Mittwoch, 20. Februar 2019

Theater, Theater


vor einigen Jahren gab es die Möglichkeit, dass behinderte und nicht behinderte bei einer speziell dafür geschulten Theaterpädagogin lernen könnten, Theater zu spielen. Leider war dies zu weit weg, sodass meine Taxikilometer sonst zu schnell aufgebraucht wären, und die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln gestaltete sich extrem umständlich.

 

Im letzten Jahr eröffnete sich dann die Möglichkeit, dass bei uns am Staatstheater ein Club gegründet wurde, da eine Mutter einer Tochter mit geistiger Behinderung auf diese Theaterpädagogin zugegangen war und nachgefragt hatte, ob sie nicht ihrer Tochter, die so gerne einmal Schauspielern würde, die Möglichkeit bieten könnte, einen inklusiven Theaterclub zu eröffnen. Im selben Moment kam die Leitung der theaterpädagogischen Abteilung des Staatstheaters auf diese Theaterpädagogin zu und bot ihr an, einen Club für behinderte und nicht behinderte zu gründen. Dies erfuhr ich, weil ich diese Theaterpädagogin über ihr Stück in der weiter weg gelegenen Stadt interviewt hatte, da wir auch bei unserem Radiosender in unserer Redaktion für blinde und Sehbehinderte dafür Werbung machen wollten.

 

So dachte ich, jetzt ist der Club etwas näher gerückt, jetzt könnte ich doch mitmachen. Die ersten Male gestalteten sich recht schwierig, da ich die Räumlichkeiten überhaupt nicht kannte und auch nicht die Leute, die mich umgaben. Aufgrund meines schlechten Sehens und ebenso schlechten Gedächtnisses hatte ich Mühe, mir die Stimmen der Leute einzuprägen. Dazu kam noch, dass die Räumlichkeiten sich öfter mal änderten, da wir am Anfang auf verschiedenen Bühnen spielten, und diese Bühnen außerdem öfter mal durch andere Kulissen anders gestaltet waren, da die Stellwände jedes Mal anders standen. Irgendwann hatten wir dann auch endlich unseren festen Raum, der auch relativ hell war, in dem wir dann immer probten.

 

Es stellte sich heraus, dass ich einige Leute bereits kannte, da meine ehemalige Taxifahrerin sowie ein Teilnehmer der Gruppe, der auch in der anderen Gruppe bereits mitmachte, anwesend sein würden. Das hat mich sehr gefreut, so war ich nicht ganz allein. Auch kannte ich die Mutter der einen Frau mit Behinderung , da ich einmal ehrenamtlich für Flüchtlinge Deutschunterricht gegeben hatte, wobei diese Frau die Koordinatorin des Ehrenamtes unserer Stadt ist und daher mit mir bereits vorher Kontakt hatte. Somit schloss sich der Kreis, der sich bis dahin gebildet hatte.

 

Zu Anfang musste sich die Gruppe erst mal zusammenfinden, wobei wir uns immer mit Namen anrufen  und dabei klatschen sollten, und ich dabei große Mühe hatte, da ich die Leute gar nicht kannte. Es wurde uns gesagt, dass wir immer dann, wenn wir ein Problem hätten oder Hilfe bräuchten, Bescheid geben könnten. Ich bat mehrfach darum, dass, wie bei unseren Veranstaltungen des Blindenverbandes üblich, erst einmal alle rundherum ihren Namen sagen, oder die Namen der Teilnehmer kurz vorgelesen werden. Es war schwierig, dies immer wieder zu erbitten oder einzufordern, da jedes Mal sofort mit dem Klatschen begonnen wurde mit der Begründung, ich würde ja dann hören, wer da ist. Ich konnte aber von vornherein erst einmal niemanden anrufen, da ich ja nicht wusste, wen ich nennen konnte, da mir ja nicht bekannt war, wer da ist. Die Taxifahrerin meinte, ihr ginge es doch genauso, was eigentlich ein Grund mehr gewesen wäre, dies zu ändern, da man sich eigentlich an den Bedürfnissen der schwächsten  Teilnehmer orientieren muss, und damit eigentlich die Bedürfnisse aller erfüllt sind. Nach einer Weile konnte ich mir aber doch die Namen einprägen, und es wäre dann nicht mehr ganz so wichtig, erst einmal eine Namensrunde zu starten. Zu Anfang bestand noch eine hohe Fluktuation, dadurch war es noch schwieriger, sich alle Leute einzuprägen, denn einige kamen , und neue gingen, und andere gingen, und neue kamen usw. Bis sich dann die ganze Gruppe formiert hatte, und bis dann alle, die wirklich an dem Theaterstück teilnehmen wollten, da waren, und sich ein stabiler Kern gebildet hatte, vergingen einige Stunden.

 

Zuerst einmal wurden Ideen gesammelt, was wir denn spielen wollten, was jeder einbringen wollte, was jeder an Fähigkeiten besaß, und welche Arten von Stücken Mann machen wollte. Einige wollten ein Musical machen, andere wollten, wie zum Beispiel ich, etwas zur Lage der Politik oder zum Thema Behinderte oder etwas kritisches machen, andere wiederum interessierten sich mehr für Märchen, oder einige wollten eine Sagengestalt oder eine Märchenfigur oder  eine Comicfigur spielen. Diese Ideen wurden zunächst einmal gesammelt.

 

Ich hatte dann ziemlich große Bedenken, ob ich wirklich in diese Gruppe passen würde, und ob ich auch wirklich würde spielen können. Während eines Telefonats mit der Theaterpädagogin eröffnete mir diese, dass sie bereits ein Märchen im Hinterkopf hätte, und sie hätte mir im Kopf bereits die Hauptrolle zugedacht, da es um einen Prinzen ginge, der im Laufe des Stücks blind würde, und daher wäre ich für diese Rolle prädestiniert. Ich wollte zum einen nicht mit jemandem bereits vorher ausmachen, wer die Hauptrolle spielt, und zum anderen dachte ich, nur, weil ich blind bin, macht mich das noch lange nicht zu einem geeigneten Träger einer solchen Rolle, denn Blindheit ist nicht das einzige Merkmal, das ich besitze. Ich lese ja auch nicht Homer oder höre Stevie Wonder, weil sie blind sind. Außer der Tatsache und dem Umstand, dass ich nicht sehen konnte, hatte ich ja mit dieser Figur sonst nichts gemein. Aber die Blindheit ist immer der Hauptstatus, den eine Person besitzt. Die Begründung lautete, ein anderer müsse ja erst blind spielen lernen, wohingegen ich das bereits konnte, daher würde man nicht mehr wie früher die Menschen braun anmalen, sondern man würde dunkelhäutige Menschen nehmen, und so würde man das auch bei blinden machen.

 

Ich hatte mich einmal für eine Rolle beworben, wo eine blinde Frau  für einen Film gesucht wurde, was ich  auch hier in diesem Blog  geschildert  habe.  Davon  habe ich übrigens nichts mehr gehört, aber da macht es auch Sinn, nicht erst eine sehende Schauspielerin zu trainieren, dass sie blind spielen sollte, in diesem Falle hingegen war es ja eine Statue, die sich sowieso nicht bewegt, und wo es nicht nur primär um das Thema Blindheit ging, sondern lediglich die Blindheit ein Symbol dafür war, dass alle Reichtümer für die Armen geopfert wurden, unter anderem auch das Sehvermögen.

 

Es war  dann allerdings schwierig, eine andere Rolle für mich zu finden, wir durften auch alle Rollen erst einmal ausprobieren und sozusagen anziehen, ob sie uns passen. Ich spielte einmal den armen Schneider, aber ich eignete mich nicht sonderlich gut, da ich schlichtweg nicht unterwürfig genug war, denn der Geldeintreiber würde kommen, und wir hätten ihn bitten müssen, uns noch einige Frist zu gewähren, und ich bin nicht der Typ, der sich gut unterwerfen kann. Auch war ich viel zu klein, um eine solche Rolle auszufüllen, denn ein Mann ist nun mal deutlich größer als ich, und die damalige Rolle der Mutter, die zusätzlich auch noch gehbehindert war, wäre wesentlich größer gewesen als ich, und wir beide hätten nicht zusammen  gepasst  und konnten zusammen nicht gut spielen.

 

Ich hätte gerne die Schneiderin gespielt, denn das wäre mal eine ganz normale Person, die weder behindert noch sonst irgendwie seltsam war, wie ich sonst bin, aber es eignete sich dann eine andere Person dafür, die Frau mit der Gehbehinderung war dann eines der Mädchen, die Streichhölzer verkaufte, und die Mutter wurde dann von der Taxifahrerin gespielt.

 

So fanden sich dann alle Rollen , und am Ende konnte jeder in seine Rolle buchstäblich hineinwachsen, was man förmlich sehen konnte. Am Anfang wurden uns die Rollen  verlesen, und es gab einige Enttäuschungen, aber  am Ende  war jeder  meines Erachtens mit  seiner Rolle gut zusammengewachsen.

 

Es stellte sich dann heraus, da ich ja Gitarre und Querflöte spielen kann, und da ich aufgrund meines schlechten Gedächtnisses schlecht auswendig lernen kann, dass ich mich am besten für die Rolle der Erzählerin und Musikerin eignen würde. Ich hatte noch einige Rollen ausprobiert, bei denen man sich aber zu viel auf der Bühne hätte bewegen müssen, und eine Schwalbe mit Blindenführhund hätte sich jetzt wirklich nicht sonderlich gut auf der Bühne gemacht. Daher blieb mir die Rolle, zwischen den einzelnen Szenen Musik zu machen und währenddessen kurz die Überleitungen von einer Szene zur anderen herzustellen.

 

Durch meine Radioerfahrung und auch durch meine Therapie, die ich wegen meiner Heiserkeit einmal bei einer Atem-Sprech-Stimmtherapeutin gemacht hatte, und die mir damals enorm viel Spaß machte, hatte ich schon einige Erfahrung darin sammeln können, wie man deutlich und laut sprechen kann. Ich hatte mich einmal für  die Ausbildung zur Atem-Sprech-Stimmlehrerin beworben, aber man hatte mich aufgrund meiner Blindheit abgelehnt, und die blinde Lehrerin, die dort unterrichtete, sei laut meiner damaligen Sprechtherapeutin herausgemobbt worden. Außerdem wollte ich ja einmal Sprechwissenschaften studieren, aber man hat mich durch die Eingangsprüfung durchfallen lassen. Aber schon aufgrund meiner Fremdsprachenkenntnisse, da ich ja Übersetzerin bin und dies auch studiert habe, habe ich ein Talent dafür, richtig sprechen zu können, da wir ja viel über Phonetik und Aussprache wissen. Das war sozusagen meine Mitgift, mit der ich in die Sache einsteigen konnte. Seit meinem zwölften Lebensjahr spiele ich Gitarre, und ich konnte meine Kenntnisse relativ gut reaktivieren und sogar ziemlich ausbauen. Das viele Üben in der Zeit hatte mir einiges gebracht. Querflöte habe ich auch mal gelernt, allerdings bin ich da nicht sonderlich weit gekommen, aber für die musikalische Darstellung einer Schwalbe reichte es noch. Leider konnte ich mit der Querflöte keine Melodien spielen, denn das hätte die Dialoge auf der Bühne übertönt.

 

Eine große Herausforderung war auch, mit  den anderen zusammen zu spielen, denn das konnte ich nicht mit dem Sehen  bewerkstelligen, so konnte ich meine Einsätze nicht wirklich gut wahrnehmen. Somit mussten einige Signale ausgemacht werden, zum Beispiel tippte mir die Schwalbe beim Vorbeifliegen auf die Schulter, wenn ich aufhören sollte zu spielen, und am Ende machten wir aus, dass ich einfach zwei Tonleitern spiele, bis es weitergeht. Einige der Mitspieler haben aber manchmal ihre Einsätze verpasst, sodass ich einige einzelne Töne absonderte, damit sie wussten, dass sie dran waren.

 

Es waren Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen dar, eine Frau im Rollstuhl, einige mit kognitiven Einschränkungen, eine Frau mit Migrationshintergrund, die sprachlich leicht eingeschränkt war durch ihren Akzent, einige ältere Leute oder Menschen aus Selbsthilfegruppen mit chronischen Erkrankungen. Auch ein Nichtbehinderte hatte sich in diese Gruppe verirrt, da er früher einmal versehentlich bei einem Kochkurs war und im Fachbereich behinderte und nicht behinderte der Volkshochschule gelandet war, dabei aber festgestellt hatte, dass er keine Berührungsängste mit behinderten hatte. Er hatte schon ein gerüttelt Maß an Erfahrung im Schauspielen. Auch eine junge Sozialpädagogin war da, die diese Erfahrungen für ihre weitere Arbeit in diesem Fach bestimmt gut brauchen kann. Ich stellte leider fest, dass ich mit meiner Behinderung, einer Sinnesbehinderung, diejenige war, die am meisten Hilfe benötigte. Während jemand mit Rollstuhl sieht, wo er hin fährt, aber halt dann eben mit der Kirche ums Dorf fahren muss, um ins Haus zu gelangen, musste ich bei jedem Schritt begleitet werden, weil ich nicht sehen kann, wo ich hinlaufen  muss in unbekannter  Umgebung.  Es war auch ein Reporter da, der mit allen  ein Interview führte.  Der Artikel erschien, und über mich, die ich ihm  erzählte, dass ich bei einer  Redaktion für  Blinde und Sehbehinderte bin, und dass ich als Diplomübersetzerin keiner Stelle  erhielt und so  Ausgrenzung erfahren hatte, stand  nur drin, dass  die anderen bei mir sehr viel  Rücksicht  nehmen müssen , wenn wir frei im Raum herumliefen, um Kollisionen  zu vermeiden. Es  lebe das Stereotyp, das hätte er auch ohne   Interview über mich schreiben können. Vielleicht hatte er bemerkt, wie  unbeholfen  ich im Raum umher  gelaufen war.  Da war  dann das, was ich inhaltlich gesagt hatte, nicht mehr von  Relevanz.

 

 

Die Leute in der Gruppe waren recht hilfsbereit. Zwischendurch lief es sogar so, dass jeder mich einfach einmal mitnahm, ohne viel Aufhebens daraus zu machen. Am Ende lief es darauf hinaus, dass die älteste Mitspielerin jedes Mal dastand, um mir zu helfen.

 

Zu Anfang wurde das Stück so entwickelt, dass wir drei Kreise erdachten, innen sind die Menschen, die keine Behinderung haben, und außen diejenigen, die behindert oder aus anderen Gründen ausgeschlossen sind. Bei der Integration sind dann einige der behinderten auch im Innenkreis, und bei der Inklusion sind alle innen. Daher haben wir erst einmal einige Szenen durchgespielt, in denen wir ausgeschlossen wurden. Ich habe mir zum Beispiel eine Szene ausgedacht, in der ich die Regisseurin war, wo die gehbehinderte Frau viele Stufen zu einem Denkmal hochgehen wollte, und die Leute sie mit aller Gewalt davon abhielten, unter anderem mit den Bemerkungen, was soll denn eine gehbehinderte hier oben, wollen die denn jetzt schon überall hin. Oder wir spielten die Szene, wo ein Mann mit Stützen umfällt, und alle laufen vorbei, und er schreit um Hilfe und schimpft wütend hinter den Leuten her, die nicht helfen und ihn einfach liegen lassen. Zunächst einmal wollten wir ein Bild schaffen, in dem die reichen Menschen, die im Schloss lebten, ihnen waren, und die anderen außen herumliefen, plötzlich gehen die Schirme auf, die von den Menschen, die ihnen sind, aufgespannt vor sich her gehalten werden, sodass die anderen nicht einmal mehr sehen, was drinnen vorgeht, und sich sozusagen die Reichen oder die bessere Gesellschaft buchstäblich abschirmt. Dieses Bild konnten wir dann leider nicht mehr im Stück integrieren, da im weiteren Verlauf diese Szene nicht mehr richtig reinpassen wollte.

 

Das Stück hieß der glückliche Prinz von Oskar weilt, und es ging darum, dass ein Prinz, der wohlbehütet in einem Schloss lebte und völlig abgeschottet von der Außenwelt sein Vergnügen hatte, dann aber tot umfällt und als Statue aufgestellt wird. Dort sieht er dann das Elend der Stadt, was er dann einer Schwalbe erzählt, die nicht mit den anderen in den Süden geflogen war, da sie sich in ein Schilfrohr verliebt hatte, welches einfach  nicht mitfliegen wollte. Die Schwalbe war zunächst nicht sonderlich interessiert an den Geschichten des Prinzen, aber der überredete sie nach und nach, Gold und Edelsteine von ihm abzuzupfen und unter die arme Bevölkerung zu bringen. Da wäre zum Beispiel eine Schneiderfamilie mit einem kranken Kind, und der Wucherer kam, um Ihnen sozusagen als Pfand das letzte Feuerholz wegzunehmen, da sie die Schulden nicht zahlen konnten. Die Schwalbe sollte Ihnen einen Ruppin bringen. Dann gab es die alte Frau, die unbedingt noch einmal, bevor sie sterben würde, ihre Kinder sehen wollte, sich aber die weite Reise nicht leisten konnte, und der wurde ein Saphir gebracht, wobei die Schwalbe dem Prinzen ein Auge herausreißen musste. Das zweite Auge, auch ein englischer Saphir, ging dann an zwei arme Kinder, die auf der Straße saßen und Streichhölzer verkauften und erbärmlich froren, denen aber sämtliche Streichhölzer in eine Pfütze gefallen waren, weswegen ihr Vater sie zu Hause verprügeln würde, wenn sie ohne Geld nach Hause kämen. Auch denen überreichte die Schwalbe den Edelstein, und ungläubig nahmen sie ihn entgegen. Dann wurde noch das Gold von der Statue abgezupft , um es großzügig unter allen zu verteilen, die dann glücklich umhertanzten. Die Schwalbe war mittlerweile krank vor Kälte und völlig erschöpft, und sie starb, aber zuvor nahm sie noch Abschied vom Prinzen, was eine sehr berührende Szene war, und jedes Mal kamen uns fast allen die Tränen. Dann trat der Wucherer auf und sagte, er wolle nun die Statue einschmelzen und seine eigene Statue hinstellen, was er versuchte, seinem Gehilfen klarzumachen, dem jedoch alles völlig egal war, dessen Aufmerksamkeit nur einer Schwalbe galt, die tot am Wegesrand lag. Die Statue und die Schwalbe wurden zu der Schmiede des Wucherers geschleppt, und alles, was von der Statue übrig war, war ein gebrochenes nicht mitgeschmolzenes Herz. Dies wurde mitsamt der Schwalbe auf den Abfall geworfen, und dann standen alle Menschen der Stadt herum und erzählten einander von dem großen Glück, welches der Prinz und die Schwalbe über sie gebracht hatten, wobei sie sich nicht so recht freuen konnten, denn schließlich hatte der Prinz sein Augenlicht gegeben und war wie die Schwalbe auch an gebrochenem Herzen gestorben, und nichts mehr sonst war von der Statue übrig geblieben. Da kam dann noch einmal die Erzählerin ins Spiel, die den Leuten erklärte, dass zwei Engel gekommen waren und auf Geheiß Gottes das Herz des Prinzen und die Schwalbe in den Himmel gebracht hatten, das kostbarste , was diese Stadt zu bieten hatte. Das war der Lohn und dank für die große Opferbereitschaft des Prinzen und der Schwalbe, die sich von einem kleinen egozentrischen Ding zu einem herzlichen und liebevollen Geschöpf entwickelt hatte. Ich fand das schön, dass wir ein ganzes Stück aufführten, denn ich mag diese Collagen nicht, die nur aus irgendwelchen Sprechchören oder einzelnen Szenenfragmenten zusammengesetzt sind.

 

Das Bühnenbild war für mich etwas gewöhnungsbedürftig, denn die Leute mussten eingefroren in einer bestimmten Position verharren, zum Beispiel musste die alte Frau mit dem Kopf auf dem Tisch liegen, was ich fürchterlich fand. Dies war sozusagen das Bild der Menschen, die nur dann auftauten und zum Leben erwachten, wenn sie dran waren.

 

Wenn ich an unseren Spielort kam, mussten wir erst einmal alle meine Sachen irgendwohin packen, irgendjemand nahm mir dann Gitarre, Handtasche, Rucksack, Jacke und Stock ab, wobei ich dann darauf angewiesen war, dass mir irgendjemand wieder half, alles wiederzufinden,  da es überhaupt keine Möglichkeiten gab, irgendetwas fest irgendwo  zu deponieren,weil  es nur offene  Plätze  gab. Dies bereitete mir extrem große Mühe. Die Leute waren zwar, wie gesagt, sehr hilfsbereit, aber es war für mich sehr mühsam, immer auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein, und zum Beispiel immer wieder jemanden zu suchen, der mich von der U-Bahn abholt oder wieder dorthin bringt. Stück für Stück lernte ich den Weg, der ziemlich verwinkelt war und wenig Leitlinien aufwies. Am Ende war dieser Weg sowieso hinfällig, denn aufgeführt wurde das Stück wieder an einer anderen Stelle und einem anderen Bühneneingang. Somit musste ich wieder jemanden organisieren, die mich an der U-Bahn abholt, und das war eine sehr nette junge Frau mit leichten kognitiven Einschränkungen, die in einem Kindergarten arbeitet, und die diese Aufgabe bereitwillig erfüllte. Auf dem Rückweg fragte ich immer wieder jemanden, ob er mich mitnimmt, fand auch oft jemanden, aber sehr häufig brachte mich auch einfach die älteste der Gruppe, die eigentlich gar nicht dorthin musste, zur U-Bahn, wobei sich aber irgendwann herausstellte, dass sie ein Stück mit mir mitfahren und somit auch etwas davon haben konnte.

 

Es dauerte ziemlich lange, bis wir alle unseren Text beherrschten, und bis es klar war, wer wo zu stehen hatte, und ich hatte große Bedenken, unter anderem auch die ältere Dame aus der Gruppe, dass wir das je schaffen würden. Denn die Zeit war sehr knapp geworden, weil wir uns ja am Anfang erst einmal zusammenfinden mussten, ziemlich viele gruppendynamische Prozesse und Übungen durchlaufen mussten, um zusammen zu kommen, uns mit unseren Rollen vertraut zu machen, überhaupt einmal zu lernen, wie man sich auf der Bühne bewegt und einander kennen zu lernen. Ich hatte vorgeschlagen, dass wir unsere Rollen doch bitte vor Weihnachten schon bekommen sollten, denn es würde noch eine Weile dauern, bis wir sie auch wirklich auswendig lernen würden. Zunächst hieß es, die Rollen bekämen wir im neuen Jahr, jeder soll erst einmal jede Rolle ausprobieren, dann könne sich jeder entscheiden. Letztendlich sei ja dann   auch die Theaterpädagogin für die Besetzung verantwortlich, die ja  schließlich am meisten davon versteht. Beim nächsten Mal kam sie dann und meinte, wenn wir noch alle Kostüme ausprobieren wollen und ziemlich viel organisieren müssen, sei es nun doch sinnvoller, die Rollen bereits vor Weihnachten zu verteilen. Das hatte ich mir auch schon gedacht und ja auch  bereits  zu Bedenken  gegeben. Ich hatte zwar wenig Text, doch musste ich ja die Stellen finden, wann mein Einsatz kommen würde, so musste ich am Ende eigentlich das ganze Stück mehr oder weniger auswendig können, um wirklich meine Einsätze nicht zu verpassen. Ich hatte gefragt, ob mir jemand das Stück auflesen könnte, aber sie meinte, das sei zu viel, das würde niemand machen. Es hatte sich zwar jemand gemeldet, aber dann war die Frage auch schon wieder um die Ecke. Eigentlich finde ich es immer besser, wenn jeder selbst entscheidet, was ihm zu viel ist und was nicht. Ich setzte mich dann also selbst mit den Kopfhörern vor dem Computer und hörte mir mit der Sprachausgabe das Stück an und las es Stück für Stück auf, wobei ich mich sogar ganz gut in die einzelnen Figuren reindenken konnte, sodass das Stück ziemlich lebendig war, und ich damit dann beim Abhören die verschiedenen Szenen oder musikalischen Einlagen herausarbeiten konnte. Das hat auch ziemlichen Spaß gemacht, wenn ich auch aufgrund all der anderen hier im Blog beschriebenen Umstände wenig Zeit fand, mich damit zu beschäftigen. Neben meiner Theateraktivität musste ich ja auch noch wegen der Organisation meiner Medikamente herumkämpfen, insbesondere für das eine gegen non24 , was ich hier ja auch im Blog  beschrieben habe, ich musste meine Bank wechseln, da es in der anderen Bank nicht mehr klappte mit der Technik für blinde, zumindest für mich und meine technische Ausrüstung nicht, ziemlich viele Sachen gingen mir in der Zeit kaputt, ich hatte 2-3 Arztbesuche die Woche, ich hatte einige Besuche beim Orthopäden, da ich einen steifen Hals hatte, ich musste zur Physiotherapie und zur Ergotherapie, mein Bruder war in die S-Bahn gestürzt, wir mussten uns drum kümmern, dass sie ihn endlich operierten, und ziemlich viele Gegenstände gingen in der Zeit einfach auch noch kaputt, ein Rollo war gerissen, die Kette meines Duschrollo  war ausgekugelt, ich bekam noch eine Zahnkrone, die immer noch so viel Probleme macht, dass sie hier einen extra Blogeintrag erhalten wird. Obwohl ich zwar nicht arbeite und auch keine Kinder habe, ist mein Tageslauf doch so ausgefüllt , dass ich mittlerweile um 7:00 Uhr oder 37 aufstehe, um alles zu schaffen.

 

Irgendwann kamen wir dann auch endlich in den Genuss, dass das ganze Stück hintereinander durchgespielt wurde. Als es nur Szenen nach Szene gespielt wurde, kam ich mir relativ überflüssig vor, denn ich hatte nicht viel zu sagen, da jede Szene einzeln angesteuert wurde, und die Übergänge dadurch nicht gebraucht wurden. Zwischendurch setzte ich aber durch, dass auch ich meinen Text und meine Musik einmal kurz einbringen konnte, um sie an der richtigen Stelle zu platzieren und zu sehen, wie sie wirkt. Es wurde auch ziemlich viel raus gestrichen, da oder da sollte ich dann doch nicht sagen oder doch nicht spielen. Das fand ich etwas frustrierend, denn ich hatte Angst, dass bei jeder Probe irgendwas raus gekürzt würde. Irgendwann war ich damals ziemlich sauer, denn wir spielten das ganze Stück zum ersten    Mal ganz durch, und ich war gerade mit dem erzählen fertig und wollte noch meine letzten Takte des von mir selbst erdachten kleinen Stückes spielen, weil ich mir extra für die Schlüsselszenen eine Melodie ausgedacht hatte, aber die Theaterpädagogin klatschte schon mitten rein, als ob die Musik nicht auch zum Stück gehörte, und normalerweise applaudiert man ja immer erst dann, wenn das ganze Stück verklungen ist. Ich hatte das Gefühl, die Musik fällt einfach hinten runter. Ich sagte dann lautstark, ich bin doch noch gar nicht fertig, und dann erntete ich auch noch  obendrein ihr Gelächter. Eine der Mitspielerinnen meinte, ich glaube, sie meint ihr Spiel. Ich habe ihr dann noch mal extra geschrieben über WhatsApp, dass sie bitte warten muss, bis ich mit allem fertig bin, denn auch mein Teil gehört ja zum Stück dazu. Sie hat es dann auch nicht versäumt, mich auch mal extra zu erwähnen oder extra zu loben, dass sie offenbar merkte, dass ich das Gefühl hatte, hinten runter zu fallen. Ich dachte zu Beginn, die Rolle der Erzählerin sei eigentlich völlig überflüssig, wie ein Bild, das auch ohne Rahmen schön aussieht.

 

Es stellte sich aber bald heraus, dass ich, weil ich ja die ganze Struktur des Stückes im Kopf haben musste, eine gewisse Stütze bot. Dies mag auch meiner autistischen Struktur geschuldet sein, denn wenn etwas ausgelassen wurde, wo ich eigentlich dran war, meldete ich dies sofort lautstark, halt, da fehlt noch was. Ich habe er eine serielle Wahrnehmung, sodass ich das Leben eher als Perlenschnur empfinde, sodass mir Reihenfolgen irgendwann sehr leicht fallen, und wenn etwas außerhalb der Routine war, protestierte ich sofort, halt, jetzt komme doch noch ich eigentlich. Oder, da fehlt noch was, die Szene ist noch nicht fertig, ihr habt eine übersprungen. Dies war für die Gruppe relativ hilfreich, wie mir eine der Mitspielerinnen später sagte. Somit ist eine besondere Eigenschaft doch mal zu was nütze. Sie meinte, das würde der Gruppe ziemlich viel Ruhe geben, ich glaube, es stabilisiert zumindest.

 

Was mir selbst auch auffiel war, dass ich zwar sonst sehr schnell in Panik gerate, mich aber das klingeln von Handys, insbesondere des meinen, nicht sonderlich gestört haben, oder wenn Leute zwischendurch reinkamen oder rausgingen, stört mich das auch nicht, ich rede dann hat einfach lauter, schließlich habe ich ja Englisch in Gruppen ausgebildet, sodass ich Lärm gewöhnt bin. Ich habe zumindest gelernt, laut zu sprechen, ohne meine Stimme sonderlich zu strapazieren. Mich hat es dann eher gestört, wenn gemahnt wurde, die Handys bitte auszuschalten, denn die Mahnungen waren meistens aufwendiger als die Klingeltöne selbst. Unter anderem war auch ich häufig Ursache dieser Mahnungen, was mir dann am Ende schon peinlich war. Es wirkte dann so, als ob es jedes Mal mein Handy sei, dass an ist, obwohl andere auch ihr Handy oftmals nicht ausgeschaltet hatten.

 

Irgendwann hatten wir dann endlich so viele Durchläufe gemacht, dass wir alle sicher genug waren, es zu schaffen. Ich hatte nicht geglaubt, dass wir wirklich je auch nur einen  einzigen  ganzen Durchlauf machen würden, aber es war, wie die Theaterpädagogin sagte, das klappt. Irgendwann hatten es auch alle gelernt, sich richtig in die Rolle hineinzufühlen und auch wirklich zu betonen und wirklich zu spielen und nicht einfach nur abzulesen. Die meisten hatten auch ihren Text ganz gut drauf. Ich durfte ja improvisieren, somit musste ich mir wenig Text merken, nur den Abschluss, als ich dann das mit dem Himmel und den Engeln erzählen sollte, der sollte genau sitzen, damit die anderen dementsprechend ihren Dialog platzieren konnten.

 

Ich musste also zwischen Querflöte und Gitarre hin und her wechseln, und dann kam auch noch eine Triangel dazu, wobei ich mir jedes Mal insgeheim wünschte, dass die Triangel vergessen würde. Drei Instrumente zu wechseln ist schon ziemlich schwierig. Für einen Blinden ist es sehr schwer, eine Triangel zu spielen, denn wir sehen nicht, wo der Querbalken ist, und das Ding bewegt sich ja laufend. Ich musste mir also einen Trick ausdenken, wie ich es schaffe, mit dem Stab genau die Triangel zu treffen. Ich stellte auch fest, dass die Schlaufe jedes Mal aus der Aussparung rutschte, die an einer Ecke der Triangel war, damit sie auch klingen konnte. Der Stab selbst hatte auch eine Schlaufe, doch diese braucht man zum Glück nicht. Ich brauchte immer einen Stuhl, der keine Löcher hat, damit die Triangel nicht durch viele, die ich jedes Mal unter meinem Hintern platziert hatte. Am Ende kam mir dann die glorreiche Idee, dass man doch eine Tasche oder ein Stück Stoff nehmen könnte, wo ich die Triangel auf dem Boden ablegte, damit sie nicht jedes Mal lärmt, wenn man sie ablegt. Die leitende Theaterpädagogin hat dann einen schönen samt Hut mitgebracht, was so aussah, als ob ich Straßenmusik machen und sammeln würde. Der Schlapphut war ideal, um den Lärm der Triangel zu ersticken. Ich dachte mir dann den Trick aus, die Finger soweit durch die Schlaufe durchzuziehen, dass sie am Ende ziemlich lange waren, sodass ich mich an den Fingern entlangtasten konnte, um dann mit dem Stab genau dorthin zu zielen, wo der Querbalken unten war, damit ich nicht jedes Mal daneben schlug. Mir hat auch ein anderer blinder bestätigt, dass es für blinde sehr schwer ist, die Triangel zu spielen, denn ich dachte zu Anfang, ich sei einfach wieder mal nur zu ungeschickt.

 

Wir mussten auch etwas umhergehen, da wir uns am Anfang aufstellten und eine große Runde liefen, zu meinem Unmut, den ich manchmal auch lautstark äußerte, was wiederum zum Unmut unserer Theaterpädagogin führte, so mussten wir um die ganzen Stellwände herumlaufen, uns  mit dem Rücken zum Publikum hinstellen, und dann führte mich immer die  eine Mitspielerin zu meinem Platz, natürlich war es wieder die älteste aus der Gruppe, die sich besonders um mich kümmerte, und dann ging es los. Am Ende mussten wir dann wieder aufstehen, denn es gab eine sogenannte Applaus Ordnung, die ich zu Anfang immer als Verbeugungsordnung bezeichnete zu Erheiterung unserer Theaterpädagogin. Aus meiner Perspektive war es ja die Ordnung, wie ich mich zu verbeugen hatte. Ich fand das alles ziemlich umständlich, denn ich konnte ja nicht sehen, wann die anderen  den Oberkörper neigen, und somit machten wir aus, dass mir die Frau neben mir die Hand drückte, damit ich wusste, wann wir runtergehen müssen. Wir sollten einmal mit dem Kopf runter, danach kamen die beiden Hauptdarsteller, und dann noch dreimal wir. Ich bat um einen Gitarrenständer und um einen Querflötenständer, denn ich konnte ja die Instrumente schlecht mit schleppen oder einfach hin schmeißen. Ich hatte jedes Mal die Sorge, dass meine Instrumente zu Bruch gehen würden. Unter anderem war ich diejenige, die wahrscheinlich am ehesten dagegen stoßen würde. Den Querflötenständer brachte die ältere Frau mit, deren Enkelin ebenfalls Querflöte spielte, und so hatte ich das erste Mal Erfahrung mit einem Querflötenständer gemacht und werde mir nun selbst  auch einen kaufen. Der Gitarrenständer kam leider nicht, sodass dann eine aus der Gruppe, wenn wir uns verbeugten, die Gitarre schnell mitnahm. Zum Glück sind beide Instrumente noch heil geblieben. Die Triangel schob ich jedes Mal erleichtert unter den Stuhl, wenn  der Teil mit der Triangel vorbei war, denn dann war sie endlich aus dem Weg. Der Wechsel zwischen nur noch  zwei Instrumenten klappte dann ganz gut, denn ich hörte dann bestimmte Sätze, bei denen ich schon einmal langsam die Querflöte hoch nahm.

 

Vier Tage vor unserer Premiere und auch unserer  Dernier, da das Stück nämlich zweimal aufgeführt wurde, das erste und das letzte Mal, hatten wir dann eine Kostümprobe. Ich hatte zuvor ein eigenes Kleid mitgebracht, da ich dachte, eine Erzählerin muss ja nicht zu aufwendig gekleidet sein, und mein Kleid war immerhin schon einmal bei einem Mittelalterfest als  Mittelalterlich durchgegangen, sodass ich kostenlos rein kam. Ich hatte noch ein kurzärmeliges T-Shirt dabei, dass darunter musste, aber da würde man meinen Gefäßzugang für die Dialyse sehen, und das sei nicht schön, denn  da würden die Leute immer denken , was hat die denn dar. Mich stört so etwas nicht, wer mich  mit meinem Shunt nicht mag, mag mich auch ohne ihn nicht. Mir ist es mittlerweile völlig egal, ob die Leute da hinsehen, wer damit ein Problem hat, soll wegschauen. Ich war zehn Jahre an der Dialyse, und dafür braucht man sich was Gott nicht zu schämen. Aber wenn es so ist, dann ist es eben so, wenn man das nicht sehen soll. Was hätte man dann mit jemandem gemacht, der kurze Arme hat, oder der eine große Narbe hat oder einen Armstumpf? Ich dachte, wir sollten uns so zeigen, wie wir halt nun einmal sind, da wir eine inklusive Gruppe sind. Ich hatte irgendwie den Eindruck, ich müsse das verbergen, und so etwas gefällt mir nicht. Aber ich habe gelernt, dass ich mich den Anweisungen von einem Regisseur fügen muss. Auch das muss man in so einer Gruppe lernen, denn am Schluss wird es mehr und mehr direktiv, am Anfang geht es noch recht locker zu, und jeder darf sich ausprobieren, am Ende heißt es aber, so ist es, so wird es gemacht. Da gibt es auch wenig Diskussion, und ich hatte oft den Eindruck, gerade dann, wenn ich einen Vorschlag mache, wird er meistens abgelehnt. Das kenne ich aber aus vielen Zusammenhängen. Daher habe ich am Ende gedacht, die wird schon wissen, was sie tut. Somit habe ich dann das Kleid nicht angezogen, sondern wir mussten alle in die Kleiderkammer, um uns schöne Kleider rauszusuchen.

 

Ich bin ja eigentlich mit Kleidergröße 36 und manchmal auch 34 relativ zierlich, so dachte ich, bei mir würde das kein Problem werden, abgesehen von der Kürze meine 1,56 m. Als ich dann das Kleid anzog, welches für mich ausgesucht worden war, kamen meine alten Komplexe wieder hoch, denn als Kind war ich etwas molliger gewesen. Es hat einfach nicht gepasst, es sei denn, ich hätte in Kauf genommen, auf der Bühne ohnmächtig nieder zu sinken. Ich hätte zumindest nicht mehr atmen geschweige denn erzählen können. Wir fanden dann ein anderes, das war aber so hoch geschlossen, dass ich mein Geburtstrauma wieder erlebte, so hatte ich zumindest das Gefühl, denn ich dachte, ich würde erdrosselt. Außerdem stört mich die Wolle, da ich da eine Allergie habe. Es war ohnehin  in diesen Räumlichkeiten  sehr gut  geheizt. Mir wurde heiß und heißer , und ich bekam die fliegende Hitze. Meine Arme waren total heiß, und die leitende Theaterpädagogin meinte, das ist Lampenfieber. Meine Theaterpädagogin beruhigte mich und meinte, Angst ist ganz normal. Ich dachte, das würde jetzt bei jeder Aufführung kommen, denn normalerweise kriege ich nie Fieber, aber wer weiß, vielleicht hat man dann immer Temperatur, wenn man Theater spielt.

 

Als ich dann die kleine Bühne mit den 60 Plätzen sah, dachte ich, wir werden uns maximal vor 120 Leuten blamieren, und es war mir nicht mehr ganz so heiß. Am Ende der Kostümprobe habe ich fast wieder gefroren, da war ich dann beruhigt. Es war zumindest mal eine interessante Erfahrung zu erleben, wie sich Lampenfieber anfühlt. Wir haben aber beschlossen, dass ich ein anderes Kleid bekommen würde, und daher sollte ich am Tag der Generalprobe noch einmal mit der leitenden Theaterpädagogin in den Fundus gehen, um etwas passendes für mich zu suchen.

 

An dem Tag hatte ich ziemlich viel Stress, denn ich habe zum ersten Mal einen der neuen Geldautomaten ausprobiert, weil ich die Bank gewechselt hatte. Mittels einer App fand ich dann heraus, wo der nächstgelegene Automat war, und eine Frau hatte mich hingebracht. Sie hatte mir aber die falsche Tastatur gezeigt, sodass die Karte immer wieder herauskam, und es hieß, die Zeit sei überschritten. Das Gerät hat einen Kopfhörer, und blinde ohne Mehrfachbehinderung schaffen es mühelos, mit diesem Gerät umzugehen, aber ich stand zitternd davor und hatte Angst, meine Karte würde geschluckt. Ich bin fast durchgedreht, aber irgendwann haben wir es dann doch geschafft, nachdem wir die Kopfhörer entnahmen, und die Frau mir dann das Geld gab, welches sie sehend  mit dem Bildschirm aus dem Automaten bekommen hatte. Dann rannte ich mit voller Geschwindigkeit zu Fußpflege, und dort wurde dann in aller Eile noch das letzte Haar aus dem Gesicht herausgerissen, sodass ich nach meinem Friseurbesuch tags zuvor und nach der Behandlung mit Wachs und der Behandlung meiner Füße tauglich  für das Theater sein würde, obwohl ja  die Füße zwar nicht sieht, aber sie  waren halt auch mal wieder dran. Danach hetzte ich dann zu dem Theater zur Kleiderkammer, und dort warteten dann vier ausgesuchte Kleider für mich. Ich  fasste alle vier an und sagte, diese beiden kommen in die engere Wahl. Das erste zog ich an, aber  wir stellten fest, dass es zwar nicht schlecht aussieht, das andere aber wesentlich besser ist. Es  war Laxfarben, und man könnte es sogar heute noch tragen. Ich fühlte mich darin pudelwohl, und es  war die richtige Wahl. Ich hatte blöderweise meine Uhr so hingelegt, dass sie, als ich meine Kleider wieder  anzog , im hohen Bogen durch die Kleiderkammer flog, und der Deckel über der Unruh abgegangen war. Wir mussten dann zur Technik des Theaters, und er brachte ihn wieder drauf, aber das Zugband war gerissen, da ich aufgrund meiner Feinmotorik das Endglied an einem der Befestigungen der Uhr ziemlich  ausgeleiert hatte. Die Theaterpädagogin meinte, geh nach Hause und ruh Dich aus, das wird heut Abend noch anstrengend bei der Generalprobe. Ich dachte, wenn ich schon mal da bin, dann gehe ich lieber jetzt zum Uhrmacher, später mich noch mal aufzuraffen wäre mir zu mühsam gewesen. Ich rief also dort an, und ich konnte ganz schnell kommen. Es musste nur ein Glied herausgenommen werden, dann  war die Uhr wieder am Band befestigt, und sie sprach auch wieder mit mir,Datum  und Uhrzeit. Ein Glück, dieses Problem wäre gelöst. Ich ging nach Hause, aß etwas und legte mich noch 2 Stunden aufs Sofa, und dann hetzte ich wieder los.

 

Bei der Generalprobe riet uns unsere Theaterpädagogin, gibt nicht alles, spielt nur mit halber Kraft, morgen braucht ihr Eure ganze Energie. Man soll nicht meinen, dass 40 Minuten Spiel so anstrengend sind. Ich habe mich an ihren Ratschlag gehalten, und das  war gut so. Zwischen den Proben haben wir dann noch musiziert,  denn einer der Mitspieler, der die Hauptrolle spielt, spielt ebenfalls Gitarre, und so haben wir gesungen und gelacht, und es wurden einige Fotos gemacht, die ich dann im inneren Kreis meiner Bekannten herum zeigte, denn vor einer Theateraufführung darf man noch nichts nach draußen geben. Jetzt dürfte ich sie auch über Facebook veröffentlichen.

 

Am nächsten Tag kam dann noch mein Bekannter, der jetzt jeden Samstag kommt, weil immer irgendetwas mit meinen Thermostaten verstellt war, der Fernseher sich verstellte, Programme rausflogen, Timer herausflogen, und dieses Mal bestand das Problem darin, dass mein Fernseher nur noch eine Aufzeichnung machte, wobei man früher zwei Sendungen parallel aufzeichnen konnte, was aus unerfindlichen Gründen plötzlich nicht mehr ging. Zum Glück haben wir noch alles geschafft, denn ich war vorher noch beim Bäcker, um für die ganze Gruppe etwas zu besorgen. Jeder sollte etwas mitbringen, ich brachte sechs Brezeln mit, dann machte ich Kaffee und füllte diesen in meine kleine Thermoskanne, ich brachte noch drei Tassen mit, steckte einige Äpfel hinein und düste los. Die Mutter einer unserer Frauen mit geistiger Behinderung hatte Muffins gebacken, und einige der Frauen hatten auch Kekse mitgebracht, und die ältere Mitspielerin hatte eine riesengroße wunderschöne silberne Thermoskanne mit Kaffee  Dabei. Zum Glück, ich dachte, wenn wir um 15:00 Uhr spielen, dann kommen wir erst um 16:00 Uhr dazu, etwas zu essen, und ich hatte ungefähr um neun gefrühstückt. Somit konnte ich vor der Aufführung noch etwas essen, aber es wurde mir geraten, mir nicht zu sehr den Bauch vollzuschlagen, denn sonst wäre man zu müde um zu spielen. Ich hatte aber Kaffeedurst, und einige  Happen habe ich dann schon gegessen, denn sonst wäre ich zu schwach zum Spielen gewesen. Wir waren alle ziemlich aufgeregt, und dann ging es daran, mich umzuziehen. Da ich jedes Mal die Erfahrung machte, dass irgendjemand meinen Rucksack, meine Schuhe, meine Handtasche, meinen Stock oder meine Gitarre irgendwohin stellte, achteten wir beiden  dann darauf, dass alles bei der Frau stand, die sich etwas meiner angenommen hatte. Ich gab genau an, wo alles zu stehen hatte, damit ich es wiederfinde, aber es war ziemlich schwierig, denn wir hatten keinen Raum, wo wir die Dinge abstellen konnten, sondern wir mussten alles hinter die Stellwände der Bühne packen. Meine Kleider stopfte ich in den Rucksack, den ich zuvor gelehrt hatte, damit ich nicht einzelne Teile später  

 

 würde suchen müssen. Dennoch war es ziemlich anstrengend, laufend irgendetwas zu finden, denn ich musste meine Medikamente nehmen, ich musste etwas trinken, ich musste irgendwann mal an meine Sachen, um dies oder jenes Weg zu räumen. Unter anderem hatte unsere Theaterpädagogin uns jedem einen kleinen Vogel aus Porzellan geschenkt, der oben einen goldenen Kragen hatte, von dem aber immer ein kleines Stückchen ab geblättert war, wie auch bei der Statue im Stück. Das sollte uns Glück bringen, sozusagen als kleiner Talisman. Das fand ich sehr nett.

 

Sie wollte mich dann noch schminken, mir also etwas die Lippen mit lachsfarbenem Lippenstift anmalen, damit sie größer wirkten. An den Augen wollte ich nicht geschminkt  werden, denn ich bin schon oft genug an den Augen operiert worden und habe keine Lust, dass jemand an meinen Augen herum macht. Das würde nur unnötig brennen oder unnötige Empfindungen verursachen. Wir bekamen aber alle Puder ins Gesicht, damit wir nicht so glänzten. Während sie mir die Lippen anmalte , ging die ganze Truppe aufs Klo, und ich meinte noch, ich muss auch, aber da fuhr mich die Taxifahrerin an, ich solle doch gefälligst nicht so einen Stress hier machen. Dann waren alle weg, und ich wurde weiter geschminkt. Dann sagte ich, ich müsse auch aufs Klo, und die Theaterpädagogin meinte, warum bist Du denn nicht mit den anderen gegangen. Ich sagte, ich wurde gerade geschminkt, ich hab doch gesagt, dass ich auch müsse, ich kann ja schlecht währenddessen Weg rennen. Ich bat dann die Taxifahrerin, mich aufs Klo zu bringen, denn die hatte ja schließlich falsch reagiert. Das Klo war gar nicht so weit weg, so war das relativ einfach. Sie machte mir dann die Haarspange an die richtige Stelle, die sie selbst mitgebracht hatte, da diese etwas eleganter war als meine Spange aus Naturholz. Sie hatte etwas Mühe damit, und als ich sie fragte, ob meine Haare vielleicht nicht gut gewaschen sein, fuhr sie mich auch gleich wieder an, ich solle doch gefälligst nicht so ungeduldig sein. Ich fand das ziemlich ungerecht, denn ich hatte doch eigentlich gar nichts gesagt, aber das passiert mir laufend.

 

Dann ging es los, und wir mussten uns hinter den Stellwänden verstecken, damit die Leute im Zuschauerraum uns nicht sehen würden. Das war eigentlich der schlimmste Moment. Ich fühlte mich wie ein Pferd vor dem Rennen, ich scharrte schon mit den Hufen, und ich wollte endlich los, und die Aufregung stieg und stieg, die Luft hinter  den   Stellwänden wurde immer knapper, und die Rede der leitenden Theaterpädagogin wollte und wollte nicht enden.  Die Taxifahrerin  neben mir  schlotterte mit den Armen, und ich konnte mir nicht  verkneifen zu sagen, wer ist hier eigentlich nervös? Irgendwann gab es dann das Zeichen zum Start, wir machten unsere Aufstellung, ich wurde auf meinen Platz gesetzt, die Leute gingen  auf  ihre  Positionen, und als  der Spot auf mich gerichtet war, was ich zum Glück noch sehen kann, habe ich losgelegt. In der ersten Aufführung habe ich wirklich alles gegeben, und für mein Empfinden habe ich fast keinen Fehler gemacht. Es war wirklich toll, und es klappte wie am Schnürchen. Die Leute im Publikum, die zum großen Teil aus Menschen von der Lebenshilfe bestanden, waren ein sehr dankbares Publikum und reagierten sehr emotional, was mir sehr half, denn durch das Feedback wusste ich, dass sie es verstanden hatten, und diese Resonanz machte mich sehr glücklich, und ich war wirklich gerührt, wie die Leute mit gingen und mit lebten. Ich musste mich wirklich am Riemen reißen, um nicht auch loszulachen oder auf das Publikum wiederum zu reagieren. Am Ende bekamen wir riesengroßen Applaus, wir mussten uns sogar mehrfach verbeugen, womit ich gar nicht gerechnet hatte. Einer unserer Mitspieler meinte, er würde dann auch Autogramme verteilen, und es hieß immer wieder, was machen wir, wenn wir noch mehr Applaus kriegen usw., wobei ich jedes Mal dachte, sind die aber optimistisch. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass wir so viel Resonanz bekommen würden.

 

Während der Pause habe ich mich dann noch ein weiteres Mal gestärkt, wobei ich mit Sorge feststellte, dass mein Kaffee noch immer nicht angerührt war, und die meisten der Brezeln immer noch in der Tüte waren. Ich kenne eine andere blinde Kollegin, die mir häufig erzählt, dass ihre Sachen übrig bleiben. Ich habe  dann noch einiges gegessen, und wir haben  dann noch etwas  Gitarre  und Querflöte gespielt und gesungen. Wir sind dann noch mal kurz nach draußen gegangen, aber dann mussten wir auch schon wieder rein. Ich hatte mehrfach zu meiner Tasche gehen müssen, aber die Orientierung in diesem Raum war wirklich schwierig, und ich habe sowieso Probleme, mich irgendwo zu orientieren, wenn ich nicht schon öfter dort gewesen bin und feste Fixpunkte habe. Auch  waren meine Sachen wieder dauernd irgendwo anders, und irgendwann schimpfte ich dann, dass das wirklich nicht geht, dass  ständig meine Sachen verstellt werden. Die Antwort hierauf war immer nur, das geht uns anderen auch nicht anders. Dass ich aber blind bin, und das daher für mich wesentlich mühsamer ist, wird ja immer gerne übersehen. Schließlich geht es ja anderen auch so. Den Vorschlag, doch dann einfach mal die  Glotzer aufzumachen, würde sowieso niemand annehmen oder kapieren.

 

Bei der zweiten Aufführung hatte ich dann wesentlich weniger Konzentration, ich wartete auf ein Stichwort, und als dies nicht kam, war ich leider nicht flexibel genug, darauf zu reagieren, und ich hielt die Triangel umsonst in der Hand und verpaste  einen  ihrer Einsätze, und auch das Spielen der Querflöte ging wesentlich schlechter von der Hand als beim  ersten Mal, und ich habe mich einmal beim  Erzählen fast verheddert, ich hoffe, es hat keiner gemerkt. Auf jeden Fall war ich ziemlich verärgert über mich selbst, da ich in der anderen Vorstellung bereits alles gegeben hatte, und die Konzentration schon ziemlich verpufft war, und die Luft im wahrsten Sinne des Wortes raus war. Am Ende erfuhr ich dann obendrein auch noch, dass dies die Vorführung war, in der gefilmt wurde. Das war meine schlechteste Leistung, da war ich natürlich dann schon sauer auf mich selbst, und auf diesen blöden Zufall auch noch, dass gerade dann gefilmt wurde. Aber meine Sorgen wurden als ziemlich unbegründet dargestellt. Ich bin gespannt, wie dann der Film wird, mit einigem Abstand wird man dann sicher bemerken, dass diese Schnitzer, die ich bei mir selbst festgestellt habe, gar nicht zu sehr auffallen. Ich hoffe zumindest.

 

Danach haben wir dann noch mit Sekt angestoßen, und eine der behinderten Frauen hat mich ziemlich bemuttert, was mir irgendwann dann auf den Geist ging. Die ältere Frau hat mich dann gerettet, als ich schon fast geplatzt war und sagte, ja Mami, weil die behinderte Frau mir dann auch noch eindringlich befahl, doch auch noch meinen Reißverschluss zuzumachen. Die meisten knien sich dann einfach vor mich und machen den Reißverschluss zu, ohne mich zu fragen, denn mit 51 ist man dann noch zu klein. Aufgrund meiner Feinmotorik habe ich sowieso Probleme mit dem Reißverschluss, aber diese Unfähigkeit wird meistens mit dem Kleinkindalter verwechselt. Dann ist man eben auch sonst ein Kleinkind. Wir gingen dann noch zum Essen, eigentlich hatte ich befürchtet, dass ich gar nicht mehr in der Lage dazu sein würde, daher hatte ich nicht verbindlich zugesagt, so mussten wir alles spontan suchen, da die meisten sich nicht vorher entschieden hatten. Ich habe zuvor noch nie Theater gespielt und wusste nicht, in welcher Verfassung ich danach sein würde. Mir wäre lieber gewesen, wir hätten uns noch einmal eine Woche später getroffen, aber die Stimmung war danach, dass alle zum Essen gehen wollten.

 

Während wir zuvor  mit Sekt  anstießen, wurde gefragt,  wer  denn in der Gruppe bleiben wollte, oder wer die Theatergruppe verlassen würde. Ich hatte mich für letzteres entschieden, denn für mich als jemand,  der fast nichts sieht, ist das Theater relativ ungeeignet. Mir wurde zwar gesagt, ich könne eine Begleitung auf der Bühne haben, einen sogenannten Schatten, oder man kann Teppichfliesen hinlegen,  an denen ich mich orientieren kann, aber ich glaube, dass dies bei dem häufigen Wechsel an Bühnen oder an Aufstellungen der  Kulissenwände ziemlich schwierig ist.  Und  die  Aufführung ist ja dann auf einer anderen Bühne als  die  Proben. Ich müsste höchstens eine Rolle spielen, bei der man sich nicht sonderlich viel bewegen muss. Jetzt habe ich auch festgestellt, dass ich durchaus in der Lage bin, etwas Text zu behalten, was ich mir zuvor überhaupt nicht zugetraut hatte. Aber ich vermute, ich bin mehr fürs Hörspiel geeignet. Der Stress, zusätzlich auch noch mit dieser Sehbehinderung umzugehen, ist zu groß und raubt zu viel Energie, um dann auch noch spielen zu können. Außerdem war es für mich ziemlich mühsam, permanent um Hilfe bitten zu müssen, nicht selbstständig sein zu können, und dauernd auf andere angewiesen zu sein. Denn es konnte schon mal passieren, dass jemand sagte, ich helfe Dir, diese Person wurde aber dann von jemand anderem gerufen und war auf einmal weg, und wenn dann jemand anderer kam, um mir seine Hilfe anzubieten, lehnte ich zunächst  einmal ab mit dem Hinweis darauf, dass jemand anderer bereits seine Hilfe versprochen hätte, der aber dann nicht mehr wiederkam. Für mich ist es am einfachsten, wenn ich weiß, wo alles ist, damit ich mich noch selbstständig bewegen kann. Was auch schwer für mich war, war der Umstand, dass wir eine Gruppe  über WhatsApp hatten, und sich alle immer wieder mit nonverbalen Signalen austauschen, die ich nicht sehen konnte, wobei ich mich ziemlich ausgeschlossen fühlte. Ich dachte, diese Plattform sei lediglich dazu da, um Termine auszumachen, sich über organisatorische Dinge auszutauschen usw. Stattdessen gingen laufen Kusshändchen herum, ich hörte mein Signal, schaute eilig auf mein Handy um zu wissen, was los ist, und dann war es wieder nur irgendein Bild, dass ich sowieso nicht sehen konnte. In der Liste kamen dann, was andere sehr schön fanden, laufend irgendwelche Nachrichten wie, ich wünsche Euch allen einen schönen Tag, ich wünsche Euch ein schönes Wochenende, ich wünsche Euch eine schöne Woche, ich auch, ich auch, ich auch, was ich ziemlich lästig fand, denn es raubt ziemlich viel meiner Zeit, wenn ich dauernd aufs Handy drücken und Gesten machen muss, damit die Sprachausgabe alles vorliest. Ein sehender guckt einfach mal auf sein Handy und sieht, da  ist dieses oder jenes gekommen, ich muss erst ziemlich viele Gesten machen, was aufgrund meiner schlechten Feinmotorik noch umso mühsamer ist. Ich habe dann einige Fotos herumgeschickt, die wir während der Theaterproben gemacht hatten, und dies ist mir nur bei einigen gelungen, und dann entspann sich eine Diskussion darüber, weil ich nicht in der Lage war, den Rest noch zu schicken, und ich ziemlich sauer auf mich war. Dann hatte das jemand anderer übernommen, und ich fand es schade, dass ich dieser Herausforderung nicht gemeistert hatte usw. Das war dann auch wieder lästig für die anderen, dass mit zu bekommen. Das Problem ist aber, dass die ganzen Symbole, die angezeigt werden, nicht genannt werden, sodass ich oft gar nicht wusste, ob hier  gerade einfach nur ein Symbol nicht angezeigt  wird, oder ob ich nur den Text nicht finden kann, das  machte  mich dann nervös, und ich  fragte  auch dann ganz panisch, was  ist das, hab ich da was verpasst usw.. Ich bat dann irgendwann darum, dass doch bitte alle Dinge beschrieben werden mögen, damit ich auch teilhaben könnte, weil ich dies eben auch unter Inklusion verstehe. Danach erhielt ich dann einen Anruf unserer Theaterpädagogin, ich würde zu viel Stress auslösen, das könne man nicht leisten, sie würde mir doch sagen, wenn etwas wichtiges käme, ich solle das doch bei ihr einfach lassen und loslassen, und ich solle mich doch auf sie verlassen. Das ist eigentlich nicht mein Stil, denn ich bekomme dann alles aus zweiter Hand und bin eigentlich nicht unmittelbar im Geschehen drin und nicht beteiligt. Denn es kamen häufig Bemerkungen, die sich auf etwas Vorheriges für mich  Unsichtbares bezogen, oder es  entstanden Späße, die um etwas gingen, was gerade herumging, und ich war somit auch nicht im Gruppenprozess wirklich integriert. Das fand ich sehr schade. Zumindest hatte ich dann gesagt, ich wolle die wichtigsten Dinge entweder per Sprachnachricht oder schriftlich, damit ich nicht irgendetwas versäumen würde, denn in dem ganzen Haufen von Symbolen und nicht verbalen Zeichen hätte ich dann nicht herausfiltern können, was nun wichtig ist und was nicht. Am Ende war es sowieso der Fall, dass nur noch bestimmte Leute aufeinander reagierten, wohingegen andere, was mir auch einige bestätigten, ebenfalls keine Reaktionen auf ihre WhatsApp Nachrichten erhielten. Zumindest war diese Plattform gut, um die nötigsten Dinge zu erfahren. Aber ich sehe eben, dass mit einer Sinnesbehinderung die Inklusion einfach nicht wirklich optimal laufen kann. Für mich ist es immer schade , festzustellen, dass ich in einer Gruppe von behinderten bin und mich als diejenige fühle, die die größte Behinderung hat.

 

Als ich dann den anderen versuchte klarzumachen, dass für mich die Sache zu schwierig sei, war besonders die ältere Frau darüber sehr traurig, die eindringlich auf mich eingeredet hatte, doch dazu bleiben. Eine Mitspielerin meinte, es wäre doch schade, denn das blinde Element hätte ihr so viel gebracht, dass jemand blindes in der Gruppe sei, denn sie hätte mich öfter zur U-Bahn begleitet und dabei bemerkt, was ich kann und was ich nicht kann. Ich wäre lieber aufgrund anderer Eigenschaften geschätzt worden und nicht dadurch, dass ich das blinde Element einbringen. Es gibt ja auch andere blinde, die dann vielleicht mal wieder in die Gruppe kommen. Aber jeder  (blinde) Mensch ist  ohnehin anders. Die Theaterpädagogin hatte mir einmal gesagt, Du tust der Gruppe gut, denn sie müssen Dir viel helfen, und dadurch kommt viel Ruhe in die Gruppe. Ich fand das gut, denn ich bin der Meinung, wenn man sich am schwächsten orientiert, und das bin nun mal ich, dann profitiert die ganze Gruppe davon, und eine Gruppe misst sich eben daran, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Leider ist es eben so, da beißt die Maus keinen Faden ab, dass man das eingestehen muss, wenn man der schwächste ist. Es hilft ja nichts. Nur wäre es auch schön gewesen, wenn andere Eigenschaften von mir dazu beigetragen hätten, einen Beitrag für die Gruppe zu leisten. Allerdings sagten mir viele, dass meine Stimme als Erzählerin sehr gut geklungen hätte, und dass auch die Musik gut gepasst hätte, und dass ich einen guten Rahmen geliefert hätte.  Genau  eben dieselbe Mitspielerin meinte, ich hätte wohl die Ruhe weg, und ich würde wohl gar nicht aufgeregt sein. Das stimmte natürlich nicht, aber auf der anderen Seite musste ich ja nur das tun, was ich sowieso den ganzen Tag mache, reden und vielleicht noch mal Musik machen. Insofern musste ich mich in meinen Talenten nicht sonderlich weiter entwickeln, was natürlich auf der anderen Seite auch wieder schade war, denn ich hätte noch gerne mehr aus mir herausgeholt, oder ich hätte gerne andere Seiten oder Talente in mir entdeckt. Die Entfaltungsmöglichkeiten sind aber meines Erachtens, auch wenn  es da andere Meinungen gibt, für mich als blinde hier sehr eingeschränkt. Denn die ganze logistische Herausforderung ,  die nebenher noch läuft, wobei man ja nebenher auch noch ein privates Leben hat,  das auch extrem  heftig ist, ist schon sehr auslaugend. Für meine Verhältnisse war ich sehr gut in der Gruppe einbezogen, was ich schon sehr schön fand. Es gibt bestimmt andere blinde, die aufgrund der Tatsache, dass sie keine weiteren Behinderungen haben, vielleicht besser klarkommen. Aber immerhin bin ich stolz, dass ich mal am Staatstheater gespielt habe. Das kann nicht jeder von sich behaupten.

 

Nach einer großen Herbergssuche sind wir dann im dritten Restaurant endlich doch noch aufgenommen worden, das sinnigerweise ein mittelalterliches Restaurant war, somit war die Kontinuität zu unserem Stück gewahrt. Dort hielten natürlich unsere beiden Männer eine Rede, was Männer ja immer gerne tun. Ich lernte auch die Angehörigen einiger Mitspieler kennen, was mir sehr gut gefiel. Die ältere Dame und ich beschlossen, auf jeden Fall in Kontakt zu bleiben. Eine der Mitspieler hatte mir um  Weihnachten  herum einmal angeboten, meine Deckenventilatoren nach oben zu montieren, was er sich fest in seinen Kalender eingetragen hatte. Er meinte beim Essen, er habe die Woche Zeit, er könne das machen. Als ich ihm sagte, dass ich in Anrufe, meinte er, ich melde mich. Dieser Satz bedeutet aber meistens, dass es nicht klappt. Genau wie ja ja eben Leck mich heißt. Ja Jahr hatten wir übrigens auch häufig im Stück, denn der Gehilfe, der ziemlich gelangweilt war, und der die Ansichten seines Herrn nicht teilte, tat dies immer mit einem gelangweilten jaja kund, der Text war wirklich sehr kurz, aber der Effekt war bombastisch, und er erntete die meisten Lacher. Somit hatte die kleinste Sprechrolle irgendwie doch eine der größten Wirkungen. So etwas geht wahrscheinlich auch nur im Theater.

 

Ich verabschiedete mich dann später noch einmal über WhatsApp, nachdem ich mich von jedem, zumindest von denen, die ich erwischt hatte, persönlich verabschiedet hatte.   Es kamen  noch einige Reaktionen  zurück.   Aber als dann wieder nur Fotos herumgingen, Kusshändchen geworfen wurden oder irgendwelche nonverbale Zeichen kamen, habe ich mich dann ganz von der Gruppe abgemeldet, denn nun brauchte ich sie ja nicht mehr auf dem Handy. Ich hoffe, dass ich mit einigen noch in Kontakt bleiben werde. Wenn mal weniger los ist in meinem Leben, was wahrscheinlich utopisch ist, oder wenn mich doch einmal die Langeweile packt, was noch utopischer ist, dann überlege ich es mir noch mal, oder wenn ich Chancen sehe, dass sich alles gut eingespielt hat, und die Sache in ruhigen Bahnen läuft. Dann könnte ich es mir durchaus vorstellen, noch mal einen Anlauf zu wagen. Aber unter den jetzigen Umständen, wo schon wieder meine Zahnkrone fast abgegangen ist, immer noch einige Dinge in meiner Wohnung gemacht werden müssen, und immer wieder was kaputt geht, wäre das zu viel Stress, und da ist ja auch noch der Wechsel der Bank, der sich noch vollends einspielen muss. Somit gibt es noch genug Theater außerhalb des Theaters.