Samstag, 2. Juli 2016

Himmel oder Hölle – mit Gefühl oder Rad-Schläge

Als ich klein war, war ich einmal in einem Familiengottesdienst, wo der Unterschied zwischen Himmel und Hölle gezeigt werden sollte. Dies ist mir noch nachhaltig in Erinnerung. Die Aufgabe bestand darin, Suppe mit Löffeln mit einem extrem langen Löffelstiel zu sich zu nehmen. In der Hölle nahm jeder seinen eigenen Löffel, tauchte ihn in die Suppe und versuchte, den langen Löffel zum Mund zu führen. Dies gelang keinem so richtig. Im Himmel lösten sie die Aufgabe anders, jeder tauchte einen Löffel in die Suppe und streckte ihn dann seinem Gegenüber hin, sodass der eine den Löffel des anderen im Mund hatte, also jeder sein Gegenüber fütterte, sodass ein gegenseitiges Geben und Nehmen entstand, und alle satt wurden. In meinem Leben habe ich häufig viele schwere Dinge erlebt. Oft erhielt ich nur Vertröstung , Rad-Schläge, Belehrungen oder sonstige schlaue Sprüche. Bisher habe ich es vermisst, dass sich einmal jemand in mich hinein versetzt, jemand einmal Empathie mit mir hat, oder jemand mir echten Trost spendet. Alleine die neuesten Begebenheiten zeigen dies gut auf. Ich saß neulich im Taxi, wobei ich mich mit dem Fahrer unterhielt, und auch noch jemand anderer mit dabei war. Wir sprachen über das Thema Flüchtlinge, das Thema rechte Gewalt, wobei einer von uns dann sagte, dass beim Wachschutz in Flüchtlingsheimen ziemlich viele mit rechter Gesinnung dabei sind. Wir unterhielten uns über rechte Mode-Labels, und auch ich gab meinen Senf dazu und meinte, dass auch bei der Polizei ein hoher Prozentsatz an Menschen mit rechter Gesinnung dabei ist. Zuvor hatte der Fahrer mit gelacht, sich offen gezeigt und seine Ansichten offen gelegt. Als ich jedoch meine Weisheiten von mir gab, kam wieder nur das übliche: „das sind auch nur Menschen, in jeder Gesellschaftsgruppe gibt es einen bestimmten Prozentsatz an Arschlöchern.“ Er hätte auch sagen können: „Nachts sind alle Katzen grau, man muss das Leben eben nehmen, wie das Leben eben ist, wir sind alle keine Engel,…“ Es geht mir häufig so, dass, sobald ich meine Erfahrungen oder das, was ich gehört, gelesen oder gelernt habe, weitergebe, dann bei meinem Gegenüber auf einmal so ein belehrender und verallgemeinernder Ton angeschlagen wird, wie man es bei kleinen Kindern macht. Ich fühlte mich dadurch ziemlich gestört und brüskiert. Sobald ich in ein Taxi einsteige und über das Wetter rede, kommt nicht etwa wie bei anderen Leuten Zustimmung, sodass beide dann einen Dialog über das schlechte Wetter führen, sondern ich erhalte kluge Lebensweisheiten wie: „die Bauern müssen doch auch leben. Ändern können wir es sowieso nicht. Es gibt kein schlechtes Wetter sondern nur schlechte Kleidung.“ Eine gemeinsame Basis, sich auf gleicher Stufe zu unterhalten, wird in Bezug auf mich nie gefunden. Derselbe Taxifahrer meinte dann, als ich nach einigen Unvorhergesehenheiten äußerte, dass ich so viel Stress habe und langsam Schwierigkeiten habe, alleine zu leben und mich mit dem Gedanken trage, vielleicht in eine Einrichtung zu ziehen, er kenne einen Menschen, der auch an der Dialyse sei (mittlerweile bin ich transplantiert), der zusätzlich noch Glasknochen hätte, und der wie ich auch noch blind sei. Der würde noch immer im zweiten Stock leben und wolle sich seine Selbständigkeit nicht nehmen lassen. Solche Beispiele werden mir sehr häufig vorgehaltenmit dem Tenor, dass diese Leute es noch wesentlich schwerer hätten als ich aber trotzdem sehr tapfer seien. Ich versuchte, ihm zu erklären, dass ich auch einige unsichtbare Behinderungen habe, wobei er dann meinte, es gäbe viele Leute, denen es wirklich dreckig geht. Mein Einwand, dass ich genau zu diesen Leuten gehöre, wurde dann wieder entkräftet mit der Aussage, anderen ginge es ja noch viel schlechter, … den Rest hörte ich mir gar nicht mehr an, verabschiedete mich und schloss die Tür. Meine Mitfahrerin stieg ebenfalls aus, und als ich meine große Verzweiflung äußerte, wobei sie das Meiste leider nicht mitbekommen hatte, versuchte ich, zumindest hier Solidarität, Mitgefühl und echten Trost zu erhalten. Mir wurde daraufhin erklärt, der Fahrer habe es doch nur gut gemeint, er könne sich eben nicht in mich hineinversetzen, und man könne eben halt nunmal die Menschen nicht ändern. Später klärten wir die Sache auf, da sich herausstellte, dass sie nur den ersten Satz gehört hatte, in dem mir der Taxifahrer scheinbar wohlwollend erklärte, ich sei doch noch lange nicht so weit, in ein Heim ziehen zu müssen. Als ob er dies beurteilen könnte. Dafür hat er mir aber trotzdem dauernd widersprochen und mir keine Möglichkeit gegeben, ihn angemessen aufzuklären. Es ist schwer, einem anderen Menschen eine (unsichtbare) Behinderung nahe zu bringen, insbesondere für mich, da ich häufig nicht ganz für voll genommen werde, und Menschen, die nicht einmal ansatzweise in meiner Situation sind, mir Rad-Schläge, also Schläge ins Gesicht geben. Häufig erlebe ich es auch innerhalb der Organisation, wo ich Hilfe bekomme, dass mir gesagt wird, es ginge doch jedem so, ich müsse nur gelassener sein, das, was ich täglich zu schultern hätte, sei doch die normale Härte. D.h., ich bin wohl zu schwach, um die normalen Widerfährnisse des Lebens auf meine Schultern zu nehmen. Oder mir erklären andere Menschen, sieh mal, anderen geht es doch noch viel schlechter. Wenn ich dann versuche, mit jemandem wiederum über diese Übergriffe und Verletzungen zu sprechen, wird mein Gefühl der Verzweiflung gar nicht erst wahrgenommen, sondern man geht sofort dazu über, die Gegenseite zu verteidigen und mir zu erklären, dass andere doch lediglich unsicher oder hilflos seien, nicht wüssten, wie sie sich verhalten sollten, sich doch nicht auskennen würden und gar nicht wüssten, wie es für mich sei, und dass sie es doch nur gut meinen. Gut meinen ist das Gegenteil von gut. So stehe ich dann auch wieder nur mit einem Packen gut gemeinter Erklärungen da und muss mit meinen Gefühlen von Wut, Verzweiflung und Unverstandensein weiterhin alleine klarkommen. Es würde zwar meine Situation nicht ändern, aber mir würde es wie jedem anderen Menschen auch helfen, wenn der Schwierigkeitsgrad meiner Situation auf Augenhöhe anerkannt würde, man meine Sorgen, Beschwerden und Gefühle realistisch einschätzen und ernst nehmen würde, und wenn ich es wert wäre, dass andere auch einmal diese Gefühle aushalten. Ich beobachte häufig, dass die Menschen eine Leidensolympiade veranstalten, wer es noch schlechter hat als der andere. Jeder schreit nur: „meines, meins meins meins!" jeder, auch ich, will der erste sein, der Verständnis und Mitgefühl erhält. Wie soll man auch sonst die Kraft haben, mit anderen wiederum mit Gefühl zu haben, um ein Geben und nehmen zu erreichen? Dies bringt mich wieder zu dem Bild mit dem Himmel und der Hölle. In der Hölle ist sich jeder selbst der Nächste, fertigt andere nur mit Rat-Schlägen ab, gibt nur gute Tipps, die er eigentlich sich selbst geben müsste, erklärt erwachsenen Menschen wie mir , wie die Welt funktioniert, verweigert Empathie und versucht, mit dem langen Löffelstiel dem anderen auf den Kopf oder auf die Schulter zu klopfen. Dies schwächt, raubt beiden Energie, und führt nur zu Spannung. Im Himmel zeigt man Verständnis für die Nöte des anderen, gibt ihm Trost und damit auch Kraft, ebenfalls anderen Menschen gegenüber wiederum Empathie und Hilfe zu geben. dies stärkt und gibt jedem das Gefühl, wirklich geholfen zu haben und etwas zurückzubekommen, dies gibt allen Energie, und alle schwingen in guter Harmonie. Dies würde ich mir wünschen, daher hoffe ich doch, dass man die Menschheit noch ändern kann. Wahrscheinlich darum hält man mich für naiv.

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