Sonntag, 21. Februar 2016

Verrückte Züge

Seit einem Jahr schlafe ich maximal 5 Stunden. Da bin ich schon froh, wenn das klappt. Nachts wache ich oft auf und schlafe nicht mehr ein. Vor meinen Augen habe ich häufig grelles Licht in Rosa auf der einen und in Gelb oder Blau auf der anderen Seite. Manchmal wache ich auf, und das ganze Zimmer ist taghell, und ich bin durcheinander. Neulich war ich so verwirrt, dass ich aufstehen wollte, um den Computer auszuschalten. In den Ohren hatte ich ein Surren. Ein paar Nächte später bin ich aus dem Bett gesprungen und rannte im Zimmer umher, es war vor meinen Augen taghell, und ich wollte den Fernseher ausschalten. Dann ging ich wieder ins Bett zurück, und das Licht vor meinen Augen ging wieder aus. Ich fand dies ziemlich beängstigend. Ein paar Mal im Jahr habe ich ja immer nachts diese Zustände, wo ich aufwache, mir schlecht wird, ich durcheinander bin, und auf einmal, beginnend mit der Zunge, alles pelzig wird. Dann kann ich nicht mehr einschlafen. Es wurde ja schon kontrolliert, ob ich eventuell nächtliche Epilepsie habe, da dies zu meinem Syndrom gehören könnte, weil auch mein Bruder Epilepsie hat. Aber man konnte bei mir mal wieder nichts feststellen, und seit Jahren wird behauptet, dies seien Panikattacken. Daran glaube ich nicht so ganz, denn diese Anfälle treten immer dann auf, wenn ich etwas Falsches gegessen habe, etwas eingenommen habe, was ich nicht vertrage, nicht lange genug geschlafen habe, was ja jetzt wohl häufiger vorkommt, oder wenn ich mich überanstrengt habe. Außerdem treten diese Attacken immer aus dem Schlaf heraus auf und beginnen mit einer Art Aura, wobei ich dann merke, dass jetzt etwas passieren wird. Seit neuestem habe ich auch noch das Phänomen, dass ich an der Wand rosa und grüne geometrische Figuren sehe. Zuerst bin ich furchtbar erschrocken, habe die Augen geschlossen undden Kopf schnell weggedreht. Ich fand auch dieses Phänomen extrem beängstigend. Nach einer Weile sah ich dann auf einmal Schriftzüge wie von einem Computer an der Decke. Die Schrift war weiß, wie es auch bei meinem Computer der Fall ist, den ich auf hohen Kontrast und Negativdarstellung eingestellt habe. Ich fand dies ziemlich gruselig. Zuweilen sahen die Zeichen aus, als seien sie von einem Periodensystem oder von einer Abfahrtstafel, wie man sie an Bahnhöfen findet . Die Zahlen waren ebenfalls weiß auf schwarzem Grund. Ich fand dies ziemlich unheimlich. Als dies das nächste Mal geschah, hatte ich das Gefühl, als ob der Bildschirm dieser Abfahrtstafel schräg stünde und direkt über mir schwebte. Ich konnte ihn förmlich spüren, ich dachte, er würde gleich herunterkommen und mich erschlagen. Ich empfand dies als sehr bedrohlich. Ich dachte, wenn ich das nächste Mal in die Gedächtnisambulanz gehe, muss ich denen dies sagen, vielleicht bin ich mittlerweile schizophren oder habe eine Psychose. Auch bei Demenz, die ich bei mir vermute, da ich extrem vergesslich geworden bin, gibt es solche Halluzinationen, oder das Phänomen, dass Menschen nachts verwirrt sind und umher laufen und glauben, etwas Bestimmtes tun zu müssen. Als ich mehr darüber nachdachte, da ich schon fürchtete, diese Abfahrtstafel würde sich irgendwann mitten am Tag mir in den Weg stellen, und ich würde mich nicht mehr weiter zu gehen betrauen, wurde mir Angst und Bange. Mir fiel aber ein, dass eines meiner Blutdruckmedikamente, das den Wirkstoff Dihydralazin enthält und mit Herstellernamen Nepresol heißt, psychische Ängste hervorrufen kann. Die Dosis musste noch einmal erhöht werden, da der Blutdruck wieder gestiegen war. Bereits im Krankenhaus, wo ich noch schlechter schlief als sonst, bin ich einmal fürchterlich erschrocken, da ich, als mich ein Pfleger zur Dialyse vor, hinter mir auf einmal jemanden reden hörte, der nur "tsetse" sagte. Ich hatte auch irgend ein Gemurmel in der Nacht gehört, wobei ich nicht verstand, was dies bedeutete, und dass irgendwann vielleicht die Sätze verständlich würden und mir irgendetwas sagen wollten. Ich kam also jetzt zu dem Schluss, dass durch diese Tablette wahrscheinlich das Flimmern vor den Augen sich zu Gestalten bildete. Außerdem sehe ich häufig beim Aufwachen dicke schwarze Punkte vor mir. Diese formen sich dann unter Einfluss von Ängsten zu einer Gestalt oder einem Gegenstand. Und das löst dann den Schrecken aus. Das Gehirn ergänzt sozusagen die Muster zu einem sinnvollen Ganzen. Als ich mir dessen bewusst wurde, und mir dies klar war, hatte ich weniger Angst. Einmal habe ich versucht, nach dieser Abfahrtstafel zu treten, und dann sprang sie auf die andere Seite. Ich dachte wirklich, jetzt bin ich verrückt. Wenn ich aber jetzt diese Tafel sehe, weiß ich, dass dies nur ein Trugbild vor meinen Augen ist, da sich das Gehirn dann den Rest dazu ausdenkt. Und sofort lösen sich die Zahlen wieder in Flimmern und Punkte auf. Es gibt eine Erkrankung mit Namen Charles-Bonnet- Syndrom. Es könnte sein, dass ich unter einer Form dieser Störung leide. Wenn man erblindet, hat die Sehrinde nichts mehr zu tun und produziert sozusagen ihr eigenes Kopfkino. Das geschieht analog zu den Phantomschmerzen bei fehlenden Gliedmaßen. Es gibt aber auch die Theorie, dass benachbarte Hirnareale die unterbeschäftigte Sehrinde im Gehirn mit stimulieren, und sie für ihre Zwecke benutzen wollen, und dann diese Bilder entstehen. So genau habe ich diese Theorie noch nicht verstanden. Wenn man dann auch noch Tabletten nimmt, die Ängste auslösen können, können sich wahrscheinlich dadurch ziemlich verrückte Gestalten ergeben. Ich hoffe einmal, dass es nur dieses harmlose Syndrom ist. Wäre ich wirklich schizophren, würde ich einen Sinn in diesen Gestalten sehen und mir einreden, dass diese Gestalten etwas Böses wollen, oder dass sie mir etwas sagen möchten. Meistens kann ich aber die Worte, die darauf stehen, gar nicht entziffern. Vielleicht wäre das noch gekommen. Irgendwann fing ich an, der Sache etwas Komisches abzugewinnen. Die Vorstellung, von einer Abfahrtstafel bedroht zu werden, ist wirklich absolut abgefahren im wahrsten Sinne des Wortes. Ich stellte mir folgende Szene vor: Ich gehe zu einem Psychiater und erzähle ihm, dass ich von einer Abfahrtstafel bedroht werde, die über meinem Bett hängt und mich erschlagen will. Er würde mir dann sagen, dass dies nicht sein könne, und dass es keine Abfahrtstafel über meinem Bett gibt, und ich verrückt sei. Das nächste Mal komme ich dann wieder zum Psychiater mit einem gebrochenen Bein. Er fragt mich, woher ich denn die Verletzung habe. Ich würde ihn dann sagen, dass ich aus lauter Wut nach der Abfahrtstafel getreten habe, und mir dabei das Bein gebrochen habe. Dem Psychiater entgleisen die Gesichtszüge wie neulich die beiden ICs. Und er würde dann sagen: „in meinen 25 Dienstjahren ist mir noch kein Patient begegnet, der von einer Abfahrtstafel bedroht wird, und der dann nach ihr tritt und sich tatsächlich ein Bein bricht.“ Diese Vorstellung ist so komisch, dass ich jedes Mal lachen muss. Es hat auch eine wirklich komische Seite, verrückt zu werden. Ich muss aber endlich von all diesen vielen Blutdrucktabletten herunter, bevor der Watschenbaum noch völlig umfällt. Auf jeden Fall werde ich dies in der Gedächtnisambulanz erwähnen und hoffe, dass ich nicht tatsächlich verrückt bin.

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