Mittwoch, 3. Januar 2018

Und Bitte! Oder : Dabeisein ist alles!

Vor einiger Zeit hatten wir in unserem Newsletter einen Aufruf, dass eine Blinde gesucht wird, die bei einem Spielfilm mitwirkt. Die Frau sollte zwischen 40 und 60 sein, wobei man ihr Alter nicht schätzen kann. Sie sollte leicht korpulent sein, was zum Glück bei mir nicht zutrifft, sie soll schlagfertig sein und zwar wenig Intelligenz aber viel Menschenkenntnis und viel Intuition haben. Letzteres besitze ich zwar nicht, dachte mir aber, das wird mir sicher in der Rolle so vorgeschrieben, ich muss ja sowieso nicht selber überlegen, was ich sage. Schlecht einschätzen vom  Alter her kann man mich auf jeden Fall, und ich kann mir gut vorstellen, diese Rolle zu übernehmen. Die Frau sollte eine späterblindete zynische Frau sein, die eine raue Schale und einen weichen Kern hat, häufig politisch inkorrekt ist und ihre Helfer oder Assistenten und Betreuer ärgert oder herum schikaniert. Dabei lebt sie in einem Behindertenheim, könnte aber alleine leben, gibt aber niemals zu, dass sie einfach nur zu faul dazu ist. Was die dort erleben, verrate ich jetzt lieber noch nicht, denn der Film kommt ja noch raus. Ich bin zwar nicht voll blind, bin aber so unbeholfen, dass ich trotz meines Sehrests diese Rolle gut und gerne ausfüllen kann. somit habe ich mich für die Rolle beworben, indem ich wie gewünscht ein kleines Video über mich dorthin geschickt hatte. Da ich ziemlich ungeschickt mit dem Handy bin, wusste ich nicht, dass das Handy zwei Kameras hat, und dass man  zwischen den beiden hin- und herschalten kann. Ich hielt mir das Ding vors Gesicht und erzählte munter drauflos und schickte alles ab. Schließlich sehe ich nicht, ob es aufgenommen hat und was. Somit war die hintere Kamera an, und man hat wahrscheinlich nur einen Ausschnitt meines Schreibtisches sehen können. Daher bat man mich, noch ein normales Video zu schicken. In meinem Video hatte ich einen Blindenwitz erzählt und auch einige Dinge über mich berichtet, welche Hobbys ich habe, was ich gerne mache, und was ich nicht so gerne tue, zum Beispiel für den Film extra zunehmen oder bei politischer Inkorrektheit würde ich jetzt nicht so weit gehen, Witze über Homosexuelle oder Ausländer zu machen. Aber zum Beweis, dass ich durchaus schwarzen Humor habe, habe ich dann eben einen Blindenwitz erzählt: was ist gemein? Wenn man einen Blinden an eine Litfaßsäule stellt und sagt, immer an der Wand lang, da geht's  nach Hause. Das finde ich den besten Witz.

 

Meine Helferin hat dann noch einmal ein Video von mir gedreht, wobei ich dann nur noch das Nötigste erzählte, da sie mich ja jetzt schon über den Audiobeitrag kannten. Zunächst hörte ich nichts mehr und dachte, daraus ist nichts geworden. Irgendwann rief dann die Castingfirma an und meinte, sie wollten, dass ich komme. Es gäbe zwei Städte zur Auswahl, der Regisseur dachte, beide seien gleich nah, doch ich suchte mir die nächstgelegene aus, mit der ich auch kostenlos mit dem Zug hinfahren konnte, falls es eine günstige Verbindung gab. Allerdings fand ich nur eine Verbindung mit dem ICE, und so, da ich im Moment wirklich sehr knapp bei Kasse bin wegen meines Umzuges, bestellte man mir über meine BahnCard, deren Nummer ich vorher weitergegeben hatte, ein Ticket. Ich konnte die Nummer des Tickets bei mir ins Handy eingeben und erhielt tatsächlich das Ticket direkt aufs Handy. Das finde ich eine sehr praktische Einrichtung.

 

Ich wurde dann vom Taxifahrer der Produktionsfirma abgeholt. Schon im Auto erlebte ich, wie es so beim Film zugeht. Denn in dem Moment rief eine Frau an und bat ihn, eine Babyschale zu besorgen, da sie im nächsten Film ein Baby haben würden. Der Fahrer ist schon jahrelang für diese Filmfirma tätig. Er lieferte mich direkt in der Wohnung des Regisseurs ab, denn ich war ja in die nächstgelegene Stadt gekommen, und dort sollte dann das Casting nicht im Studio sondern bei ihm zu Hause stattfinden. Ich dachte, ein Regisseur hat bestimmt eine riesengroße und teure Altbauwohnung. Es war in einem Außenbezirk, und das Haus war, wie ich schon roch und irgendwie  an  dem ganzen Fluidum merkte, wahrscheinlich in den siebziger Jahren oder den achtziger Jahren gebaut worden. Das merkte man auch im Aufzug. Als wir ausstiegen, kamen wir in eine Wohnung mit einem großen Zimmer mit  PVC oder Linoleum und mit Fenstern, die die ganze Front ausfüllten, wie man die Wohnungen in den achtzigern oder den frühen neunzigern hatte. Das Bad war wie mein früheres ohne Fenster, aber wenigstens mit Lüftung. Der Regisseur war noch sehr jung, er hatte erst sein Studium abgeschlossen oder war noch mittendrin, denn der Kameramann, den er dabei hatte, um die Szenen zu filmen, war sein Studienkollege, der ebenfalls Regie studierte. Zuvor hatte ich einen Ausschnitt des Drehbuchs erhalten, um eine bestimmte Szene einzuüben. Diese musste ich auswendig lernen. Dazu sollte dann ein Partner kommen, der die andere Rolle spielte, damit ich reagieren konnte. Ich tue mir sehr schwer, Dinge wortwörtlich auswendig zu lernen, aber das war offenbar kein Problem. Sinngemäß kannte ich meine Rolle und konnte sie auch gut darstellen. Zwischendurch gab dann der Regisseur immer wieder Anweisungen, wie man es anders spielen sollte, oder er setzte uns einmal um, wir saßen auf kleinen Filmhockern. Mal sollte ich es etwas aggressiver spielen, mal etwas weniger laut, und dann wieder mehr, als sei ich die beleidigte. Ich fand das total toll, denn ich durfte auch etwas, wie ich es hochtrabend nannte, und worüber  er  wohl etwas schmunzeln  musste, künstlerische Freiheit walten lassen, und ich durfte auch ein paar Sachen dazu erfinden oder die Rolle etwas abändern. Er machte einige Vorschläge, auch sein Kameramann, und auch ich machte Vorschläge oder meinte, dieses oder jenes würde mir jetzt nicht so gut gefallen.  Oder ich  bat meinen spielpartner, da oder dort  etwas langsamer zu machen oder mehr Pause, damit ich dazwischen kam. Das hat wirklich Spaß gemacht. Zuvor hatte er mir genau den Inhalt des Filmes beschrieben, wodurch dann diese Szene, die ich erhalten hatte, wesentlich mehr Sinn ergab. Aus dem Kontext heraus genommen hatte ich sie nämlich gar nicht wirklich verstanden. Aber als mir dann der Zusammenhang klar war, konnte ich es auch besser spielen. Ich bat ihn, dass er mir auf jeden Fall die Filmausschnitte, in denen wir die Szenen geprobt hatten, zuschicken sollte, falls ich nicht die Besetzung werden würde. Er erklärte mir, dass es manchmal beim Film auch auf Äußerlichkeiten ankäme, zum Beispiel auch auf die Nase oder die Haarfarbe, wobei ich meinte, Haare könne man ja auch färben. Er sagte, auf jeden Fall müsse die Zusammensetzung der Gruppe stimmen, und die Chemie müsse zwischen den Leuten auch passen. Das müsse er eben dann beurteilen, und ich würde vor Weihnachten Bescheid bekommen.

 

Als der Taxifahrer mich abgeliefert hatte, hatte er gefragt, wie lange es dauern würde. Der Regisseur meinte, jetzt haben sie sie eine halbe Stunde früher gebracht, jetzt müssen sie sie auch eine halbe Stunde früher holen. Denn er hatte mehrere Kandidaten zum Casting eingeladen, und die sollten sich nicht begegnen, um Konkurrenzverhalten zu vermeiden. Der Taxifahrer fragte genau nach der Uhrzeit, und da meinte der Regisseur, der Taxifahrer solle halt anrufen. Dies fand ich etwas merkwürdig, denn normalerweise muss ja derjenige anrufen, der abgeholt werden will, zum Beispiel hätte das ja jemand anderer machen können, der noch anwesend war. Er hat dann einfach die  ganze   Zeit unten  vor dem Haus gewartet.  Als ich den Taxifahrer daraufhin ansprach, meinte er, beim Film müsse man mit allem rechnen. Eigentlich war mir gesagt worden, ich solle Verpflegung mitnehmen, aber es war ein kleines Buffet aufgebaut mit Kaffee und ein paar Broten, doch hatte ich alles dabei, und es war sowieso überhaupt keine Zeit, mir etwas davon zu holen, und ich wollte  meine eigenen Sachen auch nicht  verkommen lassen. Später wurde ich dann verabschiedet , mit der Aussage, vor Weihnachten würde ich Bescheid kriegen, bisher habe ich noch nichts gehört. Allerdings glaube ich, dass dies noch kommen wird, denn auch die anderen Antworten zuvor kamen immer recht verzögert. Das wird wahrscheinlich nicht anders planbar sein. Auf jeden Fall versuche ich, es nicht persönlich zu nehmen, wenn  ich es nicht werde, denn es können ja alle möglichen Gründe sein, weshalb ich nicht ausgesucht wurde. Er meinte, es müsse nicht immer daran liegen, dass jemand nicht spielen kann, sondern einfach daran, ob er äußerlich und auch sonst zu den anderen passt, und was von dem einzelnen rüber kommt, und ob er für die Rolle geeignet sei. Er habe schon einige vorher abgelehnt, die überhaupt nicht der Typ für die Rolle waren. Es haben sich einige blinde und einige sehende Schauspieler gemeldet. Er wird erst alle Bewerber anhören und sich danach alle Videos ansehen, bevor er sich definitiv entscheidet. Ich bin gespannt, wie es wird, aber in jedem Falle möchte ich die Filmausschnitte haben.  Auch wenn ich es nicht werden kann, habe ich jedoch eine interessante Erfahrung gemacht, denn wer wird schon einmal in seinem Leben zu einem Casting eingeladen. Selbst wenn ich nur bis hierhin gekommen bin, bin ich doch ein paar Runden durchgekommen, und als ich dort war, wurde ich nicht hochkantig rausgeworfen, oder es hat mich niemand angebrüllt, ich solle mein Zeug packen und sofort verschwinden. Ich dachte, beim Film wird man wahrscheinlich sofort rausgeschmissen, wenn man hinkommt und nichts taugt, und die springen einem sofort ins Gesicht. Ich dachte, da sagt man dann drei Sätze, und der Regisseur unterbricht  und sagt, wie man es in Spielfilmen häufig sieht, danke, ich hab genug gesehen, wieder sehen, wir melden uns, der nächste bitte. So hatte ich mir das vorgestellt, aber es ging doch etwas humaner zu.   Ich wurde dann auch wieder zum Bahnhof gebracht, und dort hat mich dann der Taxifahrer, der selbst eine Behinderung hatte, beim Infopoint abgegeben. Alles in allem ging die Sache sehr schnell über die Bühne. Wenn ich es werden würde, dann würde der Film im Sommer gedreht, und zwar an einem Stück über mehrere Wochen hinweg, und da müsste ich dann für mehrere Wochen in ein Hotel. Ich sagte, dass ich mir das finanziell nicht leisten könnte, aber dafür würde dann wahrscheinlich jemand aufkommen. Ich bot auch an, eine Begleitperson mitzubringen, denn ich habe ja einen Bekannten, der mit mir schon auf Reha war oder mir beim Umzug geholfen hatte, warum sollten wir dann nicht auch mal beim Film zusammen hingehen, und warum sollte er mich dann nicht auch dort begleiten? Wir wollen ja schon jahrelang zusammen nach Vorarlberg fahren, um dort in das Hotel für blinde zu gehen, aber bisher ist jedes Mal etwas anderes dazwischen gekommen, meistens positive Dinge wie die Transplantation oder der Umzug. Es wäre wirklich witzig, wenn jetzt der Dreh eines Filmes dazukäme. Aber warten wir's mal ab, die Chancen sind jetzt nicht sonderlich groß, die Wahrscheinlichkeit ist also nicht hoch, ich versuche, auf keinen Fall enttäuscht zu sein, denn immerhin habe ich ja etwas erlebt. Hätte ich mich nicht gemeldet, wäre ich nicht mal bis hierhin gekommen und hätte  nie  an einem Casting teilgenommen.

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