Sonntag, 20. Dezember 2009

Oper mit Beschreibung

Es gibt ja schon seit 20 Jahren Filme mit Bildbeschreibung für Sehgeschädigte (Sehbehinderte und Blinde), Audiodeskription genannt. Nun gibt es auch Hörtheater und seit Neuestem auch die Oper mit Bildbeschreibung. Hierbei erhalten Sehgeschädigte einen Kopfhörer und bekommen alles, was nicht hörbar ist, live eingeflüstert, wie z.B. Bewegungen, Bühnenbild, nichtsprachliche Handlungen etc. Die Texte werden von einem Gebärdendolmetscher für Schwerhörige in Gebärdensprache übersetzt.

Hier kommt nun ein Artikel, den mein ebenfalls blinder Bruder, seines Zeichens studierter Kirchenmusiker, über sein Opernerlebnis geschrieben hat:


Eine glänzende Idee großartig verwirklicht

barrierefreie Opernvorstellung von Il Trovatore im Staatstheater Wiesbaden

Ich sitze mit einem Freund in der frankfurter oper. Es gibt Salome von Richard Strauss. Es herrscht bereits seit einer minute völlige Stille. "Wann fangen die endlich an" frage ich meinen Freund. "sind Sie doch still" herrscht mich ein Mann auf den Nachbarplätzen an. Ich konnte ja schließlich nicht wissen, daß diese Stille Teil der Inszenierung ist. Solche und ähnliche Mißverständnisse gab es am Samstag den 05.12. im Staatstheater Wiesbaden nicht. Von freundlichen Helfern wurden wir aufgefordert uns zur Ausgabe der Audioführer, kleinen Kästchen mit angeschlossenem kopfhörer anzustellen. Nach dem Aufsetzen meines kopfhörers höre ich eine sympathische Frauenstimme. Es ist die Stimme der Filmbeschreiberin Anke Nicolai, die mir die Örtlichkeiten beschreibt. Ich gewinne einen Eindruck des mir als großartig beschriebenen Foyers. Ich kann im Zuschauerbereich auf und ab gehen während mir mein elektronischer Guide erklärt, wo ich mich befinde. Im Restaurantbereich wird mir die gesamte Speise- und Getränkekarte vorgelesen. Dann gehts zum Betasten der Gewänder, Masken und Perrücken. alles genau mit Punktschrift beschriftet. So erfahre ich, daß Leonora in jedem Akt anders angezogen und frisiert ist. Ein Herr teilt mir mit, er sei Manrico. Ich will natürlich gleich mit meiner Kenntnis glänzen und frage ihn: "Werden Sie bei der Stretta das hohe C singen?" "Nein, ich singe gar nicht. Ich bin nur das Dubel. Ich muß mich als Manrico am Schluß aufhängen lassen. Das macht der Sänger nicht." Anschließend gehts auf die Bühne. Wir dürfen das Bühnenbild, das aus Wellblechtürmen besteht anfassen. Ich bin beeindruckt von der Größe der bühne. Anschließend wird uns die Werkstatt der Bühnenmahler gezeigt. Wir fassen die riesigen Pinsel an, die so groß wie lange Besen sind. Dann werden wir aufgefordert uns mit Programmen in Punktschrift einzudecken. ich lese zum ersten mal ein Theaterprogramm und bin von dem gut lesbaren Stil begeistert. Nachdem wir uns mit einem Getränk und einer Bretzel erfrischt haben, hören wir eine Einführung in das Werk von einem der beiden für die Aufführung verantwortlichen Dramaturgen Serge Honegger. Wir setzen uns auf unsere Plätze. Zunächst werden wir über kopfhörer mit Ausschnitten aus der Oper mit Maria Callas auf die Aufführung eingestimmt. Dann stellt uns Anke Nicolai die Mitwirkenden vor. Wir werden darüber informiert, daß der Darsteller des Ferrando Hye-Soo Sonn erkältet ist, aber trotzdem die Vorstellung singen wird. Man hörte es ihm nicht an. Zunächst werden wir vom Intendanten Herrn Beilharz und dem Sozialdezernenten der Stadt Wiesbaden begrüßt. Dann beginnt die Vorstellung. Die Informationen von Frau Nicolai sind hilfreich aber dezent genug, den musikalischen Fluß nicht zu stören. Durch die Teilhabe am Bühnengeschehen empfinde ich im Gegensatz zu manch anderer Opernvorstellung keinerlei Längen, und die Zeit vergeht im Flug.

Der Dirigent Wolfgang Ott lässt das Wiesbadener Opernorchester mit Brio musizieren. Die Sänger sind zum großen Teil hervorragend. Vor allem die Amerikanische Mezzosopranistin Jeniece Golbourne als Azocena überzeugte durch eine makellose Technik und dramatischen Verve. Ebenso hervorragend war Graf Luna mit dem chinesischen BaritonTito You besetzt, während der Tenor Luis Chapamit technischen Problemen zu kämpfen hatte. Alles in allem war es jedoch ein gelungener Opernabend, der auch weniger Opern interessierte Blinde und Sehbehinderte auf Grund der Audiodeskription angelockt hatte. Die Nächste barrierefreie Opernaufführung für Blinde und Sehbehinderte wird die Zauberflöte im Theater Heidelberg sein. Es bleibt zu hoffen, daß noch viele solcher opernaufführungen folgen und so manchen Opernmuffel von der Schönheit dieser Gattung überzeugen.


Ob mich dieser Artikel vom Opernmuffel zum Opernfan bekehren wird und mich auf den Geschmack bringt, weiß ich nicht so ganz. Aber für alle, die die Oper sowieso lieben und ein Mehr an Genuß und Informationen dazu haben möchten, ist dies eine geniale Einrichtung, die die Teilhabe behinderter Menschen am kulturellen Leben noch stärker und besser ermöglicht.

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