Sonntag, 23. Dezember 2018

Zauberknöpfe aus dem Nähkästchen oder aus dem Schneider


Bei der Hochzeit meines Neffen hat meine Mutter mir eine schöne blaue Wildlederjacke geschenkt, die sie nie getragen hatte, die aber schon älter war. Leider habe ich meine schöne braune Wildlederjacke wegwerfen müssen, weil sie  ein Loch hatte und abgetragen war. Die hatte ich schon fast 30 Jahre, aber da man Wildleder nur selten anziehen kann, weil es entweder zu warm, zu kalt oder zu nass ist, hatte ich sehr lange an ihr. Die Jacke hatte ich damals aus dem Secondhandshop, in dem meine Mutter gearbeitet hat, weil es ein Wohlfahrtsladen vom  katholischen Frauenbund war. Damals habe ich mir die Jacke beim Schneider etwas ändern lassen, zum Beispiel den riesengroßen Kragen etwas verkleinern lassen. Die Jacke erhielt bereits Kultstatus, da ich sie so lange getragen hatte, und weil sie mir etwas zu groß und zu lang war. Sie sah an mir fast aus wie ein alter Wildledermantel. Ich fand das einfach toll. Aber leider habe ich sie nun mal jetzt wegwerfen müssen, ich habe sie wirklich zum Container getragen mit viel Wehmut und dort eingeworfen.

 

Nun hatte ich die  Jacke meiner Mutter, die mir aber etwas zu groß war. Die Länge stimmte nicht, und die Taschen waren so weit unten, dass ich die Arme eines Schimpansen gebraucht hätte. Somit dachte ich mir, wenn ich die Jacke in der Mitte etwas kürzen lasse, kommen die Schöße etwas nach oben, und die Taschen somit auch, und die Jacke ist insgesamt kürzer und kleiner. Dann könnte ich sie mir auch noch etwas enger nähen lassen. Die Knöpfe waren aus blauem Plastik, das sah ziemlich altbacken aus, das musste auf jeden Fall geändert werden.

 

So ging ich mit meiner spanischen Bekannten zum Schneider. Ich hatte zuvor nicht dran gedacht, die Schneiderin anzurufen und nachzufragen, ob sie auch Wildleder nähen kann. Meine Spanierin hatte mir diese Schneiderei empfohlen, bei der ich schon mal mit einer Jacke war, und damals war ich recht zufrieden. Die Spanierin selbst hatte auch etwas dorthin zu tragen, und somit gab sie erst ihre Sachen ab, und danach erfuhren wir, dass leider meine Jacke dort nicht zu ändern war, weil sie keine  Ledermaschine  hat. Ich habe mich daran erinnert, dass ich noch eine andere Schneiderin kannte, die mir mal einen Flicken auf eine Jeans genäht hatte. Sie hatte zuvor auch Handtaschen bei mir geändert, aber mit dem Flicken auf der Jeans  war ich unzufrieden. Sie hatte den Flicken innen hinein genäht, er war aber so riesengroß geraten, dass es aussah, als trüge ich unter der Jeans eine Bandage. Somit wollte ich da eigentlich nicht mehr hin, aber wegen der Wildlederjacke dachte ich, da gehe ich noch mal hin. Meine Spanierin hatte dann auch noch eine andere Sache zu nähen, und es stellte sich heraus, dass sie wesentlich günstiger war als die andere Schneiderin. Die war nämlich obendrein auch noch äußerst geschäftstüchtig, und als die Spanierin sie fragte, ob sie denn eine Anzahlung nehmen würde, behauptete sie, sie könne nicht rausgeben, die Spanierin müsse das ganze Geld jetzt schon auf einmal bezahlen. Ich hatte dem Luder kein Wort geglaubt, ich habe schon gemerkt, dass sie unbedingt das ganze Geld auf einmal wollte. Da hätte sie auch ehrlich sein können und sagen, tut mir leid, ich habe schlechte Erfahrungen gemacht, bitte zahlen Sie gleich den ganzen Betrag. Aber den Trick, dass sie gerade kein Geld zum Wechseln hatte, habe ich ihr keine Minute abgekauft. Somit ist sie bei mir auf der Sympathieskala um einige Punkte nach unten gerutscht, auf Deutsch, da gehe ich dann nicht mehr hin. Die Spanierin meinte dann auch noch etwas vorwurfsvoll, hättest Du vorher dort angerufen und gefragt, ob sie Wildleder machen kann, dann hätten wir gleich gewusst, dass es nicht geht, dann wären wir gleich zu Deiner Schneiderin gegangen, und ich hätte gleich alles billiger bekommen. Aber macht nichts, fügte sie dann noch etwas gönnerhaft hinzu. Das ist mir ganz schön aufgestoßen, denn schließlich war sie hierdurch mich an eine günstigere Schneiderin gekommen, und ich kann nicht an alles vorher schon denken. Mir fällt  es  ohnehin schon immer extrem schwer, im Vorhinein   dran  zu denken, dass  jemand dies oder jenes  nicht  hat, oder dass  dieser oder  jener Laden  dann und dann geschlossen hat etc.  Ich kann solche Verallgemeinerungen  und Sicherheitsvorkehrungen nicht treffen  , da mir solche Überlegungen nicht in den  Sinn kommen. Denn  ich käme  mit meinem limitierten Verstand erst gar nicht auf den Gedanken, dass eine Schneiderin KEINE  Ledermaschine hat, da ich erst gar nicht auf die Idee käme, dass man eine spezielle Maschine braucht, oder dass es unterschiedliche Geräte für unterschiedliche Stoffe und Materialien überhaupt gibt. Ich weiß nicht, wie neurotypische Menschen  auf  diese  Überlegungen so spontan kommen. Ich fahre da jedes Mal wieder  aufs  Neue ein…..

 

Die andere Schneiderin schaute sich die Jacke an und meinte, man müsse sie nicht enger nähen, wenn man alles nach oben ziehen würde, könne die Jacke auch so bleiben. Sie könne das für insgesamt 35 EUR machen, und ich könne dann noch die Knöpfe ändern lassen. Wir suchten wunderschöne Knebelknöpfe aus, die aussahen wie Elfenbein und prima zu der Jacke passten und ihr eine elegante Note verliehen. Ich freute mich schon sehr auf die Jacke, die schon am Freitag fertig sein sollte.

 

Am Freitag verabredeten wir beiden uns wieder, um unsere Kleider abzuholen. Die Sachen der Spanierin waren fertig, aber meine Jacke  war noch nicht gemacht, es würde nun doch etwas länger dauern.   Der Laden war uns beiden sehr sympathisch, denn die Schwiegertochter der türkischen Schneiderin kam aus Algerien, und so konnte ich meine schlechten Französischkenntnisse wieder etwas aufbessern. Allerdings gingen wir dann schnell ins englische über, denn Englisch spreche ich fließend, mit dem französischen ist es bei mir schnell zu Ende gegangen. Die Jacke sollte dann am Montag drauf fertig sein.

 

Als wir am Montag kamen, bin ich total erschrocken. Die Knebelknöpfe waren senkrecht hin genäht worden. Sie waren auf der einen Seite etwas dicker und gingen dann Kegelförmig zu, und eigentlich hätte man das breite Ende nach links nähen müssen, sodass man dann mit dem spitzen Ende zuerst durch das Knopfloch kommt. Die Schneiderin hatte noch gesagt, ich soll ausprobieren, ob die Knöpfe passen, ehe sie sie hinnäht. Das war der Fall gewesen, so dachte ich mir nichts Böses, als ich die Jacke abholen wollte. Ihr Sohn hatte sie genäht. Ich traute mich nicht mehr zu sagen, dass die Knöpfe obendrein auch noch senkrecht hin gemacht waren, da ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass man Knebelknöpfe überhaupt senkrecht hinnäht, da ich  einfach voraussetzte,  dass man Knebelknöpfe  immer waagrecht verwendet. Ich kann schlecht beurteilen, was man bei anderen Leuten voraussetzen kann, und was man ihnen besser vorher  sagt. Ich dachte, vielleicht hat er sich dabei was Bestimmtes gedacht, und es gehört senkrecht  hin und  vielleicht passen sie halt einfach überhaupt nicht durchs Loch, ob senkrecht  oder waagrecht.

 

Somit bat ich, dass wir andere Knöpfe hin machen, denn die Knöpfe passten ja offensichtlich nicht, was mich extrem wunderte, denn sie hatten bei der Probe ja  gepasst. Ich dachte, eventuell haben sie gar versehentlich noch einmal die gleichen Knöpfe in einer anderen Größe genommen.  Diese passten jedenfalls nicht durch,  das war alles, und das  verblüffte mich nun sehr. Die Schneiderin meinte, sie müsse aber etwas dafür verlangen, wenn sie die Knöpfe ändert. Außerdem fanden wir dann noch heraus, dass die Taschen ebenfalls blaue Plastikknöpfe hatten, die zur Zierde dort auf genäht waren, die zuvor aber niemand bemerkt hatte.  Bei der  Anprobe hatte ich noch extra  gefragt, ob  an  den Ärmeln  oder sonstwo  noch  Knöpfe  seien, die geändert  werden müssten, aber  da hieß  es, nein, nur die an der Knopfleiste seien da, sonst keine anderen.  Jetzt meinte die Schneiderin, da hätten wir wohl beide nicht aufgepasst. Ich suchte mir also braune Knöpfe aus Leder aus, die auch gut zu der Jacke passten, aber nur die zweite Wahl waren. Jeder Knopf kostete vier Euro, und sie gab mir das Geld für die anderen Knöpfe nicht zurück mit der Begründung, die Jacke sei schwerer zu nähen gewesen als erwartet, denn es sei ja Wildleder gewesen, das hätte sie zuvor nicht gewusst, und sie hätte gedacht, es sei Kunstleder. Als ob die Härte  des Materials dann anders wäre, und außerdem  ist sie  ja der Profi und hätte das  erkennen müssen.  Somit musste ich jetzt noch einmal 19 EUR zahlen. Die Jacke  war nun insgesamt schon bei 60 EUR, denn 35 EUR hatte das nähen zuvor gekostet, fünf Euro waren die Summe für die fünf Knöpfe, einen hat sie mir geschenkt, jetzt mussten wir aber noch mal neue Knöpfe kaufen und noch mal die Nährarbeit zahlen, sodass ich bei insgesamt 59 EUR ankam. Ich war sehr enttäuscht und sauer, dass ich schon wieder kommen  musste, um die Jacke dann mit  den  Lederknköpfen abzuholen.    Ich sagte daher , da wir jetzt schon  so oft  da waren, wollte ich, dass  mir die Jacke nun  nach Hause geliefert  würde. Da meinte sie, ja , das  ginge, aber  dann müsse ich nun erst recht  die 19 Euro für die Änderung  der Knöpfe zahlen, wenn man es mir auch noch liefern sollte.

 

Ich hatte mich schon mit den Lederknöpfen abgefunden, ich dachte, so schöne Knöpfe wie ich sie wollte, wären halt im doppelten Wortsinn doch eine Nummer zu groß für mich gewesen.

 

Die Spanierin und ich waren dann zusammen auf einem Konzert, und fürsorglich hat sie mir die Jacke abgenommen. Auf einmal stieß sie einen Schrei aus und meinte, die Knöpfe, die ich mir ausgesucht hätte, seien in der Innentasche der Jacke. Sie lachte schallend los, und sie meinte, sie habe in der Jacke getastet und sich gewundert, was ich denn in der Innentasche hätte, und dabei sei ihr aufgefallen, dass die Tasche voll war, sowohl mit den Knöpfen, die  ich  von der alten Lederjacke vor dem Wegwerfen abgetrennt hatte, weil man sie vielleicht noch mal brauchen kann, außerdem waren die blauen Kunststoffknöpfe in der Jacke, und da war auch eine Tüte mit den sechs zuvor gekauften und ausgesuchten Knebelknöpfen, die ursprünglich an die Jacke hin genäht werden sollten. Wir beide kamen überein, dass sie wahrscheinlich doch die falschen Knöpfe benutzt hatten, als der Sohn sie annähte. Wir mussten die ganze Zeit lachen, und alle Leute mögen sich wohl gewundert haben, warum wir die ganze Zeit so herum kicherten und alberten. Die Spanierin meinte, sie würde mit mir dort hingehen und mit denen ein Wörtchen reden, damit sie mir umsonst noch einmal die schöneren Knöpfe hinnähen würden. Außerdem wäre ich ja  am Freitag bereits da gewesen, als sie noch nicht fertig war, und da hätte man mir ja auch  mal sagen können, passen Sie auf, die  Knöpfe, die  Sie wollten, gehen  nun doch nicht, wollen Sie vielleicht andere aussuchen. Dann hätten wir das alles nicht gehabt.

 

Wir kamen also dorthin, und ich erklärte der Schneiderin den Sachverhalt. Ihr Mann hatte mir ja die Jacke sogar nach Hause gebracht, somit wollte ich ihm sowieso noch fünf Euro Trinkgeld geben, was ich im  Eifer des Gefechts damals vergessen hatte. Er war noch so nett gewesen, mir ein Paket beim Nachbarhaus abzuholen, dass dort für mich hinterlegt war, und ich wusste ja nicht, wo ich klingeln muss,  da ich die Klingelschilder ja  nicht lesen kann. Somit hatte er für mich dort geläutet und das Paket gebracht. Ich war gerade mit dem Taxi von einer Veranstaltung gekommen und hatte Glück, dass der Schneider mich antraf, denn er hatte sich zuvor nicht angekündigt bzw. wollte eigentlich  am Freitag kommen und  stand schon  am Mittwoch vor der Türe. Somit freute ich mich, dass die Jacke und mein Paket da waren, da ich einen großen Küchenwecker für blinde bestellt hatte, dieser hat einen Magneten für den Kühlschrank, ein dünnes aber  sehr großes Zifferblatt, dicke Zahlen, die man sowohl ertasten als auch lesen kann, und somit kann ich nun perfekt die Zeit einstellen. Diese fünf Euro Trinkgeld  für ihren Mann wollte ich nun der Schneiderin geben und dann gleich gut Wetter machen, damit sie mir die Knöpfe noch einmal umtauscht. Ich argumentierte  nämlich damit, dass hier die richtigen Knöpfe in der Tüte waren, und dass offenbar die falschen Knöpfe verwendet worden seien, und dadurch hätten sie eben jetzt nicht durch die Löcher gepasst. Da zog sie dann aus ihrer Zauberkiste genau die gleichen Knöpfe hervor und meinte, die sein auch nicht kleiner und nicht größer, die Knöpfe, die sie und  ihr Sohn in der Tasche vergessen hatten, hätten die gleiche Größe wie die, die sie vorher angenäht hatten, und die nicht durchgepasst hätten. Wenn ich also doch nun diese langen Knebelknöpfe wollte, würden sie wieder nicht passen. Ich meinte, das kann nicht sein, bei der Probe haben sie ja  gepasst, Sie müssen daher noch eine weitere Größe haben, denn warum haben dann die, die ich mir ausgesucht hatte, und die in der Tasche versteckt waren, gepasst, wohingegen die anderen, die ihr Sohn hingemacht hatte, nicht durchs Loch gingen. Sie meinte, wir haben nur diese eine Größe. Ich blieb aber steif und fest bei meiner Meinung und sagte, hätten sie die richtigen Knöpfe verwendet, hätte es geklappt, es war der Fehler des Schneiders, er hat die Knöpfe in der Tasche vergessen, die jemand von ihnen dort zur Aufbewahrung hin gepackt hätte, damit sie angenäht würden, und somit sei es auch sein Fehler, und so müssen Sie es auch kostenlos umändern. Meine Spanierin war mittlerweile natürlich umgekippt, die zuvor so energisch Erklärt hatte, mir zu helfen. Sie hatte mir noch gepredigt, ich sei immer so geduldig, und ihre Tochter sei genauso, und sie dagegen würde aber schon den Leuten Dampf unterm  Hintern machen. Nun war ich diejenige, die fest geblieben war, aber das kenne ich ja von jedem, alle tun immer so Und tönen, dass sie so mutig seien, und dass ich mich nicht trauen würde, dass sie aber  den   Leuten schon Zunder geben würden, aber sobald dann die Situation der Situationen kommt, knicken  sie ein und versagen. Ich blieb dann dabei und sagte, ich bestehe darauf, dass die Knöpfe umgeändert werden, und zwar kostenlos. Die Schneiderin meinte, damit werden sie aber nicht glücklich werden, denn sie passen nicht durchs Loch. Da schlug dann  die Spanierin vor, sie soll doch mal einen Knopf probehalber vor allem waagerecht hinnähen und mit dem Faden etwas mehr Spiel lassen, und dann könne man ja testen, ob es geht, und wenn es mit dem  einen Knopf  funktioniert, könne man alle Knöpfe ändern. Wir gingen in der Zwischenzeit etwas spazieren, und ich meinte, warum sie denn auf einmal umgefallen sei. Sie habe ja nicht alles verstanden, es sei alles so schnell gegangen. Ich hätte ja nicht alles übersetzt, was natürlich nicht stimmte. Im Nachhinein glaube ich aber, es ging der Schneiderin nicht darum, dass sie es nicht kostenlos machen wollte, sondern sie hatte wirklich die Befürchtung, dass die Knebelknöpfe wieder nicht hinpassen. Als wir zurückkamen, passte der Knopf perfekt, denn es lag wahrscheinlich wirklich nur daran, dass ihr Sohn sie damals senkrecht hin genäht hatte, und damals hätte ich einfach drauf bestehen müssen, dass sie waagerecht angenäht werden. Da mir aber damals die wahre Ursache nicht wirklich klar war, ob es nun an der falschen Position oder der falschen Größe liegt, hatte ich mich nicht getraut, darauf zu bestehen. Nun wurden also alle Knöpfe in der richtigen Lage hin genäht und mit etwas Fadenspiel, sodass ich sie gut schließen kann. Die Lederknöpfe waren nämlich auch extrem dick und groß gewesen, außerdem waren sie  sehr klobig, sodass sie auch kaum durch die Löcher passten. Die Löcher waren wahrscheinlich mittlerweile auch etwas ausgedehnter. Ich gab der Schneiderin noch fünf Euro, denn die beiden Knöpfe an der Tasche hatte sie ja damals nicht mit angenäht, und die musste ich ja dann auch noch kaufen, denn da hatte ich ja nur die Lederknöpfe bezahlt. Sie wollte mir die Lederknöpfe wieder zurückgeben, aber ich sagte, mit denen kann ich jetzt nicht mehr viel anfangen. Somit hatte sie doch ein gutes Geschäft gemacht. Schließlich hatte sie 65 EUR bekommen, zuzüglich der fünf Euro Trinkgeld, weil ihr Mann damals die Jacke ja gebracht hatte, und sie konnte die Lederknöpfe erneut verkaufen, die ja nur einmal kurz getragen worden waren. Somit war ich insgesamt mindestens 5-6 mal beim Schneider, nur, um eine Jacke umändern zu lassen.

 

Man mag jetzt denken, das ist nicht viel, das kann jedem mal passieren. Aber bei mir passiert das bei fast jeder Transaktion, sodass, wenn man diese Ereignisse hochrechnet und potenziert, das Leben mindestens fünfmal so mühevoll ist. Ich weiß nicht, inwieweit ich mir hier selbst im Wege gestanden war, aber am Anfang hätte ich einfach drauf bestehen müssen, dass die Knöpfe senkrecht sind aber waagerecht  hingehören. Es war zumindest richtig, auch wenn die Schneiderin es gut gemeint hatte, dass ich darauf bestanden hatte, dass ich die Knöpfe aus der Innentasche bekomme, denn hätten sie diese gleich  korrekt benutzt, sie waagerecht hin genäht, und wäre dann der Knopf nicht durchs Loch gegangen, wäre es wirklich meine Schuld gewesen. So aber  war es ja obendrein  wegen  dem Senkrechten auch noch ein  Nähfehler, und dass man bei Knebelknöpfen etwas mehr Spiel am Faden lassen muss, damit die Knöpfe nicht so  eng  und steif am Leder  sind, hätte sie eigentlich selbst sehen müssen.  Ich wollte  ihr noch sagen, dass sie dann bei  den Taschen  die  Knebelknöpfe, die sie nur zur Zierde aufnähen muss, kein Spiel  amFaden lassen muss, damit sie nicht herunterbaumeln. Aber  die Spanierin meinte, ich solle doch der Professionalität  der Leute  etwas mehr  vertrauen. Wohin das  geführt hat, hatte ich ja gesehen.

 

Endlich konnte ich dann das gute Stück  abholen  und  auch tragen. Der Ersatzknopf, den ich eigentlich auch bezahlt hatte, fehlte. Vielleicht waren die Knöpfe , die wir bei  dem  Konzert in der Innentasche gefunden hatten, gar nicht  gleich dort  hingepackt worden, sondern   es waren die, die er  gegen die Lederknöpfe  eingetauscht hatte, nämlich die, die er senkrecht  hingemacht hatte, und die daher nicht gepasst hatten, und er  musste sie mir daher  mitgeben, weil  sie ja von mir bezahlt waren.  Da kamen wir nicht drauf, weil  die  Chefin ja  gesagt  hatte, dass sie mir die fünf Euro  für die ersten Knöpfe  nicht mehr  geben könnte, weil  das Nähen  bei echtem Wildleder  schwerer war als  vorher geahnt. Somit mussten wir annehmen,   dass es  die waren, die  wir als  allererstes ausgesucht hatten, und die  in der Innentasche  geparkt und dort vergessen wurden.  Alle hatten aber auf jeden Fall dieselbe Größe, es lag wirklich  nur an der Art, wie sie  beim ersten Mal  hingenäht worden  waren.   Für die  Mühen und das Geld hätte ich fast eine neue Jacke bekommen. Ich hoffe nur, dass sie wieder 30 Jahre hält, so wie es die alte getan hatte, und dass sich dann der ganze Aufwand gelohnt hat. Zumindest ist nun auch wieder mit diesem Objekt eine Kampfgeschichte verbunden, somit ist mir die Jacke jetzt auch nicht mehr fremd, und ich habe sie jetzt sozusagen eingeweiht und  sie mir zu Eigen gemacht, im wahrsten Sinne des Wortes.

Mittwoch, 19. Dezember 2018

Auf in den Kampf, die Wahlarena naht,...

Am 1. September dieses Jahres saß ich seelenruhig vor meinem Schreibtisch, als auf einmal das Telefon klingelte. Es war ein Callcenter, ein Mann mit sächsischem Akzent, der mich fragte, ob ich auch wirklich die Person sei, die er sucht. Er hätte einen Haushalt angerufen, und ich müsste meinen Namen nennen. Er sei von einer Meinungsumfragefirma, die Leute sucht, die bereit wären, als Zuschauer in der Wahl Arena für die Landtagswahlen dabei zu sein. Ich dachte, nachdem er Dir nichts verkauft, kannst Du ja einfach mal mitmachen. Er nahm all meine Daten auf und war dabei sehr genau. Außerdem war er immer ziemlich verärgert, wenn ich zu schnell war, und er noch hinterherhinkte. Es musste alles ganz genau gehen, und erschien noch relativ  unerfahren als Operator. Sogar auf die Zusammensetzung in Bezug auf Bildung und Geschlecht wurde geachtet, um auch ja einen repräsentativen Schnitt der Bevölkerung abzubilden. Es wurde auch ausdrücklich danach gefragt, ob man eine Funktion in einer bestimmten Partei hätte, damit man normale Bürger und nicht Parteifunktionäre einlädt. Es schien also wirklich so, als ob man sozusagen dem gemeinen Volk, also uns, eine Chance  und  die Gelegenheit  geben wollte, einen Politiker zu befragen.
 
Ich bat darum,  dass ich auch eine Begleitung mitnehmen dürfe, und wenn nein, müsse mich der Rundfunk eben zum Platz bringen. Darauf ging er nicht ein, er würde mir zwei Wochen Zeit lassen, um eine Begleitung zu suchen, denn die müsse ebenfalls die Daten ihres Personalausweises durchgeben. Er würde am 15. September wieder anrufen.
 
Ich fragte unterdessen eine meiner Assistentinnen, ob sie Lust hätte, mitzukommen. Ja, aber warum sollte sie nun ihre Daten vom Personalausweis bekannt geben? Sie schickte mir immer nur per E-Mail einige spärliche Angaben, die absolut nicht ausreichend waren. Als er dann am Samstag dem 15. September wieder anrief, musste ich noch einmal über das Handy mit ihr telefonieren, um ihre Adresse zu erhalten. Dann drückte ich versehentlich einen falschen Knopf, und er war weg. Nun dachte ich, dass  der Datensatz gelöscht sei, da er meinte, wenn er nicht alles haargenau machen würde, würde genau eben dies geschehen. Ich erwartete also keinen Anruf mehr vom Rundfunk.
 
Auf einmal an einem Samstagnachmittag kam dann der Anruf. Wenn ich Lust hätte, könne ich zu einem Vorgespräch kommen, es gebe hier eine Wirtschaft, die man sich ausgesucht hätte, da ich angegeben hätte, dass ich auch bereit wäre, einen Redebeitrag zu liefern und eine Frage zu stellen. Ich sagte, dass ich gerne zum Thema behinderten Politik eine Frage an den Kandidaten richten würde. Ich wurde noch einmal genau befragt, um was es sich dabei genau handelte. Ich hatte zuvor  von einer  ebenfalls behinderten Bekannten gehört, dass diese Partei sich besonders um alternative Wohnformen für alte Menschen und Behinderte kümmern würde, und außerdem wollte ich wissen, wie sie es mit dem neuen Teilhabegesetz halten würden. Das sei eine gute Idee, sehr interessant, und ich könne doch zur Vorbesprechung kommen, wenn ich wolle.
 
An dem angegebenen Donnerstag ging ich also mit der Assistentin zusammen in diese Wirtschaft, wo wir dann mit den anderen zusammentrafen, die ebenfalls Fragen stellten. Alle meldeten sich, um Ihre Frage schon einmal loszuwerden, und laut meiner Assistentin wurden von  den Redakteuren wie wild Fotos gemacht. Auch war jemand dabei , die sich alles notierte. Nun war auch noch eine andere blinde gekommen, die zu allen Redebeiträgen, die bisher gelaufen waren, einen Kommentar abgab. Etwas gereizt meinte dann eine der Redakteurinnen, sie müsse doch nicht zu allem etwas sagen, sie solle halt einfach nur ihre Frage stellen. Ich versuchte mehrfach, auf mich aufmerksam zu machen. Ich wurde regelmäßig übersehen. Ich hatte sogar einen roten Pullover an und streckte meinen Arm demonstrativ und auffällig in die Höhe, doch nichts passierte. Meine Assistentin verschaffte mir schlussendlich  Gehör, und ich sagte meine Sprüchlein auf. Es war auch etwas zum Thema Mobilität gesagt worden, somit fragte ich auch, ob denn die Mobilität für Behinderte ebenfalls verbessert würde. Es wurde darauf nichts gesagt, sondern man ging zum nächsten Redner weiter, ganz anders als bei den anderen, wo bei jedem irgendeine Bemerkung gemacht wurde, dass der Beitrag zu lang sei, zu kurz, oder dass man doch den Fokus auf einen anderen Inhalt lenken sollte. Es meldete sich außerdem noch eine Frau, die etwas merkwürdig schien, die sich über den dreckigen Zustand der Schulen aufregte, da sie gerade an einer Grundschule vorbeigekommen sei. Sie sei aber schon länger nicht mehr im Arbeitsleben, habe aber einmal im pädagogischen Bereich bearbeitet. Man merkte, dass sie  ein psychisches Problem  hatte, da sie  auch recht unstrukturiert  war. Meine Helferin meinte, dass sowohl die andere blinde als auch diese Dame wahrscheinlich kurz gehalten würden, dass alles gesteuert sei, und dass man sehr viele Fotos gemacht hätte. Mir wurde gesagt, dass ein Zufallsgenerator diese Menschen ausgesucht hatte, und es hätten ja alle anderen auch zu der Vorbesprechung kommen können, wenn sie denn gewollt hätten. Wenn man einen Redebeitrag hatte, waren wir schließlich nicht verpflichtet, zum vorbereitenden Abend zu kommen. Daher glaubte ich nicht daran, dass alles schon abgekartet war.
 
An dem Abend, dem 3. Oktober, an dem die Wahl Arena stattfinden sollte, hatte ich mich schön gemacht, da meine Mutter mir eine samtene Weste gekauft hatte, und meine spanische Bekannte hatte mich beraten, was genau ich anziehen sollte. Es war eine Jacke mit ganz verschiedenen Blumen, die aber alle in sich gemustert waren, das ganze hatte dann einen Stich ins rötliche. Dazu sollte ich ein gelbes T-Shirt und eine schwarze Cordhose tragen. Da ich nun einmal nicht beratungsresistent bin, nahm ich diesen Rat an, fühlte mich aber denkbar unwohl. Nach meinem intuitiven Gefühl für Kleidung hätte ich dazu ein schwarzes T-Shirt und eine helle Jeans genommen. Doch sie meinte, im Fernsehen könne ich keine Jeans tragen, zumal keine mit  Flicken unter dem Knie, den man aber sowieso nicht gesehen hätte.
 
So holte mich also meine Assistentin ab, und wir fuhren dorthin. Wir bekamen erst einmal etwas zu trinken, und wir mussten warten, bis die Wahl Arena dann öffnete. In einer Halle war ein Rondell aufgebaut, wie ein Amphitheater, in dem alle Menschen sitzen sollten, und es gab drei abgestufte Sitzreihen. Irgendwann hieß es dann, wir sollten jetzt austrinken, denn wir durften die Getränke nicht mit rein nehmen. Meine Schlauassistentin meinte, das hätte sie mir gleich sagen können, warum hat sie das eigentlich nicht getan? Ich trank also in Windeseile aus, was mir für gewöhnlich niemals schwer fällt. Es war  brütend heiß unter den Scheinwerfern. Dann setzten wir uns auf Plätze, und wir stellten fest, dass sie zugewiesen waren. Einige hatten ein Stück Papier auf ihrem Sitzplatz , und es wurde gesagt, dass sich bestimmte Personen dorthin setzen mögen. Als wir reinkamen, sagte der Moderator, es gebe hier eine blinde Frau. Die Frau wurde erwähnt und angesprochen, und auch ich meldete mich. Doch von mir nahm man  keine Notiz. Meine Helferin und ich meldeten uns mehrfach, ich schwenkte meinen weißen zusammengeklappten Stock, und wir riefen laut, es gibt hier zwei blinde.  Dies wurde dann irgendwann mal gnädig registriert, nachdem wir uns lautstark bemerkbar gemacht hatten. Meine Helferin erzählte mir, dass die andere blinde Dame sehr groß und kräftig war, und dass sie demonstrativ all ihre  Blindenabzeichen trug und breitbeinig  dasaß  und ihren Blindenstock aufgeklappt vor sich hatte. Ich hingegen bin sehr klein und zierlich und ziemlich mickrig. Somit hat man mich nicht bemerkt. Das passte aber auch irgendwie zu dem Vorbereitungsabend, bei dem wir uns schon massiv bemerkbar machen mussten. Irgendwann hieß es dann, wir sollten die Handys ausschalten, und wieder meinte meine Helferin, das habe sie schon gewusst. Dabei hatten wir noch im Auto darüber gesprochen, dass ich mein Handy auf nicht stören stellen würde, damit keine Klingeltöne vernehmbar waren während der Filmaufnahmen.
 
Nach dem Warm-up-Teil ging es dann los, und im Monitor konnten wir das Ende der Nachrichten verfolgen, und dann erschien der Politiker. Ich klatschte heftig Beifall, ging mit , lachte jedes Mal, wenn er was sagte, weil ich ihn etwas merkwürdig fand, vor allem seine Ansichten, und ich zeigte lebhafte Reaktionen, nachdem man uns ja sagte, wir sollten uns nicht zurückhalten und ein lebhaftes Publikum sein, dass auch Kontra gibt. Einige lachten auch, und es herrschte schon eine Atmosphäre, indem wir ihn vermeintlich kritisch unter die Lupe nahmen.  Nachdem uns ja zuvor gesagt wurde, dass die Themen in Blöcke zusammengefasst würden, wartete ich auf den Blog mit den sozialen Fragen, da ich mich dann melden wollte. Es kam aber kein ausgewiesenermaßen sozialer Block. Die Fragen gingen relativ unstrukturiert durcheinander. Nach einer Weile kamen sie dann auf die blinde Frau zu, wobei ich bemerkte, dass alle anderen sich melden mussten, wohingegen man auf die blinde Frau irgendwann einfach von sich aus zuging. Ich hatte bei der Vorbesprechung noch gefragt, wie ich das denn machen sollte, da ich ja nicht sah, wenn die Angel mit dem Mikrofon zu mir kommen würde, und da wurde mir relativ kurz angebunden erklärt, ich solle halt die Hand heben, man würde dann schon zu mir kommen. Nun fragte die blinde Frau, wann denn endlich mehr blinden Ampeln eingerichtet würden, denn wenn sie über die Straße ginge, hieße das Motto danken und beten, wenn sie heil über die Straße gekommen sei. Einige Leute lachten, und sie meinte dann auch noch, sollen doch mal die Politiker die Augen zumachen und über die Straße gehen. Damit zog sie natürlich die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen der ganzen Zuschauer auf sich. Die Moderatorin sagte, wir haben noch eine blinde Frau, aber der Moderator würgte sie ab und sagte, gehen wir nun zum nächsten Thema. Ich war ziemlich brüskiert und verletzt. Ich hätte dem, was die blinde Dame gefragt hatte, nichts mehr hinzuzufügen gehabt, allerdings hatte der Politiker geantwortet, dass es nicht möglich sei, die Interessen der Rollstuhlfahrer und der Blinden in Einklang zu bringen, was nach neuesten Standards obsolet ist, denn es gibt Bodenindikatoren, die die Bedürfnisse und Interessen beider Personengruppen gut vereinen können. Hierzu gibt es sogar längst  DIN-Normen.
 
Meine Assistentin meinte, wenn ich wollte, würde sie sich noch mal für mich melden, damit ich auch etwas sagen könnte. Ich hatte eigentlich konkret keine Frage mehr, war aber doch sehr verletzt darüber, wie man mich rausgedrängt hatte.
 
Einige der Leute kamen mehrfach dran, besonders, nachdem der offizielle Teil der Ausstrahlung beendet war, und die Wahl Arena im Internet fortgeführt wurde. Es war auch auffällig, dass meistens die Leute, die etwas zu sagen hatten, und die reservierte Plätze hatten, relativ nah beisammen saßen. Es kamen sogar Mutter und Tochter zu Wort, und die Mutter sogar mehrfach. Einige Themen wurden sehr ausgiebig und mehrfach behandelt, wohingegen das Thema Barrierefreiheit mit der Frage der blinden Frau abgehandelt war. Es wirkte immer sehr spontan, wie sich die Leute meldeten, und einige hatten auch keine Zettel auf ihren Stühlen gehabt, kamen aber dennoch zweimal dran.
 
Nachdem die Vorstellung beendet war, erhielt meine Assistentin eine WhatsApp von ihrer Tochter, die festgestellt hatte, dass man mich abgewürgt hatte, und warum das so war. Dies wussten wir eben auch nicht. Ich vermute einmal, dass man uns alle gegoogelt hatte und durch die vorab  gemachten  Fotos schon mehr über mich erfahren hatte, oder dass man vielleicht sogar den Blog hier gelesen hat, oder dass man meine Facebook Einträge auch kennt und auch weiß, dass ich bei unserem  lokalen freien Radio  aktiv bin. Zumindest hat man mich ziemlich aktiv aus der Sache herausgehalten.
 
Meine Mutter, die ein sehr gutes Personengedächtnis hat, bemerkte, dass die vier Kameras immer aus anderen Blickwinkeln die Gesichter der Leute aufnahmen, wobei sie aber feststellte, dass viele nebeneinander saßen, die etwas zu sagen hatten, und es aber so wirken sollte, als säßen diese Leute in verschiedenen Ecken, da sie immer aus unterschiedlichen Perspektiven gefilmt wurden. Man hält die Zuschauer wohl für komplett bescheuert.
 
Ich habe eine Beschwerde E-Mail am selben Tag noch an den Rundfunk geschickt, daraufhin erhielt ich dann später einen Telefonanruf, ich hätte alles falsch aufgefasst, und man entschuldige sich dafür, dass ich das so falsch verstanden hätte. Es täte ihnen leid, wenn das so bei mir angekommen sei, als hätte man mich rausgedrängt. Ich meinte, dann müsste ja eigentlich ich mich entschuldigen, wenn es ihnen leid täte, dass ich etwas falsch verstanden hätte. Sie ließ mich kaum zu Wort kommen, und ich sagte, dass ich mich auch in der Vorrunde am Abend des Vorgespräches mehrfach gemeldet hatte, und dass es auffällig war, dass beim Aufwärmen nur von einer blinden gesprochen wurde, und wir große Mühe hatten, auf mich als zweite blinde aufmerksam zu machen. Sie sagte, die Moderatoren seien nicht diejenigen gewesen, die am Abend der Vorbereitung anwesend waren, worauf hin ich aber entgegnete, dass ausreichend Fotos geschossen worden waren, um die Moderatoren vorab zu briefen. Außerdem fragte ich, warum man bei der blinden Frau als einziger Person so vorgegangen sei, dass man direkt auf sie zukam, was auf mich den Eindruck machte, als wolle man mir zuvorkommen, damit ich keine Gelegenheit hätte, mich  aktiv  zu melden, und als habe man vorher schon mit der Dame abgesprochen, dass sie  und nicht ich drankäme. Sie sagte, die blinde Frau sei zuvor auf sie zugegangen und habe gefragt, wie sie sich verhalten solle, da sie ja nicht sehe, wenn das Mikrofon vor ihrem Gesicht sei. Daher habe man ihr angeboten, direkt auf sie zuzukommen. Ich sagte darauf hin, dass ich genau dasselbe gefragt hatte, man mich aber ziemlich brüsk und unfreundlich abserviert hätte, und man mir nur lapidar geantwortet hätte, ich solle mich halt melden, ich würde dann schon merken, wenn sie auf mich zukommen. Außerdem sagte ich, dass mehrere Leute, auch eine andere Bekannte von mir, die die Sendung verfolgt hatte, festgestellt hatten, wie man mich regelrecht ausgebootet hatte, und dass dies daher nicht mein  individueller  Eindruck sei. Sie meinte, sie habe das nicht mitbekommen, sie sei im Regieraum gesessen. Ich sagte, da laufen doch die Monitore mit, sie hätte doch alles beobachten müssen. Außerdem sagte ich, es passt mir nicht, dass bestimmte Plätze bereits für die Leute reserviert gewesen waren, es aber dann für den Zuschauer so wirken sollte, als sei alles spontan gewesen. Sie meinte, mit dieser Art von gespielter Spontanität sei sie ebenfalls unglücklich. Es täte ihr leid, sie könne sich nur bei mir entschuldigen. Sie sagte, dass in einer anderen Sendung  der Wahlarena ,  in der  dann ein anderer Politiker ins Kreuzfeuer genommen würde, das Thema Barrierefreiheit noch einmal abgehandelt würde, und dieses Mal dann ein Rollstuhlfahrer eingeladen sei. Ich dachte, ein anderer Alibi behinderter.  Eine  Bekannte von mir schrieb auch eine Beschwerdemail, wobei  sie meinte, sie sei eine Zuschauerin, die festgestellt habe, dass man mich so abgewürgt hätte, und sie schilderte ihr Problem als Rollstuhlfahrerin, und sie bat darum, dass ihr  Problem und die damit verbundene  Fragestellung als eingereichte Zuschauerfrage behandelt würde. Denn bis Redaktionsschluss konnte man noch Fragen einsenden, und außerdem konnte man ja über Facebook die Sendung mitverfolgen und ebenfalls Kommentare und Fragen absenden, die während der Sendung eingespielt werden konnten. Insbesondere im Teil nach der offiziellen Ausstrahlung, der nur noch im Internet verfügbar wäre, hätte sie dann die Chance gehabt, mit dem Thema Barrierefreiheit nochmals vorzukommen. Sie erhielt eine E-Mail, dass sie gerne Ihre Frage stellen könnte, aber auf die Frage, warum man mich so abgewürgt hätte, ist man nicht mehr eingegangen.
 
 Wir  verfolgten dann  gespannt  die  folgenden Wahlarenen , aber  kein wohl war  und kein  anderer  Behinderter tauchte auf,  und Das Thema Barrierefreiheit wurde in keiner weiteren Sendungen  mehr abgehandelt, und auch unsere Fragen, die wir über Facebook und E-Mail noch einmal eingesendet hatten, kamen nicht mehr dran. Die Themen Bildung, soziales, Finanzen, Asyl, Umwelt etc., die natürlich auch wichtig sind, wurden überproportional häufig abgehandelt, das Thema Behinderte kam nur ein einziges Mal dran, mit dem markanten Beitrag der blinden Frau zum Thema Ampel und danken und beten, wenn man die Straße überquert. Dies ist natürlich ein reißerisches Thema, dass man plakativ darstellen kann. Meine abstrakte Frage zum Thema alternative Wohnformen für behinderte und alte Menschen oder, wie man es mit dem neuen Teilhabegesetz halten würde, und wie es umgesetzt werden sollte, wäre wahrscheinlich nicht telegen genug gewesen. Ich selbst bin auch nicht telegen , ein Bekannter von mir meinte, ich hätte wesentlich kleiner als die anderen gewirkt und  sei total mickrig gewesen zwischen den anderen im Publikum , weil ich wesentlich kleiner und zierlicher bin. Außerdem hatte ich mich in meiner ausgewählten Kluft überhaupt nicht wohl gefühlt, das strahlt natürlich auch aus, beim nächsten Mal höre ich nicht mehr auf andere Leute. Denn eine Textilverkäuferin, die mittlerweile auch Assistentin ist, und mit der ich kürzlich meinen Schrank ausgemistet hatte, hat mir genau zu dem von mir ursprünglich  erdachten Outfit geraten, und sie meinte, das gelbe T-Shirt, welches ich für die Sendung angehabt hätte, sowie die Court samt Hose in schwarz, hätten überhaupt nicht zu der schönen Jacke gepasst. Dementsprechend unwohl hatte ich mich gefühlt, da ich intuitiv einen recht zielsicheren Geschmack habe.
 
Ich habe dann noch einmal über Facebook sowohlk  auf meiner eigenen  Seite  als auch auf der Seite des Rundfunks die ganze Situation beschrieben, nämlich die Tatsache, dass alles vorher genau abgekartet war, dass die Fragen der Zuschauer geplant waren, aber der Sturm im Wasserglas, den ich mir erhofft hatte, blieb aus. Es gab nur sehr lapidare und mehr oder weniger alt-weise Kommentare, dass das halt beim Fernsehen so sei, und ich musste noch mehrfach erklären, wie die Situation tatsächlich war, und dass mein Ärger durchaus begründet war, auch wenn man wie ich wenig Erfahrung mit Medien hat. Insgesamt fühlte ich mich komplett übersehen und übergangen, und ich vermute, dass ich einfach nicht sympathisch genug war und nicht ins Fernsehen passe. Ich werde mich nie wieder für so etwas zur Verfügung stellen.