Donnerstag, 4. März 2010

Ich platze bald!

Neulich sagte meine Taxifahrerin zu mir: "Wenn ich alles auf die Waagschale lege, haben Sie trotz Dialyse doch ein viel schöneres Leben als ich, ich muß nur arbeiten...." Wer meinen BLOG bisher gelesen hat, der weiß vielleicht eher, wie viel Anstrengung dieses "schöne Leben" kostet, und wie viele N iederlagen ich einstecken mußte, und wie hart ich oft dafür kämpfen muß, daß etwas Schönes herauskommt, und wieviel Mühe ich oft habe.

Ich muß dies nun loswerden, sonst platze ich und ersticke. Egal, wer das liest, ich habe niemanden, mit dem ich über so etwas sprechen kann, oder bei dem ich so etwas aussprechen darf. Vielleicht liest es ja jemand, und ich fände es gut, wenn es mal Leute zum Nachdenken bringen würde. Ich habe kein anderes Medium. Ich nutze dieses hier, als ob ich in den Wald ginge, ein Loch grabe und mein Herz ausschütte.

Es stinkt mir so, dass andere bei mir immer über ihre Zipperlein jammern. Sie sind kurzsichtig, haben Rückenschmerzen, ihre Augen haben sich um eine HALBE Dioptrie verschlechtert, es wird halt immer schlechter….

Ich will hier nun keinen Kommentar drauf oder begütigende und nachdenklich stimmende Worte an mich. Jedesmal, wenn ich dieses Gejammere in meiner Gegenwart höre, schreit es in mir: WAS SOLL dann ICH erst sagen!? Ich bin fast blind, bin an der Dialyse. Meine Knochen werden in Mitleidenschaft gezogen, ich muß dauernd Angst haben, dass man mir die Nebenschilddrüsen rausoperieren muß, meine Augen verschlechtern sich, ich sehe alles in Rosa und Grün, es flimmert mir vor den Augen, ich habe mit permanenter, ja, permanenter Übelkeit und Schwäche zu kämpfen.

Ich darf aber KEIN Wort davon sagen, denn man muß ja stark sein, man darf ja nicht jammern, man darf ja nicht klagen! Warum eigentlich nicht. Das versteht jetzt niemand, aber ich möchte einmal einen Ort haben, wo ich hemmungslos ohne Schan, ohne schlechtes Gewissen, ohne Schuldgefühle, ohne moralische Kommentare und Tröstungen mit erhobenem Zeigefinger jammern, heulen, hadern und so richtig klagen darf, so lange ich will, bis ich es selbst nicht mehr hören kann. Und ein Mensch wäre da, der nicht urteilt, mich nicht als Jammerlappen oder als schwach bewertet, mir keine Vorwürfe macht, mich nicht mit „anderen geht es noch schlechter als Dir“ Sprüchen tröstet. Auch wenn ich dafür nun wieder bestraft werde, wenn ich dies auspsreche: Ich möchte einfach mal jemanden haben, und bei jemandem sein, dem ich sagen darf: „Ich bin grad so traurig, komm, nimm mich mal in den Arm, es ist grad so furchtbar, und ich hab grad wieder eine schlechte Nachricht erhalten…“ Wer hat sich meine Sorgen über die Rückenschmerzen im möglichen Zusammenhang mit den Knochenproblemen angehört? Wer hört sich das an, dass es mir manchmal so schlecht ist?

Komisch, bei geringeren Zipperlein darf jeder herumjammern. Bei großen Krankheiten erwartet jeder, dass man es tapfer erträgt, und man ist moralisch verwerflich und schlecht, egoistisch und egozentrisch, dass man andere Außenstehende in so eine hilflose Lage bringt und sie mit seinen Dingen belastet. Somit muß ich immer ruhig sein und allen versichern, dass es doch nicht so schlimm ist, und weil ich das nicht so gut kann, bin ich egozentrisch und egoistisch und rücksichtslos.

Wie rücksichtslos ist es eigentlich, wenn mir andere laufend ihre Zipperlein vorklagen, mir ihre Krankengeschichten oder die ihrer Angehörigen vorbeten und in epischer Breite darlegen, und ich darf nicht unhöflich sein und sagen: „ICH mölchte aber Deine Geschichte nicht hören!“ Ich muß ja Verständnis haben. Wer hat eigentlich bei MIR so viel Verständnis und Mitgefühl? Ich kann nicht etwas weitergeben, was ich selbst in so geringem Maße erhalte.

Ich bin es Leid, laufend diese Standardsätze zu hören, wie: „OHNE Brille wäre ich genauso blind wie Du! Wenn ich meine Kontaktlinsen herausnehmen, bin ich auch ein Maulwurf.“ Na, dann laß sie doch drin! DU hast wenigstens welche, für MICH gibt es keine Kontaktlinsen mehr, die ich einsetzen und besser sehen könnte. Und überhaupt, diese Leute sehen doch OHNE Brille noch besser als ich MIT! Ich darf aber nicht sagen, dass dieser Mensch kein Recht hat, sich mit mir zu vergleichen, denn dann wäre ich ja arrogant. Ich glaube aber, dass anderen gar nicht bewusst ist, wie viel sie eigentlich noch haben. Wenn die meine Sehschärfe hätten, würden die sich wundern, von wegen, es geht uns doch allen so, wir sehen ja auch nichts!

Geht es anderen besser als mir, darf ich das nicht sagen, sondern ich habe gefälligst anzuerkennen, dass eine Brille und altersbedingte Kreuzschmerzen ja auch schon was Schlimmes sind, und ich muß das genauso werten, als wäre etwas Schlimmeres. Vielleicht würde mir das leichter fallen, wenn ich selbst genug an Anerkennung für meine Erkrankungen und Beschwerden bekommen würde.

Aber wenn ich jemandem begegne, der kränker ist als ich, dann muß ich mir anhören: „SEI froh, dass DU nicht GANZ blind bist, Du hast ja NUR mit den Nieren, ich habe ja viel mehr, sei froh, dass Du noch lebst,…..“ Ich darf nie einmal ein Wort über meine Beschwerden verlieren, ohne, dass ich irgendeinen blöden Trost oder diesen moralischen Zeigefinger erhalte, von wegen: Du kannst ja noch froh sein. Schäm Dich, wenn Du darüber ein Wort verlierst, WIE UNDANKBAR bist DU!

Aber auch das, was ich habe, ist doch schon genug! Warum darf ich mir nicht wünschen, dass dies auch mal anerkannt wird? Es ist ein Schlag ins Gesicht, wenn ich mit 100 ml Ausscheidung (normale Menschen scheiden 2-3 Liter täglich aus), hören muß: „IMMERHIN! Da können Sie sich ja noch richtig was erlauben im Gegensatz zu denen, die GAR keine Ausscheidung mehr haben!“ Niemand versteht, wie weh das tut. Und ich höre jetzt schon alle Gegenkommentare: „Die Leute meinen das doch nicht so, sie wollen Dich doch nur aufmuntern, sie sind doch nur hilflos…“ Jetzt soll ich wieder diese Leute verstehen, dass sie so reagieren. Wer versteht denn eigentlich mich? Ich bin in der dreifachen Hölle: Ich habe die Beschwerden, muß mir die blöden und ätzenden Äußerungen anhören und soll auch noch Verständnis dafür aufbringen und darf nicht verletzt darrüber reagieren! Wie soll ich das alles er-tragen?

Und überhaupt, wer von den Sehenden oder Nierengesunden bedankt sich denn dafür, dass er das nicht hat. Dieselben Leute erwarten von mir, dass ich mich beanke, dass ich nicht GANZ blind bin oder NULL Ausscheidung habe, und dass ich ERST (!) mit 38 an die Dialyse gekommen bin, und nicht, wie vielleicht 1% aller Dialysepatienten, schon im Kindes- oder Jugendalter! Ich finde dies eine Verzerrung der Situation! Ich soll mich bedanken, während Leute, die es besser haben, sich nicht bedanken brauchen!

Ich finde es Augenwischerei, nicht auch mal zuzugeben, dass es Menschen gibt, denen es besser geht als mir. Ich finde es nur fair, auch mal zu sagen: „Ja, es gibt viele, die es wesentlich besser haben.“ Dieser Quatsch, von wegen, dafür haben die halt andere Sorgen, und jeder hat sein Päckchen zu tragen, ist einfach unwahr. Es gibt viele, denen es wesentlich schlechter geht als mir. ABER VERDAMMT nochmal, es muß doch auch einfach mal gesagt werden dürfen, dass es auch Tausende gibt, die es einfacher haben. Das ist doch nur fair. Ich leide langsam an Realitätsverzerrung, mir fehlt jeglicher Bezug zur echten Realiltät, wenn diese Verhältnisse immer so schief dargestellt werden, als sei es normal, zur Dialyse zu gehen und so wenig zu sehen, und ich könne noch froh sein. Ich will nicht bedauert werden, ich möchte aber, dass die Realität einfach anerkannt und gewürdigt wird. Niemand versteht das! Es ist genauso, wie jemand möchte, der ein schweres Trauma erlitten hat, dass es gewürdigt und als etwas Besonderes angesehen wird, und nicht, dass jeder einem erklärt, dass das ganz normal sei, und man nur überempfindlich sei. Die Verweigerung dieser Anerkennung, dieser NÜCHTERNEN , ERNSTNEHMENDEN Anerkennung, ohne Mitleid oder Pathos, kann einen Menschen verrückt machen!

Es sind so Kleinigkeiten, die Kranke oft gesagt kriegen wie: Der soundso sieht jetzt gar nichts mehr, und ich hab es da noch besser. Da würde ich mir a uch mal wünschen, dass jemand mal sagt: Und da hab ich es noch besser als Du, bei dem, was Du hast. Es sind auch so Kleinigkeiten wie, dass mal jemand sagt: Das ist für Dich sicher blöd, wenn ich jetzt von meinen Zipperlein anfange.

Ich finde auch, dass sich andere etwas überlegen sollten, ob sie sich vor JEDEN einfach so hinstellen sollten und sagen: „MEIN GOTT, ich brauche eine Lesebrille, ich bin schon halb BLIND!“ Warum darf ich dann nicht einmal rausschreien, wie TAKTLOS ich das finde, und warum soll ich da immer so drauf reagieren, als sei das völlig normal für mich, nur, damit ich nicht als selbstmitleidige Behinderte ausgeschlossen werde!?

Und wenn wir grad schon mal dabei sind, es kotzt mich an, wenn ich bei Geburtstagen und Weihnachten und Neujahr immer höre oder lese: Ich wünsche Dir GESUNDHEIT! Ich bin nicht gesund, und die Leute sollen einfach mal überlegen, was sie zu wem sagen. Das hört sich jetzt an, als sei ich jemand, mit dem man nicht normal umgehen kann. Aber ist es normal, SO mit jemandem umzugehen!

Bei anderen wie meinem Bruder zum Beispiel, erlebe ich häufig, dass andere sich scheuen, ihn wegen seiner Krankheiten überhaupt zu fragen, wie es ihm geht, dass sie ihn nicht mit ihrem Kram belasten wollen, dass sie sich niemals wagen würden zu sagen: DAS geht mir doch genauso wie Dir!

Verstehe mich niemand falsch, ich höre gerne anderen zu, was sie für Probleme haben, und ich bin sowieso viel zu neugierig, als dass ich das nicht hören wollte. Aber dieser Unterton: Siehst DU, a ndere haben auch Sorgen, oder diese offen ausgesprochenen Vergleiche wie: DAS hast DU zum Beispiel nicht, siehst Du? Das tut weh!

Ich denke, wenn ich auch mal eine Schulter hätte wie oben beschrieben, wo auch ich mal schamlos und ohne Zensur, ohne Rat-SCHLÄGE und ohne Moral das schamlos aussprechen dürfte, was ich empfinde, und wenn diese Situation, in der ich bin, an der RICHTIGEN und ANGEMESSENEN Stelle eingeordnet würde, nicht mehr und nicht weniger, und wenn mir mehr zugestanden würde, auch mal traurig über all das zu sein, ohne, dass ich mich schämen muß zu jammern, dann hätte ich auch wieder mehr Kraft für die Leiden anderer.

So, nun hab ich es gesagt, und ich hoffe, das Loch, in das ich es hineingesagt habe, wächst zu, und es wachsen, wie in dem Märchen vom Prinz mit den Eselsohren, ein paar Weiden darüber, aus denen dann ein paar Instrumente gemacht werden, die das dann durch die Luft pfeifen, und es kommt da an, wo es hin soll!

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