Donnerstag, 1. Oktober 2009

Mittelalterfestival

Vor einiger Zeit rief mich mein Freund abends nach der Dialyse an und spielte mir Musik durchs Handy, weil er gerade auf dem Burggrabenfest war. So entschloß ich mich, am nächsten Tag mitzugehen. Da trafen wir zwei nette Herren, der eine sprach etwas sonderbar, wobei sich herausstellte, daß er eine Sprachstörung aufgrund einer Hirnblutung hatte. Der andere war ein Ayurweda-Meister, und beide trugen seltsame mittelalterliche Gewandungen. Sie erzählten uns, daß in Selb ein Mittelalterfestival stattfinden würde. Ich meinte, daß wir uns mal auf einen Kaffee treffen könnten. Da machten wir dann alles klar. Robert rief also bei der Fremdenverkehrsvermittlung in Selb an und reservierte bei derselben Pension ein Zimmerchen für mich. Das mit den Karten war umständlicher. Ich habe nicht übers Internet bestellt, das war der Fehler. Als ich zum Fremdenverkehrsamt ging, waren die ermäßigten Karten für Schwerbehinderte nicht im Programm. Als wir bei dem Veranstalter anriefen, meinte dieser, daß er auch keine Karten zurücklegen könne, denn dann müsse er ja eine Liste mit tausend Namen erstellen, das ginge ja nicht. Ich erklärte ihm, daß ich außerdem nur zwei Tage kommen könne, daß die zwei einzelnen Karten teuerer seien als eine Dreierkarte für alle Tage, und daß dies unverhältnismäßig sei, und ich könne ja nichtbestraft werden, daß ich einenTag an die Dialyse müsse. Ihn ließ das ungerührt, denn er meinte, es gäbe genug andere Leute, die auch tausend Gründe hätten, warum sie nichtkönnten, und das sei als Anreiz gedacht, um gleich das Dreierticket für alle Tage zu nehmen. Ich empfand das ziemlich diskriminierend und beschwerte mich gleich bei der Stadt Selb. Ich gab dann Robert einfach eine Kopie meines Schwerbehindertenausweises mit, und er kaufte eine Karte für mich.

Ich ließ die Samstagsdialyse ausfallen und machte dafür am Freitag sechs Stunden.

Morgens ging es dann los, wobei der Pendolino furchtbar schaukelte, so daß mir fast übel wurde. Robert hatte mir ein Taxi vorbestellt, das mich auch pünktlich abholte. In der Pension bin ich erst mal erschrocken, denn die Treppe war total steil. Ich hatte extra schon gesagt, man solle vermerken, daß ich schwerbehindert bin. Es waren alle Übel vereinigt, die es geben kann: Mitten im Flur waren auf einmal zwei Stufen, zur Toilette mußte man zwei Stufen hoch, die man dann, bevor man die Türe öffnen konnte, wieder beachten mußte. Auf dem Weg zu meinem Zimmer mußte ich zwischen einer Aufwärtstreppe und einer Treppe abwärts durchgehen. Zu weit nach links wäre ich die Treppe hinaufgefallen, zu weit rechts wäre ich an der Seite die Treppe hinuntergestürzt. Der Flur zu meinem Zimmer war mit Hometrainer, Tisch und Sofa verstellt. Die Türe zu meinem Zimmer ging nicht zu, und draußen in einer Standuhr schlug jede Stunde in der ganzen Nacht ein Gong, der mich jedesmal weckte.

Als wir auf das Festgelände kamen, spielte eine grauenhafte Band, wobei der Sänger nur ins Mikro röhrte, das war dann der Mittelalter-Rock. Es sollten drei Gruppen spielen, die dann bewertet und ausgezeichnet würden. Eine bekam dann einen Plattenvertrag und durfte nächstes Jahr wieder kommen. An diesem Tag gefielen mir wenige Bands. Das schöne Zelt mit dem Kaffee, uchen und Tee war sehr gemütlich. Ich ging dann zu "Amber", und diese Frau gefiel mir gar nicht. Rainer, der auch wieder dabei war, begleitete mich. Wir waren der einhelligen Meinung, daß es sehr kommerziell aufgezogen war. Robert und ich saheneine sehr gute Straßenband, die nur so an der Seite dastand und spielte. Ich mache mal ein bißchen Werbung für OMDULÖ (Trommel, Dudelsack und Flöte), die mir gut gefallen haben. Sie verkauften ihre Musik auf einem USB-Stick, sehr praktisch zum selbst herunterladen. Wir sahen dann noch eine dänische Gruppe, die etwas mystische Musik machte, die mir ganz gut gefiel, Robert hingegen fand, daß die Sängerin überhaupt nicht singen könne. Abends kam dann meine Lieblingsband "Ougenweide", die so waren, wie ich sie vor ca. 20 Jahren in Erinnerung hatte. Ich habe wie wild getanzt, und trotz Dialyse und meiner zahlreichen Beschwerden und Zipperlein merkte ich, daß ich doch noch sehr lebendig sein konnte. Das hat sehr gut getan. Danach kam dann noch eine andere Band namens Okam noch eine Band namens Omnia. Die machten Pagan-Folk. Teilweise fand ich es sehr schön, aber es war doch zuweilen ein richtiges Gestampfe. Ich hatte nur eine lange Tunica dabei aber leider keine Jacke, da sie eh zu kurz gewesen wäre, und bei der Hitze am Tag hätte ich sie nur rumgeschleppt. Dann wurde es aber nachts so kalt, daß mir Robert seinen Umhang lieh, und so kamen wir nur sehr langsam voran. Daheim angekommen, stellten wir fest, daß ich alleine in der Pension nicht mal vom Zimmer zum Bad kommen würde, ohne mir den Hals zu brechen. Wir schafften meine Sachen vom Bad in die toilette, wo auch ein Waschbekcken war, allerdings fehlte an einer Seite der Griff für den Wasserhahn. Ich bat Robert, das Licht anzulassen, damit ich, falls ich nachts raus müßte, nicht zu Tode stürzen würde. Am nächsten Morgen meckerte die Hauswirtin, aber ich erklärte ihr, daß es nötig war, dasLicht anzulassen und gab ihr drei Euro mehr für die Nacht. Robert war etwas verärgert, daß es keine Brötchen gab und wollte nie wieder da hin gehen. Dann war die Musik dann am Sonntag etwas besser. Es kam eine tschechische Band. Zuvor mußte noch erwähnt werden, daß Robert unter allen Umständen unbedingt um acht Uhr schon auf demFestivalgelände sein wollte. Wer dann aber nicht aufstand, obwohl die Wirtin schon um halb sieben extra für ihn aufstand und Kaffee bereitet hatte, war Robert. Letztendlich landeten wir um zehn Uhr auf dem Gelände. Die besagte tschechische Band Bragas war sehr gut, aber leider gab es keine CD. Später hörte ich mir noch einen Russen mit Obertongesängen an. Ich unterhielt mich mit einer Frau, die mich zu einer Harfinistin mitnahm, aber die Stimme war ziemlichpoppig. Der OBertonsänger war super, und die beiden Mädels, die ihn begleiteten, machten das Ganze zu einer sehr entspannenden Sache. Da wir unten dann Robert treffen wollten, mußten wir etwas früher los. Überhaupt war es etwas stressig, da man immer von einer Band zur anderen rennen mußte, während die eine unten aufbaute, ging es auf der anderen Bühne weiter. Ich war dann bei Irrlicht, die mir sehr gut gefielen. Ich hatte schon etwas Sorge, da ich die beiden Herren schon länger nicht mehr gesehen hatte. Rainer hat mir netterweise angeboten, mich abends nach Nürnberg zu fahren. Ich hätte sonst schon um halb sechs weggemußt, da um acht Uhr keine Umsteigehilfe mehr in Hof gewesen wäre. Die Behinderten haben gefälligst um acht daheim zu sein. So hatte ich aber Glück, und ich konnte länger bleiben. Ich wollte aber die zwei wiederfinden, damit ich nicht abends aufeinmal alleine dastehen würde. Ich hörte mir noch Elster Silberflug an, die mir sehr gut gefielen. Dort kaufte ich im Zelt dann noch eine CD. Rainer rief dann zun Glück bei mir an. Robert wwar immer total ängstlich, wenn ich mal nicht da war, oder wenn er Rainer und mich nicht sah, obwohl das Gelände nicht so groß war. Ich fragte einen etwas gothic-mäßig aussehenden Spät-Hippy mit schwarzem Umhang, ob er mir die Bühne zeigen könnte, wo das nächste Konzert stattfinden würde. Als ich ihm erklärte, daß ich zwei Herren vermisse, meinte er, er sei einer der Sänger, umd er würde sie am Abend ausrufen, wenn ich sie bis dahin noch nicht gefunden hätte. Da war ich doch überrascht, einen der "Stars" des Festivals so hautnah getroffen zu haben, und der war nicht mal arrogant. Später stellte sich heraus, daß es sogar Leute sind, die Robert kennt. Er kennt nämlich einige Bandmitglieder sogar persönlich. Am Vortag hatte ich noch Zwielicht gehört, die den Wettbewerb das letzte Jahr gewonnen hatten. Das war zwar Rock, aber es war sehr dezent und gut eingebaut. Da habe ich mir auch eine CD geleistet. Robert wollte unbedingt eine bestimmte Gruppe zum diesjährigen Sieger der akustik-Bands gekürt wissen, und als diese nicht gewann, war er stinksauer und regte sich furchtbar auf. Als wir aus dem Gelände gingen, dammit er sich seine Zigaretten holen konnte, schimpfte er furchtbar mit den Leuten am Eingang, was für Deppen doch die Juroren seien, eine so blöde Band zu wählen, diese zwei Weiber seien doch furchtbar... Ich habe alles probiert, ihn da wegzukriegen, täuschte schon fast eine Ohnmacht vor, damit er endlich davon abließ, die unschuldigen Wachmänner am Eingang zu beschimpfen, aber es half wenig.

Am Abend ging ich dann mit Rainer zum Konzert von Dikanda, und das war super-stark! Ich liebe osteuropäische Musik, die oft jiddische Elemente und Balkan-Musik enthält oder "zigeuner"-Musik und Ähnliches. Die Band spielte so toll, daß ich tanzte wie der Lump am Stecken, so wie ich vor Dialysezeiten getanzt habe, alles Leid vergessend. Wir mußten dannleider etwas früher weg, da wir Robert bei Faun treffen wollten. Die Jungs hatten vergessen, ihn auszurufen. Ich hätte es ihm gegönnt, denn das wäre lustig gewesen, weil sie ihn doch sogar kennen. Die Band gefiel mir nun nicht so, da diesmal der Mensch mit den Sample-Effekten daabei war, und zuviele Effekte entstanden, die mir nicht gefielen. Außerdem war ich schon "überfüllt" mit Musik und wolte nur noch nach Hause. Wir hätten auch heimfahren können, aber Robert hatte sich uns angeschlossen, obwohl er ursprünglich erst montags fahren wollte, aber er hatte keine BahnCard dabei und hätte das Doppelte zahlen müssen. So standen wir im Regen da, und Rainer und ich beschlossen, in seinen Bus zu gehen, mich, die ich klitschnaß war, abzurubbeln und dann unsere Musik aufzulegen, die wir hören wollten. Er stellte mir die Band Wishbone Ash vor, die ganz interessant klang, schenkte mir eine CD mit sefardischer Musik und zweiKopien von "Die Geyers", u.a. die CD mit Liedern vom Minnesänger Francoise Villon, der ähnlich derbe aber schöne Texte machte wie Bellmann aus dem Schweden des ca. 16. Jahrhunderts.


Als Faun dann fertig war, trennte sich Robert schweren Herzens von seinen Lieblingen und fuhr mit uns heim. Unterwegs hörten wir noch viel Musik, und Robert dirigierte Rainer sicher zu meiner Wohnung.

Nun treffen wir uns donnerstags und haben schon zahlreiche CDs ausgetauscht, wobei leider der Austausch sehr einseitig ist, da ich nicht so viel zu bieten habe, was den Geschmack der beiden Herren trifft und eher ich die Haupt-Einnehmerin von CDs bin. Mein Bestand hat sich um ca. 25 CDs vergrößert. Ich suche aber sehr genau aus, da ich schon soviele CDs habe, daß ich sehr wählerisch bin. Aber es ist sehr schön, CDs anzuhören und neue Musik zu bekommen.

Ich werde aber nächstes Jahr nicht wieder mitfahren, denn der Rahmen hat mir nichtso gefallen, es war -- wie gesagt -- sehr kommerziell, die Unterkunft muß man ewig früh schon buchen, um etwas Vernünftiges zu kriegen, und ich mag nicht so sehr die aufgemotzten Bands oder die "stampfigen", sondern ich mag lieber die ausgefeilteren ruhigeren Dinge. Es war aber doch eine sehr schöne Erfahrung, und ich fühlte mich in der Zeit pudelwohl. Musik ist Nahrung und Medizin.

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