Sonntag, 21. Juli 2019

Romeo sucht Julia


Vor einiger Zeit war ich ja wieder beim Theater dabei und habe die Zwischentexte für das Stück „Romeo und Julia in 5 Minuten“  gesprochen. Hier haben wir ja mit anderen zusammen gespielt, sodass wie bei einem Zahnrad sämtliche Theaterclubs miteinander ein einziges Stück aufgeführt haben. Darüber habe ich ja hier berichtet.

 

Nun sollte wieder eine Schau stattfinden, wobei die Frage war, sollen wir dasselbe noch mal aufführen, oder sollen wir etwas ganz anderes machen. Unsere Theaterpädagogin hat drei lustige Anzeigen in einem Blatt für diese Kleinanzeigen gefunden. Die eine Anzeige lautete, schwerbehinderter Rentner sucht Frau, egal welcher Hautfarbe, rot, gelb oder schwarz, Religion egal, kann auch Hexe sein oder so (sic). Die andere Anzeige lautete: durchgeknallter Alter sucht Skihaserl , Sexbombe, Bad Girl, Rockerbraut, keine Kampfemanze und keine Grüne. Die dritte Anzeige lautete: Bauer sucht Frau, Hopfenbauer ,, schön, kräftig, sucht fleißige Bäuerin, eventuell auch Umstellung auf Bio. Somit überlegten wir uns, was denn diese Anzeigen bedeuteten, und was dahintersteckt, was diese Männer eigentlich wollen. Wir versetzten uns in deren Lage und analysierten die Sache.

 

Mir hat ja vorgeschwebt , dass der Schwerbehinderte Rentner total verrückt ist, das haben wir dann auch so irgendwann umgesetzt. Denn vielleicht ist er trotz seiner Behinderung viel rumgekommen und hat daher vielleicht viele Religionen kennen gelernt und ist extrem offen und tolerant. Zuerst dachten alle, vielleicht ist ihm einfach egal, wen er als Frau hat, weil er schon so verzweifelt ist. Aber das hätte ich nicht so schön gefunden. Wir haben dann mal einiges ausprobiert, ich habe einmal die Kampfemanze gemacht, die sich mit diesem komischen reichen Schnösel  trifft, der bloß eine Frau fürs Bett oder zur Repräsentation wünscht. Eine also, die lediglich an seiner Seite ist als Schmuckstück oder als Beiwerk. Das war dann nicht so ideal, denn da hätte man kein Ende gefunden. Dann dachte ich, ich könnte ja mal die Hexe spielen, also so eine Tante, die Esoterik betreibt, vielleicht noch eine Praxis für irgendwelche dubiosen ominösen Therapieformen hat, und die den Schwerbehinderten heilen will. Das kam total lustig. Wir hatten zwei Bäuerinnen, eine, die sehr fleißig war, die andere war aufs Geld aus. Die ist dann leider abgesprungen und wollte bei der Theatergruppe nicht mehr mitspielen.  Uns war es  zwar  ein Rätsel, warum nicht, aber man muss das respektieren.

 

Wir überlegten dann, ob wir nun Romeo und Julia weitermachen wollten, da wir das ja ab Februar dann als großes Stück einüben wollten, oder ob wir eben diese drei Anzeigen nehmen wollten. Wir hatten es nur 1 Stunde lang geprobt, und ich meinte, ich würde mir durchaus zutrauen, dass spontan aus dem Stehgreif auf die Bühne zu kriegen. Da gab es dann einige Bedenken seitens der Theaterpädagogin, und so konzentrierten wir uns die nächste halbe Stunde auf Romeo und Julia. Dann kamen aber doch einige Stimmen, wir wollten das unbedingt machen mit den Kleinanzeigen, und auf einmal waren dann doch alle dafür, und sie meinte, ja, das ginge. Am Ende stand ich damit zwei Rollen, ich sollte zum einen eben die esoterische Hexe spielen und zum anderen auch noch die Bäuerin, die aufs Geld aus ist. Denn das hatte ich auch schon probiert und mir einen total pikierten und hochmäßigen Frankfurter Dialekt zugelegt, da ich sowieso ursprünglich aus dieser Gegend bin ,, und da einer aus unserer Familie dort lebt und mir daher einige gute Ideen und Inspirationen geliefert hatte, weil er dauernd diese Leute nachahmt, die in den reichen Vierteln dort leben. Das hört sich dann immer sehr lustig an, und den hiesigen Dialekt kann ich sowieso nicht, dass Klänge eben nur aufgesetzt. Das mit dem gezierten Dialekt kam dann total gut rüber, und so sollte ich beide Rollen übernehmen. Ich hatte mir eigentlich zugetraut, eine Rolle zu  spielen, aber gleich zwei, und dann das Umziehen, und im wahrsten Sinne des Wortes in eine zweite Rolle schlüpfen, in so kurzer Zeit? Ich bin ja immerhin keine professionelle Schauspielerin. Außerdem dachte ich, hoffentlich kann ich mich dann schnell genug umziehen.

 

Ich habe dann ein Minimum an unterschiedlicher Kleidung mitgebracht, nämlich ein  und dasselbe T-Shirt für beide Rollen, für das eine Mal hatte ich dann einen langen Rock, und für die andere Rolle ein Ober-Kleid. Ich hatte auch zahlreiche Armreifen für die Esoteriktante dabei, und ich hatte meine alte Kette, ein Erbstück meiner  Oma , die ich für die reiche fukig-galante Großstadtpflanze nehmen wollte. Ich bekam dann noch einen altmodischen Hut, und ich bat noch um eine kleine Handtasche, die man sich unter dem Arm klemmt oder über den Unterarm hängt. Genau diese unpraktischen Dinger, die ich im richtigen Leben nicht ausstehen kann. Das sah dann total lustig aus. So hatte ich nur ein Minimum an Arbeit, und ich sorgte dafür und trat dafür ein, dass mindestens zwei Szenen zwischen mir und der anderen Rolle Abstand war, damit ich genügend Zeit zum Umziehen haben würde. Das wurde dann auch irgendwann berücksichtigt. Einer unserer Männer musste auch zwei Rollen spielen, zum einen den  schwerbehinderten Rentner und zum anderen den durchgeknallten Alten. Für den durchgeknallten Alten hatte er ein Hawaii Hemd dabei, ich fand das extrem passend. Einen Hut für den Schwerbehindertenrentner hätten wir alle gut gefunden, aber das wollte er nicht. Der Schwerbehinderter Rentner bekam natürlich als blinde eine Sonnenbrille, wie sollte es auch anders sein. Ich weiß nicht, wie viele blinde mit Sonnenbrille mir jemals im Leben überhaupt begegnet sind. Früher war das normal, da die Augen der Blinden durch Syphilis oder durch Verbrennungen oder Unfälle entstellt waren, heutzutage hat jeder Glasaugen oder andere Haftschalen, sodass eine Sonnenbrille nur noch dann notwendig ist, wenn jemand stark blendungsempfindlich ist. Aber es ist eben das typische Klischee. Ich war in einem anderen Theaterstück, das mit derselben Theaterpädagogin von einer anderen Gruppe gespielt wurde, und einer der Dramaturgin hatte sich darüber mokiert, dass Schwerbehinderte Behinderte spielen, und Behinderte würden damit vorgeführt. Eigentlich stimmt das nicht. Es ist ein Unterschied, ob Schwerbehinderte bloßgestellt werden, oder ob Schwerbehinderte einfach Schwerbehinderte spielen. Es werden auch dunkelhäutige oder andere Menschen mit scheinbar besonderen Eigenschaften dargestellt, es wäre ja diskriminierend, wenn man uns da auslassen würde. Es wurde ja niemand negativ dargestellt. Somit waren wir  da extrem vorsichtig, es mit dem behinderten Rentner nicht zu übertreiben. Eigentlich sollte er noch Unterarmgehstützen, die man landläufig Krücken nennt, kriegen, aber ich schlug dann vor, meinen Blindenlangstock zur Verfügung zu stellen. Das, was die Leute immer Blindenstock nennen, genauso wie Blindenhund, der eigentlich Blindenführhund heißt, oder Blindenschrift , die eigentlich Punktschrift heißt. Schließlich bestehen ja die gehörlosen auch darauf, dass es Gebärdensprachdolmetscher sind und keine Gebärdendolmetscher, weil die Gebärdensprache nun einmal eine Sprache ist. Ich sag allerdings auch nicht französischsprachdolmetscher, sondern ich rede von Spanischdolmetschern oder Englischdolmetschern. Aber man will halt hier auch besonders vorsichtig und bewusst sein. 

 

Für die esoterische Tante hatte ich dann ein türkisfarbenes Kleid, wo das T-Shirt noch herausschaute, und ich ließ dann die Haare offen. Für die hochmäßige Tante hatte ich mir nämlich die Haare hochgesteckt, denn mit meinen Haaren kann man eigentlich alles machen, und selbst ich mit meiner schlechten Feinmotorik kriege meine Haare immer ganz schön hin. Bei mir sieht das immer aus, als hätte ich Stunden vor dem Spiegel verbracht, weil meine Haare so praktisch sind. Die machen so ziemlich alles mit, und das sieht immer ganz gut aus, man muss ja auch mit seinen Pfunden, sprich Haaren, wuchern können. Irgendeine Schönheit hat ja jeder.

Ich kann zum Beispiel auch nicht in hohen Absätzen laufen, aber für diese Großstadtpflanze musste ich ja so tun, als ob ich herumstöckeln würde. So lief ich eben in den Ballerinas so, dass es sich anhört, als ob ich ganz laut klappern würde, wohingegen dann bei der Esoteriktante der Gang er schwebend sein sollte.

Das ekligste war, dass ich diese Perlonstrümpfe anziehen wollte, damit ich meine Ballerina Schuhe anziehen kann, denn das sieht sonst blöd aus, barfuß in Ballerina-Schuhe zu schlüpfen, das mache ich nicht auf der Bühne. Das war allerdings dann eine Ehre, dass ich extra zu dieser Vorstellung dieses eklige Nylon angefasst habe. Es war dann  auch dementsprechend schwierig, in diese Strümpfe reinzukommen, da ich das Material nicht mag, die so eng anliegen, und man das Zeug so dehnen muss. So hatten wir doch alle Utensilien beisammen, und die Requisiten waren spärlich gehalten, aber man konnte eine ganze Menge damit anstellen. Eine der Schauspielerinnen bei uns, die ich schon immer unsere inoffizielle Requisiteurin nenne, hat alles mögliche zu Hause, unter anderem auch Handschuhe mit Tätowierungen drauf, die sie für die Rockerbraut  brauchte, und sie brachte mir eine Lebensblume mit, die wir dann schnell an meine Kette ran hängten, die ich als Erbstück von meiner Oma bekommen hatte. So wurde aus der Kette einer feinen Dame eine Kette einer esoterischen Tante. So schnell kann es gehen.

 

Jeder brachte noch für sich etwas zu essen mit oder zu trinken, denn wir wollten später noch zusammensitzen. Ich dachte, so viel hab ich jetzt nicht, daher brachte ich auch nur für mich einen Kaffee mit. Ich habe eine wundersame Tasse, die hat so ein Tick wann dickes Glas, dass man die heißesten Getränke rein füllen kann, und die Hände verbrennt man sich trotzdem nicht. Das hat mir mal mein Bekannter aus dem Schwarzwald mitgebracht. Das wird es aber wohl überall geben. Ich finde sie extrem praktisch.

 

Eine unserer Mitspielerinnen, die mich normalerweise immer von der U-Bahn abholt, hatte eine andere Veranstaltung, sie konnte daher nicht da sein. So fragte ich jemand anderen, und die hatte sich angeboten, mich zu holen. Da es aber auf der Bahn einen polizeilichen Einsatz gab, konnte auch sie nicht kommen, so schickte ich eine Nachricht in unserer WhatsApp Gruppe und fragte, wenn ich mit dem Taxi komme,, kann mich dann unten jemand abfangen? Die waren dermaßen beschäftigt damit, wer nun die andere Frau abholen sollte, sodass meine Nachricht mal wieder unterging. Ich stelle sowieso fest, dass auf meine Nachrichten kaum jemals geantwortet wird. Es gibt immer ein Wortgeplänkel hin und her, alle möglichen Scherze fliegen herum, aber auf mich geht kaum mal einer ein.  Sie schicken auch immer Fotos rum, und als ich einmal darum bat, mir doch die Fotos zu erklären, wurde ich angerufen und zurückgepfiffen, ich würde damit in der Gruppe zu viel Stress auslösen. Man würde mir schon sagen, wenn etwas wichtiges käme, ich sollte das eben vertrauensvoll loslassen.

Denn ich hatte mich auch über die vielen Emojis und Sticker aufgeregt, die laufend herumgehen, die mir weder von meiner Sprachausgabe vorgelesen noch angezeigt werden, sodass mich dies total verwirrt, und ich jedes Mal glaubte, dass  da eine Nachricht stünde, die ich halt einfach nicht lesen kann,  weil ich mich  zu blöd  anstellen würde.  Dass  das  nur  belanglose  Bilder sind, die halt einfach  nur  graphisch dargestellt sind, und  ich sie daher nicht entziffern  kann, und nicht, weil ich technisch zu  unbegabt bin, wusste ich ja nicht. Drum hatte ich darum gebeten, dass mir bitte solche Dinge  verbalisiert würden, und dass mir fürderhin solches dicker und andere nonverbale Kommentare schriftlich oder per Sprachnachricht erklärt würden. Oder dass man auf solche Dinge einfach verzichtet und nur noch Sprachnachrichten oder Schriftnachrichten schickt, da wir eben eine inklusive Gruppe sind, und einige mit diesen Bildern, die grafisch sind und daher nicht vorgelesen werden, nichts anfangen können. Leider bin ich hier die einzige. So fühle ich mich doch manchmal ausgeschlossen, als ich das mal eine Assistentin erzählte, wurde dann gleich wieder argumentiert, dass meinte man doch nicht böse, die Leute wüssten das halt nicht. Dabei bleibt es halt dann immer stehen. In meine Gefühle versetzt sich da keiner mal rein. Die sind nicht von Belang und müssen  korrigiert werden. Inklusion ist eben eine Einbahnstraße.

 

Der Taxifahrer brachte mich dann hoch, wir mussten eine Weile suchen, bis wir dann alles fanden, und die meisten saßen  Da schon bereit, seelenruhig, wie Hühner auf der Stange. Meine WhatsApp Nachricht hatte keiner gelesen. Ich setzte mich dann dazu, aber jedes Mal sprangen irgendwelche Leute auf, um andere zu begrüßen. Wann immer ich mich mit jemandem unterhalte, blickt er schon die ganze Zeit gelangweilt umher, und wenn jemand anderer kommt, werde ich jäh unterbrochen, und der begrüßt den anderen. Dabei halte ich keine Monologe wie jetzt hier in meinem Blog. Das kann schon nach eineinhalb Sätzen geschehen. Normalerweise sagt man ja, Entschuldigung, der xy kommt gerade. Die Leute gehen auch meistens weg, und ich sitze dann irgendwo auf einem Sofa herum, gut geparkt, Hauptsache, ich stolpere nirgendwo drüber. Ich würde aber vielleicht auch ganz gerne mitgehen, wenn die Leute umhergehen, um einander zu begrüßen, oder um sich auszutauschen. Meistens hört mir auch keiner zu, wenn ich irgendwas sage. Wenn ich mit jemandem spreche, dreht er sich schon längst wieder weg, weil er während   der Unterhaltung mit  mir  schon längst in ein anderes Gespräch reingehört hat, was ich natürlich nicht bemerkt habe. Wenn er dann auf einen anderen antwortet, wird mir klar, dass mir schon längst nicht mehr zugehört wurde, und ich wie ein altes kaputtes Radio in die Luft geplaudert habe. Normalerweise sagt man ja, Moment, darf ich mal kurz unterbrechen, oder Moment, entschuldige mich mal, hier ist ein anderer. Zumindest weiß ich, wenn ich mich während der Unterhaltung mit jemandem zu einem anderen hin drehe, zupft mich mein Gesprächspartner, stupste mich, und macht ziemlich vehement auf sich aufmerksam, hallo, ich rede noch mit Dir. Das würde ich mir mal erlauben. Daran sieht man, dass andere so ein Verhalten auch nicht wünschen. Manchmal bleibt mir aber nichts anderes übrig, da uns jemand stört, und der andere unbedingt etwas von mir wissen möchte, und ich nicht auf zwei Personen gleichzeitig antworten kann. Aber es hat in meinem Fall auch keiner die Eier, mal zu sagen, Moment mal, ich unterhalte mich gerade noch mit dieser Frau hier. Dann bin ich einfach abgemeldet, und zwar kommentarlos. Und das tut schon weh. Das hat nichts damit zu tun, dass man das einer blinden extra sagen muss, das ist einfach normales menschliches höfliches Verhalten. Ich muss auch jedes Mal ganz laut reden, wenn ich mir Gehör verschaffen will. Ich suche mir jetzt  immer einfach irgend einen Dolmetscher und sage, sag doch bitte mal dem XY , dass ich was sagen will. Eigentlich bräuchte ich eine Sozialassistenz, die überall mit mir hingeht und sagt, sie möchte etwas sagen. Ich hab schon überlegt, mir eine Trillerpfeife mitzunehmen. Damit macht man sich aber alles andere als beliebt. Ich gab dann meinen Blindenlangstock an die betreffende Person ab und meinte, wenn wir von der Bühne gehen, drückst Du mir dem Stock in die Hand, damit ich ihn wieder habe. Jaja, so dachte ich, die Nachricht sei angekommen. Das kriege ich nämlich auch oft nicht mit, ob meine Ansagen überhaupt ankommen und  ernst  genommen werden.

 

Dann ging es also auf die Bühne, und ich schaffte es ganz gut, alles anzuziehen. Nur bei den Nylonstrümpfen hatte ich dann Probleme. Ich jammerte etwas herum und meinte, ich krieg die Dinger nicht an, aber eine unserer Mitspielerinnen meinte, das schaffst Du schon. Interessant, was die Leute alles wissen, was ich schaffe oder nicht. Statt einfach zu sagen, ich hab keine Zeit, Dir zu helfen. Dann hätte ich noch die Chance, nach jemand anderem Ausschau zu halten. So dachte ich nur, also gut, keine Chance auf Hilfe. Irgendwann habe ich es dann geschafft, dann hieß es, so, noch hochziehen, die Falten glätten, siehst Du, hast Du doch geschafft. Ich komme mir dann jedes Mal ziemlich blöd vor. Wenn ich an der Kasse irgendwo Frage, wo geht es denn hin, heißt es nur, da gerade aus, das finden Sie schon. Wenn ich selbstbewusster wäre, würde ich sagen, was ich finde oder nicht, entscheide immer noch ich. Wenn sie keine Lust haben, mitzuhelfen, dann steht Ihnen das natürlich frei, dann suche ich mir aber jemand anderen. So komme ich mir immer vor, als ob man pädagogisch auf mich einwirken wollte, und ich das alleine machen müsste. Als ich noch an der Dialyse war, bot mir ein Sanitäter seine Hilfe an, und eine unserer Stationshilfen meinte, das schafft sie schon selbst. Ich habe mich nicht getraut, in dem Moment zu widersprechen und selbstbewusster zu sagen, dass entscheide immer noch ich. Als sie dann weg war, schnappte ich mir den Sanitäter und meinte, ich möchte aber ihre Hilfe annehmen, weil ich das selbst bestimmen möchte, bitte bringen Sie mich hier durch dieses Chaos. Hätte ich das vorher gesagt, wäre er wahrscheinlich in Loyalitätszwang geraten. Dann hätte er wahrscheinlich sich nicht getraut, sich meiner bitte anzuschließen und sich ihrer Anweisung, mir nicht zu helfen, zu widersetzen. Ich fand, dass Grenzte schon am Mobbing, dass diese Stationshilfe, die noch nicht mal irgend eine Art von Autorität hat, einfach mir die Hilfe vereitelt, obwohl die ganze Station umgebaut wurde, überall Stühle im Weg standen, alles irgendwo herum stand, alles herumgerückt war, und ich kaum noch alleine zum Ausgang fand. Warum sie das überhaupt interessiert, ob mir jemand hilft oder nicht, und sie das versucht zu verhindern, blieb mir bis heute ein Rätsel.  Ich  hatte  früher oft solche Situationen und bin daher   traumatisiert, ich habe lange gebraucht, um Hilfe zu bitten, weil  ich oft  früher so getriezt  wurde, und andere  mich  zur „Selbständigkeit“  erziehen wollten.

Das war jetzt in diesem Falle nicht so, denn als ich dann die Nylonstrümpfe an hatte, meinte sie, ich kann Dir schlecht helfen, Deine Strümpfe anzuziehen. Darum eigentlich nicht, bei der Generalprobe hatte das auch jemand gemacht. Ich mache das ja nicht jeden Tag, für mich ist das so schwierig, als wenn andere Stützstrümpfe anlegen würden. Ich ziehe das Zeug normalerweise niemals an, es sei denn, ich muss es, sowie Männer, die keine Krawatten mögen, keinen Knoten binden können.

 

Auf jeden Fall klappte dann alles hervorragend, beide Rollen funktionierten. Als wir aber dann, der schwerbehinderte Rentner und ich, von der Bühne „flogen“ , weil wir ja beide so esoterisch durchgeknallt waren, und uns sozusagen gefunden hatten, hörte ich unter meinen Füßen irgend welches Holz knacken. Es war der Langstock, der einfach liegen geblieben war, weil er ihn nicht aufgehoben hatte und nicht mir in die Hand gedrückt hatte, wie besprochen. Der lag dann nach der nächsten Nummer immer noch dort. Irgendwann erbarmte sich eine des Stockes und hob ihn auf. Jetzt hat er einen kleinen Riss im Griff, ist aber nicht weiter schlimm. Geärgert hat es mich aber dennoch. Ich fragte den Mann hinterher, warum er ihn denn nicht einfach wie besprochen aufgehoben und mir in die Hand gedrückt hatte, und er meinte nur, er habe nur noch in Erinnerung gehabt, dass er ihn neben sich ablegen sollte. Das wirkte dann auch noch so, als hätte ich ihm das nicht gesagt. Als ich ihm sagte, ich hatte Dir doch noch gesagt, Du musst ihn mir geben, hat er schon nicht mehr zugehört. Frustrierend. Das sind die Kleinigkeiten, wo ich denke, vergessen ist halt ein aktiver Vorgang.

 

Danach saßen wir noch alle herum und aßen Kuchen, denn der andere Club hatte massig Kuchen gebacken, und welche von uns hatten auch ziemlich viel mitgebracht. Man hätte sich vor Kuchen gar nicht retten können. Eine unserer Mitspielerinnen hat ihren Partner dabei, den ich auch kannte, und er hatte seinen Hund dabei, der mittlerweile noch ein ziemliches Stück gewachsen war. Er war aber immer noch ein kleiner Schoßhund geblieben, aber als ich ihn damals kannte, war er noch ein Welpe. Ich langweilte mich eine Weile, denn außer dieser Frau kümmerte sich keiner um mich, und ansonsten saß ich nur blöd herum und konnte etwas zu essen aussuchen. Meinen Kaffee und das Wasser habe ich noch gelehrt, ansonsten saß ich dann dar, da sie dann mit ihrem Partner davon ging. Ich lief dann etwas umher, eine fragte mich, ob ich noch zu essen wollte, und ich sagte nein, aber mir ist langweilig. Aber sie hörte schon nicht mehr zu. Satt und sauber, alles andere ist nicht so wichtig. Kann ich Dir helfen, was soll ich darauf sagen? Nein, aber ich würde mich gerne unterhalten. Das würde die Peinlichkeit oder die Verkrampftheit der Situation auch nicht ändern. Irgendwann gabelte mich dann die Theaterpädagogin auf, und ich sagte ihr, dass ich mich hier nicht zurecht finde, was sie zum Glück verstand, und es kam nicht wieder die übliche Antwort, das geht doch allen so. Sie brachte mich dazu ihrem Mann und zu einem Mitglied der andere Theatergruppe, der einen Kommissar im Rollstuhl gespielt hatte, wo sich ja diese eine Frau so aufgeregt hatte, dass Behinderte dargestellt werden. Denn in dem anderen Stück stürzen sich zwei behinderte vom Hochhaus, weil sie nicht begriffen, dass man eben nicht fliegen kann. Dennoch war die Situation nicht lächerlich, und auch nicht über dramatisch, sondern es war ziemlich gut in Stück eingebettet gewesen. Aber wie waren jetzt eben vorsichtig geworden. Wir unterhielten uns eine Weile.

Es stellte sich heraus, dass der Mann unserer Theaterpädagogin in eine Einrichtung arbeitet, die Schwerbehinderte vermittelt. Diese Einrichtung hätte es schon damals gegeben, als ich noch Arbeit suchte. Warum hatte mich doch niemand hin vermittelt? Irgendwie war ich nie wirklich in einem Netz drin , wo man sich wirklich gut gekümmert hätte, oder wo man mich so aufgefangen und weitergeleitet hätte, dass ich Hilfe bekommen hätte. Ich musste immer für alles ziemlich alleine kämpfen, mir selbst Institutionen suchen, überall drum kämpfen, dass ich es kriege, und von alleine hat man mich fast nie irgendwohin geschickt. Wahrscheinlich bin ich einfach ein Versager, denn andere Schwerbehinderte werden offenbar dort recht mühelos vermittelt. Genau das hätte ich gebraucht, irgendwelche Leute, die Arbeitgeber davon überzeugen, dass Behinderte auch etwas leisten können, und die dann auch etwas schauen, ob es klappt. Aber das hat es angeblich damals nicht gegeben. Auch damals, als ich Arbeitsassistenz wollte, hat man mir in einem Beratungszentrum gesagt, dann müsste ich alle Abrechnungen und Honorarnoten selbst machen, das sei zu schwierig, ich müsste dann dem Arbeitsamt gegenüber Rede und Antwort stehen, und ich müsste jedes Halbjahr abrechnen, das würde so viel Zeit in Anspruch nehmen, dass ich hierfür schon selbst wieder Assistenz bräuchte, und dass dann der Arbeitsaufwand, der mir abgenommen würde, sich durch den Arbeitsaufwand, den ich mit den Abrechnungen hätte, wieder aufheben würde. Außerdem hatte mir das Arbeitsamt damals gesagt, suchen sie erst mal jemanden, dann sagen wir Ihnen, wie viel wir für die Stunde zahlen. Ich sagte, ich müsste erst mal wissen, was die Stunde bezahlt würde, ehe ich jemanden finde, der dann sich bereit erklärt, meine Arbeitsassistenz zu werden. Außerdem war damals der öffentliche Nahverkehr zu meiner Arbeitsstelle noch nicht gegeben, sodass wir jeden Morgen mit dem Pendelbus fahren mussten, erst seit letztem Jahr gibt es eine Straßenbahn dorthin. Die Assistenz hätte also ein Fahrrad oder Auto haben müssen, und aus Datenschutzgründen hätte sie vielleicht auch nicht unbedingt Einsicht in die Klausuren haben können, deren Handschriften sie mir hätte entziffern helfen sollen . Somit wurden mir damals ziemlich viele Steine in den Weg gelegt, sodass ich dann die Klausuren mit Hilfe des Lesegeräts, dass mir das Integrationsamt bezahlt hatte, auch so korrigieren konnte. Das ging damals noch mit dem Sehen. Außerdem wäre dann nicht klar gewesen, wie weit geht die Arbeitsassistenz, sagt sie, wenn jemand einen Fehler im Englischen in der Rechtschreibung gemacht hatte, oder in der Grammatik, weil ich das ja nicht lesen konnte, oder würde sie überhaupt nichts sagen, dann müsste sie mir aber alles buchstabieren. Die Abgrenzung zwischen dem Arbeitnehmer und Assistenz ist hier nicht sehr klar. Bei einem Menschen ohne Arme, dem man irgendetwas anreicht, ist klar, um was es geht. Bei einem blinden Juristen, dem man ein Gesetz vorliest, ist es auch klar. Aber es wäre nicht klar gewesen, wie man einer Ausbilderin für Englisch etwas vorliest, ohne schon die Fehler gleich mit anzugeben, sodass die Assistenz ja dann eigentlich schon die Arbeit macht. Daher habe ich dann auf eine Assistenz verzichtet. Er meinte, wenn ich bei ihm in der Einrichtung angefragt hätte, hätte er diese Probleme lösen können, er verstünde gar nicht, warum man mich damals so falsch beraten hätte. Ich verstehe auch nicht, warum ich immer an die falschen Leute gerate, nie die richtigen  Einrichtungen  finde,  nie  um deren  Existenz weiß, oder warum bei mir die Netze nicht greifen, egal, um was es geht. Irgendwie werde ich immer hängen gelassen, oder ich stelle mich einfach zu doof an.

 

Nach einer Weile saß ich dann wieder alleine rum, und dann saßen irgendwie alle zusammen. Ich stelle auch immer fest, dass ich aufgrund meiner kognitiven Einschränkungen Gesprächen nicht folgen kann. Es ging nämlich noch mal darum, was auf dem Gleis geschehen war. Ich fragte, warum denn nun die polizeilichen Ermittlungen stattgefunden hätten, und man meinte, es habe sich jemand vor den Zug geworfen. Ich sagte, ich dachte, es ginge um Ermittlungen, weil jemand ausgebrochen sei. Da meinte eine, Ermittlungen im Gleisbett? Da ging es darum, dass sich jemand vor den Zug geschmissen hat. Ich sagte, ich dachte immer, dass hieße Personenschaden. Heißt das jetzt Ermittlungen im Gleisbett? Sie meinte, das wüsste sie nicht, aber dann folgte ein Vortrag, dass solche Themen  nicht  offen  angesprochen  würden.  Ich  denke, Personenschaden ist doch auch schon  verscheiert genug gewesen, da  es sich ja  auch um  einen Schrankenunfall handeln kann und nicht immer um  Suizid  gehen muss. Ich hab das alles mit den Ermittlungen,  dem gleisbett und  den  neuen  oder nicht geänderten  Begriffen nicht ganz verstanden. Scheiß Behinderung, bei mir hat keiner die Geduld, mir alles so genau zu  erklären, da das nur  das Gespräch  bremst. Ich bin ja offiziell nicht  lernbehindert, sonst würde  man schonender und achtsamer und politisch korrekter mit mir umgehen.  So bin  ich halt  einfach nur  dämlich und einer der letzten Mohikaner, über den man sich  noch ungestraft  lustig machen kann! Ich sehe mich mittlerweile als wirklich lernbehindert. Bei mir muss man immer alles ganz genau erklären, damit ich es verstehe. Die  Andeutungen kapiere ich nicht, und  ich bin immer  schlecht informiert und  frage daher immer  dumm und  werde dann auch für dumm gehalten, auch wenn das  keiner zugibt, aber ich spüre es dann  halt.

Dann ging es darum, wie  gemein und rücksichtslos  es doch von „Selbstmördern“  sei, die man heute immer noch so bezeichnet, sich vor den Zug zu schmeißen, denn andere würden dadurch traumatisiert. Ja, das stimmt, aber niemand macht das  aus  Spaß  an der Freude. Dann wurde aber vorgeschlagen, die unauffälligste Methode sei es doch, einfach mit Schlaftabletten aufs Meer raus zu fahren, diese zu nehmen, und sich dann ins Wasser zu werfen. Mein Einwand, was ist dann mit den Angehörigen, die niemals mehr einen Leichnam zu betrauern haben, die gar nichts von ihrem Angehörigen mehr wüssten, wurde wieder mal überhört. Es gibt keine unauffällige Methode, sich umzubringen, es trifft immer die Angehörigen. Das wäre ja wie in Südamerika, wo jemand einfach verschwindet, man weiß nicht, ob er vielleicht woanders wieder aufgetaucht ist, und ich stelle es mir grausam vor, wenn man immer im Ungewissen ist, wenn man niemanden zum Trauern hat, oder wenn man niemals damit abschließen kann. Das hört man ja immer, wenn Kinder verschwinden, oder wenn politisch verfolgte einfach verschwinden, oder wenn sogar Tiere verschwinden, auch wenn das wesentlich weniger schlimm ist. Aber wenn das schon für Tierhalter   belastend ist, wie mag es dann erst bei Angehörigen sein? Ich kann bei solchen Diskussionen immer ganz schlecht mithalten, obwohl  ein Familienmitglied  von uns  unter mehr oder weniger  ungeklärten  Umständen  ums Leben  gekommen ist, und man  nie  abschließend  klären konnte, ob es sich um Suizid gehandelt hat oder  um einen  tragischen  Unfall. Dann haben sich einige Leute unterhalten, aber wenn immer ich eine Frage stellte, drehte man sich schnell zu mir um, gab mir Antwort, drehte sich aber dann wieder zu seinem Gesprächspartner. Das ist immer so, wenn Kinder etwas wissen wollen, wenn Erwachsene sich unterhalten, dann gibt man Kurz Antwort, dreht sich aber dann wieder zum Erwachsenen um. Statt dass man mich mit einbezogen hätte, oder statt dass man dann auch mit mir gesprochen hätte. Ich höre immer genau an den Schallwellen, ob man mit mir spricht, denn wenn gar nichts mehr in meine Richtung geht, dann weiß ich, dass die Leute gar nicht mit mir reden, und ihr Gesicht mir nicht zugewandt ist. Oder auch im Tonfall, wenn sie ganz genau und präzise sprechen, dann sprechen Sie mit mir, wenn es etwas privater und persönlicher wird, wenn sie etwas offener werden, reden sie meistens mit Menschen auf ihre Augenhöhe. Danach sollten wir dann noch eine Botschaft an unsere Mitspielerin schicken, die leider nicht dabei sein konnte. Ich schlug vor, dass doch in der öffentlichen Liste zu machen, damit andere, die jetzt nicht mehr da sein, sich vielleicht noch anschließen könnten. Aber man hat mir mal wieder nicht zugehört. So stellten sich also alle zusammen, und die leitende Theaterpädagogin sollte dann die Aufnahme machen. Sie sagte dann ganz laut, hier, ihr müsst die XY mit rein nehmen, die steht ganz am Rande. Ich finde, das sollte man sich schon mal Gedanken machen, sowohl ich aber auch die Gruppe, warum ich erst umständlich mit dazu geholt werden muss. Und warum das keinem auffiel, dass ich ganz im abseits stand. Hätte ich mich mit den anderen locker unterhalten können, wäre ich schon längst mit dabei gewesen im ganzen Haufen, dann hätte ich sowieso nicht am Rand gestanden. So ist es auch immer, wenn wir aus irgendeinem Raum rausgehen, ich muss immer ganz laut schreien, wo kann ich mich einhängen, wer nimmt mich mit? Würde ich mich sowieso schon mit Leuten unterhalten, dann könnte ich mich einfach ganz zwanglos einhängen, oder die würden mich dann ganz zwanglos unter den Arm klemmen. Aber so ist immer irgendwer für mich zuständig, der erst ermittelt werden muss. Und wenn es dann zur U-Bahn geht, wird immer befragt, nimmst Du sie mit? Ja, ich nehme sie schon mit, ich fahre sie heute mit dem Auto heim, das ist dann noch die netteste Variante, weil ich ja dann wenigstens mit dem Auto mitgenommen werde. Aber ich komme mir dann immer vor wie ein Gepäckstück, wenn in der dritten Person  mit Personalpronomen  ohne  Namen  über mich geredet wird, anstatt einfach zu sagen, wenn Du die XY mitnimmst, kann sie dann mit Dir kommen, oder man könnte mich direkt ansprechen, hast Du schon jemanden, der Dich zur U-Bahn bringen kann? Häufig komme ich mir dann vor, als sei ich irgend ein Gegenstand, den man nicht vergessen dürfte. Aber ich bin natürlich auch in der Lage, mir selbst eine Mitfahrgelegenheit oder eine Begleitung zu organisieren. Dann frage  ich,  ob ich mitkann, ob jemand   MIT MIR  zur  U-Bahn geht, und dann  heißt es immer: „Ja,  wir  NEHMEN Dich  Mit!.  Sehr nett. Ich würde mir nur wünschen, dass dies wesentlich zwangloser geschieht. Weil man vielleicht sowieso schon befreundet ist, sich unterhält, oder weil man vielleicht noch hinterher irgendwie etwas miteinander macht, oder was auch immer. Zumindest fehlt es mir an nichts, für mein leibliches Wohl ist zumindest gesorgt.

Es war körperlich nicht mehr so anstrengend wie beim ersten Mal, ich finde, die Routine spielt sich immer mehr ein, mit dem Umziehen klappt es ganz gut, und gespielt haben wir auch gut. Zumindest hat mir jemand, die dann mit mir zur U-Bahn ging, rückgemeldet, dass ich so toll gesprochen hätte. Und ich hätte den anderen fast an die Wand gespielt. Das war mir natürlich dann schon fast wieder peinlich, aber sie fand das gut. Mir fällt sowas jetzt nicht sehr schwer,  denn sprachlich bin ich ja ganz gut drauf. Und die Stimme konnte ich auch dementsprechend anpassen , damit jedes Mal eine andere Person herauskam, die ich verkörpern sollte. Es ist schon erstaunlich, mit wie viel wenigen Requisiten es möglich ist, einen ganzen Typus zu ändern. Das Theaterspielen selber macht riesengroßen Spaß, aber in Gruppen tue ich mir halt generell recht schwer.

Sonntag, 7. Juli 2019

Der Datenhandschuh


Wie in diesem Blog  schon berichtet, war ich kurz vor Weihnachten in einer  Tretmühle, in der man virtuell mit einem Stock durch ein ebenfalls  virtuelles Gebäude laufen konnte. Dabei wurde schon angekündigt, dass mit einem Datenhandschuh virtuelle Objekte ertastet werden könnten, und dies in einem späteren Experiment folgen würde. Man würde mich unterrichten, sobald es soweit wäre.

 

Vor zwei Wochen war es dann soweit, der Sohn eines blinden Bekannten von mir rief mich an, er arbeitet mit dem Forscher zusammen und macht seinen Master in Medieninformatik, und er wollte mich fragen, ob ich bereit wäre, an diesem Experiment teilzunehmen. Da ich neugierig auf all diese Dinge bin, sagte ich natürlich sofort zu, weil ich ja sowieso schon darauf wartete, eingeladen zu werden.

 

Ich traf mich also mit dem Sohn des blinden Bekannten, und wir gingen zusammen zu der Fachhochschule, wo alles stattfinden sollte. Der Untersuchungsleiter, der über das Thema virtuelle Realität promovierte und  mit mir zusammen schon das Experiment  mit der Tretmühle  durchgeführt hatte, erklärte mir den Ablauf. Zunächst einmal musste ich  einige Objekte ertasten, die dann später virtuell auf dem Tisch dargestellt würden. Man hatte im drei die Drucker ein Modell der Korridore um das Büro herum gemacht. Zum Glück waren sie mittlerweile in ein klimatisiertes Büro umgezogen, dafür war es etwas kleiner. Einen Vorteil und einen Nachteil gibt es immer. Aber mich stört das ja nicht. Es muss wohl so heiß gewesen sein, dass selbst die komplizierte Technik irgendwann versagte. Die Computer müssen ja auch gekühlt werden.

 

Nachdem ich diese Objekte ertastet hatte, die einige Korridore mit Säulen und einigen Abbiegungen darstellen sollten, musste ich mit den Händen jeweils pro Finger in eine Schlaufe schlüpfen. Dabei wurde mir natürlich geholfen. Auf dem Rücken der Finger und der Hand waren dann kleine Metallschienen mit Motoren angebracht. Der Handrücken hatte jeweils einen Infrarotsender, der an eine an der Decke angebrachte Infrarotkamera seine Signale abgab. Links und rechts vom Tisch wurden Trecker aufgestellt, die dem Computer zeigen sollten, wo die besagte Fläche war, auf die er dann die einzelnen Objekte projizieren sollte.

 

Wenn man mit den Händen auf den Tisch herum fuhr, wurde dies dem PC mitgeteilt, der ja eine virtuelle Landkarte in sich trug, und somit gab er über Funk den Motoren im Handschuh die Befehle, an den entsprechenden Stellen , wo sich etwas  befand, zu vibrieren, oder die Finger sich nicht weiter bewegen zu lassen. Das war dann eben die sogenannte  Vibrorealität  oder Forced  Reality.  Ich sollte dann die Objekte, die ich vorher in echt ertasten durfte, den Objekten, die mir virtuell auf dem Tisch eingespielt wurden, zuordnen. Zuvor wurden mir aber einige einfache geometrische Figuren auf den Tisch projiziert, die ich leicht ertasten konnte. Immer da, wo das Objekt sein sollte, vibrierten die Handschuhe. So erschien es einem, als ob man auf eine Linie fasst. Oder man konnte einen Kreis ertasten. Zwei der vier Objekte konnte ich erraten. Ich bin nicht sehr gut im Tasten und auch sehr schlecht in der Orientierung. Mein Gehirn verarbeitet das sehr schlecht. Daher bin ich natürlich nicht die ideale Versuchsperson. Aber ich wollte trotzdem mal mitmachen. Zwischendurch musste ich immer wieder Fragen beantworten, ob mir diese Aufgaben schwer fielen oder nicht. Je komplexer die Aufgaben wurden, umso schwerer wurde es natürlich. Das Zuordnen der einzelnen Modelle zu den jeweiligen virtuellen Modellen, das war natürlich wieder recht schwer. Ich habe nur zwei erraten, dass dritte wusste ich nicht. Denn es war um 90° gedreht, und wir hatten aneinander vorbeigeredet. Ich hatte nämlich genau das vermutet, aber ich konnte die Frage nicht zu stellen, dass sie verstanden und korrekt beantwortet werden konnte. Somit wusste er nicht, was ich meine. Sonst hätte ich es auch erraten. Aber immerhin, es war nicht ganz so schlimm wie bei der Tretmühle, wo ich überhaupt nichts geschafft hatte. Da bin ich nur irgendwie durchgekommen, ohne zu merken, wo ich mich überhaupt befand.

 

Das Gestell war etwas unbequem, und man hatte mir erzählt, dass man zum einen noch einen Stoffhandschuh hatte, der aus Amerika geschickt wurde, und außerdem hatte das Team aus Studenten selbst einen Handschuh gebaut. Das wollte ich natürlich ausprobieren, aber der Handschuh war natürlich aufgrund des Stoffs nicht zu genau und setzte manchmal aus. Es war aber wesentlich einfacher, dort hinein zu schlüpfen, denn das Ganze soll ja mal dazu gedacht sein, dass man es Zuhause benutzen kann. Man würde dann an der Decke eine Infrarot Kamera montieren, und auf dem PC hätte man dann die Landkarten gespeichert, und über Funk würde der Datenhandschuh seine Informationen bekommen, und man könnte die beiden Trecker irgendwo auf dem Fußboden oder auf einem Arbeitstisch platzieren, sodass der Computer weiß, wo sich die Fläche befindet, auf die er alles schicken muss. Ich fand das spannend, dass man einen Datenhandschuh bauen kann, und der war dann auch noch relativ preisgünstig. Wenn man natürlich die Zeit berechnet, ist ein Handschuh natürlich wieder wesentlich teurer. Bis zur Marktreife wird es wohl noch sehr lange dauern. Aber der Ansatz ist gemacht.

 

Ich durfte dann auch noch ein dreidimensionales Objekt ertasten, man spielte mir eine Kugel ein, die auf dem Tisch lag. Man hätte auch noch eine schwebende Kugel einspielen können, aber ich wollte eine, die liegt. Dann sollten die Motoren auf dem Gestell, in das ich mittlerweile wieder geschlüpft war, die Finger zurückhalten, aber meine Handgelenke verbogen sich immer wieder, man hätte sie ruhig halten müssen, um nicht durch die Kugel durchzugreifen. Daher war das ziemlich schwer. Ich konnte zwar spüren, dass irgendetwas in der Luft vibriert, aber was es war, hätte ich nicht identifizieren können.

 

Für unsere Radiosendung machte ich natürlich wieder ein Interview, welches dann das nächste Mal dran kommt. Unsere Landeszentrale für Neue Medien hatte sich beschwert und die Gelder mal wieder gekürzt mit der Begründung, wir machten kein gutes Radio. Auch die andere Sendung, die von und mit Menschen unterschiedlichster Behinderungen gemacht wird, wurde verrissen. Dieses Projekt wurde sowieso eingestellt, da dies von der Volkshochschule ausging, und die meisten haben sich direkt beim Sender angemeldet und wurden nicht von der Volkshochschule geschickt, sodass denen die Gebühren abhanden gingen. Wie lange unsere Sendung noch finanziell getragen wird, wissen wir nicht, ich kann nur hoffen, dass es noch lange so geht. Wir haben so interessante Dinge wie zum Beispiel Menschen, die sich mit Zunge schnalzen fortbewegen, Leute, die mit Blinden nach Indien fahren usw., ein Seminar über Gestik und Mimik und Rhetorik für blinde, all diese Leute werden interviewt, ich selbst gehe sehr häufig zu irgendwelchen Veranstaltungen, um dort Interviews zu machen und selbst teilzunehmen und Erfahrungen zusammen, ich weiß gar nicht, was wir noch machen sollen. Außerdem sind dies auch häufig sogenannte gebaute Beiträge, bei denen ich sogar die Übersetzung oben drüber spiele, was ziemlich aufwendig ist, wenn wir zum Beispiel Leute aus Amerika interviewen, die bei uns in der Vereinigung oder  in  Einrichtungen als Gastredner auftreten, wo ich natürlich auch wieder dabei bin. Oder ich gehe mit bei einem Umzug, wo es um die UN Behindertenrechtskonvention geht, mache dort Interviews und Fangetöne ein, und das ganze wird dann zusammengeschnitten und kommentiert, um einen hörenswerten Beitrag daraus zu machen. Dennoch ist diese Zentrale unzufrieden mit uns. Wir sind eines der wenigen freien Radios,  die es in unserem Bundesland gibt, aber man will halt keine freien Radios haben. Und schon gar keine von Behinderten.

 

In der  nächsten  Versuchsreihe soll es darum gehen, dass man einen Gürtel anbekommt mit sogenanntem LIDAR  (Light  detecting and ranging) , das ist so ähnlich wie Radar, und mit diesem Gürtel soll man sich dann im Raum orientieren, der wird einem dann wahrscheinlich Hindernisse ansagen. Auch hier werde ich wieder mitmachen und natürlich in unserer Radiosendung berichten, falls  es sie dann überhaupt noch gibt, was ich aber doch vermute und schwer hoffe.,