Sonntag, 9. April 2017

Was hab' ich, und wenn ja, wieviele?

Nun sind also meine ganzen gesammelten , gestammelten oder noch besser gesagt gestapelten Diagnosen vorhanden. Auch meine Augenärztin hat jetzt vor einiger Zeit das Charles Bonnet Syndrom bestätigt. Sie schreibt, dass aufgrund meines sehr schlechten Sehens zu wenig Input auf den Afferentenbahnen zum Gehirn bestünde, weshalb die Seezellen auf der Sehbahn nicht mehr gehemmt würden, sozusagen eine Desinhibition, also Enthemmung, oder noch komplizierter gesagt eine Hemmung der normalerweise bestehenden Hemmung vorliegen würde, wodurch die Zellen unmotiviert feuern. Dadurch entstehen dann eben diese Farbschleier oder Flimerskotome. Als ich mit meinem Nierenarzt darüber sprach, meinte er, darüber haben wir bereits diskutiert, mehr war da aus ihm nicht mehr heraus zu holen, ich hatte gehofft, dass er vielleicht näher auf den Zusammenhang des Augenflimmerns und meiner Grunderkrankung, der Medikamenteneinnahme und meiner verschiedenen Stoffwechsellagen eingehen würde. Nein, all das, was ich hätte, könnte kein Augenflimmern machen. Dabei ist zum einen jeder Mensch anders, und zum anderen erst recht jemand, der eine seltene Erkrankung hat. Da kann ja alles mögliche einfach mal vorkommen. Auch habe ich die Milchprodukte wieder weggelassen, da ich das Augenflimmern verstärkt hatte, als ich wieder mehr mit Käse und Joghurt zu tun hatte, da ich diese Produkte heiß und innig liebe. Während ich calciumarm essen musste, habe ich auf all diese Dinge verzichtet, hatte aber auch weniger starke Sehstörungen, und ich hatte auch weniger Probleme mit der Haut. Als ich dann wieder zuschlug, denn nun durfte ich ja wieder, musste sogar, da aufgrund der Entfernung von 7/8 der Nebenschilddrüsen ja nun wenig Kalzium vorhanden war, ging es wieder verstärkt mit Neurodermitis und Augenflimmern los. Daher habe ich mir jetzt erst mal bis Ostern , sozusagen in der Fastenzeit, auferlegt, Käse und Joghurt wegzulassen, um zu testen, ob sich dadurch etwas bessern könnte. Die Neurodermitis ist so schlimm wie zuvor, das Augenflimmern hat sich gebessert, aber die Farbschleier sind immer noch da. Aber ich kann zumindest, wenn auch in Rosa und Grün oder inBlau oder Gelb meine Umgebung flimmerfrei wahrnehmen. Wenn ich die Ärzte frage, ob das mit dem Verzehr von Milchprodukten zu tun haben könnte, gibt es hier angeblich keinen Zusammenhang. Es wäre jetzt ziemlich irrational, weiter zu leiden, bis man eine offizielle Bestätigung der Ärzte erhält, wenn man selbst merkt, dass es einem ohne diese Produkte besser geht. Daher pfeife ich jetzt einmal auf die Bestätigung der Ärzte und probiere es weiter aus. Nach Ostern werde ich mal wieder diese Produkte einführen und sehen, ob sich etwas verschlechtert. Wenn sich nichts ändert, kann ich genauso gut auch weiter diese Produkte essen. Vielleicht lag es auch nur daran, dass ich im Dezember, als das verstärkt auftrat, gerade mal wieder frisch operiert war, und dadurch die Symptome wieder einsetzten. Das kann man aber nur durch Ausprobieren herausfinden. Wir Menschen sind halt keine Maschinen, auch wenn die Ärzte hier keinen Zusammenhang sehen, und es keine erklärbare Ursache gibt, gibt es doch Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir uns einfach nicht erklären können, und die man halt einfach so hinnehmen muss. Nun aber zu meinen nicht-sichtbaren Diagnosen, die ich jetzt weiterhin hier so offen präsentiere, obwohl ich im Alltag nicht überall damit Hausieren gehen würde. Ich hatte ja in einem meiner Blogeinträge folgende Hoffnung geäußert: "Es wäre für mich eine riesengroße Erlösung, wenn endlich einmal all diese Zusammenhänge erkannt werden würden, so das ich aus der Psychoecke endlich befreit würde. Aber davon kann ich leider nur träumen, einmal gestellte Diagnosen werden nicht so einfach fallen gelassen, es gibt niemanden, der sagt, wir wissen jetzt, dass all diese früheren Etikettierungen Fehldiagnosen waren, wir sind heute weiter, damals wusste man das halt einfach noch nicht, das tut uns leid, heute sind wir eben weiter, jetzt können wir die richtige Diagnose stellen und ihrer Problematik angemessen gerecht werden." Auch hatte ich versucht, bei der Stiftung Anerkennung Hilfe zumindest eine ideelle Anerkennung meiner gemachten Erfahrungen zu erhalten. Geld wollte ich keines, aber wenn sie etwas rausgerückt hätten, um mir eine Psychotherapie zu bezahlen, hätte ich nicht nein gesagt. Leider war ich auf der falschen Schule, nicht nur damals, sondern auch rückblickend, um eine Anerkennung zu kriegen. Denn dies gilt nur für Einrichtungen der Behindertenhilfe. Außerdem geht der Zeitraum der Förderung nur bis 1975. Ich wollte aber nur erreichen, dass zumindest einmal von kompetenter Seite anerkannt wird, dass ich durch eine falsche Schulform einfach ein Trauma erlebt habe. Dies würde in dieselbe Richtung gehen, wie ich es hier in diesem Zitat schildere, man würde mir sagen, man hat es damals einfach nicht richtig gemacht, man wusste es nicht besser, man würde das heute nicht mehr so machen. In meinen anderen Blogeinträgen habe ich ja genügend darüber geschrieben, dass ich lieber in ein Gymnasium für blinde und Sehbehinderte gegangen wäre, wo ich vielleicht nicht gemobbt worden wäre, zumindest nicht aufgrund meiner Blindheit. Wie in dem Eintrag, aus dem dieses Zitat stammt, bereits beschrieben, habe ich ja noch einmal die Diagnostik bezüglich Autismus durchführen lassen, um die auf tönernen Füßen stehende Diagnose noch zu festigen. Dabei hat ja auch die Psychologin bemerkt, weil ich so impulsiv und lebhaft war, dass öfter mal der Trinkbecher vom Tisch viel, wenn ich mit meinen Gesten etwas unterstrich, dass ich vermutlich auch ADHS haben könnte. Ich neige auch häufig dazu, Leuten ins Wort zu fallen, wofür ich heute wieder böse gerügt wurde. Das steht aber jetzt auf einem anderen Blatt, weiter mit den Ergebnissen. Tatsächlich hat sie eine ADHS diagnostiziert, und der atypische Autismus wurde bestätigt. Leider kam kein ganzer Autismus dabei heraus, nicht etwa, weil ich unbedingt gerne einen hätte, eine Diagnose heißt ja nicht, dass man die Krankheit will, sondern die Erkenntnis darüber, dass man sie hat. Diagnose bedeutet ja Anerkennung sozusagen von einem zum anderen, also, dass der Arzt beim Patienten erkennt, was er hat. Erst heute war ich zum ersten Mal bei einem Autismus Stammtisch, wo ich gleich zwei atypische Autisten kennen lernte, die meinten, atypischer Autismus bedeutet lediglich, dass sie einem weder nachweisen können, dass man es hat, noch, dass man es nicht hat, es sagt also gar nichts. Nun bin ich so schlau als wie zuvor. Das Trauma hat sie auch weiterhin aufrecht erhalten, wobei aber von der strukturellen Dissoziation nichts mehr dort steht. Dies bedeutet, dass bei mir Gefühle und Ereignisse getrennt sind, so das ich beim erzählen wenig Zugang zu meinen Gefühlen habe. Dies ist ein Schutzmechanismus, wenn man so häufig beim Zeigen seiner Gefühle negativ sanktioniert wurde, lässt man es halt irgendwann schlauerweise bleiben. Das hat dann eben den Nachteil, dass andere den Ernst der Lage gar nicht anerkennen. Wobei wir heute, als wir beim Stammtisch saßen, uns alle darüber wunderten, warum allein die Erzählung nicht genügt, die doch verbal aus sagt, dass etwas Schlimmes passiert ist, und warum man dann erst seine Gefühle auch noch mitliefern muss, damit die anderen realisieren, dass eine Sache schlimm ist. Zum Beispiel erzählte ich einmal meiner Helferin, dass mein Kater überfahren worden sei, woraufhin sie mit einem lapidaren o. k. reagierte. Als ich mich beschwerte, wo bleibt denn ihr Mitgefühl, meinte sie, ich hätte das so sachlich erzählt, daher könnte sie nicht mitfühlen. Dies wundert mich stark, denn alleine schon die Erzählung beinhaltet ja, dass die Sache traurig ist. Für mich ist dies implizit. Wenn mir jemand etwas erzählt, dann weiß ich vom Verstand her, dass es traurig ist, und ich stelle mir dann vor, wie das für mich wäre und zeige dann schon auch die passenden Reaktionen dazu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemandem gleichgültig ist, wenn seine Katze stirbt. Warum sollte man dann also, wenn jemand nicht die passenden Emotionen mitliefert, der Ansicht sein, es würde demjenigen gar nichts ausmachen? Dass man seine eigenen Emotionen nach den Emotionen des Gegenübers richtet, und sich nicht am Inhalt orientiert, ist sehr Neurotypisch. Das ist eben der Unterschied zwischen Autisten und Neurotypischen Menschen. Die verbale Information reicht. Daher meinte auch damals der Diagnostiker, der bei mir das Trauma anerkannt hat, dass es wahrscheinlich auch mit dem Autismus zusammenhängt, dass ich Schwierigkeiten habe, meinen Gefühlen den passenden Ausdruck zu geben zu dem, was ich sage. Allerdings haben wir beim Stammtisch festgestellt, dass die Männer hier anderer Meinung waren, es sei ja schließlich nicht ihre Katze, die gestorben sei, daher würden sie auch bei niemandem mitfühlen, der ihnen diese Mitteilung macht. Die einzigen beiden Frauen waren hier anderer Meinung, es ist schließlich allgemein klar, dass es traurig ist, wenn eine Katze stirbt. Die Psychologin hatte mit mir einen separaten Termin ausgemacht, um mir die Befunde vorzulesen, wobei sie auch noch einmal den gesamten Bericht mit all meinen Zitaten vorlas. Eigentlich bestand der Bericht größtenteils aus meinen eigenen Zitaten, die sie als Beispiele aneinandergereiht hatte. Sie schrieb zum Beispiel: „obwohl ich alle Wochenenden nach Hause durfte, hatte ich schreckliches Heimweh.“ Ich hatte ihr zuvor erklärt, dass mein Bruder, der weiter weg im Internat war, nur während der Ferienheim durfte, ich durfte zwar jedes Wochenende nach Hause, was etwas mehr war, als mein Bruder hatte, dies sei aber trotzdem schon schlimm genuggewesen, daher hätte ich eben auch Heimweh gehabt. Dann schrieb sie zum Beispiel: "Meine Ungeduld übertrug sich auf die Rehabilitanden, so das im Klassenzimmer Unruhe entstand, und die Schüler mir nichts glaubten.“ Oder so ähnlich, es kommt nur auf den ersten Teil des Satzes an. Ich hatte ihr zuvor erklärt, dass ich anfänglich teilweise innerlich ungeduldig war, aber sobald ich merkte, dass ich meine Ungeduld äußerlich zeigte, und diese sich auf die Rehabilitanden übertrug, habe ich mich beherrscht, meine Gefühle für mich zu behalten und die professionelle Rolle der Lehrerin nach außen an den Tag zu legen. Diesen Fehler machte ich nur zu Anfang, dass ich Zeichen von Ungeduld merken ließ. Die Gruppen waren aber insgesamt ziemlich unruhig und glaubten mir fachlich immer ziemlich wenig. Man muss ja aufpassen wie bei Journalisten, jetzt verstehe ich, was Interviewpartner meinen, wenn sie mit einer Aussage konfrontiert werden und dann beteuern, das Ganze sei aus dem Zusammenhang gerissen worden. Außerdem stand noch da: „aufgrund meiner komischen Art wurde ich auch im Internat gehänselt.“ So habe ich dies nie gesagt. Ich bestand darauf, dass sie noch dazu schreibt, dass auch andere Sehbehinderte vor mir aus diesem Internat herausgemobbt wurden. Auch das mit dem Übertragen der Ungeduld ließ sie dann weg. Bezüglich der ADHS schrieb sie, dass ich eine erhöhte Reagibilität hätte, mich also bei Ungerechtigkeiten oder nach einem Streit wesentlich mehr aufregen würde als andere. Dabei erwähnte sie, dass ich mich darüber beklagt hätte, prinzipiell die Verliererin zu sein. Da sagte ich ihr, jeder, der immer der Verlierer ist, würde sich irgendwann aufregen. Sie meinte: "Sie haben aber ADHS, wer weiß, vielleicht hätten Sie sich auch schon beim ersten Mal aufgeregt, selbst wenn es Ihnen nicht so häufig passiert wäre. Die Tatsache, dass es Ihnen oft passiert, macht es halt nur noch schlimmer." Wir konnten das dann aber irgendwie klären, dass dies nichts mit über Sensibilität zu tun hat. Man beschäftigt sich nur einfach länger mit Ungerechtigkeiten oder Streitereien, die einem einfach länger nachgehen als Menschen ohne ADHS. Außerdem schrieb sie dann noch hinein: "Die Patientin imponiert fordernd, sie besteht darauf, dass ihre Diagnosen endlich zusammengeführt werden, und sie wünscht sich, dass ihre Leiden anerkannt werden." Dies fand ich etwas schade, denn wir hatten darüber gesprochen, dass ich ziemlich große Mühe hatte, dass meine Diagnosen anerkannt wurden, und dass ich zu ziemlich vielen Anlaufstellen gehen musste, ehe sie gestellt wurden, und sie meinte, das käme bei den Ärzten zwar so rüber, als ginge man mit seinen Diagnosen Hausieren, da ich dann die gesammelten Befunde immer wieder zum nächsten Arzt mitnahm, aber sie räumte ein, mir sei ja schließlich nichts anderes übrig geblieben. So dachte ich, dass sie Verständnis für meine Situation hat. Ich sagte außerdem, dass die Erlebnisse im Internat noch nicht wirklich anerkannt wurden. Daraufhin meinte sie, ich hätte doch jetzt immerhin die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ich sagte ihr, dass ich dafür aber extra hätte bezahlen müssen, damit mich jemand so gründlich untersucht, dass er das rausfindet, und außerdem hätte ich ja die Diagnostik selbst initiiert, von selbst ist ja niemand drauf gekommen, und das ist ein Unterschied, ob man die Ärzte erst mit der Nase drauf stoßen muss, oder ob einen jemand von sich aus zu dem entsprechenden Diagnostiker hinschickt, dann zählt hinterher das Ergebnis auch mehr, als wenn man hinterher ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten den Ärzten vorlegt. Da meinte sie, dass ich die Diagnostik selbst veranlasst habe, stünde ja schließlich nicht drinnen, das wisse ja keiner. Dennoch hat sie dann, als ich den Brief in Händen hielt, hineingeschrieben: "Patientin hat all ihre Diagnosen selbst erwirkt.“ Was das sollte, weiß ich nicht, warum musste dies unbedingt erwähnt werden? Zwischen den Zeilen heißt dies, dass ich darauf gedrungen habe, und dass kein anderer auf die Idee gekommen war, bei mir an ein Trauma oder an Autismus oder ADHS zu denken. Bei dem Entwurf, den sie mir vorlas, stand noch, dass ich häufiger Missverständnisse hätte, diese aber per E-Mail klären KONNTE. Wir klärten dann noch das Missverständnis wegen der Hyperreagibilität bei ADHSlern. Danach kam eben irgendwann der Befund. Ich hatte sie gebeten, ob sie den Befund vielleicht auch an unser Klinikum schicken könnte, denn dort wäre er dann im Zentralcomputer gespeichert, und alle Abteilungen könnten auf diesen Befund zurückgreifen. Ich hatte aber damals im Klinikum ja die Diagnose ADHS nicht erhalten, sodass dies wie ein Triumph wirken könnte, seht mal, nun hab ich sie doch noch gekriegt. Daher musste man schon abwägen, ob man diesen Schritt geht. Ich gab ihr die Adresse der damaligen Diagnostikerin. Als dann mein Befund kam, las ich: "Es kommen häufig Missverständnisse auf, welche die Patientin per E-Mail zu klären VERSUCHT. Das mit dem bloßen Versuch einer Klärung per Mail stand beim Entwurf, den sie mir vorgelesen hatte, noch nicht so dort. Zusätzlich stand dann in der Endfassung auf einmal auch noch da, es sei auffällig, dass "die Patientin ihre Diagnosen mehrfach absichert und dann ihre vorherigen Anlaufstellen über die aktuellen Ergebnisse informiert." Dies kommt tatsächlich etwas schräg rüber. Das hört sich an, als hätte ich eine querulatorische Natur. Ich fragte sie schonwährend der Diagnostik, ob ich ihr vorkäme wie michael Kohlhaas, was sie aber jedes Mal freundlich verneinte, wenn ich bei ihr war. Daher war ich schon etwas enttäuscht, dies dann in meinem Befund zu lesen. Das schärfste aber war, dass sie die Diagnose "Anpassungsstörung", die ich einmal im Südklinikum offenbar von den Nephrologen während meines Aufenthaltes aufgrund einer Blutdruckkrise erhalten hatte, wieder übernahm. Wir hatten einmal über das Thema Anpassungsstörungen gesprochen. Dies bedeutet nicht, dass man nicht in der Lage ist, sich an die Gesellschaft anzupassen, sondern es bedeutet, dass man Mühe hat, sich an eine gravierende Veränderung und einen großen Einschnitt im Leben anzupassen, wie an eine schwere Krankheit oder Behinderung, frühe Trennung von zu Hause , Internat, Tod eines Angehörigen, oder Frühberentung. Ich habe einmal gelesen, Anpassungsstörungen seien die Vorstufe eines Traumas, wohingegen die Psychologin sagte, es sei die Vorstufe einer Depression. Später hörte ich dann, man schreibt immer Anpassungsstörungen, wenn einem nichts besseres einfällt, man aber unbedingt eine Diagnose braucht. Ich hatte aber nun genügend andere Diagnosen zu bieten, als dass man dieses leicht abwertende Allerweltsetikett hätte stehen lassen müssen. All die Beispiele, die ich für eine Anpassungsstörung hier aufgezählt habe, stammen aus meinem Leben. Ich hatte also eine ganze Menge, an was ich mich anzupassen hatte. Was mich aber absolut ärgerte war, dass sie mir folgende Diagnose verlieh: „Schwierigkeiten mit den Problemen der Lebensbewältigung“. Davon abgesehen, dass diese Formulierung tautologisch ist und nichts anderes aussagt, als dass man ein Problem damit hat, ein Problem zu haben, fühle ich mich in meiner Ehre gekränkt. Wer hätte mit dem Päckchen, welches ich zu stemmen habe, keine Probleme bei der Bewältigung? Konstruktiver wäre es gewesen zu schreiben, Patientin sucht noch nach einer Lösung, ihr Leben zu bewältigen. Sie hätte aber auch schreiben können: Patientin hat gemessen an den Herausforderungen, die sie zu meistern hat, noch keine Strategie zur Bewältigung gefunden. Wahrscheinlich bedeutet diese Diagnose, dass man mit Lebensproblemen ineffizient umgeht, oder dass man immer wieder dieselben Fehler macht, und bestimmte Lebensprobleme einen immer wieder begleiten. Dennoch finde ich diese Diagnose extrem unbefriedigend, da sie sozusagen eine Art Lebensunfähigkeitsbescheinigung ist. Anstatt zu honorieren und zu würdigen, dass ich in Anbetracht dessen, was ich alles schon erlebt habe, überhaupt noch da bin, hört sich das eher so an, als sei mein Leben relativ normal, ich hätte einfach nur nicht die passenden Strategien gefunden, damit klarzukommen. Ich finde, von Schwierigkeiten der Probleme der Lebensbewältigung kann man erst dann sprechen, wenn jemand ein relativ durchschnittliches Leben hat, aber Schwierigkeiten damit hat, morgens aufzustehen, sich bestimmte Dinge zutrauen, einkaufen zu gehen, sich für oder gegen eine Operation zu entscheiden, immer wieder an dieselben Partner zu geraten und wieder reinzufallen, dauernd eine Ausbildung abzubrechen oder nichts zu Ende zu bringen. Wenn man also mit den ganz normalen und alltäglichen Herausforderungen, die das Leben halt so mit sich bringt, nicht fertig wird, dann kann man tatsächlich von Problemen mit der Lebensbewältigung sprechen. Normalerweise wird schon jemandem, der erblindet, zugestanden, dass dies eine große Aufgabe ist, die man zu bewältigen hat. Hier wird schon eingeräumt, dass die Bewältigung eine langwierige Aufgabe ist. Umso mehr, wenn man auch noch mehrfach behindert ist. Alleine schon die Tatsache, dass ich in Rente gehen musste, obwohl ich mein Diplom mit 1,3 abgeschlossen habe und schon mit 38 Jahren wegen einer dazu gekommenen Dialysepflichtigkeit nicht mehr arbeiten konnte, ist eigentlich genug, um wirklich Trauerarbeit leisten zu müssen. Sie fragte mich während der Tests, ob ich denn mit der Tatsache Anführungszeichen durch Anführungszeichen sei, dass ich in Frührente gehen musste. Davon abgesehen, dass man mit so etwas nie Anführungszeichen durch Anführungszeichen ist, fand ich diese Frage bemerkenswert, zumal sie zumindest einräumt, dass man hier etwas hat, mit dem man fertig werden muss, zum anderen aber hatte ich ja nie die Gelegenheit, diese Trauerarbeit überhaupt zu beginnen. Schließlich hat man mir ja als behinderter Frau gar nicht zugestanden, dass ich einen solchen Lebensentwurf überhaupt haben darf, somit war es auch unlogisch, dass ich über dessen Verlust überhaupt zu trauern hätte. Als Behinderte hat man froh zu sein, wenn man nicht in der Werkstatt landet, wurde mir gesagt. Jemand anderes sagte mir, "dass Sie sich damit wesentlich zu viel vorgenommen haben, wissen wir ja alle." Es gab wenige Menschen, die mir sagten, "Sie hatten die berechtigte Hoffnung, nach Ihrem Studium auch eine Arbeit zu finden, daher ist das selbstverständlich traurig. Das musste sie dann natürlich auch einräumen. Meine Arbeitslosigkeit vor meiner Frühberentung war angeblich ja auch nicht so sonderlich tragisch, sie sei ja nur deshalb für mich so schlimm gewesen, da ich aufgrund meines Studiums so einen hohen Anspruch gehabt hätte. Dabei wäre es egal gewesen, ob ich studiert habe oder nicht, jeder ist traurig, wenn er über Jahre hinweg keine Arbeit findet. Als behinderter muss man auch noch Schuldgefühle haben, dass man zu viel gewollt hat, und dass man enttäuscht ist, wenn man seine Lebensziele nicht erreicht hat. Schließlich hatte ich mich immer bewusst gegen Familie, Mann und Kinder entschieden, wobei die geistige Arbeit mein einziges Standbein war. Überhaupt das Recht, sich gegen Kinder zu entscheiden, impliziert ja, dass man auch das Recht gehabt hätte, Kinder zu kriegen. Dies wurde bei mir immer belächelt, es war schließlich, ohne es sagen zu müssen, selbstverständlich, dass so jemand wie ich keine Kinder kriegt. Irgendwie hat sich auch nach dieser Diagnostik das Gefühl und das vorher bestehende Paradigma nicht wirklich geändert. Wenn man gemobbt wird, hat man laut ADHS-Kriterien Anführungszeichen Probleme mit anderen“. Einer Frau, die vergewaltigt oder sexuell missbraucht wurde, würde niemand sagen, sie habe Probleme mit Männern. Die hat sie dann hinterher, das ist verständlich. Aber das Paradigma hier ist, dass sie das Opfer ist, und dass ihr etwas angetan wurde. In meinem Falle ist es umgekehrt, durch mein Fehlverhalten, sei es nun angeboren, beabsichtigt oder behinderungsbedingt, habe ich das Mobbing ja erst ausgelöst. Bei dem Gespräch sagte ich zu der Psychologin, Mobbing ist ein systemisches Problem, daher wird, wenn die Führung nicht stimmt, immer ein Opfer ausgesucht, welches gemobbt wird. Ist dieses Opfer weg, sucht man sich ein anderes. O-Ton der Psychologin: "Ja, aber manche Menschen werden eben noch "gerner" gemobbt." Auch mein Wunsch wie oben formuliert, dass in der Retrospektive vielleicht mit dem Wissen, dass ich heute habe, und dem Wissen, dass die Medizin heute hat, einige Ansichten revidiert würden, hat sich nicht erfüllt. Ein entlastendes Gefühl, dass ich heute vielleicht besser verstanden würde, und dass meine Verhaltensweisen, die ich damals an den Tag gelegt habe, unter Berücksichtigung heutiger Erkenntnisse verständlicher sind, ist nicht wirklich eingetreten. Mein Wunsch, dass diese Odyssee endlich ein Ende haben möge, alle Diagnosen hier zusammenlaufen, und sich dann ein Gesamtbild, sozusagen eine Synopsis , also ein Bild eines Menschen in seiner Situation ergibt, wodurch ich besser verstanden würde, ist auch nicht wirklich eingetreten. Ich hatte den Wunsch, dass vielleicht einige meiner Symptome oder Verhaltensweisen sich nun besser erklären lassen, da man heute auch weiß, wie Traumatisierungen funktionieren, und dass ich ja auch einige neurologische Bedingungen auf die Welt mitgebracht hatte, die mein Leben zusätzlich wesentlich erschwert haben, und die obendrein auch noch so lange unerkannt und ungefördert blieben, wodurch meine Situation auch nicht gerade leichter wurde. Meine angeblich fordernde Haltung, die aus dem Druck heraus entsteht, dass ich endlich so gesehen werden möchte, wie es mir gerecht wird, hat sich im Lichte all diese Erkenntnisse auch nicht liebevoller einordnen lassen. Genau das wäre eigentlich der Begriff gewesen, eine liebevollere und verstehende Betrachtung meiner Person und meines Umganges mit den Dingen, dem Leben und meiner Umwelt. Das hätte ich mir gewünscht, oder vielleicht sogar eine Revision, so dass man mir vielleicht im Laufe dieser ganzen Exploration gesagt hätte, so, wie das damals gelaufen ist, würde man das heute nicht mehr machen, und Ihre Reaktionen und Emotionen diesbezüglich sind unter diesem Gesichtspunkt auch nachvollziehbar. Allein dies hätte mich entlastet. Verbal kann man das nicht beschreiben, tatsächlich ist dies einfach ein Zustand, ein Gefühl im Bauch , tatsächlich ist der Blickwinkel ein anderer, es wäre in der Tat ein echter Paradigmenwechsel gewesen von der Ansicht einer Person, die sich irgendwie anders verhält als erwartet und dadurch im Leben aneckt hin zu einer Betrachtung eines Menschen, der wahrscheinlich auch bestimmte Strategien entwickeln musste, um sowohl neurologische Defizite als auch traumatische Erfahrungen auf seine Art, meinetwegen auch disfunktional zu kompensieren. D.h., es war wahrscheinlich zweckmäßig, sich so zu verhalten, das hatte wahrscheinlich alles einen Sinn, es hat aber nicht das gewünschte Ergebnis gebracht, aber es sollte zumindest liebevoll verstanden werden, wodurch ja dann auch die Anerkennung entsteht, dass diese Person so geworden ist, wie sie ist, da sie unter bestimmten Bedingungen aufgewachsen ist und sich daher, wenn auch auf ungeeignete Weise , den Umständen angepasst hat, was man in der Fachsprache maladaptiv nennt. Selbst dies ist für mich noch schwer anzunehmen, aber immerhin eine wesentlich liebevollere und verständnisvollere Sichtweise, wobei ich mit liebevoll jetzt nicht wirklich liebe meine, sondern einfach Gerechtigkeit, Verständnis, Empathie und bedingungslose Annahme. Das bedeutet nicht, dass jemand immer so bleiben kann, aber wenn man mal den Sinn entschlüsselt hat oder die Gründe verstanden hat, und wenn ich sie auch mal auf entlastende Weise erklärt bekomme, oder sie zusammen mit jemand anderem herausfinden würde und durcharbeiten könnte, könnte man vielleicht, nachdem man bessere Möglichkeiten gefunden hat, die auch umsetzbar sind, bestimmte Dinge verändern, wenn dies auch relativ unrealistisch ist, da sich viele Sachen einfach so festgefahren haben. So eine genaue Arbeit kann man natürlich im Rahmen einer Diagnostik nicht erwarten, der Ansatz hierzu hätte aber bestehen sollen, und die Weichen hätten gestellt werden können. Denn alleine schon die Tatsache, dass ich nicht mehr so "im negativen Sinne pathologisierend" angeschaut worden wäre wie früher, sondern dass man unter den heutigen Erkenntnissen ganz anders auf so jemanden blickt, und somit auch indirekt alte Fehler eingeräumt werden, hätte dies eine große Entlastung bedeutet. Mit den oben genannten Zitaten ist dieser Effekt allerdings nicht eingetreten. Nun hab ich einen Autismus, sie sagte auch, ja, sie sind Autistin. Eine ADHS habe ich nun auch anerkannt bekommen, sie hat also nichts weggenommen, aber durch diese sogenannte Z-Diagnose mit der Art Lebensuntüchtigkeitsbescheinigung stehe ich jetzt auch ziemlich blöd da. Obwohl mir jemand sagte, dass es ja eigentlich normal ist, wenn man so viele Behinderungen und Erkrankungen hat, dass man dann eben logischerweise Probleme hat, sein Leben zu bewältigen. Aber genau deshalb bräuchte man ja dann hierfür auch keine extra Diagnose mehr, wenn das sowieso daraus hervorgeht. Eine Diagnose bedeutet ja schließlich, dass etwas ungewöhnlich ist. In manchen Situationen wäre es aber eher ungewöhnlich, wenn man da noch normal reagieren würde. Um es mal mit Karl Valentin zu sagen: „Da kann man ja nicht gesund sein, wenn man da nicht krank wird.“ Wenn man dann in so einer Situation, in der man eigentlich nur gesund ist, wenn man davon krank wird, als krank bezeichnet wird, dann ist das "DAVON", wovon man krank wurde, noch nicht ganz wirklich so richtig verstanden worden. Oder das "DAVON" ist halt tatsächlich doch nicht ganz so schlimm, und andere würden tatsächlich besser damit fertig und nicht ganz so "krank" werden. Aber das müsste erst einmal einer nachweisen.

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