Versuche, mich bei verschiedenen Projekten zu bewerben. Schließlich hörte ich von einem Radioprojekt Namensohrenblicke, bei dem blinde und Sehbehinderte gesucht wurden, die Spaß daran hatten, Radio zu machen. Dieses Projekt läuft seit 2009, wobei alle 2 Monate 1 Stunde gesendet wird.  Mir macht diese Tätigkeit sehr viel Spaß, aber  als jemand, die hart für ihre Ausbildung gearbeitet hat, füllt mich dies natürlich vor allem intellektuell nicht aus. Ich hatte mir ein Leben als Übersetzerin vorgestellt, die an ihrem Schreibtisch zu Hause sitzt und an kniffligen Problemen arbeitet und so ihren – wenn vielleicht auch mageren – Lebensunterhalt verdient. Dieser Traum, der beinahe in einer Promotion gegipfelt hätte, ist nun ausgeträumt.
Einer meiner weiteren Träume war es, mit meiner Gitarre in einer Folk-Band mitzuspielen. Aufgrund meiner Probleme mit der Feinmotorik stieß ich aber an einen sogenannten "artistic celing", soviel ich auch übte. Dasselbe passierte mir mit meiner Querflöte, wo ich nach 7 Jahren disziplinierten Übens aufgab, da ich schon nach 3-4 Jahren absolut keinen Schritt mehr weitergekommen war. Ich suchte nach Musikpartnern und schaltete mehrere Inserate, die alle erfolglos blieben. Außer zweideutigen Zuschriften oder einmaligen Treffen mit Leuten, die entweder stark über oder stark unter meinem Niveau waren, ergab sich nichts. Nun hörte ich von einer inklusiven Musikschule. Dort fragte ich, ob es vielleicht ein Ensemble mit Saitenmusik gibt, bei dem ich mitwirken könnte. Ich las zu meiner Freude, dass die Lehrer eine spezielle Ausbildung durchlaufen hatten, um Behinderte besser unterrichten zu können. Somit schöpfte ich Hoffnung, hier einmal ein Erfolgserlebnis zu haben. Als ich dort hinkam, stellte ich mit Schrecken fest, dass alle wesentlich besser waren als ich. Der Lehrer war ziemlich im Stress, da bald einige Aufführungen anstanden, so konnte er mir nicht helfen. Da ich auch etwas langsamer begreife, und obendrein ein extrem schlechtes Gedächtnis habe, hätte er mir einige Dinge zeigen müssen, die ich mit den Augen nicht von seinem Griffbrett hätte abnehmen können, und er hätte mir auch einige Stücke nach der Stunde kurz auf mein Diktiergerät aufspielen sollen, damit ich diese mit nach Hause nehmen kann, da ich aufgrund meiner sehr schlechten Augen keine Noten mehr lesen kann. Als spät erblindete kann ich auch keine Braille-Noten, und der Aufwand, mir mit einer Hand die Stimme zu ertasten und mit der anderen Hand zu spielen, wie man es beim Klavier machen kann,  wäre einerseits nicht möglich, und selbst wenn, dann andererseits noch umständlicher, als die Musik gleich aufzuzeichnen , um sie mir bis zur nächsten Stunde  auditiv zu erarbeiten. Mir wurde angeboten, bis zu den Sommerferien erst einmal kostenlos dabei zu sein, und es wurde mir versichert, dass es nach den Sommerferien entspannter zugehen würde, und dann mehr Zeit bliebe, um mir etwas zu zeigen, doch befürchtete ich,  dass sich an den Anforderungen und auch am  Schwierigkeitsgrad nichts   Wesentliches ändern würde, und nach einigen Stunden mit Unterstützung das alte Tempo wieder aufgenommen werden würde, wenn dann wieder Aufführungen anstanden . Man schlug mir während der Schnuppertage vor, in eine Gruppe mit geistig Behinderten zu gehen, die von einer der Kursteilnehmerinnen  des schwereren Kurses ihrerseits wiederum selbst geleitet wurde, da ich dort mehr Aussichten darauf hatte, auf meinem Niveau mitzukommen. Bisher war ich ein paarmal dort ,  und bisher bin ich noch nicht an einer meiner  Zahlreichen Grenzen gescheitert.  Aber ich würde mir wünschen, dass sich bei uns  auch ein paar Nichtbehinderte  einfinden würden,  und ich finde es schade, dass   ich sozusagen wieder bei Behinderten, also bei meinesgleichen gelandet bin. Ich sprach dies gegenüber einer der Sekretärinnen der Schule an, und die meinte, es können in jede Gruppe auch Behinderte gehen. Ich frage mich, ob dann angesichts  des Probenstresses wirklich langsamer und rücksichtsvoller vorgegangen werden kann, oder ob der behinderte mehr Voraussetzungen mitbringen müsste, um genauso schnell wie die anderen in der Gruppe mitzukommen, oder zumindest nicht so extrem stark behindert sein darf , wie ich es z.B. bin.
 
Und was ist dann wirklich Inklusion, und wird es sie je für jeden geben?
Inklusion würde für mich bedeuten, einen Weg zu finden, dass ein behinderter mit seinen Einschränkungen tatsächlich in einer Gruppe von Nicht-Behinderten mitkommt. Inklusion bedeutet für mich nicht, wenn es in einer Schule für Nicht-Behinderte eine oder zwei Klassen mit Behinderten gibt. Wobei es natürlich ein Fortschritt ist, dass Behinderte nicht mehr komplett in separaten Einrichtungen unterrichtet werden, sondern in einer für alle zugänglichen Einrichtung sichtbar werden.
Ich frage mich daher, ob wirklich die volle Inklusion  mit gemischten Gruppen möglich ist, oder ob es immer wieder Menschen geben wird, die so stark behindert sind, dass sie nicht inkludiert werden können. Immerhin ergeben sich hier auch finanzielle Grenzen. Bei mir tut sich z.B. noch ein weiteres Problem auf, nämlich der Weg zu dieser Musikschule. Sie ist 10 km von mir entfernt, und ich komme aufgrund meiner schlechten Orientierung alleine dort nicht hin. Die Schule ist von der U-Bahn zu weit weg, als dass ich, die es gerade mal schafft, Nahziele wie Bäcker oder Metzger mit Mühe und Not zu erreichen, dort ohne größere Probleme selbst mit intensivem Üben des Weges hinfinden würde. So müsste ich die Hin-  und Rückfahrt mit dem Taxi bestreiten, wobei uns jährlich ein stattliches Kontingent von 1500 km vom Bezirk zur Verfügung gestellt wird. Ich würde also im Monat 80 km verbrauchen, wobei ich dann kaum noch andere Fahrten zu Veranstaltungen wie Kino oder Konzerten durchführen könnte. In dieser Schule gäbe es nun auch  ab nächstem Jahr die Möglichkeit, wieder Querflötenunterricht zu nehmen, und dann kostenlos in diesem Ensemble mitzuspielen. Wenn ich den  Flötenunterricht nicht nehme, zahle ich für das Ensemble eine geringere Jahresgebühr, habe aber dann nur einen Kurs . Daher wollte ich gerne beide Angebote wahrnehmen, da ich hoffte, dass man mir vielleicht dort auch ohne Noten und mit all meinen behinderungsbedingten Einschränkungen helfen könnte, zumindest einige Stücke auf meinem Niveau zu erlernen. Diese hätte ich dann auch gleich in dem Ensemble zum Einsatz bringen können. Denn jahrelang hatte ich nur gelernt, ohne meine musikalischen Kenntnisse einmal mit anderen umsetzen zu können, oder das schöne Gefühl zu erleben, in Gemeinschaft zu musizieren. Dann allerdings würde ich pro Monat 160 km verbrauchen, da ich ja dann zweimal zu dieser Schule fahren müsste. Es gibt für mich keine andere Möglichkeit, zu dieser Schule zu gelangen, es sei denn, ich fahre mit dem  ÖPNV zu einer nahegelegenen Haltestelle und lasse mich dort von einem Taxi abholen.  Dort kann man aber über die Zentrale kein Behindertentaxi bestellen, so dass ich mir ein zuverlässiges Taxiunternehmen suchen musste, welches bereit ist, mich diese zwei Kilometer von der Haltestelle zur Schule zu bringen und dort auch wieder abzuholen und zur U-Bahn zu chauffieren . Bei  zwei Kursen pro Woche  ergibt sich durch den immensen Zeitaufwand von einer Stunde einfacher Fahrt  mit ÖPNV und Taxi dann wieder einmal ein behinderungsspezifisches Problem.
Was darf Inklusion kosten, und lohnt sich der Aufwand für jeden?
Ich frage mich, inwieweit es möglich ist, einen Menschen mit so starken Behinderungen wie von meinem Ausmaß in der Gemeinschaft teilhaben zu lassen, und wie weit hierfür die Kosten übernommen werden können. Inklusion hat ihre Grenzen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass man zur Bespaßung einer einzelnen behinderten so einen hohen finanziellen Aufwand betreiben würde, mir zum Beispiel eine Möglichkeit zu schaffen, doch noch  ohne diesen beschriebenen Aufwand an diesem Unterricht teilzunehmen. Mir wird nichts anderes übrig bleiben, als mich wiederum einzuschränken.
Wie teuer Inklusion sein darf, hängt meiner Meinung nach sicher auch davon ab, welchen Nutzen ein behinderter noch bringt. Ein Steven Hawking wird sicher die hohen Kosten, die er verursacht, in vollem Umfange ersetzt bekommen. Eine mehrfach behinderte Rentnerin, sei sie auch erst 47, deren Hobbys aber niemandem mehr von Nutzen sind, wird für ihre Lieblingsbeschäftigungen, die sie nur für sich selbst unternimmt, keinen so hohen finanziellen Aufwand wert sein. Wie teuer darf also Inklusion sein, wenn es dabei ausschließlich um die Freude geht, Teilhabe an einer (z.B. musizierenden) Gruppe zu haben? Können wir uns dies leisten, und wenn nicht, ist dann die Inklusion nur eine Utopie?
Ist jeder inklusionsfähig, und wenn ja, warum dann doch nicht jeder?
Ich selbst halte mich für nicht Inklusionsfähig. Meine Behinderungen sind zu stark und zu vielfältig , und ich stoße bei jeder Tätigkeit, bei der ich mich verwirklichen und entfalten möchte, an irgend eine meiner Grenzen. Ich habe es beruflich nicht geschafft, mich in die Welt der sogenannten "Normalen" zu integrieren. Ich hatte auch später nie die Möglichkeit, meine Kompetenzen und Fertigkeiten und erworbenen Fähigkeiten in die Gemeinschaft einzubringen, worunter ich heute noch leide, da es auch in meinem privaten Leben nicht möglich ist, mein Wissen und meine Stärken anzubringen, da mir selbst mein Fachwissen von meiner Umwelt häufig nicht abgenommen wird, denn aufgrund meines Erscheinungsbildes werde ich gemeinhin unterschätzt. Es ist nahezu unmöglich, eine ehrenamtliche Tätigkeit zu finden, wo ich gebraucht werde  und mein mühevoll erworbenes Wissen vielleicht doch noch unterbringen könnte, da ich aufgrund meiner sozialen Schwierigkeiten andere häufig nicht von meinem Wissen und meiner Kompetenz überzeugen kann. Auch in meiner Freizeitgestaltung schaffe ich es häufig nicht, die sich mir darbietenden Herausforderungen zu überwinden, und ich habe auch nicht die speziellen Fähigkeiten , die sich zum Beispiel auf  die Teilnahme an einem Chor für Sehende oder an einem Gitarren-Ensemble ausgleichend auswirken würden , wie z. B.  ein absolutes Gehör oder  die Merkfähigkeit, die Stücke auswendig zu lernen.  Es gibt durchaus Behinderte, die so gut sind, dass sie durch ihre Stärken ihre Behinderung kompensieren können. Für durchschnittlich begabte Menschen wie mich gibt es keine Möglichkeit, meine großen behinderungsbedingten Defizite auszugleichen.
Ist eigentlich jeder behindert, und sind Nichtbehinderte auch exkludiert?
Wenn ich mit Nicht-Behinderten über meine Grenzen spreche, sagt man mir oft, jeder sei doch irgendwie behindert. Ich persönlich fühle mich dann regelmäßig verhöhnt, auch wenn solche Sätze gemeinhin gut gemeint sind. Es gibt wahrscheinlich wenige Menschen, die meine heftige emotionale Reaktion auf solche Äußerungen verstehen können. Ich habe nämlich noch nie einen Arbeitgeber erlebt, der mir sagte, jeder ist doch irgendwie behindert, sie haben eine gute Abschlussnote, andere Bewerber sind genauso behindert, daher suche ich mir sie aus. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass andere Menschen, die als nicht-behindert bezeichnet werden, permanent an solche Grenzen stoßen wie ich, auch wenn mir gegenüber die Menschen immer betonen, dass doch jeder seine Grenzen hat. Nun, es gibt Grenzen, mit denen man leben kann, es kann nicht jeder ein Flamenco-Meister werden. Meine Grenze tritt aber schon wesentlich früher auf, sodass meine Fertigkeiten nicht einmal ausreichen, um in einer Band die Gitarrenbegleitung vollständig zu übernehmen, oder nicht  einmal dazu, mich sozial in einen Chor für Sehgeschädigte zu integrieren, da ich aufgrund der oben erwähnten Problematik Kontaktschwierigkeiten habe. So frage ich mich, ob die Menschen, die jeden für irgendwie behindert halten, mit mir tauschen würden, und ob mir deren „Behinderung“ vielleicht doch besser gefallen würde. Nun gibt es ja die Aussage, wir sind nicht behindert, wir werden behindert, es läge also an der Umwelt, die nicht genügend für inklusive Bedingungen sorgen würde. Ich kann aber für mich ganz persönlich sagen, selbst wenn alle Bedingungen erfüllt wären, um behinderte zu inkludierem, hätte ich immer noch genügend eigene Schwierigkeiten, die es verhindern, dass ich in einem zufriedenstellenden Maße am Leben teilhaben könnte. Meine internistischen Probleme oder meine neurologischen und psychosozialen  und wahrnehmungsbedingten Schwierigkeiten würden sich durch eine vollständig barrierefreie Umwelt nicht beheben lassen.
Wieviel darf's denn sein, und was sollte man sich grundsätzlich abschminken?
Dauernd höre ich den Satz, ich hätte einfach zu hohe Ansprüche (an mich). Wenn man mich mit dem Maßstab misst, an dem man schwerst mehrfachbehinderte Menschen miteinander vergleicht, habe ich wahrscheinlich mehr erreicht als diejenigen, die als sogenannte geistig Behinderte in einer Behindertenwerkstatt landen. Im Zuge der Inklusion sollte man aber beginnen, uns behinderte an den allgemeinen Maßstäben der Welt der Nichtbehinderten zu messen. Und im Vergleich zu ausgerechnet denen, die mir ein hohes Anspruchsdenken vorhalten, lege ich auf der Skala ganz unten. Ich darf mir nicht anmaßen , dass es mir nicht ausreicht, nur alle 2 Monate eine Radiosendung zu machen, dass es mich nicht befriedigt, nur für mich alleine zu musizieren, und ansonsten einfach nur zu wohnen und zu existieren und zur Dialyse zu gehen. Ich habe keine eigene Familie und aufgrund zahlreicher Schwierigkeiten auch keine Katzen mehr, keine berufliche Perspektive, kann mich musikalisch nicht so verwirklichen, wie es ohne diese mannigfaltigen Hürden mit meinem großen Einsatz eigentlich möglich gewesen wäre,  konnte aufgrund meiner Probleme mit Gleichgewicht und Koordination keinen Führhund haben, und scheitere aufgrund meiner Probleme mit Sensibilität und Feinmotorik an der Nutzung eines iPhones oder iPads, welches als Hilfsmittel für blinde immer wichtiger wird, und ohne dies man langsam abgehängt wird. Meine Mobilität ist aufgrund meiner Dialysepflichtigkeit und der damit verbundenen Erschöpfung sowie wegen meiner Orientierungsprobleme und Verschlechterung meiner Augen geringer geworden, sodass sich mein Handlungsradius noch mehr eingeschränkt hat. Ich kann zu Hause Fernsehen und Hörbücher hören und habe auch einen einzigen Nachhilfe Schüler, der übrigens der Erste von zahlreichen Gitarren- und Nachhilfeschülern ist, der bei Nicht-erscheinen absagt und sich an die Grundregeln des menschlichen Umganges hält. Das muss reichen, der Wunsch nach Selbstverwirklichung, intellektuellem Austausch, bei dem ich auch mein Wissen anderen zur Verfügung stellen könnte, mein sehnlichster Wunsch nach wachsender musikalischer Entfaltung oder nach größerer Mobilität durch ein für mich nutzbares Navigationsgerät oder durch die gescheiterte Nutzung eines Führhundes sind für mich ein zu anspruchsvolles Unterfangen. Ich würde mir einfach wünschen, dass es Menschen gibt, die zumindest sehen können, dass meine Ansprüche weit unter dem liegen, was ein normaler Mensch in unseren Breitengraden alles unternehmen kann. Inklusion erschöpft sich aber bisher nur darin, dass angeblich alle irgendwie behindert sind, und dass es ein paar mehr Projekte gibt, wo Behinderte meist unter sich annähernd dieselben Dinge tun können, die Nichtbehinderte schon längst tun.
Wie weit muss also Inklusion gehen, damit sie wirklich jeden,  aber auch jeden mitnimmt, und können wir uns das überhaupt leisten?
Inklusion ist für mich dann erfüllt, wenn meine Wünsche nach beruflicher Teilhabe gemäß meines Abschlusses, nach angemessener Freizeitgestaltung und nach ausreichender Mobilität nicht mehr als anspruchsvoll oder als zu hoch gegriffen sondern als realistisch, legitim und machbar angesehen werden. Und als vollwertiger Mensch mit allen Grundbedürfnissen und Wünschen ernstgenommen fühle ich mich dann, wenn meine eigenen Ziele, Fortschritte bei Musik und Technik zu machen oder mich mit Nichtbehinderten messen zu können, nicht mehr als zu hohe Erwartungen an mich  selbst angesehen werden, sondern dass es Möglichkeiten gibt, die Geduld, die Zeit, die Ressourcen und das Geld aufzubringen, dass mir dies ermöglicht wird, zumal ja die geistigen Voraussetzungen vorhanden sind.
Was hat Inklusion mit Ernstnahme zu tun?
Ein geistiges Bewusstsein macht aber meine jetzige Situation nicht gerade einfacher sondern eher noch schlimmer, da ich das volle Ausmaß meiner Situation in vollem Umfange begreife. Und obwohl ich geistigfit bin und verbal ausreichend eloquent bin, um meine Situation zu schildern, erhalte ich von meinen Mitmenschen meistens nur gut gemeinte und schlicht gestrickte Ratschläge, nicht aufzugeben, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, es könne ja noch schlimmer sein, und ich solle immer weiter alles probieren, und wie gesagt, nicht immer so schnell und gleich aufgeben. Ich frage mich, ob ich mein Anliegen überhaupt ausreichend klarmachen kann, oder ob man mir aufgrund meiner Wirkung überhaupt zutraut, schon jahrelang alles probiert zu haben und auf die meisten Ratschläge, die man mir angedeihen lässt, nicht auf schon selbst gekommen zu sein . Einen Menschen ernst nehmen bedeutet halt manchmal auch, ihn mit der Unabänderlichkeit seiner Situation auszuhalten und mitzutragen, oder wirklich und ehrlich nach Wegen zu suchen, echte Abhilfe zu schaffen. Dazu gehört eben auch der Fortschritt in der Inklusion, die aber leider Gottes, wie hier ausgeführt, eben auch ihre Grenzen hat.
 
Vita:
Geboren 1968, Besuch einer Sehbehindertenschule mit Internat von 1974-1980, Besuch eines integrativen Gymnasiums mit Internat von 1980-1989, Amerikaaufenthalt von 1989-1990, Studium der angewandten Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim von 1990-1997, zwei Auslandssemester in England von 1993-1994, Arbeit im Berufsförderungswerk als Englisch-Ausbilderin von 2002-2004, Dialysepflichtigkeit seit 2006.

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