vor einigen Jahren gab es die Möglichkeit, dass behinderte
und nicht behinderte bei einer speziell dafür geschulten Theaterpädagogin
lernen könnten, Theater zu spielen. Leider war dies zu weit weg, sodass meine
Taxikilometer sonst zu schnell aufgebraucht wären, und die Fahrt mit
öffentlichen Verkehrsmitteln gestaltete sich extrem umständlich.
Im letzten Jahr eröffnete sich dann die Möglichkeit, dass
bei uns am Staatstheater ein Club gegründet wurde, da eine Mutter einer Tochter
mit geistiger Behinderung auf diese Theaterpädagogin zugegangen war und
nachgefragt hatte, ob sie nicht ihrer Tochter, die so gerne einmal Schauspielern
würde, die Möglichkeit bieten könnte, einen inklusiven Theaterclub zu eröffnen.
Im selben Moment kam die Leitung der theaterpädagogischen Abteilung des
Staatstheaters auf diese Theaterpädagogin zu und bot ihr an, einen Club für
behinderte und nicht behinderte zu gründen. Dies erfuhr ich, weil ich diese
Theaterpädagogin über ihr Stück in der weiter weg gelegenen Stadt interviewt
hatte, da wir auch bei unserem Radiosender in unserer Redaktion für blinde und
Sehbehinderte dafür Werbung machen wollten.
So dachte ich, jetzt ist der Club etwas näher gerückt, jetzt
könnte ich doch mitmachen. Die ersten Male gestalteten sich recht schwierig, da
ich die Räumlichkeiten überhaupt nicht kannte und auch nicht die Leute, die
mich umgaben. Aufgrund meines schlechten Sehens und ebenso schlechten
Gedächtnisses hatte ich Mühe, mir die Stimmen der Leute einzuprägen. Dazu kam
noch, dass die Räumlichkeiten sich öfter mal änderten, da wir am Anfang auf
verschiedenen Bühnen spielten, und diese Bühnen außerdem öfter mal durch andere
Kulissen anders gestaltet waren, da die Stellwände jedes Mal anders standen.
Irgendwann hatten wir dann auch endlich unseren festen Raum, der auch relativ
hell war, in dem wir dann immer probten.
Es stellte sich heraus, dass ich einige Leute bereits
kannte, da meine ehemalige Taxifahrerin sowie ein Teilnehmer der Gruppe, der
auch in der anderen Gruppe bereits mitmachte, anwesend sein würden. Das hat
mich sehr gefreut, so war ich nicht ganz allein. Auch kannte ich die Mutter der
einen Frau mit Behinderung , da ich einmal ehrenamtlich für Flüchtlinge
Deutschunterricht gegeben hatte, wobei diese Frau die Koordinatorin des
Ehrenamtes unserer Stadt ist und daher mit mir bereits vorher Kontakt hatte.
Somit schloss sich der Kreis, der sich bis dahin gebildet hatte.
Zu Anfang musste sich die Gruppe erst mal zusammenfinden,
wobei wir uns immer mit Namen anrufen
und dabei klatschen sollten, und ich dabei große Mühe hatte, da ich die
Leute gar nicht kannte. Es wurde uns gesagt, dass wir immer dann, wenn wir ein
Problem hätten oder Hilfe bräuchten, Bescheid geben könnten. Ich bat mehrfach
darum, dass, wie bei unseren Veranstaltungen des Blindenverbandes üblich, erst
einmal alle rundherum ihren Namen sagen, oder die Namen der Teilnehmer kurz
vorgelesen werden. Es war schwierig, dies immer wieder zu erbitten oder
einzufordern, da jedes Mal sofort mit dem Klatschen begonnen wurde mit der
Begründung, ich würde ja dann hören, wer da ist. Ich konnte aber von vornherein
erst einmal niemanden anrufen, da ich ja nicht wusste, wen ich nennen konnte,
da mir ja nicht bekannt war, wer da ist. Die Taxifahrerin meinte, ihr ginge es
doch genauso, was eigentlich ein Grund mehr gewesen wäre, dies zu ändern, da
man sich eigentlich an den Bedürfnissen der schwächsten Teilnehmer orientieren muss, und damit
eigentlich die Bedürfnisse aller erfüllt sind. Nach einer Weile konnte ich mir
aber doch die Namen einprägen, und es wäre dann nicht mehr ganz so wichtig,
erst einmal eine Namensrunde zu starten. Zu Anfang bestand noch eine hohe
Fluktuation, dadurch war es noch schwieriger, sich alle Leute einzuprägen, denn
einige kamen , und neue gingen, und andere gingen, und neue kamen usw. Bis sich
dann die ganze Gruppe formiert hatte, und bis dann alle, die wirklich an dem Theaterstück
teilnehmen wollten, da waren, und sich ein stabiler Kern gebildet hatte,
vergingen einige Stunden.
Zuerst einmal wurden Ideen gesammelt, was wir denn spielen
wollten, was jeder einbringen wollte, was jeder an Fähigkeiten besaß, und
welche Arten von Stücken Mann machen wollte. Einige wollten ein Musical machen,
andere wollten, wie zum Beispiel ich, etwas zur Lage der Politik oder zum Thema
Behinderte oder etwas kritisches machen, andere wiederum interessierten sich
mehr für Märchen, oder einige wollten eine Sagengestalt oder eine Märchenfigur oder eine Comicfigur spielen. Diese Ideen wurden
zunächst einmal gesammelt.
Ich hatte dann ziemlich große Bedenken, ob ich wirklich in
diese Gruppe passen würde, und ob ich auch wirklich würde spielen können.
Während eines Telefonats mit der Theaterpädagogin eröffnete mir diese, dass sie
bereits ein Märchen im Hinterkopf hätte, und sie hätte mir im Kopf bereits die
Hauptrolle zugedacht, da es um einen Prinzen ginge, der im Laufe des Stücks blind
würde, und daher wäre ich für diese Rolle prädestiniert. Ich wollte zum einen
nicht mit jemandem bereits vorher ausmachen, wer die Hauptrolle spielt, und zum
anderen dachte ich, nur, weil ich blind bin, macht mich das noch lange nicht zu
einem geeigneten Träger einer solchen Rolle, denn Blindheit ist nicht das
einzige Merkmal, das ich besitze. Ich lese ja auch nicht Homer oder höre Stevie
Wonder, weil sie blind sind. Außer der Tatsache und dem Umstand, dass ich nicht
sehen konnte, hatte ich ja mit dieser Figur sonst nichts gemein. Aber die
Blindheit ist immer der Hauptstatus, den eine Person besitzt. Die Begründung
lautete, ein anderer müsse ja erst blind spielen lernen, wohingegen ich das
bereits konnte, daher würde man nicht mehr wie früher die Menschen braun
anmalen, sondern man würde dunkelhäutige Menschen nehmen, und so würde man das
auch bei blinden machen.
Ich hatte mich einmal für eine Rolle beworben, wo eine
blinde Frau für einen Film gesucht
wurde, was ich auch hier in diesem
Blog geschildert habe.
Davon habe ich übrigens nichts
mehr gehört, aber da macht es auch Sinn, nicht erst eine sehende Schauspielerin
zu trainieren, dass sie blind spielen sollte, in diesem Falle hingegen war es
ja eine Statue, die sich sowieso nicht bewegt, und wo es nicht nur primär um
das Thema Blindheit ging, sondern lediglich die Blindheit ein Symbol dafür war,
dass alle Reichtümer für die Armen geopfert wurden, unter anderem auch das
Sehvermögen.
Es war dann
allerdings schwierig, eine andere Rolle für mich zu finden, wir durften auch
alle Rollen erst einmal ausprobieren und sozusagen anziehen, ob sie uns passen.
Ich spielte einmal den armen Schneider, aber ich eignete mich nicht sonderlich
gut, da ich schlichtweg nicht unterwürfig genug war, denn der Geldeintreiber würde
kommen, und wir hätten ihn bitten müssen, uns noch einige Frist zu gewähren,
und ich bin nicht der Typ, der sich gut unterwerfen kann. Auch war ich viel zu
klein, um eine solche Rolle auszufüllen, denn ein Mann ist nun mal deutlich
größer als ich, und die damalige Rolle der Mutter, die zusätzlich auch noch
gehbehindert war, wäre wesentlich größer gewesen als ich, und wir beide hätten
nicht zusammen gepasst und konnten zusammen nicht gut spielen.
Ich hätte gerne die Schneiderin gespielt, denn das wäre mal
eine ganz normale Person, die weder behindert noch sonst irgendwie seltsam war,
wie ich sonst bin, aber es eignete sich dann eine andere Person dafür, die Frau
mit der Gehbehinderung war dann eines der Mädchen, die Streichhölzer verkaufte,
und die Mutter wurde dann von der Taxifahrerin gespielt.
So fanden sich dann alle Rollen , und am Ende konnte jeder
in seine Rolle buchstäblich hineinwachsen, was man förmlich sehen konnte. Am Anfang
wurden uns die Rollen verlesen, und es
gab einige Enttäuschungen, aber am
Ende war jeder meines Erachtens mit seiner Rolle gut zusammengewachsen.
Es stellte sich dann heraus, da ich ja Gitarre und Querflöte
spielen kann, und da ich aufgrund meines schlechten Gedächtnisses schlecht
auswendig lernen kann, dass ich mich am besten für die Rolle der Erzählerin und
Musikerin eignen würde. Ich hatte noch einige Rollen ausprobiert, bei denen man
sich aber zu viel auf der Bühne hätte bewegen müssen, und eine Schwalbe mit
Blindenführhund hätte sich jetzt wirklich nicht sonderlich gut auf der Bühne
gemacht. Daher blieb mir die Rolle, zwischen den einzelnen Szenen Musik zu
machen und währenddessen kurz die Überleitungen von einer Szene zur anderen herzustellen.
Durch meine Radioerfahrung und auch durch meine Therapie,
die ich wegen meiner Heiserkeit einmal bei einer Atem-Sprech-Stimmtherapeutin
gemacht hatte, und die mir damals enorm viel Spaß machte, hatte ich schon einige
Erfahrung darin sammeln können, wie man deutlich und laut sprechen kann. Ich
hatte mich einmal für die Ausbildung zur
Atem-Sprech-Stimmlehrerin beworben, aber man hatte mich aufgrund meiner
Blindheit abgelehnt, und die blinde Lehrerin, die dort unterrichtete, sei laut
meiner damaligen Sprechtherapeutin herausgemobbt worden. Außerdem wollte ich ja
einmal Sprechwissenschaften studieren, aber man hat mich durch die
Eingangsprüfung durchfallen lassen. Aber schon aufgrund meiner
Fremdsprachenkenntnisse, da ich ja Übersetzerin bin und dies auch studiert
habe, habe ich ein Talent dafür, richtig sprechen zu können, da wir ja viel
über Phonetik und Aussprache wissen. Das war sozusagen meine Mitgift, mit der
ich in die Sache einsteigen konnte. Seit meinem zwölften Lebensjahr spiele ich
Gitarre, und ich konnte meine Kenntnisse relativ gut reaktivieren und sogar
ziemlich ausbauen. Das viele Üben in der Zeit hatte mir einiges gebracht.
Querflöte habe ich auch mal gelernt, allerdings bin ich da nicht sonderlich
weit gekommen, aber für die musikalische Darstellung einer Schwalbe reichte es
noch. Leider konnte ich mit der Querflöte keine Melodien spielen, denn das
hätte die Dialoge auf der Bühne übertönt.
Eine große Herausforderung war auch, mit den anderen zusammen zu spielen, denn das
konnte ich nicht mit dem Sehen
bewerkstelligen, so konnte ich meine Einsätze nicht wirklich gut
wahrnehmen. Somit mussten einige Signale ausgemacht werden, zum Beispiel tippte
mir die Schwalbe beim Vorbeifliegen auf die Schulter, wenn ich aufhören sollte
zu spielen, und am Ende machten wir aus, dass ich einfach zwei Tonleitern
spiele, bis es weitergeht. Einige der Mitspieler haben aber manchmal ihre
Einsätze verpasst, sodass ich einige einzelne Töne absonderte, damit sie
wussten, dass sie dran waren.
Es waren Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen
dar, eine Frau im Rollstuhl, einige mit kognitiven Einschränkungen, eine Frau
mit Migrationshintergrund, die sprachlich leicht eingeschränkt war durch ihren
Akzent, einige ältere Leute oder Menschen aus Selbsthilfegruppen mit chronischen
Erkrankungen. Auch ein Nichtbehinderte hatte sich in diese Gruppe verirrt, da
er früher einmal versehentlich bei einem Kochkurs war und im Fachbereich
behinderte und nicht behinderte der Volkshochschule gelandet war, dabei aber
festgestellt hatte, dass er keine Berührungsängste mit behinderten hatte. Er
hatte schon ein gerüttelt Maß an Erfahrung im Schauspielen. Auch eine junge
Sozialpädagogin war da, die diese Erfahrungen für ihre weitere Arbeit in diesem
Fach bestimmt gut brauchen kann. Ich stellte leider fest, dass ich mit meiner
Behinderung, einer Sinnesbehinderung, diejenige war, die am meisten Hilfe
benötigte. Während jemand mit Rollstuhl sieht, wo er hin fährt, aber halt dann
eben mit der Kirche ums Dorf fahren muss, um ins Haus zu gelangen, musste ich
bei jedem Schritt begleitet werden, weil ich nicht sehen kann, wo ich
hinlaufen muss in unbekannter Umgebung. Es war auch ein Reporter da, der mit
allen ein Interview führte. Der Artikel erschien, und über mich, die ich
ihm erzählte, dass ich bei einer Redaktion für
Blinde und Sehbehinderte bin, und dass ich als Diplomübersetzerin keiner
Stelle erhielt und so Ausgrenzung erfahren hatte, stand nur drin, dass die anderen bei mir sehr viel Rücksicht
nehmen müssen , wenn wir frei im Raum herumliefen, um Kollisionen zu vermeiden. Es lebe das Stereotyp, das hätte er auch
ohne Interview über mich schreiben
können. Vielleicht hatte er bemerkt, wie
unbeholfen ich im Raum umher gelaufen war.
Da war dann das, was ich
inhaltlich gesagt hatte, nicht mehr von Relevanz.
Die Leute in der Gruppe waren recht hilfsbereit.
Zwischendurch lief es sogar so, dass jeder mich einfach einmal mitnahm, ohne
viel Aufhebens daraus zu machen. Am Ende lief es darauf hinaus, dass die
älteste Mitspielerin jedes Mal dastand, um mir zu helfen.
Zu Anfang wurde das Stück so entwickelt, dass wir drei
Kreise erdachten, innen sind die Menschen, die keine Behinderung haben, und
außen diejenigen, die behindert oder aus anderen Gründen ausgeschlossen sind.
Bei der Integration sind dann einige der behinderten auch im Innenkreis, und
bei der Inklusion sind alle innen. Daher haben wir erst einmal einige Szenen
durchgespielt, in denen wir ausgeschlossen wurden. Ich habe mir zum Beispiel
eine Szene ausgedacht, in der ich die Regisseurin war, wo die gehbehinderte
Frau viele Stufen zu einem Denkmal hochgehen wollte, und die Leute sie mit
aller Gewalt davon abhielten, unter anderem mit den Bemerkungen, was soll denn
eine gehbehinderte hier oben, wollen die denn jetzt schon überall hin. Oder wir
spielten die Szene, wo ein Mann mit Stützen umfällt, und alle laufen vorbei,
und er schreit um Hilfe und schimpft wütend hinter den Leuten her, die nicht
helfen und ihn einfach liegen lassen. Zunächst einmal wollten wir ein Bild
schaffen, in dem die reichen Menschen, die im Schloss lebten, ihnen waren, und
die anderen außen herumliefen, plötzlich gehen die Schirme auf, die von den
Menschen, die ihnen sind, aufgespannt vor sich her gehalten werden, sodass die
anderen nicht einmal mehr sehen, was drinnen vorgeht, und sich sozusagen die
Reichen oder die bessere Gesellschaft buchstäblich abschirmt. Dieses Bild
konnten wir dann leider nicht mehr im Stück integrieren, da im weiteren Verlauf
diese Szene nicht mehr richtig reinpassen wollte.
Das Stück hieß der glückliche Prinz von Oskar weilt, und es
ging darum, dass ein Prinz, der wohlbehütet in einem Schloss lebte und völlig abgeschottet
von der Außenwelt sein Vergnügen hatte, dann aber tot umfällt und als Statue
aufgestellt wird. Dort sieht er dann das Elend der Stadt, was er dann einer
Schwalbe erzählt, die nicht mit den anderen in den Süden geflogen war, da sie
sich in ein Schilfrohr verliebt hatte, welches einfach nicht mitfliegen wollte. Die Schwalbe war
zunächst nicht sonderlich interessiert an den Geschichten des Prinzen, aber der
überredete sie nach und nach, Gold und Edelsteine von ihm abzuzupfen und unter
die arme Bevölkerung zu bringen. Da wäre zum Beispiel eine Schneiderfamilie mit
einem kranken Kind, und der Wucherer kam, um Ihnen sozusagen als Pfand das
letzte Feuerholz wegzunehmen, da sie die Schulden nicht zahlen konnten. Die
Schwalbe sollte Ihnen einen Ruppin bringen. Dann gab es die alte Frau, die
unbedingt noch einmal, bevor sie sterben würde, ihre Kinder sehen wollte, sich
aber die weite Reise nicht leisten konnte, und der wurde ein Saphir gebracht,
wobei die Schwalbe dem Prinzen ein Auge herausreißen musste. Das zweite Auge,
auch ein englischer Saphir, ging dann an zwei arme Kinder, die auf der Straße
saßen und Streichhölzer verkauften und erbärmlich froren, denen aber sämtliche
Streichhölzer in eine Pfütze gefallen waren, weswegen ihr Vater sie zu Hause
verprügeln würde, wenn sie ohne Geld nach Hause kämen. Auch denen überreichte
die Schwalbe den Edelstein, und ungläubig nahmen sie ihn entgegen. Dann wurde
noch das Gold von der Statue abgezupft , um es großzügig unter allen zu
verteilen, die dann glücklich umhertanzten. Die Schwalbe war mittlerweile krank
vor Kälte und völlig erschöpft, und sie starb, aber zuvor nahm sie noch
Abschied vom Prinzen, was eine sehr berührende Szene war, und jedes Mal kamen
uns fast allen die Tränen. Dann trat der Wucherer auf und sagte, er wolle nun
die Statue einschmelzen und seine eigene Statue hinstellen, was er versuchte,
seinem Gehilfen klarzumachen, dem jedoch alles völlig egal war, dessen
Aufmerksamkeit nur einer Schwalbe galt, die tot am Wegesrand lag. Die Statue
und die Schwalbe wurden zu der Schmiede des Wucherers geschleppt, und alles,
was von der Statue übrig war, war ein gebrochenes nicht mitgeschmolzenes Herz.
Dies wurde mitsamt der Schwalbe auf den Abfall geworfen, und dann standen alle
Menschen der Stadt herum und erzählten einander von dem großen Glück, welches
der Prinz und die Schwalbe über sie gebracht hatten, wobei sie sich nicht so
recht freuen konnten, denn schließlich hatte der Prinz sein Augenlicht gegeben
und war wie die Schwalbe auch an gebrochenem Herzen gestorben, und nichts mehr sonst
war von der Statue übrig geblieben. Da kam dann noch einmal die Erzählerin ins
Spiel, die den Leuten erklärte, dass zwei Engel gekommen waren und auf Geheiß
Gottes das Herz des Prinzen und die Schwalbe in den Himmel gebracht hatten, das
kostbarste , was diese Stadt zu bieten hatte. Das war der Lohn und dank für die
große Opferbereitschaft des Prinzen und der Schwalbe, die sich von einem
kleinen egozentrischen Ding zu einem herzlichen und liebevollen Geschöpf
entwickelt hatte. Ich fand das schön, dass wir ein ganzes Stück aufführten,
denn ich mag diese Collagen nicht, die nur aus irgendwelchen Sprechchören oder
einzelnen Szenenfragmenten zusammengesetzt sind.
Das Bühnenbild war für mich etwas gewöhnungsbedürftig, denn
die Leute mussten eingefroren in einer bestimmten Position verharren, zum
Beispiel musste die alte Frau mit dem Kopf auf dem Tisch liegen, was ich
fürchterlich fand. Dies war sozusagen das Bild der Menschen, die nur dann auftauten
und zum Leben erwachten, wenn sie dran waren.
Wenn ich an unseren Spielort kam, mussten wir erst einmal
alle meine Sachen irgendwohin packen, irgendjemand nahm mir dann Gitarre,
Handtasche, Rucksack, Jacke und Stock ab, wobei ich dann darauf angewiesen war,
dass mir irgendjemand wieder half, alles wiederzufinden, da es überhaupt keine Möglichkeiten gab,
irgendetwas fest irgendwo zu deponieren,weil es nur offene
Plätze gab. Dies bereitete mir
extrem große Mühe. Die Leute waren zwar, wie gesagt, sehr hilfsbereit, aber es
war für mich sehr mühsam, immer auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, und
zum Beispiel immer wieder jemanden zu suchen, der mich von der U-Bahn abholt
oder wieder dorthin bringt. Stück für Stück lernte ich den Weg, der ziemlich
verwinkelt war und wenig Leitlinien aufwies. Am Ende war dieser Weg sowieso
hinfällig, denn aufgeführt wurde das Stück wieder an einer anderen Stelle und
einem anderen Bühneneingang. Somit musste ich wieder jemanden organisieren, die
mich an der U-Bahn abholt, und das war eine sehr nette junge Frau mit leichten
kognitiven Einschränkungen, die in einem Kindergarten arbeitet, und die diese
Aufgabe bereitwillig erfüllte. Auf dem Rückweg fragte ich immer wieder
jemanden, ob er mich mitnimmt, fand auch oft jemanden, aber sehr häufig brachte
mich auch einfach die älteste der Gruppe, die eigentlich gar nicht dorthin
musste, zur U-Bahn, wobei sich aber irgendwann herausstellte, dass sie ein
Stück mit mir mitfahren und somit auch etwas davon haben konnte.
Es dauerte ziemlich lange, bis wir alle unseren Text
beherrschten, und bis es klar war, wer wo zu stehen hatte, und ich hatte große
Bedenken, unter anderem auch die ältere Dame aus der Gruppe, dass wir das je
schaffen würden. Denn die Zeit war sehr knapp geworden, weil wir uns ja am
Anfang erst einmal zusammenfinden mussten, ziemlich viele gruppendynamische
Prozesse und Übungen durchlaufen mussten, um zusammen zu kommen, uns mit
unseren Rollen vertraut zu machen, überhaupt einmal zu lernen, wie man sich auf
der Bühne bewegt und einander kennen zu lernen. Ich hatte vorgeschlagen, dass
wir unsere Rollen doch bitte vor Weihnachten schon bekommen sollten, denn es
würde noch eine Weile dauern, bis wir sie auch wirklich auswendig lernen
würden. Zunächst hieß es, die Rollen bekämen wir im neuen Jahr, jeder soll erst
einmal jede Rolle ausprobieren, dann könne sich jeder entscheiden. Letztendlich
sei ja dann auch die Theaterpädagogin für die Besetzung
verantwortlich, die ja schließlich am
meisten davon versteht. Beim nächsten Mal kam sie dann und meinte, wenn wir
noch alle Kostüme ausprobieren wollen und ziemlich viel organisieren müssen,
sei es nun doch sinnvoller, die Rollen bereits vor Weihnachten zu verteilen.
Das hatte ich mir auch schon gedacht und ja auch bereits
zu Bedenken gegeben. Ich hatte
zwar wenig Text, doch musste ich ja die Stellen finden, wann mein Einsatz
kommen würde, so musste ich am Ende eigentlich das ganze Stück mehr oder
weniger auswendig können, um wirklich meine Einsätze nicht zu verpassen. Ich
hatte gefragt, ob mir jemand das Stück auflesen könnte, aber sie meinte, das
sei zu viel, das würde niemand machen. Es hatte sich zwar jemand gemeldet, aber
dann war die Frage auch schon wieder um die Ecke. Eigentlich finde ich es immer
besser, wenn jeder selbst entscheidet, was ihm zu viel ist und was nicht. Ich
setzte mich dann also selbst mit den Kopfhörern vor dem Computer und hörte mir mit
der Sprachausgabe das Stück an und las es Stück für Stück auf, wobei ich mich
sogar ganz gut in die einzelnen Figuren reindenken konnte, sodass das Stück
ziemlich lebendig war, und ich damit dann beim Abhören die verschiedenen Szenen
oder musikalischen Einlagen herausarbeiten konnte. Das hat auch ziemlichen Spaß
gemacht, wenn ich auch aufgrund all der anderen hier im Blog beschriebenen
Umstände wenig Zeit fand, mich damit zu beschäftigen. Neben meiner
Theateraktivität musste ich ja auch noch wegen der Organisation meiner Medikamente
herumkämpfen, insbesondere für das eine gegen non24 , was ich hier ja auch im
Blog beschrieben habe, ich musste meine
Bank wechseln, da es in der anderen Bank nicht mehr klappte mit der Technik für
blinde, zumindest für mich und meine technische Ausrüstung nicht, ziemlich
viele Sachen gingen mir in der Zeit kaputt, ich hatte 2-3 Arztbesuche die
Woche, ich hatte einige Besuche beim Orthopäden, da ich einen steifen Hals
hatte, ich musste zur Physiotherapie und zur Ergotherapie, mein Bruder war in
die S-Bahn gestürzt, wir mussten uns drum kümmern, dass sie ihn endlich
operierten, und ziemlich viele Gegenstände gingen in der Zeit einfach auch noch
kaputt, ein Rollo war gerissen, die Kette meines Duschrollo war ausgekugelt, ich bekam noch eine
Zahnkrone, die immer noch so viel Probleme macht, dass sie hier einen extra
Blogeintrag erhalten wird. Obwohl ich zwar nicht arbeite und auch keine Kinder
habe, ist mein Tageslauf doch so ausgefüllt , dass ich mittlerweile um 7:00 Uhr
oder 37 aufstehe, um alles zu schaffen.
Irgendwann kamen wir dann auch endlich in den Genuss, dass
das ganze Stück hintereinander durchgespielt wurde. Als es nur Szenen nach
Szene gespielt wurde, kam ich mir relativ überflüssig vor, denn ich hatte nicht
viel zu sagen, da jede Szene einzeln angesteuert wurde, und die Übergänge
dadurch nicht gebraucht wurden. Zwischendurch setzte ich aber durch, dass auch
ich meinen Text und meine Musik einmal kurz einbringen konnte, um sie an der
richtigen Stelle zu platzieren und zu sehen, wie sie wirkt. Es wurde auch
ziemlich viel raus gestrichen, da oder da sollte ich dann doch nicht sagen oder
doch nicht spielen. Das fand ich etwas frustrierend, denn ich hatte Angst, dass
bei jeder Probe irgendwas raus gekürzt würde. Irgendwann war ich damals
ziemlich sauer, denn wir spielten das ganze Stück zum ersten Mal ganz durch, und ich war gerade mit dem
erzählen fertig und wollte noch meine letzten Takte des von mir selbst
erdachten kleinen Stückes spielen, weil ich mir extra für die Schlüsselszenen
eine Melodie ausgedacht hatte, aber die Theaterpädagogin klatschte schon mitten
rein, als ob die Musik nicht auch zum Stück gehörte, und normalerweise
applaudiert man ja immer erst dann, wenn das ganze Stück verklungen ist. Ich
hatte das Gefühl, die Musik fällt einfach hinten runter. Ich sagte dann
lautstark, ich bin doch noch gar nicht fertig, und dann erntete ich auch noch obendrein ihr Gelächter. Eine der
Mitspielerinnen meinte, ich glaube, sie meint ihr Spiel. Ich habe ihr dann noch
mal extra geschrieben über WhatsApp, dass sie bitte warten muss, bis ich mit
allem fertig bin, denn auch mein Teil gehört ja zum Stück dazu. Sie hat es dann
auch nicht versäumt, mich auch mal extra zu erwähnen oder extra zu loben, dass
sie offenbar merkte, dass ich das Gefühl hatte, hinten runter zu fallen. Ich
dachte zu Beginn, die Rolle der Erzählerin sei eigentlich völlig überflüssig,
wie ein Bild, das auch ohne Rahmen schön aussieht.
Es stellte sich aber bald heraus, dass ich, weil ich ja die
ganze Struktur des Stückes im Kopf haben musste, eine gewisse Stütze bot. Dies
mag auch meiner autistischen Struktur geschuldet sein, denn wenn etwas
ausgelassen wurde, wo ich eigentlich dran war, meldete ich dies sofort
lautstark, halt, da fehlt noch was. Ich habe er eine serielle Wahrnehmung,
sodass ich das Leben eher als Perlenschnur empfinde, sodass mir Reihenfolgen
irgendwann sehr leicht fallen, und wenn etwas außerhalb der Routine war,
protestierte ich sofort, halt, jetzt komme doch noch ich eigentlich. Oder, da
fehlt noch was, die Szene ist noch nicht fertig, ihr habt eine übersprungen.
Dies war für die Gruppe relativ hilfreich, wie mir eine der Mitspielerinnen
später sagte. Somit ist eine besondere Eigenschaft doch mal zu was nütze. Sie
meinte, das würde der Gruppe ziemlich viel Ruhe geben, ich glaube, es
stabilisiert zumindest.
Was mir selbst auch auffiel war, dass ich zwar sonst sehr
schnell in Panik gerate, mich aber das klingeln von Handys, insbesondere des
meinen, nicht sonderlich gestört haben, oder wenn Leute zwischendurch reinkamen
oder rausgingen, stört mich das auch nicht, ich rede dann hat einfach lauter,
schließlich habe ich ja Englisch in Gruppen ausgebildet, sodass ich Lärm
gewöhnt bin. Ich habe zumindest gelernt, laut zu sprechen, ohne meine Stimme
sonderlich zu strapazieren. Mich hat es dann eher gestört, wenn gemahnt wurde,
die Handys bitte auszuschalten, denn die Mahnungen waren meistens aufwendiger
als die Klingeltöne selbst. Unter anderem war auch ich häufig Ursache dieser
Mahnungen, was mir dann am Ende schon peinlich war. Es wirkte dann so, als ob
es jedes Mal mein Handy sei, dass an ist, obwohl andere auch ihr Handy oftmals
nicht ausgeschaltet hatten.
Irgendwann hatten wir dann endlich so viele Durchläufe
gemacht, dass wir alle sicher genug waren, es zu schaffen. Ich hatte nicht
geglaubt, dass wir wirklich je auch nur einen
einzigen ganzen Durchlauf machen
würden, aber es war, wie die Theaterpädagogin sagte, das klappt. Irgendwann
hatten es auch alle gelernt, sich richtig in die Rolle hineinzufühlen und auch
wirklich zu betonen und wirklich zu spielen und nicht einfach nur abzulesen.
Die meisten hatten auch ihren Text ganz gut drauf. Ich durfte ja improvisieren,
somit musste ich mir wenig Text merken, nur den Abschluss, als ich dann das mit
dem Himmel und den Engeln erzählen sollte, der sollte genau sitzen, damit die
anderen dementsprechend ihren Dialog platzieren konnten.
Ich musste also zwischen Querflöte und Gitarre hin und her
wechseln, und dann kam auch noch eine Triangel dazu, wobei ich mir jedes Mal
insgeheim wünschte, dass die Triangel vergessen würde. Drei Instrumente zu
wechseln ist schon ziemlich schwierig. Für einen Blinden ist es sehr schwer,
eine Triangel zu spielen, denn wir sehen nicht, wo der Querbalken ist, und das
Ding bewegt sich ja laufend. Ich musste mir also einen Trick ausdenken, wie ich
es schaffe, mit dem Stab genau die Triangel zu treffen. Ich stellte auch fest,
dass die Schlaufe jedes Mal aus der Aussparung rutschte, die an einer Ecke der
Triangel war, damit sie auch klingen konnte. Der Stab selbst hatte auch eine
Schlaufe, doch diese braucht man zum Glück nicht. Ich brauchte immer einen
Stuhl, der keine Löcher hat, damit die Triangel nicht durch viele, die ich
jedes Mal unter meinem Hintern platziert hatte. Am Ende kam mir dann die
glorreiche Idee, dass man doch eine Tasche oder ein Stück Stoff nehmen könnte,
wo ich die Triangel auf dem Boden ablegte, damit sie nicht jedes Mal lärmt, wenn
man sie ablegt. Die leitende Theaterpädagogin hat dann einen schönen samt Hut
mitgebracht, was so aussah, als ob ich Straßenmusik machen und sammeln würde.
Der Schlapphut war ideal, um den Lärm der Triangel zu ersticken. Ich dachte mir
dann den Trick aus, die Finger soweit durch die Schlaufe durchzuziehen, dass
sie am Ende ziemlich lange waren, sodass ich mich an den Fingern entlangtasten
konnte, um dann mit dem Stab genau dorthin zu zielen, wo der Querbalken unten
war, damit ich nicht jedes Mal daneben schlug. Mir hat auch ein anderer blinder
bestätigt, dass es für blinde sehr schwer ist, die Triangel zu spielen, denn
ich dachte zu Anfang, ich sei einfach wieder mal nur zu ungeschickt.
Wir mussten auch etwas umhergehen, da wir uns am Anfang
aufstellten und eine große Runde liefen, zu meinem Unmut, den ich manchmal auch
lautstark äußerte, was wiederum zum Unmut unserer Theaterpädagogin führte, so mussten
wir um die ganzen Stellwände herumlaufen, uns mit dem Rücken zum Publikum hinstellen, und
dann führte mich immer die eine Mitspielerin
zu meinem Platz, natürlich war es wieder die älteste aus der Gruppe, die sich
besonders um mich kümmerte, und dann ging es los. Am Ende mussten wir dann
wieder aufstehen, denn es gab eine sogenannte Applaus Ordnung, die ich zu
Anfang immer als Verbeugungsordnung bezeichnete zu Erheiterung unserer
Theaterpädagogin. Aus meiner Perspektive war es ja die Ordnung, wie ich mich zu
verbeugen hatte. Ich fand das alles ziemlich umständlich, denn ich konnte ja
nicht sehen, wann die anderen den Oberkörper
neigen, und somit machten wir aus, dass mir die Frau neben mir die Hand
drückte, damit ich wusste, wann wir runtergehen müssen. Wir sollten einmal mit
dem Kopf runter, danach kamen die beiden Hauptdarsteller, und dann noch dreimal
wir. Ich bat um einen Gitarrenständer und um einen Querflötenständer, denn ich
konnte ja die Instrumente schlecht mit schleppen oder einfach hin schmeißen.
Ich hatte jedes Mal die Sorge, dass meine Instrumente zu Bruch gehen würden.
Unter anderem war ich diejenige, die wahrscheinlich am ehesten dagegen stoßen würde.
Den Querflötenständer brachte die ältere Frau mit, deren Enkelin ebenfalls
Querflöte spielte, und so hatte ich das erste Mal Erfahrung mit einem Querflötenständer
gemacht und werde mir nun selbst auch
einen kaufen. Der Gitarrenständer kam leider nicht, sodass dann eine aus der
Gruppe, wenn wir uns verbeugten, die Gitarre schnell mitnahm. Zum Glück sind
beide Instrumente noch heil geblieben. Die Triangel schob ich jedes Mal
erleichtert unter den Stuhl, wenn der
Teil mit der Triangel vorbei war, denn dann war sie endlich aus dem Weg. Der
Wechsel zwischen nur noch zwei Instrumenten
klappte dann ganz gut, denn ich hörte dann bestimmte Sätze, bei denen ich schon
einmal langsam die Querflöte hoch nahm.
Vier Tage vor unserer Premiere und auch unserer Dernier, da das Stück nämlich zweimal
aufgeführt wurde, das erste und das letzte Mal, hatten wir dann eine
Kostümprobe. Ich hatte zuvor ein eigenes Kleid mitgebracht, da ich dachte, eine
Erzählerin muss ja nicht zu aufwendig gekleidet sein, und mein Kleid war
immerhin schon einmal bei einem Mittelalterfest als Mittelalterlich durchgegangen, sodass ich
kostenlos rein kam. Ich hatte noch ein kurzärmeliges T-Shirt dabei, dass
darunter musste, aber da würde man meinen Gefäßzugang für die Dialyse sehen,
und das sei nicht schön, denn da würden
die Leute immer denken , was hat die denn dar. Mich stört so etwas nicht, wer
mich mit meinem Shunt nicht mag, mag
mich auch ohne ihn nicht. Mir ist es mittlerweile völlig egal, ob die Leute da
hinsehen, wer damit ein Problem hat, soll wegschauen. Ich war zehn Jahre an der
Dialyse, und dafür braucht man sich was Gott nicht zu schämen. Aber wenn es so
ist, dann ist es eben so, wenn man das nicht sehen soll. Was hätte man dann mit
jemandem gemacht, der kurze Arme hat, oder der eine große Narbe hat oder einen
Armstumpf? Ich dachte, wir sollten uns so zeigen, wie wir halt nun einmal sind,
da wir eine inklusive Gruppe sind. Ich hatte irgendwie den Eindruck, ich müsse
das verbergen, und so etwas gefällt mir nicht. Aber ich habe gelernt, dass ich
mich den Anweisungen von einem Regisseur fügen muss. Auch das muss man in so
einer Gruppe lernen, denn am Schluss wird es mehr und mehr direktiv, am Anfang
geht es noch recht locker zu, und jeder darf sich ausprobieren, am Ende heißt
es aber, so ist es, so wird es gemacht. Da gibt es auch wenig Diskussion, und
ich hatte oft den Eindruck, gerade dann, wenn ich einen Vorschlag mache, wird
er meistens abgelehnt. Das kenne ich aber aus vielen Zusammenhängen. Daher habe
ich am Ende gedacht, die wird schon wissen, was sie tut. Somit habe ich dann
das Kleid nicht angezogen, sondern wir mussten alle in die Kleiderkammer, um
uns schöne Kleider rauszusuchen.
Ich bin ja eigentlich mit Kleidergröße 36 und manchmal auch 34
relativ zierlich, so dachte ich, bei mir würde das kein Problem werden,
abgesehen von der Kürze meine 1,56 m. Als ich dann das Kleid anzog, welches für
mich ausgesucht worden war, kamen meine alten Komplexe wieder hoch, denn als
Kind war ich etwas molliger gewesen. Es hat einfach nicht gepasst, es sei denn,
ich hätte in Kauf genommen, auf der Bühne ohnmächtig nieder zu sinken. Ich
hätte zumindest nicht mehr atmen geschweige denn erzählen können. Wir fanden
dann ein anderes, das war aber so hoch geschlossen, dass ich mein Geburtstrauma
wieder erlebte, so hatte ich zumindest das Gefühl, denn ich dachte, ich würde
erdrosselt. Außerdem stört mich die Wolle, da ich da eine Allergie habe. Es war
ohnehin in diesen Räumlichkeiten sehr gut
geheizt. Mir wurde heiß und heißer , und ich bekam die fliegende Hitze.
Meine Arme waren total heiß, und die leitende Theaterpädagogin meinte, das ist
Lampenfieber. Meine Theaterpädagogin beruhigte mich und meinte, Angst ist ganz
normal. Ich dachte, das würde jetzt bei jeder Aufführung kommen, denn normalerweise
kriege ich nie Fieber, aber wer weiß, vielleicht hat man dann immer Temperatur,
wenn man Theater spielt.
Als ich dann die kleine Bühne mit den 60 Plätzen sah, dachte
ich, wir werden uns maximal vor 120 Leuten blamieren, und es war mir nicht mehr
ganz so heiß. Am Ende der Kostümprobe habe ich fast wieder gefroren, da war ich
dann beruhigt. Es war zumindest mal eine interessante Erfahrung zu erleben, wie
sich Lampenfieber anfühlt. Wir haben aber beschlossen, dass ich ein anderes
Kleid bekommen würde, und daher sollte ich am Tag der Generalprobe noch einmal
mit der leitenden Theaterpädagogin in den Fundus gehen, um etwas passendes für
mich zu suchen.
An dem Tag hatte ich ziemlich viel Stress, denn ich habe zum
ersten Mal einen der neuen Geldautomaten ausprobiert, weil ich die Bank
gewechselt hatte. Mittels einer App fand ich dann heraus, wo der nächstgelegene
Automat war, und eine Frau hatte mich hingebracht. Sie hatte mir aber die
falsche Tastatur gezeigt, sodass die Karte immer wieder herauskam, und es hieß,
die Zeit sei überschritten. Das Gerät hat einen Kopfhörer, und blinde ohne
Mehrfachbehinderung schaffen es mühelos, mit diesem Gerät umzugehen, aber ich
stand zitternd davor und hatte Angst, meine Karte würde geschluckt. Ich bin
fast durchgedreht, aber irgendwann haben wir es dann doch geschafft, nachdem
wir die Kopfhörer entnahmen, und die Frau mir dann das Geld gab, welches sie sehend mit dem Bildschirm aus dem Automaten bekommen
hatte. Dann rannte ich mit voller Geschwindigkeit zu Fußpflege, und dort wurde
dann in aller Eile noch das letzte Haar aus dem Gesicht herausgerissen, sodass
ich nach meinem Friseurbesuch tags zuvor und nach der Behandlung mit Wachs und
der Behandlung meiner Füße tauglich für das
Theater sein würde, obwohl ja die Füße zwar
nicht sieht, aber sie waren halt auch
mal wieder dran. Danach hetzte ich dann zu dem Theater zur Kleiderkammer, und
dort warteten dann vier ausgesuchte Kleider für mich. Ich fasste alle vier an und sagte, diese beiden
kommen in die engere Wahl. Das erste zog ich an, aber wir stellten fest, dass es zwar nicht schlecht
aussieht, das andere aber wesentlich besser ist. Es war Laxfarben, und man könnte es sogar heute
noch tragen. Ich fühlte mich darin pudelwohl, und es war die richtige Wahl. Ich hatte blöderweise
meine Uhr so hingelegt, dass sie, als ich meine Kleider wieder anzog , im hohen Bogen durch die Kleiderkammer
flog, und der Deckel über der Unruh abgegangen war. Wir mussten dann zur
Technik des Theaters, und er brachte ihn wieder drauf, aber das Zugband war
gerissen, da ich aufgrund meiner Feinmotorik das Endglied an einem der
Befestigungen der Uhr ziemlich ausgeleiert hatte. Die Theaterpädagogin
meinte, geh nach Hause und ruh Dich aus, das wird heut Abend noch anstrengend
bei der Generalprobe. Ich dachte, wenn ich schon mal da bin, dann gehe ich
lieber jetzt zum Uhrmacher, später mich noch mal aufzuraffen wäre mir zu mühsam
gewesen. Ich rief also dort an, und ich konnte ganz schnell kommen. Es musste
nur ein Glied herausgenommen werden, dann war die Uhr wieder am Band befestigt, und sie
sprach auch wieder mit mir,Datum und Uhrzeit.
Ein Glück, dieses Problem wäre gelöst. Ich ging nach Hause, aß etwas und legte
mich noch 2 Stunden aufs Sofa, und dann hetzte ich wieder los.
Bei der Generalprobe riet uns unsere Theaterpädagogin, gibt
nicht alles, spielt nur mit halber Kraft, morgen braucht ihr Eure ganze
Energie. Man soll nicht meinen, dass 40 Minuten Spiel so anstrengend sind. Ich
habe mich an ihren Ratschlag gehalten, und das war gut so. Zwischen den Proben haben wir dann
noch musiziert, denn einer der
Mitspieler, der die Hauptrolle spielt, spielt ebenfalls Gitarre, und so haben
wir gesungen und gelacht, und es wurden einige Fotos gemacht, die ich dann im
inneren Kreis meiner Bekannten herum zeigte, denn vor einer Theateraufführung
darf man noch nichts nach draußen geben. Jetzt dürfte ich sie auch über
Facebook veröffentlichen.
Am nächsten Tag kam dann noch mein Bekannter, der jetzt
jeden Samstag kommt, weil immer irgendetwas mit meinen Thermostaten verstellt
war, der Fernseher sich verstellte, Programme rausflogen, Timer herausflogen,
und dieses Mal bestand das Problem darin, dass mein Fernseher nur noch eine
Aufzeichnung machte, wobei man früher zwei Sendungen parallel aufzeichnen
konnte, was aus unerfindlichen Gründen plötzlich nicht mehr ging. Zum Glück
haben wir noch alles geschafft, denn ich war vorher noch beim Bäcker, um für
die ganze Gruppe etwas zu besorgen. Jeder sollte etwas mitbringen, ich brachte
sechs Brezeln mit, dann machte ich Kaffee und füllte diesen in meine kleine
Thermoskanne, ich brachte noch drei Tassen mit, steckte einige Äpfel hinein und
düste los. Die Mutter einer unserer Frauen mit geistiger Behinderung hatte Muffins
gebacken, und einige der Frauen hatten auch Kekse mitgebracht, und die ältere
Mitspielerin hatte eine riesengroße wunderschöne silberne Thermoskanne mit Kaffee
Dabei. Zum Glück, ich dachte, wenn wir
um 15:00 Uhr spielen, dann kommen wir erst um 16:00 Uhr dazu, etwas zu essen,
und ich hatte ungefähr um neun gefrühstückt. Somit konnte ich vor der
Aufführung noch etwas essen, aber es wurde mir geraten, mir nicht zu sehr den
Bauch vollzuschlagen, denn sonst wäre man zu müde um zu spielen. Ich hatte aber
Kaffeedurst, und einige Happen habe ich
dann schon gegessen, denn sonst wäre ich zu schwach zum Spielen gewesen. Wir
waren alle ziemlich aufgeregt, und dann ging es daran, mich umzuziehen. Da ich
jedes Mal die Erfahrung machte, dass irgendjemand meinen Rucksack, meine
Schuhe, meine Handtasche, meinen Stock oder meine Gitarre irgendwohin stellte, achteten
wir beiden dann darauf, dass alles bei
der Frau stand, die sich etwas meiner angenommen hatte. Ich gab genau an, wo
alles zu stehen hatte, damit ich es wiederfinde, aber es war ziemlich
schwierig, denn wir hatten keinen Raum, wo wir die Dinge abstellen konnten,
sondern wir mussten alles hinter die Stellwände der Bühne packen. Meine Kleider
stopfte ich in den Rucksack, den ich zuvor gelehrt hatte, damit ich nicht
einzelne Teile später
würde suchen müssen.
Dennoch war es ziemlich anstrengend, laufend irgendetwas zu finden, denn ich
musste meine Medikamente nehmen, ich musste etwas trinken, ich musste
irgendwann mal an meine Sachen, um dies oder jenes Weg zu räumen. Unter anderem
hatte unsere Theaterpädagogin uns jedem einen kleinen Vogel aus Porzellan
geschenkt, der oben einen goldenen Kragen hatte, von dem aber immer ein kleines
Stückchen ab geblättert war, wie auch bei der Statue im Stück. Das sollte uns
Glück bringen, sozusagen als kleiner Talisman. Das fand ich sehr nett.
Sie wollte mich dann noch schminken, mir also etwas die
Lippen mit lachsfarbenem Lippenstift anmalen, damit sie größer wirkten. An den
Augen wollte ich nicht geschminkt werden,
denn ich bin schon oft genug an den Augen operiert worden und habe keine Lust,
dass jemand an meinen Augen herum macht. Das würde nur unnötig brennen oder
unnötige Empfindungen verursachen. Wir bekamen aber alle Puder ins Gesicht,
damit wir nicht so glänzten. Während sie mir die Lippen anmalte , ging die
ganze Truppe aufs Klo, und ich meinte noch, ich muss auch, aber da fuhr mich
die Taxifahrerin an, ich solle doch gefälligst nicht so einen Stress hier
machen. Dann waren alle weg, und ich wurde weiter geschminkt. Dann sagte ich,
ich müsse auch aufs Klo, und die Theaterpädagogin meinte, warum bist Du denn
nicht mit den anderen gegangen. Ich sagte, ich wurde gerade geschminkt, ich hab
doch gesagt, dass ich auch müsse, ich kann ja schlecht währenddessen Weg
rennen. Ich bat dann die Taxifahrerin, mich aufs Klo zu bringen, denn die hatte
ja schließlich falsch reagiert. Das Klo war gar nicht so weit weg, so war das
relativ einfach. Sie machte mir dann die Haarspange an die richtige Stelle, die
sie selbst mitgebracht hatte, da diese etwas eleganter war als meine Spange aus
Naturholz. Sie hatte etwas Mühe damit, und als ich sie fragte, ob meine Haare
vielleicht nicht gut gewaschen sein, fuhr sie mich auch gleich wieder an, ich
solle doch gefälligst nicht so ungeduldig sein. Ich fand das ziemlich
ungerecht, denn ich hatte doch eigentlich gar nichts gesagt, aber das passiert
mir laufend.
Dann ging es los, und wir mussten uns hinter den Stellwänden
verstecken, damit die Leute im Zuschauerraum uns nicht sehen würden. Das war
eigentlich der schlimmste Moment. Ich fühlte mich wie ein Pferd vor dem Rennen,
ich scharrte schon mit den Hufen, und ich wollte endlich los, und die Aufregung
stieg und stieg, die Luft hinter
den Stellwänden wurde immer
knapper, und die Rede der leitenden Theaterpädagogin wollte und wollte nicht
enden. Die Taxifahrerin neben mir
schlotterte mit den Armen, und ich konnte mir nicht verkneifen zu sagen, wer ist hier eigentlich
nervös? Irgendwann gab es dann das Zeichen zum Start, wir machten unsere
Aufstellung, ich wurde auf meinen Platz gesetzt, die Leute gingen auf
ihre Positionen, und als der Spot auf mich gerichtet war, was ich zum
Glück noch sehen kann, habe ich losgelegt. In der ersten Aufführung habe ich
wirklich alles gegeben, und für mein Empfinden habe ich fast keinen Fehler
gemacht. Es war wirklich toll, und es klappte wie am Schnürchen. Die Leute im
Publikum, die zum großen Teil aus Menschen von der Lebenshilfe bestanden, waren
ein sehr dankbares Publikum und reagierten sehr emotional, was mir sehr half,
denn durch das Feedback wusste ich, dass sie es verstanden hatten, und diese
Resonanz machte mich sehr glücklich, und ich war wirklich gerührt, wie die
Leute mit gingen und mit lebten. Ich musste mich wirklich am Riemen reißen, um
nicht auch loszulachen oder auf das Publikum wiederum zu reagieren. Am Ende
bekamen wir riesengroßen Applaus, wir mussten uns sogar mehrfach verbeugen,
womit ich gar nicht gerechnet hatte. Einer unserer Mitspieler meinte, er würde
dann auch Autogramme verteilen, und es hieß immer wieder, was machen wir, wenn
wir noch mehr Applaus kriegen usw., wobei ich jedes Mal dachte, sind die aber
optimistisch. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass wir so viel
Resonanz bekommen würden.
Während der Pause habe ich mich dann noch ein weiteres Mal
gestärkt, wobei ich mit Sorge feststellte, dass mein Kaffee noch immer nicht
angerührt war, und die meisten der Brezeln immer noch in der Tüte waren. Ich
kenne eine andere blinde Kollegin, die mir häufig erzählt, dass ihre Sachen
übrig bleiben. Ich habe dann noch
einiges gegessen, und wir haben dann noch
etwas Gitarre und Querflöte gespielt und gesungen. Wir sind
dann noch mal kurz nach draußen gegangen, aber dann mussten wir auch schon
wieder rein. Ich hatte mehrfach zu meiner Tasche gehen müssen, aber die
Orientierung in diesem Raum war wirklich schwierig, und ich habe sowieso
Probleme, mich irgendwo zu orientieren, wenn ich nicht schon öfter dort gewesen
bin und feste Fixpunkte habe. Auch waren
meine Sachen wieder dauernd irgendwo anders, und irgendwann schimpfte ich dann,
dass das wirklich nicht geht, dass ständig meine Sachen verstellt werden. Die
Antwort hierauf war immer nur, das geht uns anderen auch nicht anders. Dass ich
aber blind bin, und das daher für mich wesentlich mühsamer ist, wird ja immer
gerne übersehen. Schließlich geht es ja anderen auch so. Den Vorschlag, doch
dann einfach mal die Glotzer aufzumachen,
würde sowieso niemand annehmen oder kapieren.
Bei der zweiten Aufführung hatte ich dann wesentlich weniger
Konzentration, ich wartete auf ein Stichwort, und als dies nicht kam, war ich
leider nicht flexibel genug, darauf zu reagieren, und ich hielt die Triangel
umsonst in der Hand und verpaste
einen ihrer Einsätze, und auch
das Spielen der Querflöte ging wesentlich schlechter von der Hand als beim ersten Mal, und ich habe mich einmal beim Erzählen fast verheddert, ich hoffe, es hat
keiner gemerkt. Auf jeden Fall war ich ziemlich verärgert über mich selbst, da
ich in der anderen Vorstellung bereits alles gegeben hatte, und die
Konzentration schon ziemlich verpufft war, und die Luft im wahrsten Sinne des
Wortes raus war. Am Ende erfuhr ich dann obendrein auch noch, dass dies die
Vorführung war, in der gefilmt wurde. Das war meine schlechteste Leistung, da
war ich natürlich dann schon sauer auf mich selbst, und auf diesen blöden
Zufall auch noch, dass gerade dann gefilmt wurde. Aber meine Sorgen wurden als
ziemlich unbegründet dargestellt. Ich bin gespannt, wie dann der Film wird, mit
einigem Abstand wird man dann sicher bemerken, dass diese Schnitzer, die ich
bei mir selbst festgestellt habe, gar nicht zu sehr auffallen. Ich hoffe
zumindest.
Danach haben wir dann noch mit Sekt angestoßen, und eine der
behinderten Frauen hat mich ziemlich bemuttert, was mir irgendwann dann auf den
Geist ging. Die ältere Frau hat mich dann gerettet, als ich schon fast geplatzt
war und sagte, ja Mami, weil die behinderte Frau mir dann auch noch
eindringlich befahl, doch auch noch meinen Reißverschluss zuzumachen. Die
meisten knien sich dann einfach vor mich und machen den Reißverschluss zu, ohne
mich zu fragen, denn mit 51 ist man dann noch zu klein. Aufgrund meiner
Feinmotorik habe ich sowieso Probleme mit dem Reißverschluss, aber diese
Unfähigkeit wird meistens mit dem Kleinkindalter verwechselt. Dann ist man eben
auch sonst ein Kleinkind. Wir gingen dann noch zum Essen, eigentlich hatte ich
befürchtet, dass ich gar nicht mehr in der Lage dazu sein würde, daher hatte
ich nicht verbindlich zugesagt, so mussten wir alles spontan suchen, da die
meisten sich nicht vorher entschieden hatten. Ich habe zuvor noch nie Theater
gespielt und wusste nicht, in welcher Verfassung ich danach sein würde. Mir
wäre lieber gewesen, wir hätten uns noch einmal eine Woche später getroffen,
aber die Stimmung war danach, dass alle zum Essen gehen wollten.
Während wir zuvor mit
Sekt anstießen, wurde gefragt, wer
denn in der Gruppe bleiben wollte, oder wer die Theatergruppe verlassen
würde. Ich hatte mich für letzteres entschieden, denn für mich als jemand, der fast nichts sieht, ist das Theater relativ
ungeeignet. Mir wurde zwar gesagt, ich könne eine Begleitung auf der Bühne
haben, einen sogenannten Schatten, oder man kann Teppichfliesen hinlegen, an denen ich mich orientieren kann, aber ich
glaube, dass dies bei dem häufigen Wechsel an Bühnen oder an Aufstellungen der Kulissenwände ziemlich schwierig ist. Und die
Aufführung ist ja dann auf einer anderen Bühne als die Proben. Ich müsste höchstens eine Rolle
spielen, bei der man sich nicht sonderlich viel bewegen muss. Jetzt habe ich
auch festgestellt, dass ich durchaus in der Lage bin, etwas Text zu behalten,
was ich mir zuvor überhaupt nicht zugetraut hatte. Aber ich vermute, ich bin
mehr fürs Hörspiel geeignet. Der Stress, zusätzlich auch noch mit dieser
Sehbehinderung umzugehen, ist zu groß und raubt zu viel Energie, um dann auch
noch spielen zu können. Außerdem war es für mich ziemlich mühsam, permanent um
Hilfe bitten zu müssen, nicht selbstständig sein zu können, und dauernd auf
andere angewiesen zu sein. Denn es konnte schon mal passieren, dass jemand
sagte, ich helfe Dir, diese Person wurde aber dann von jemand anderem gerufen
und war auf einmal weg, und wenn dann jemand anderer kam, um mir seine Hilfe
anzubieten, lehnte ich zunächst einmal ab
mit dem Hinweis darauf, dass jemand anderer bereits seine Hilfe versprochen
hätte, der aber dann nicht mehr wiederkam. Für mich ist es am einfachsten, wenn
ich weiß, wo alles ist, damit ich mich noch selbstständig bewegen kann. Was
auch schwer für mich war, war der Umstand, dass wir eine Gruppe über WhatsApp hatten, und sich alle immer
wieder mit nonverbalen Signalen austauschen, die ich nicht sehen konnte, wobei
ich mich ziemlich ausgeschlossen fühlte. Ich dachte, diese Plattform sei
lediglich dazu da, um Termine auszumachen, sich über organisatorische Dinge
auszutauschen usw. Stattdessen gingen laufen Kusshändchen herum, ich hörte mein
Signal, schaute eilig auf mein Handy um zu wissen, was los ist, und dann war es
wieder nur irgendein Bild, dass ich sowieso nicht sehen konnte. In der Liste
kamen dann, was andere sehr schön fanden, laufend irgendwelche Nachrichten wie,
ich wünsche Euch allen einen schönen Tag, ich wünsche Euch ein schönes
Wochenende, ich wünsche Euch eine schöne Woche, ich auch, ich auch, ich auch, was
ich ziemlich lästig fand, denn es raubt ziemlich viel meiner Zeit, wenn ich
dauernd aufs Handy drücken und Gesten machen muss, damit die Sprachausgabe
alles vorliest. Ein sehender guckt einfach mal auf sein Handy und sieht, da ist dieses oder jenes gekommen, ich muss erst
ziemlich viele Gesten machen, was aufgrund meiner schlechten Feinmotorik noch
umso mühsamer ist. Ich habe dann einige Fotos herumgeschickt, die wir während
der Theaterproben gemacht hatten, und dies ist mir nur bei einigen gelungen,
und dann entspann sich eine Diskussion darüber, weil ich nicht in der Lage war,
den Rest noch zu schicken, und ich ziemlich sauer auf mich war. Dann hatte das
jemand anderer übernommen, und ich fand es schade, dass ich dieser
Herausforderung nicht gemeistert hatte usw. Das war dann auch wieder lästig für
die anderen, dass mit zu bekommen. Das Problem ist aber, dass die ganzen
Symbole, die angezeigt werden, nicht genannt werden, sodass ich oft gar nicht
wusste, ob hier gerade einfach nur ein
Symbol nicht angezeigt wird, oder ob ich
nur den Text nicht finden kann, das
machte mich dann nervös, und
ich fragte auch dann ganz panisch, was ist das, hab ich da was verpasst usw.. Ich
bat dann irgendwann darum, dass doch bitte alle Dinge beschrieben werden mögen,
damit ich auch teilhaben könnte, weil ich dies eben auch unter Inklusion
verstehe. Danach erhielt ich dann einen Anruf unserer Theaterpädagogin, ich
würde zu viel Stress auslösen, das könne man nicht leisten, sie würde mir doch
sagen, wenn etwas wichtiges käme, ich solle das doch bei ihr einfach lassen und
loslassen, und ich solle mich doch auf sie verlassen. Das ist eigentlich nicht
mein Stil, denn ich bekomme dann alles aus zweiter Hand und bin eigentlich
nicht unmittelbar im Geschehen drin und nicht beteiligt. Denn es kamen häufig
Bemerkungen, die sich auf etwas Vorheriges für mich Unsichtbares bezogen, oder es entstanden Späße, die um etwas gingen, was
gerade herumging, und ich war somit auch nicht im Gruppenprozess wirklich
integriert. Das fand ich sehr schade. Zumindest hatte ich dann gesagt, ich
wolle die wichtigsten Dinge entweder per Sprachnachricht oder schriftlich,
damit ich nicht irgendetwas versäumen würde, denn in dem ganzen Haufen von
Symbolen und nicht verbalen Zeichen hätte ich dann nicht herausfiltern können,
was nun wichtig ist und was nicht. Am Ende war es sowieso der Fall, dass nur
noch bestimmte Leute aufeinander reagierten, wohingegen andere, was mir auch
einige bestätigten, ebenfalls keine Reaktionen auf ihre WhatsApp Nachrichten
erhielten. Zumindest war diese Plattform gut, um die nötigsten Dinge zu
erfahren. Aber ich sehe eben, dass mit einer Sinnesbehinderung die Inklusion
einfach nicht wirklich optimal laufen kann. Für mich ist es immer schade ,
festzustellen, dass ich in einer Gruppe von behinderten bin und mich als
diejenige fühle, die die größte Behinderung hat.
Als ich dann den anderen versuchte klarzumachen, dass für
mich die Sache zu schwierig sei, war besonders die ältere Frau darüber sehr
traurig, die eindringlich auf mich eingeredet hatte, doch dazu bleiben. Eine
Mitspielerin meinte, es wäre doch schade, denn das blinde Element hätte ihr so
viel gebracht, dass jemand blindes in der Gruppe sei, denn sie hätte mich öfter
zur U-Bahn begleitet und dabei bemerkt, was ich kann und was ich nicht kann.
Ich wäre lieber aufgrund anderer Eigenschaften geschätzt worden und nicht
dadurch, dass ich das blinde Element einbringen. Es gibt ja auch andere blinde,
die dann vielleicht mal wieder in die Gruppe kommen. Aber jeder (blinde) Mensch ist ohnehin anders. Die Theaterpädagogin hatte
mir einmal gesagt, Du tust der Gruppe gut, denn sie müssen Dir viel helfen, und
dadurch kommt viel Ruhe in die Gruppe. Ich fand das gut, denn ich bin der
Meinung, wenn man sich am schwächsten orientiert, und das bin nun mal ich, dann
profitiert die ganze Gruppe davon, und eine Gruppe misst sich eben daran, wie
sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Leider ist es eben so, da beißt
die Maus keinen Faden ab, dass man das eingestehen muss, wenn man der
schwächste ist. Es hilft ja nichts. Nur wäre es auch schön gewesen, wenn andere
Eigenschaften von mir dazu beigetragen hätten, einen Beitrag für die Gruppe zu
leisten. Allerdings sagten mir viele, dass meine Stimme als Erzählerin sehr gut
geklungen hätte, und dass auch die Musik gut gepasst hätte, und dass ich einen
guten Rahmen geliefert hätte. Genau eben dieselbe Mitspielerin meinte, ich hätte
wohl die Ruhe weg, und ich würde wohl gar nicht aufgeregt sein. Das stimmte
natürlich nicht, aber auf der anderen Seite musste ich ja nur das tun, was ich
sowieso den ganzen Tag mache, reden und vielleicht noch mal Musik machen.
Insofern musste ich mich in meinen Talenten nicht sonderlich weiter entwickeln,
was natürlich auf der anderen Seite auch wieder schade war, denn ich hätte noch
gerne mehr aus mir herausgeholt, oder ich hätte gerne andere Seiten oder Talente
in mir entdeckt. Die Entfaltungsmöglichkeiten sind aber meines Erachtens, auch
wenn es da andere Meinungen gibt, für
mich als blinde hier sehr eingeschränkt. Denn die ganze logistische
Herausforderung , die nebenher noch
läuft, wobei man ja nebenher auch noch ein privates Leben hat, das auch extrem heftig ist, ist schon sehr auslaugend. Für
meine Verhältnisse war ich sehr gut in der Gruppe einbezogen, was ich schon
sehr schön fand. Es gibt bestimmt andere blinde, die aufgrund der Tatsache,
dass sie keine weiteren Behinderungen haben, vielleicht besser klarkommen. Aber
immerhin bin ich stolz, dass ich mal am Staatstheater gespielt habe. Das kann
nicht jeder von sich behaupten.
Nach einer großen Herbergssuche sind wir dann im dritten
Restaurant endlich doch noch aufgenommen worden, das sinnigerweise ein
mittelalterliches Restaurant war, somit war die Kontinuität zu unserem Stück
gewahrt. Dort hielten natürlich unsere beiden Männer eine Rede, was Männer ja
immer gerne tun. Ich lernte auch die Angehörigen einiger Mitspieler kennen, was
mir sehr gut gefiel. Die ältere Dame und ich beschlossen, auf jeden Fall in
Kontakt zu bleiben. Eine der Mitspieler hatte mir um Weihnachten
herum einmal angeboten, meine Deckenventilatoren nach oben zu montieren,
was er sich fest in seinen Kalender eingetragen hatte. Er meinte beim Essen, er
habe die Woche Zeit, er könne das machen. Als ich ihm sagte, dass ich in
Anrufe, meinte er, ich melde mich. Dieser Satz bedeutet aber meistens, dass es
nicht klappt. Genau wie ja ja eben Leck mich heißt. Ja Jahr hatten wir übrigens
auch häufig im Stück, denn der Gehilfe, der ziemlich gelangweilt war, und der
die Ansichten seines Herrn nicht teilte, tat dies immer mit einem gelangweilten
jaja kund, der Text war wirklich sehr kurz, aber der Effekt war bombastisch,
und er erntete die meisten Lacher. Somit hatte die kleinste Sprechrolle
irgendwie doch eine der größten Wirkungen. So etwas geht wahrscheinlich auch
nur im Theater.
Ich verabschiedete mich dann später noch einmal über
WhatsApp, nachdem ich mich von jedem, zumindest von denen, die ich erwischt
hatte, persönlich verabschiedet hatte.
Es kamen noch einige
Reaktionen zurück. Aber als dann wieder nur Fotos herumgingen,
Kusshändchen geworfen wurden oder irgendwelche nonverbale Zeichen kamen, habe
ich mich dann ganz von der Gruppe abgemeldet, denn nun brauchte ich sie ja
nicht mehr auf dem Handy. Ich hoffe, dass ich mit einigen noch in Kontakt
bleiben werde. Wenn mal weniger los ist in meinem Leben, was wahrscheinlich
utopisch ist, oder wenn mich doch einmal die Langeweile packt, was noch
utopischer ist, dann überlege ich es mir noch mal, oder wenn ich Chancen sehe,
dass sich alles gut eingespielt hat, und die Sache in ruhigen Bahnen läuft.
Dann könnte ich es mir durchaus vorstellen, noch mal einen Anlauf zu wagen.
Aber unter den jetzigen Umständen, wo schon wieder meine Zahnkrone fast
abgegangen ist, immer noch einige Dinge in meiner Wohnung gemacht werden
müssen, und immer wieder was kaputt geht, wäre das zu viel Stress, und da ist
ja auch noch der Wechsel der Bank, der sich noch vollends einspielen muss.
Somit gibt es noch genug Theater außerhalb des Theaters.