Sonntag, 8. September 2013

Musikfreizeit

Dieses Jahr habe ich einen besonderen Urlaub gemacht. Ich fuhr zu einer Musikfreizeit mit Chor und kleinen Ensembles, die sich dort bilden konnten. Ich nahm meine Gitarre mit. Zuvor hatte ich schon Kontakt zu zwei Leuten, mit denen ich dann auch musizieren könnte. Meine Gitarre war neu besaitet worden und ließ sich seither nichtmehr stimmen. Im Musikgeschäft, bei dem ich um Rat fragte, nahm der erfahrene Mann die Gitarre, zog etwas an den Saiten, und schon stimmte alles und ließ sich perfekt nachstimmen. So konnte ich die Gitarre getrost mitnehmen. Dann wäre fast noch was mit der Dialyse schief gelaufen. Da ich ja am Samstag auch noch eine Zwischendialyse habe, hat man mir zugesagt, daß ich diese machen dürfe, daß ich hierzu aber in ein anderes Zentrum fahren müsse, welches eine Zweigstelle sei. Kurz vor meiner Abfahrt rief dann eine Schwester an und meinte, daß ich nun doch nicht am Samstag kommen könne, der Doktor wolle dies nicht. Auch meine Dialyseanfangszeiten wurden zum Negativen hin vorgeschoben, somit hätte ich sehr ungünstige Zeiten gehabt, um an den Chorproben noch sinnvollteilnehmen zu können. Ich war stinksauer und rief schnell in meiner Dialyse an, um die Telefonnummern von anderen Zentren in der Nähe des Urlaubsortes zu erfahren. Auch bei der Taxizentrale, die mich dort fahren sollte, rief ich an, ob sie noch andere Zentren anfahren und mir eines empfehlen könnten. Zum Glück fanden wir ein Zentrum, das mich nahm. Auch der Pfleger dort wollte mich, wie das zuvor angerufene Zentrum, auf eine Wartezeit von einer Stunde vertrösten, aber ich erklärte ihm, daß ich bald weg müsse, und daß ich unterwegs nicht ans Handy gehen könne. So sagte er spontan zu, und ich hatte einen neuen Dialyseplatz. Am nächsten Tag fuhr ich los, und beinahe wäre alles vorbei gewesen, da der Zug mitten auf der Strecke halten mußte, da die elektronische Signalgebung nicht funktionierte. Ich hätte am nächsten Tag nicht fahren können wegen der Dialyse, und einen Tag später, also erst nach zwei Tagen zufahren, hätte sich bei einem sechstägigen Aufenthalt mit drei Dialysen nicht mehr gelohnt. Dann fuhr der Zug aber zum Glück weiter. In Hannover kam ich schon 90 Minuten zu spät an, so daß mir eine Entschädigung zustand. Da ich aber noch weiter fuhr, dafür aber nicht mehr zahlen mußte, sich aber die Verspätung auf 2 Stunden belaufen würde, ließ ichmir dies in Hannover bestätigen. Der Zug zu meinem Zielort war mit Neigetechnik versehen, was mir sehr unangenehm war. Der Schaffner kam dann und bot mir an, mir beim Ausstieg zu helfen, ich solle aber noch sitzenbleiben. Dann meinte er auf einmal: "Haben Sie Ihre Gitarre, Ihre Handtasche?" Ich verstand das als Signal, nun aufzustehen. Ich tat dies, aber da kam eine so scharfe Kurve, daß ich brutal in die Ecke geschleudert wurde. Der Schaffner meinte dann auch noch erzieherisch wie eine Krankenschwester: "Sie müssen halt auch das machen, was man Ihnen sagt!" Ich erwiderte, daß er mir ja schließlich sagte, ob ich alles habe, und ich daraus schließen mußte, daß ich aufstehen soll. Ich hatte hinterher ganz viele blaue Flecken, und meine Hüfte tat mir noch sehr lange weh! Dann kam ich fast heile an und erhielt sogar noch ein Abendessen. Die Chorstücke waren für mich zunächst etwas schwierig, zumal meine Stimme nicht so recht mitmachen wollte. Dann aber gewöhnte ich mich an die Lieder und lernte sie auch ganz gut. Ich konnte etwas später zur Dialyse los, weil ich das Mittagessen an der Maschine einnehmen konnte. Das war von Vorteil. Es ergab sich auch, daß eine Frau, die schon wußte, daß ich komme, mit mir Mandoline und Gitarre spielen wollte. Dann aber wurde sie beim Flötenensemble gebraucht, und ich war total enttäuscht, dennoch schafften wir es, daß wir zusammenkamen. Wir suchten zwei Stücke aus, die wir dann am bunten Abend vortragen wollten. Wir hatten einen großen Spaß dabei! Mit dem anderen Mann machte ich eine richtige Session, wir spielten Gitarre und Keyboard zusammen, und er improvisierte total klasse auf dem Keyboard. Das wollten wir in jedem Falle vortragen, das hatten wir quasi schon in der Tasche, da es sehr einfach war, dachten wir. Auch bei den Chorsachen war ein Lied dabei, welches ich mit Gitarre begleiten durfte, und andere spielten die Percussion mit Rumbagurke, Frosch, Rasseln und Congas dazu ein. Mit der Gruppe war es anfangs schwierig, da ich mich immer sehr hart tue, in einer Gruppe fuß zu fassen. Zunächst fragten alle anderen einander laufend, ob sie sich da und dort treffen könnten, und ich wurde nie gefragt, sondern schloß mich halt einfach so an. Wenn ich jemanden ansprach, dann bekam ich freilich Antwort, aber es war auch oft so, daß es hieß: "NA, ko mmst Du zurecht, (Schulter klopfen), alles klar, ich bring Dich da und da hin, und tschüs." Obwohl ich hier auch unter Blinden war, kamen die meisten besser zurecht als ich. Bei Tisch fand ich nichts und mußte mir laufend helfen lassen. Wenn ich alleine am Tisch saß, genug Ruhe hatte, und noch nicht viel los war, dann fand ich alles sehr schnell. Ich fragte oft "ist da noch frei", aber ich wurde dann immer weiter geschickt: "Geh mal zum CH., der hat Dich doch das letzte Mal auch so schön betütelt." Ich empfand das als ziemlich demütigend. Wenn ich dann einen Platz fand, dann meistens da, wo alle diejenigen saßen, die auch so keinen Platz fanden und sich einander nicht ausgesucht hatten. Aber durch das Gitarrenspielen bekam ich dann doch einen besseren Status. An einem Abend gab es extra Volkslieder für diejenigen, die sich so etwas unter einer Musikwoche vorgestellt hatten, und eben nun auch auf Ihre Kosten kommen wollten. Da spielte ich den ganzen Abend mit, unterstützt zuweilen von Akkordeon, Klavier, Trommeln und Mundharmonika. Einige wunderten sich, daß ich so lange durchhalten konnte, und mir die Hände nicht wehtaten. Aber ich hatte so viel Spaß dabei! Wir blieben dann noch etwas zusammen und erzählten einen Witz nach dem anderen. Da endlich war das Eis gebrochen. Auch dann kam endlich mal einer auf MICH zu und sagte, daß er sich gewundert hatte, daß ich so viele Witze kenne. Manche Menschen sind halt erst auf den dritten Blick interessant. Einen Ausflug gab es auch, zu einer Jodlerstube. Eigentlich dachte ich mir schon, was da rauskommt, aber ich fand, das muß man mal mitgemacht haben. Der Bus dorthin war total holperig, und uns allen war schlecht. Als wir dort ankamen, wurden wir zunächst draußen plaziert, aber da wir darauf bestanden, auch bei der Musik zu sein, wurde sehr schnell umdisponiert. Wir bewunderten die Damen, die so schnell bedienten, daß wir innerhalb von 20 Minuten "fertig gemacht" waren, wie sie sich uncharmant ausdrückten. Dann kam eine Gruppe von 50 Leuten, und die wurden ebenfalls schnell bedient, es ging sehr geordnet und organisiert zu, das war das, was mich am meisten fasziniert hat. Dann ging das Jodeln los. Die Anlage, die Playback spielte, war höllisch laut. Die beiden Jodlerinnen sagten laufend, wenn es zu laut sei, dürften wir das auch sagen. Eine Dame beklagte sich, und es hieß, man drehe selbstverständlich die Lautsterke herab, aber es blieb genauso laut. So verarschen die die Leute. Ich bewundere schon diese Kunst, obwohl ich diese Musik nicht mag, zumindest nicht die volkstümliche Variante. Die Sängerinnen waren eigentlich eher mit den Gesichtern dem anderen Publikum, einer Betriebsausflugsgesellschaft, zugewandt. Sie meinten es gut und wollten uns ebenso einbinden. Sie gingen herum und tätschelten den Männern auf die Schulter, die aber nur erschraken, weil sie die Frauen ja nicht kommen sahen. Da die Lautsprecher ja nicht mitliefen, wußten wir Blinden nicht, wo die Sängerinnen sich gerade befanden und waren nicht darauf gefaßt. Tja, gut Meinen ist das Gegenteil von Gut, und der Umgang mit Blinden will halt gelernt sein. Als aber dann Heidi und andere Schlager dargebracht wurden, war ich froh, daß die ganze Sache ein Ende nahm. Der Kuchen war super, auch wenn ich mindestens 3 Kirschkerne im Kuchen hatte, als einzige, wohl gemerkt! Der Cappuccino war sehr gut für deutsche Verhältnisse. Es war halt mal eine Erfahrung der anderen Art. So probten wir und gingen zum Chor, machten viel Musik, bis dann der bunte Abend kam. Die Chorleiterin war total aufgeregt, wobei ich dachte, daß wir ja sowieso nur für uns selbst spielten, und nur einige Freunde und Bekannte da waren, und es somit keinen Grund zur Aufregung gab. Alles lief glatt. Sogar das Stück, das ich mit der Mandolinenspielerin geprobt hatte, vor dem ich Bammel hatte, ging tadellos über die Bühne. Aber dann kam die Session mit dem Keyboard. Auf einmal drückte er den falschen Knopf, und ein Rhythmus ging los. Er rief aus: "SCHEISSE!" Alle lachten, es war eine super Stimmung im Raum. Wir fingen nochmals von vorne an. Das, was in der Generalprobe am besten klappt, geht bei der Aufführung schief. Davor, vor dem man zuvor am meisten Angst hatte, und was zuvor nie fehlerlos geklappt hat, das funktioniert dann bei der Aufführung super. Wir boten alle unsere Stücke da, dann kam der inoffizielle Teil. Meine Stimme war nun nur mehr ein Krächzen, ich bekam keinen Ton mehr heraus. Wir saßen noch etwas zusammen und erzählten Witze und andere Anekdoten oder sangen Kanons. Am nächsten Tag sollte es mit der Mandolinenspielerin zusammen in die Stadt gehen, wie wir schon ausgemacht hatten. Die Taxifahrer hatten mir von der schönen Stadt vorgeschwärmt, und ich wollte nicht nur zum Proben in Urlaub fahren sondern auch was Neues sehen. Beim Frühstück war ich mies gelaunt. Ich kam in den Speisesaal und sagte laufend guten Morgen, aber ich bekam keine Resonanz. Das ging mir schon öfter so. Ich traf dann auch noch jemanden, die ich eigentlich mag und rief ihr ganz deutlich ein GUTEN MORGEN!!! Ins Gesicht. Anstatt aber daß sie mich mitnahm, klopfte sie mir nur auf die Schulter und meinte: "NA, kommst Du zurecht?" Ich klapperte einige Tische ab, und dann hieß es auch noch: "Da ist BESETZT" DA flippte ich aus und rief: "WER NIMMT MICH?! WER ERBARMT SICH MEINER!?" Das wurde dann mir als "Dünnhäutigkeit" ausgelegt. Das können diejenigen, die Hans Dampf in allen Gassen sind und überall dabei sind, nicht nachempfinden. Mir war dann nicht mehr nach Taizé-Gebet zumute, und so ging ich auf mein Zimmer und grollte.. Dann kam meine Ausflugspartnerin, die meine Wut auch nicht so ganz verstehen konnte. So gingen wir los. Der Bus kam pünktlich, und als wir ausstiegen, sahen wir ein wunderschönes Porzellangeschäft, das mich magisch anzog. So gingen wir rein. Als dann die Porzellansachen auch noch den Namen meines Katzenbetreuers trugen, dachte ich, mach ich mir den Spaß und kaufe ihm eine schöne Tasse mit blauer Kornblume und Untersetzer. Er hat sich auch tatsächlich sehr darüber gefreut. Dann suchten wir eine Toilette auf und konnten mit dem Euro-Behindertenschlüssel im Rathaus fündig werden. Das hat uns beide sehr erfreut. Danach wollte ich unbedingt Kutsche fahren, aber leider waren noch nicht genügend Leute zusammen. Ich dachte, lieber Gott, mach die Kutsche voll, und Schwups waren lauter Leute da, und es ging los. Die Fahrt war nicht sehr holperig, und es machte viel Spaß. Wir bekamen auch einige Erklärungen. Am Schloß angekommen, wollten wir nach einigem Aufstieg mit Treppen erst mal eine Rast einlegen und fanden ein schönes Café. Genau, als wir saßen, fing es zu regnen an, aber wir hatten große Schirme über uns. Als wir weiter gingen, hörte es auch genau dann wieder auf. Wir erkundeten das gesamte Gelände vor dem Schloß, denn ich wollte nicht rein, weil man drinnen nichts anfassen konnte. Da war mir selbst der ermäßigte Preis noch zu schade. Aber wir konnten viel ertasten, z.B. einen sehr hübschen alten Briefkasten mit ganz vielen Ornamenten dran. Dann ging es wieder hinunter, und diesmal bestand ich auf dem Bähnchen, denn ich wollte eine andere Erfahrung machen. Kutsche kannte ich ja jetzt schon. Aber es war ein einziges Geholpere und lang nicht so schön wie die Kutsche. Unten wollten wir dann ein Eis essen, aber die Eisdiele war total voll! Ich sagte, lieber Gott, mach, daß wir jetzt einen Platz kriegen, denn solche Stoßgebete für kleine Wünsche werden mir dann doch oft erfüllt. Wir hätten auch sofort einen Platz gekriegt, aber dann wurden wir sogar von einem Paar gerufen, das wir von unserer Musikfreizeit kannten, und so setzten wir uns dorthin und hatten dann noch einen schöneren Platz. Wir aßen ein riesengroßes Eis, und wir hatten viel Spaß mit den beiden. Dann ging es auch wieder zurück in unsere Tagungsstätte. Der Tag war einmalig! Am Abend kam ich dann in den Speisesaal, und diesmal wurde ich sofort angesprochen und zu einem Platz mitgenommen. Es war das Pärchen, das mit uns Eis gegessen hatte. So endete der Tag sehr gut. Am nächsten Tag war eigentlich Abreise. Es gab noch eine Abschlußrunde. Danach hatten wir ein schönes Lied gesungen, die Frau neben mir hat geschluchzt. Die Stimmung war so schön, wir sind so gut zusammengewachsen. Ich bin am Morgen in den Frühstücksraum gekommen, und es wurden meine Morgengrüße erwidert, und ich wurde sogar von anderen von sich aus angesprochen. Als ich an einen Tisch gebracht wurde, sagte diesmal dieselbe, die mich vor einigen Tagen noch zum "Betütler" weiter geschickt hatte: "AUJA, komm her zu uns!" DAS tat gut, so eine Erfahrung zu machen! Da ich ja montags nochmals an die Dialyse mußte, konnte ich erst am Dienstag fahren. Außer mir waren noch zwei andere da. Es kamen noch Leute hinzu, die in unserem Haus keinen Platz mehr hatten und daher anderweitig untergebracht waren. Wir hatten einen sehr schönen Abend. Der Chef hatte extra für uns Soljanca gemacht, das ist eine Suppe aus Tschetschenien, die sehr gut schmeckte, mit Paprika und Gulasch. Wir saßen noch eine Weile beisammen und musizierten später noch ein bißchen, da ich das noch ausnutzen wollte, so viele Musiker auf einen Haufen zu haben. Am nächsten Tag zeigte mir die Chorleiterin ihr Gerät mit Overdub. Da singt man rein, dann hört man sich den Gesang mit Kopfhörern an und kann dann gleichzeitig eine andere Stimme dazu singen, die dann wiederum aufgenommen wird. Ich fand dies sehr interessant. Sie hatte schon zwei Stimmen drauf und wollte mich als Alt noch haben. Meine Stimme war wirklich am RANDE einer Kehlkopfentzündung. Ich gab das LETZTE, was ich hatte, und als wir es hinterher anhören wollten, hat die Aufnahme nicht geklappt! Ich war enttäuscht! Aber ich bekam beim besten Willen keine zweite Version mehr zustande. Vielleicht machen wir es nochmals. Ich überlegte, ob sich für mich so ein Gerät lohnt, da ich auch oft Gitarre und Querflöte zusammenmische, aber der Preis von 500 Euro für ein Gerät, das ich nicht oft benötige, und das obendrein nicht einfach zu bedienen ist, ließ mich dann doch davon Abstand nehmen. Nun kam auch meine Heimreise. Auf der Rückfahrt ging alles glatt. Ich entschied mich, mir auch beim Aussteigen helfen zu lassen, da ich mit Trolly und Gitarre doch überfordert war. Auch das klappte gut. So hatte ich eine Freizeit hinter mir mit einem Sack voll guter Erinnerungen, von denen ich noch zehren kann. Das Pärchen, das wir in der Eisdiele getroffen haben, die auch beim Seminar waren, kommt im September in meine Stadt, so daß wir schon ein Treffen vereinbart haben. Mit der Mandolinenspielerin bin ich in sporadischem Kontakt. So haben sich doch wieder neue Bekanntschaften ergeben. Vielleicht fahre ich wieder hin, mal sehen, was nächstes Jahr kommt.

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