Die traumatische Suche nach dem Trauma
Eine Expertin in eigener Sache
Vor ca. 30 Jahren, als es den Begriff Trauma noch kaum zu
geben schien, war ich als fast Blinde an einer Schule für Sehende und wurde
dort mit Mobbing (was schon eher zum Psychoterror tendierte) konfrontiert.
Damals wurde mir gesagt, ich bilde mir alles nur ein, oder mir wurde die Schuld
daran gegeben, denn irgend einen Grund wird es ja wohl haben, wenn andere somit
mir umgehen. Was mit „so“ gemeint ist, konntet Ihr in einem früheren Post
lesen.
Bis vor einigen Jahren wurde der Begriff Mobbing auf diese
Beschreibungen nicht einmal angewendet, sondern diese Aktionen wurden als Hense
Laien bezeichnet. Die meisten
Psychologen und Therapeuten waren und sind zum Teil noch der Ansicht, das
Mobbingopfer habe einen Anteil an der Situation, und man müsse sich dies in
einer Therapie anschauen. Die schwer wiegenden psychischen Folgen, die Mobbing
hinterlässt, sind meines Erachtens eher therapiebedürftig als die so genannten
„Gründe“, die zu Mobbing geführt haben. Es ist zumindest schon beruhigend, dass
mir einige Leute die neuesten Forschungsergebnisse zugetragen haben, dass es
keine typische Mobbing-Persönlichkeit gibt. Und es ist gut, dass es für diese
Taten nun einen übergeordneten handfesten Begriff gibt. Ich bin somit schon
einen Schritt weiter, das es zumindest ein paar Psychologen und Ärzte gibt, die
dies so nennen. Zuvor hieß es sogar: sie fühlte sich gemobbt. Und das bringt
mich schon zum Kern dieses Artikels.
Wenn ich auf meiner Suche nach Anerkennung für dieses Trauma
anfrage, ob solche Gewalttaten, wenn sie auch „nur“ emotionaler Natur waren, zu
einem Trauma führen können, erhalte ich zumeist sehr vage Aussagen. Der Tenor
lautet: für den einen ist das ein Trauma, für den anderen nicht. Ob man sich
traumatisiert fühlt, hinge von der eigenen Person ab und der
Widerstandsfähigkeit, der eine könne also etwas locker wegstecken, für den
anderen sei es der blanke Horror. Jeder erlebe ein Trauma anders, jeder ginge
anders damit um. Victor Frankl sei sogar im KZ gewesen, und er habe keine
Schäden davongetragen. Andere Menschen seien schon traumatisiert, wenn man sie
Idiot nennt. Wenn man natürlich so ein breites Spektrum an Reaktionen ansetzt,
wird man nie zu einer Antwort kommen. Ich gehe einmal davon aus, dass abgesehen
von diesen Ausnahmen die Menschen sich ziemlich eng beieinander auf diesem
Spektrum bewegen. Es mag tolerant klingen, wenn einem ein Diagnostiker
zugesteht, dass es für diese Person schlimm war. Dies reduziert aber die
Wertung nur auf diese eine Person. Es bedeutet aber im Umkehrschluss auch, dass
es wohl für die meisten Menschen dann nicht schlimm gewesen wäre. Dies ist aber
objektiv gesehen keine Bestätigung eines Traumas, denn dies stellt keine
Entlastung dar, da der Fokus auf die Person und nicht auf die Tat gelegt wird.
Im Grunde genommen wird damit nicht gesagt, dass die Tat schlimm war, sondern
nur, dass dieses Individuum sie eben schlimm empfand. Würde man bei einer
Vergewaltigung zu einer Frau sagen: „für Sie war diese Tat schlimm.“? Würde man
zu einem Menschen, der Folter erlitten hat, sagen: „jeder Mensch reagiert eben
anders?“ Spontan würde jeder mit nein antworten. Weniger tolerante Menschen
würden sogar sagen: „Mobbing oder Hense Laien sind kein Verbrechen, sind daher
auch nicht schlimm, und ein Trauma ist ein einmaliges Ereignis, welches
lebensbedrohliche Züge haben muss.“ Dies wäre zumindest eine ehrliche Antwort.
Denn eigentlich kann man mit der Aussage, dass es für einen selbst schlimm war,
nicht viel anfangen, denn das weiß man ja ohnehin schon, bevor man sich Hilfe
gesucht hat. Zur Anerkennung eines Traumas gehört meines Erachtens daher auch,
dass die Tat als solche unabhängig von der Person als schwerwiegend und
verletzend angesehen wird. Nun werden viele Fragen: „was nützt es dem Opfer,
wenn es weiß, dass die Tat schlimm war, und was hat das Opfer davon, wenn man
ihm bestätigt, dass sein Erlebnis schlimm war?“ Wenn man auf bestimmte Art
reagiert, seine Persönlichkeit verändert, misstrauischer wird, Ängste
entwickelt und sich nicht mehr als derselbe fühlt, der man mal war, sich
irgendwie als gezeichnet empfindet, und das Gefühl hat, irgendwie in seinem
Erleben von den anderen getrennt zu sein, ist es eventuell beruhigend zu wissen,
dass der Grund dafür etwas gewesen ist, was gemeinhin als schlimm angesehen
wird, eine Tat, die real passiert ist und real dazu geeignet ist, einen Schaden
bei einem Menschen entstehen zu lassen. Die Beruhigung, das, was Du empfindest,
ist vor dem Hintergrund dieser Situation ganz normal, Du bist kein Exot, Du
bist nicht verrückt, diese Tat wird von der Gesellschaft als gemeinhin schlimm
angesehen, kann entlastend wirken. Das Gefühl dagegen, es sei reine Geschmackssache
und (nur) die subjektive Empfindung des Individuums, ob es eine Tat selbst
schlimm findet, kann einen in die Isolation treiben. Die wesentlich härteren
Beispiele, die ich weiter oben angeführt habe, demonstrieren, dass Mobbing und
emotionale Gewalt noch nicht wirklich als schwer wiegende Eingriffe in ein
Leben betrachtet werden. Wirklich eindeutig als schädlich und traumatisch
können sie irgendwie doch noch nicht angesehen werden, bestenfalls dann eben halt
für das einzelne Individuum. Selbstverständlich ist Folter noch um wesentlich
viele Kategorien härter als Mobbing und Psychoterror. D.h. aber nicht, dass
Letzteres nicht auch schon die Psyche zerstören kann und zwar nicht nur von
Menschen mit geringerer Resilienz sondern ganz bestimmt auch von ganz durchschnittlichen Menschen.
Zerstörerisch wirkt sich aber auch aus, dass man in der
Beurteilung seines Traumas immer nur auf sich selbst zurückgeworfen wird. Die
Anerkennung, sei es in Form einer
ärztlichen Diagnose für den Geschädigten oder die Sanktionierung der Täter, dass die
Gesellschaft solche Taten nicht hinnimmt, und dass es sich hier eindeutig um
psychische Gewalt handelt, gibt einem Opfer schon das Gefühl, mit seiner
Ansicht und seinen Empfindungen nicht alleine zu sein. Alleine schon das
Gefühl, nicht einfach nur besonders verletzlich oder lediglich überempfindlich
zu sein, kann den ersten Schritt zur
Heilung bedeuten. Die oben gemachten Aussagen, es sei völlig individuell und
subjektiv, wie man etwas empfindet, können zusätzlich ein Trauma bedeuten, da
man wieder mit seinen Erlebnissen alleingelassen und nicht ernst genommen wird,
da wieder die Tat an sich nicht anerkannt wird, man wieder zu einem besonders
sensiblen Zeitgenossen abgestempelt wird. Die Aussagen, man müsse sich doch
einfach selbst glauben, was andere sagen, sei doch völlig egal, treiben einen
in die Isolation, denn man bekommt das Gefühl, als einzige diese Ansicht zu
haben, dass diese Erlebnisse wirklich schlimm waren. Mir sind diese Aussagen
und Ansichten, die für mich auch eine verkappte Bagatellisierung von Mobbing
und Psychoterror darstellen, auf meiner Suche nach einem Traumatherapeuten oder
einer Traumadiagnostik zu 99 % begegnet. Ich fühle mich an damals erinnert, als
ich während dieser traumatisierenden Umstände Hilfe suchte, mir aber alle nur
sagten, das sei alles nicht so schlimm, da müsse man durch, es passiert doch
jedem. Auch Äußerungen wie: wir sind doch alle irgendwie zerbrochen, habe ich
auf meiner Suche nach Anerkennung meines Traumas gehört. Dies schiebt den
schwarzen Peter irgendwie dem Opfer zu: wir erleben alle unsere schlimmen
Dinge, es kommt nur darauf an, wie man damit umgeht, und der eine kann es eben
besser, der andere eben nicht. Sprich: Du kannst es eben nicht so gut.
Eigentlich sollte es angebracht sein, im Sinne von Psychoedukation dem Opfer zu
erklären, warum es so reagiert, wie es reagiert, und dass die Reaktionen völlig
normal sind, dass die Empfindungen verständlich sind, dass diese Erlebnisse
außerordentlich waren, und dass daher auch die Reaktionen, die zuweilen
außerordentlich ausfallen, gemessen an der Situation normal und nachvollziehbar
sind. Dies zeigt, dass man das Opfer wirklich versteht, dass man die
Geschehnisse per se als gravierend ernst
nimmt, dass man die Gefühle des Opfers nachempfinden kann, und dass man sie
zumindest den negativen Erlebnissen zuordnen kann. Dies hätte ich mir
gewünscht, in einer annehmenden, wohlwollenden Atmosphäre, in der auch Feedback
und Resonanz hinsichtlich der erlittenen Qualen und dazu passenden Gefühle
gegeben wird, und eine sachgemäße
Aufklärung stattfindet, welche Prozesse bei diesen Taten in einem Menschen
ablaufen können, auf was man sich als Opfer einstellen muss, und dass man mit
seinen Symptomen nicht alleine ist, sondern es auch andere Menschen gibt, die
unter solchen Dingen gelitten haben und auch nicht immer stark waren und alles
nur weggesteckt haben. Ich habe viele Bücher über Traumatisierung gelesen, in
denen eigentlich genau das drin steht. Ich habe mich teilweise sogar an
namhafte Buchautoren gewandt, zuweilen aber nur solche bis gar keine Antworten
erhalten. Es gab einige wenige, die den Standards, die sie in ihren Büchern
gesetzt haben, gefolgt sind. Leider kommt man aber auf der Suche nach
Diagnostik nicht an diese Menschen heran, die sich ganz besonders mit dem Thema
Trauma beschäftigen, da sie meistens überlaufen sind. Ob diese Bücher auch von
anderen Fachleuten gelesen werden, frage ich mich manchmal. Zumindest sollte
klar sein: ein Mensch, der traumatisiert ist, verhält sich in manchen
Situationen nicht so wie jemand, der so etwas nicht mitgemacht hat. Daher
sollte jemand, der einen solchen Menschen diagnostizieren will, darauf
vorbereitet sein, es mit jemandem zu tun zu haben, der im Kontakt manchmal nicht
ganz einfach ist. Hätte dieser Mensch diese psychischen Probleme nicht, würde
er ja schließlich auch den Fachmann nicht aufsuchen. Daher sollte dieser sich
nicht abschrecken lassen und dann wiederum negativ auf das Opfer reagieren, was
ja wieder Ablehnung bedeutet. Das Schlimmste, was einem bereits traumatisierten
Menschen passieren kann ist, wenn ihm gesagt wird, das, was er erlebt habe, sei
doch wohl kein Trauma, da gäbe es doch VIEL Schlimmeres, oder: das ist doch nun nicht wirklich so
schlimm, und andere würden das viel besser wegstecken.
Romantisch oder pragmatisch veranlagte Menschen werden nun
sagen, es ist doch egal, wie man es nennt, Hauptsache man hört demjenigen zu.
Ich halte es aber für sehr wichtig, zu wissen, ob man es mit einem Menschen zu
tun hat, der ein psychisches Trauma erlitten hat, da dann oft andere
Vorgehensweisen vonnöten sind, und da sich einige Störungen dann besser
einordnen und erklären lassen. Außerdem, wie oben erläutert, tut es zumindest
einmal gut, wenn die Ereignisse als schlimm genug anerkannt werden, dass sie im
Normalfall potenziell traumatisierend sein können, und zwar nicht nur für
Überempfindliche sondern für ganz normale Menschen. Wie man mir häufig sagte, mag es einen Unterschied geben
darin, ob man etwas Traumatisches erlebt hat, oder ob man tatsächlich auch
traumatisiert ist. In beiden Fällen sollte aber die Tat per se als schlimm
angesehen werden und nicht die Reaktion des Opfers als eine rein individuelle
und subjektive Geschmackssache oder gar als pathologisch dargestellt werden.
Dies wird weder einem traumatisierten Menschen noch einem Menschen, der
traumatische Dinge erlebt hat, gerecht. Und noch kurz dazu, dass viele jetzt
wiederum nicht glauben werden, wie häufig mir diese Aussagen begegnet sind, und
dass das doch wohl an meinem auftreten gelegen hat: auch dies birgt wieder die
Aussage in sich, dass man selbst zu diesen Äußerungen beigetragen habe, oder
dass man bei diesen Erfahrungen einfach nur übertreibt. So setzt sich die
Traumatisierung von damals weiter fort. Auch bei einem physischen Trauma würde
schließlich niemand sagen: der eine, der sich den Arm gebrochen hat, braucht
einen Gips, der andere kommt auch ohne Gips aus. Wenn man einen Schlag auf den
Kopf bekommt, ist das für den einen verletzend, der andere steckt das locker
weg. Der eine läuft nach einem Beckenringbruch sofort wieder einen Marathon,
der andere bleibt drei Monate im Bett.
Auch hier gibt es eindeutige Standards und eindeutige Skalen, wie man das
eindringende Ereignis einschätzt, und wie man die Folgen dementsprechend einordnet und behandelt .
Nachdem man heute den Anspruch hat, psychische Traumata genauso ernst zu nehmen
wie körperliche Verletzungen, sollte man auch die gleichen Standards dafür
anlegen. Denn auch bei einem körperlichen Trauma wünscht man sich doch, dass
andere die Schmerzen und die Schwere der Verletzungen und die erlittene Tat als
solche würdigen. Hier würde keiner auf die Idee kommen, dass dieses Bedürfnis
per se wiederum ein Zeichen von psychischer Labilität ist.
Der geneigte Leser wird sich nun fragen, wie kommt eine
einzelne Person darauf, für alle anderen
zu sprechen, schließlich empfindet dies
doch jeder unterschiedlich. Na, da haben wir's ja schon wieder! Nun, ich kann zumindest mit Sicherheit sagen,
dass niemand seine Erlebnisse und die dazugehörigen Empfindungen relativiert,
individualisiert, und bagatellisiert haben will. Schließlich bin ich Expertin in eigener
Sache.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen