Montag, 28. September 2015

Oh Bio mio

Vor einigen Jahren habe ich mal meine Biografie bis zum damaligen Zeitpunkt aufgeschrieben. Meine Intention lag darin, vielleicht irgendwann mal jemandem zu zeigen, was ich erlebt habe, und dass einiges nicht so einfach war. Die meisten Leute übersehen dies Jahr und behaupten, es ginge allen so. Oder sie verstehen bestimmte Reaktionen nicht, die vielleicht nur Leute haben, die schwierige Lebenssituationen hatten. Oder es entsteht ein Wettbewerb, dass natürlich der andere es noch zehnmal schwerer hatte. Die meisten Leute, auf die ich treffe, müssen ja eine entsetzliche Kindheit gehabt haben, wurden angeblich verprügelt, in den Keller gesperrt, misshandelt, missachtet, die Eltern waren Alkoholiker, geschieden, krank usw. So viele schreckliche Familien kann es in Deutschland eigentlich gar nicht geben. Vielleicht habe ich die einzigen zehn schrecklichen Familien kennengelernt, oder deren misshandelte Sprößlinge. Natürlich habe ich auch einen Menschen kennengelernt, der im Internat von Klosterschwestern geschlagen, gedemütigt und eingesperrt, von seinem Vater verprügelt und von der Mutter misshandelt wurde. Wenn das die Regel wäre, wie würde es dann in Deutschland aussehen?. Wie auch immer, ich wollte einfach auch mal meine Biografie darlegen. Nun gibt es eine blinde Frau, die Biografien schreibt. Sie hat mehrere Bücher über Menschen veröffentlicht, die etwas Besonderes erlebt haben. Diese Frau habe ich für unser Radioprojekt interviewt. Außerdem hat sie ein Seminar zu diesem Thema angeboten, wie man seine Biografie schreiben kann. Hierzu gehört auch die Vermarktung, der Stil und die Aufmachung. Da ich während des Interviews für das Seminar Werbung gemacht hatte, hat sie mir einen kleinen Teil der Seminargebühr erlassen. Das Seminar sollte an einem Samstag stattfinden. Ich fragte mich schon, wie viele Menschen da wohl kommen würden. Als wir dann auf der Treppe saßen und warteten, waren es außer mir nur zwei Leute. Die eine Frau war fast blind, lebte auf dem Lande und war sehr stark esoterisch angehaucht. Der andere Mann war doch tatsächlich der Dozent der Kursleiterin, der einmal sehen wollte, wie sie das macht. Der hielt sich ziemlich stark im Hintergrund und redete kaum mit uns. Dann klingelte mein Handy, die Seminarleiterin war dran und meinte, es habe sich jemand vor den Zug geworfen, sie würde 1 Stunde später kommen. Meine Kurs Kollegin meinte daraufhin, das sei ein schlechtes Omen. Endlich kam die Seminarleiterin, und es ging los, nachdem sie einige knapper Reihen und Wasser auf den Tisch gestellt hatte. Zunächst erklärte sie uns alles über die Vermarktung und den Stil einer Biografie, wobei es dann schon ins Detail ging, was die Formulierungen anging. Natürlich war ich mit meiner Ansicht mal wieder alleine. Der Dozent fiel ihr ab und zu ins Wort und korrigierte sie. Als ich mit ihr über bestimmte Stilmittel diskutierte, unterbrach er ebenfalls, stellte sich aber natürlich auf ihre Seite. Sie hat uns auch dargelegt, wie schwierig es für sie als Romanautorin ist, etwas zu veröffentlichen, und dass sich viele Lesereisen gar nicht lohnen, da sie nur aufwendig sind, aber kein Geld dabei herauskommt usw. Ich hatte gedacht, sie sei schon wesentlich dicker im Geschäft, aber es stellte sich heraus, dass sie noch ziemlich große Probleme hatte, in der Branche Fuß zu fassen. Dann kam die Mittagspause, wobei ich hoffte, dass alle zusammen einen Kaffee trinken gehen würden. Doch die Seminarleiterin meinte, sie wolle ihre Ruhe haben, sie wolle nicht auch noch in der Pause mit uns zusammen sein. Ich dachte, wir müssen ja nicht über das Schreiben von Biografien reden, wir sind ja nicht so lästig, dass es so wenig Spaß macht, sich mit uns auch so mal zu unterhalten. Aber sie wollte eben wahrscheinlich auch ihre Ruhe, um sich noch besser auf ihre neue Aufgabe konzentrieren zu können. Der Dozent hatte keinen Hunger, und so erbarmte sich meine Kollegin, mit mir zum Bäcker zu gehen. Endlich hatten wir einen gefunden, der ein Stück Kuchen hatte und nicht nur billige aufgebackene Teiglinge. Wir kamen ins Gespräch, und ich erzählte ihr, dass ich häufig das Pech hätte, dass Dinge, die ich kaufen wollte, ausgerechnet an diesem Tag nicht da seien. So hatte ich erst kürzlich erlebt, dass ich zwei Brownies für mich und meinen Gast kaufen wollte, und die Bäckerin mir sagte, es seien gerade jetzt ausgerechnet alle Brownies von einem Kunden vor 5 Minuten aufgekauft worden. Die andere Bäckerin hatte mir dies auffällig beipflichtend bestätigt. Außerdem hatte ich, wie ich hier in diesem Blog auch beschrieben hatte, auch schon Probleme, eine einfache Frikadelle zu bekommen, da es entweder noch keine oder keine mehr gab, oder die von mir bestellte Frikadelle gerade verbrannt sei, und ich noch mal wiederkommen musste. Ich äußerte den auch schon von anderen vorgebrachten Verdacht, dass es sich hier um Schikane handeln könnte. Sie meinte, so wie es innen aussehe, so sei es auch außen, ich würde mir dies nicht gönnen, und diese Verkäufer seien meine Arsch-Engel, die mir mit diesen Ar stritten zeigen würden, dass etwas mit mir nicht stimme, was ich ändern müsse. Außerdem schilderte ich ihr, dass ich häufig mit Menschen das Gespräch nicht beenden dürfe, denn wenn ich sage, dass ich jetzt keine Zeit mehr hätte, reden die anderen einfach weiter. Sie meinte, dass müsse man üben, das sei doch kein Problem, ich müsse mich nur besser abgrenzen. Ich erklärte ihr, dass dies nichts mit meinem Verhalten zu tun hat, sondern es offenbar irgend eine Ausstrahlung an mir gibt, die ich nicht steuern kann, auf die andere so respektlos reagieren. Wir kamen in eine heftige Diskussion, und sie behauptete, ich sei stur, und ich hätte ein zu starkes Ego, daran würde das alles liegen. Ich fand das schon ziemlich unverschämt, schließlich wollte ich nur zeigen, dass ich alles getan habe, um dieses Problem zu lösen, und es nicht an äußeren Dingen liegt sondern an irgendwelchen Feinstofflichen Dingen, auf die ich keinen Einfluss habe. Schließlich muss man an dieser Stelle ansetzen, um mir zu helfen, da es an anderer Stelle ja keinen Sinn macht. Dann ging es weiter mit dem Seminar. Ich hatte zuvor der Biografin einen Ausschnitt aus meiner Biografie zugeschickt, den wir als Beispiel bearbeiten wollten. Die andere Seminarteilnehmerin hatte nichts eingereicht. Ich hatte schon etwas Angst, denn es ging ja schließlich um mein Leben und auch um mein Inneres, welches hier diskutiert und kommentiert würde. Ich hatte auch gehofft, dass vielleicht auch jemand sieht, dass da einiges nicht sehr leicht war. Die härtesten Stellen, wo ich von meinem auch in diesem Blog beschriebenen Mobbing in der Schule oder von meiner gescheiterten Arbeitssuche, meinen Erkrankungen oder von meiner dysfunktionalen Familie erzähle, habe ich schon weggelassen aus Angst, man würde meine Schwierigkeiten wieder nicht anerkennen und bagatellisieren, was mich sehr verletzt hätte. Da nahm ich eine noch relativ harmlose Stelle, von der ich glaubte, dass sie unverfänglich sei, und dass mir hier jeder beipflichten würde, da es wahrscheinlich für alle genauso unangenehm gewesen wäre, wenn sie in dieser Lage gewesen wären. Ich dachte, hier verrate ich nicht viel spezielles über mich, was zu sehr auf meine Persönlichkeit hinweisen würde. Es war die Stelle, an der ich schilderte, dass ich mit über 20 in meinem Internat noch gehalten wurde wie ein nicht volljähriger Mensch . Ich musste um 24 :00 Uhr zu Hause sein, wobei ich mir zuvor einen Schlüssel ausleihen musste, und dies in ein Buch eingetragen wurde. Bei meiner Ankunft zu Hause musste ich mich dann auf unser Stockwerk einschließen und den Schlüssel in einen für mich nicht mehr zugänglichen Briefkasten werfen. Die Hausmutter kontrollierte dann, ob alle Schlüssel abgegeben worden waren. Die Duschen waren im Keller, sodass ich, bevor mein Stockwerk um 21:45 Uhr abgeschlossen wurde, im Bademantel und Hausschuhen zu meinem Präfekten, der obendrein auch noch mein Lehrer war, gehen musste, um zu fragen, ob ich noch den Duschschlüssel haben könnte. Zuweilen hieß es dann, es sei bereits zu spät, dass Stockwerk würde bald abgeschlossen, ich könnte jetzt nicht mehr duschen, da ich auf meinen Stock müsste. Dies fand ich damals ziemlich entwürdigend und demütigend, als fast erwachsene Frau um einen Duschschlüssel bitten zu müssen, der mir unter Umständen auch noch verwehrt werden konnte. Außerdem schilderte ich, dass wir, wenn wir nach 21:45 Uhr in den Gemeinschaftsraum außerhalb der Schlafstockwerke wollten, nur einen Schlüssel für unser Stockwerk hatten, für den dann eine Person verantwortlich war. Wenn ich noch nicht auf mein Zimmer wollte, konnte ich bei mir auf dem Stockwerk einen Gemeinschaftsraum für unsere Berufsschülerinnen besuchen, in dem auch geraucht werden durfte, der zu meinem Lieblingsaufenthaltsort wurde. Meinen Präfektinnen gefiel dies nicht, und sie tadelten mich häufig dafür, obwohl ich schon volljährig war. Der Raum sei nur für diese Berufsschülerinnen und nicht für mich. Der Dozent meinte, diese Situation sei „wenig trostreich“. Die beiden Frauen meinten, ich hätte meine Gefühle gar nicht ausgedrückt, es sei sehr distanziert geschrieben, und sie könnten meine Situation nicht ohne Weiteres automatisch verstehen. Ich sagte ihnen, dass die Situation sich doch selbst erklärt, und daher es sich erübrigen würde, dass ich meine Gefühle beschreibe. Schließlich hätte jeder in dieser Situation das gleiche Gefühl, eingesperrt zu sein, und es würde jeden empören, so wenig Freiheit selbst in seinen persönlichsten Dingen zu haben. Warum müsse ich also hier auch noch meine Gefühle schildern, dies sei doch völlig überflüssig, wo doch eigentlich klar sein müsste, was jemand in so einer Situation fühlt. Die Esoterikerin meinte, sie könne nicht nachvollziehen, warum es für mich so schlimm sei, den Duschschlüssel zu erbitten. Ich erklärte ihr, dass die Präfekten auch meine Lehrer gewesen sein, was ich in der Biografie nicht explizit erwähnt hatte. Sie meinte, ohne die Schilderung meiner Gefühle könne man mich hier nicht verstehen. Dies hat mich wirklich aufgeregt, denn wer würde gerne in so einer Situation leben. Ich sagte ihr, genauso gut könne man sagen, eine Frau, die geschlagen würde, müsse erst erklären, was sie fühlt, sonst könne man nicht verstehen, dass es ihr nicht gut ging. Sie meinte daraufhin, es gebe auch Menschen, die auf so etwas stehen. Immer werden dann die Ausnahmen herangezogen, und es wird mir nicht bestätigt, dass mein Gefühl nachvollziehbar ist. Die Biografin meinte, es dürfe doch jeder jedes Gefühl haben, es gäbe hier kein richtig oder falsch und kein normal oder unnormal, dies sei rein subjektiv, wenn ich mich so gefühlt hätte, dann dürfe ich das auch. Mich ärgerte dies, denn hier ging es nicht um ein subjektives Gefühl, als sei dies eine spezielle Macke von mir, nicht gerne eingesperrt zu sein, sondern es ging darum, dass diese Situation auch objektiv schlimm war. Immerhin waren dies die achtziger Jahre, und ich musste in diesem Alter noch hinnehmen, dass um 21:45 Uhr der Präfekt in den Gemeinschaftsraum kam und meinen männlichen Besuch wegschickte, der nicht mit auf mein Zimmer durfte. In anderen Einrichtungen gab es bereits Wohngemeinschaften, wo die jungen Leute sich selbst versorgten und als volljährige so lange weg gehen durften, wie sie es selbst entschieden. Ich kam mir hingegen so vor, als seien meine Gefühle rein meine Sache, und wenn das eben für mich als Individuum so schlimm war, dann durfte das auch so sein. Ich hatte also lediglich die Erlaubnis, dass ich so fühlen durfte, wenn es denn für mich so schlimm war. Das reichte mir aber nicht, denn genau daher hatte ich die Biografie geschrieben, um auch anderen meine Situation mitzuteilen, die dann vielleicht nachvollziehen könnten, dass ich mich in bestimmten Situationen eben genau so fühlte. Wir diskutierten noch eine Weile hin und her, und auf einmal sprang meine esoterische Kollegin auf und schrie: „du lässt dir überhaupt nichts sagen, ich gehe jetzt auf die Toilette, und wenn ich zurückkomme, dann ist diese Diskussion beendet.“ Sie beschwerte sich, dass nur meine Sachen besprochen würden, und sie zu kurz käme. Als sie zurückkam, besprachen wir schon längst wieder eine andere Stelle dieses biografischen Ausschnittes. Sie fragte die Kursleiterin, wie viel sie ihr schuldig sei, knallt ihr das Geld hin, drehte sich auf dem Absatz um und knallte die Türe zu und ging. Wir waren alle drei ziemlich betroffen. Die Kursleiterin meinte, die Frau habe ja selbst nichts mitgebracht. Wie hätte man sich dann mit ihren Themen befassen können? Zuvor hatte sie einmal angedeutet, dass sie schon als Kind „den schwarzen Mann unterm Bett gesehen hätte“, und dass sie darüber ihre Biografie schreiben wolle, damit andere, denen es ebenso ginge, Mut fassen würden. Mich beschimpfte sie, dass ich meine Gefühle verstecken würde und nichts von mir preisgeben wolle. Dabei ging es mir nicht darum, meine Gefühle nicht zu zeigen, sondern darum, dass ich es nicht duldete, dass meine Gefühle in so einer eindeutig bedrückenden und beklemmenden Situation als individuell und besonders dargestellt wurden. Ich wollte ja gerade erreichen, dass der Leser von alleine diese Gefühle hatte, die damals in mir hoch kamen, da diese Gefühle meines Erachtens die einzige logische Reaktion in dieser Situation waren. Wenn natürlich jemand darauf steht, eingesperrt zu sein, oder wenn jemand nur ein Streber ist, der sich an alle Regeln anpasst, und dem ansonsten alles egal ist, dann kann das gerne so sein. Nur das sind eben wieder die Ausnahmen. Ich war damals auch sehr strebsam und fleißig, ich war keine von denen, die dauernd Regeln brach, aber ich war in der Beziehung rebellisch, dass ich mir als fast erwachsener Mensch ist nicht mehr gefallen lassen wollte, gegängelt zu werden. Es ging mir einfach um meine Persönlichkeit und meine Privatsphäre, die hier häufig missachtet wurde. Ich hätte all dies auch heimlich tun können, was ich mir offiziell erkämpfte, aber mir ging es eben darum, die normalsten Sachen der Welt nicht heimlich tun zu müssen. Ich wollte den Segen , das Verständnis und die Erlaubnis meiner Umwelt für Dinge, die eigentlich selbstverständlich sind. Dafür den Stress auf mich zu nehmen, mich nicht erwischen lassen zu müssen, fand ich ziemlich unwürdig. Heute wäre ich da vielleicht auch pragmatischer. Da sich der Dozent offenbar auch langweilte, beendeten wir die Diskussion über meinen Ausschnitt, den ich mitgebracht hatte, und es ging wieder um Themen der Vermarktung. Da die beiden sich in eine Diskussion über Details verstrickten, unterbrach ich aber mit der Begründung, die beiden seien ja noch häufiger zusammen und könnten dies in meiner Abwesenheit besprechen, ich wolle jetzt noch etwas von dem Seminar profitieren. Ich fragte daher noch nach Veröffentlichungsmöglichkeiten, und fragte auch sie, ob ihre Bücher auch in anderer Form erscheinen würden. Sie erklärte mir noch, dass dies zu teuer sei, und sie daher keine Lust hätte, dies auch noch umzusetzen. Nach einer Weile war dann das Seminar zu Ende. Eigentlich hatte sie es für uns aufgezeichnet, und da ich mein Notizgerät für die Aufzeichnung daheim vergessen hatte, bot sie uns an, den Mitschnitt des Seminars auf ihre Homepage zu stellen und uns einen Link für den Download zu schicken. Ich hatte aber keine Lust mehr, dieses für mich relativ misslungene Seminar noch einmal Revue passieren zu lassen. Vielleicht werde ich einige der Punkte wie Stilmittel oder Ausdruck von Gefühlen noch einbauen, da dies ja offensichtlich für den Leser notwendig ist, um meine Situation besser zu begreifen. Im Moment habe ich dafür aber keine Zeit. Außerdem wird diese Biografie ja länger und länger, je länger ich lebe. Daher habe ich mich jetzt darauf verlegt, in diesem Blog zu schreiben. Hier kommen auch biografische Elemente zum Ausdruck, aber es geht auch um kleinere Beegebenheiten des Alltags. Dies war zumindest eine davon.

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