Sonntag, 18. Oktober 2020

Ein Balkon bringt Licht und Schatten

Schon bei meinem Einzug hieß es, dass wir innerhalb der nächsten Jahre Balkone bekommen sollten. Das ist der Hauptgewinn, eine Wohnung mit Badewanne und Balkon. Zuvor hatte ich immer nur entweder das eine oder das andere. Da galt immer die Frage, was ist einem lieber, eine Badewanne oder ein Balkon? Ich habe schon beides gehabt. Da wir allerdings elektrische Boiler benutzen, gehe ich mit dem Baden auch aus ökologischen Gründen recht sparsam um. Trotzdem ist es schön, nicht nur eine Duschkabine zu haben. Letztes Jahr erhielten wir einen Brief, dass in unserer Straße mit dem Bau der Balkone begonnen werden sollte. Ein Plan wurde erstellt, und zu meiner großen Enttäuschung sollte ich erst im Jahre 2021 dran kommen. Zum Glück hat Corona nicht so einen großen Einfluss auf den Bau der Balkone gehabt, sodass es hier nicht zu größeren Verzögerungen kommt. Nun war aber die Frage, wo die Heizung hinkommt, wenn die Balkontüre eingebaut wird, da nun ja die Heizung direkt unter dem Fenster ist. Ich müsste ja dementsprechend meine Möbel umstellen. Dies hat ja auch Auswirkungen auf meine neue Küchenzeile. Eine Weile musste ich der Information, wo die Heizung hinkommt, hinterher laufen. Ich rief also mehrfach bei unserer Hausverwaltung an. Irgendjemand sagte mir dann, die Heizung käme wohl nach links neben die Balkontür, aber da wäre ja kein Platz, darum hieß es dann, nein, sie kommt doch nach rechts. Dann wäre aber meine Küchenzeile schmäler. Somit rief ich immer wieder dort an, um die richtige Person ans Telefon zu bekommen. Einmal hieß es dann, sobald er meinen Namen hörte, er müsse erst warten, bis ein Vorgesetzter wieder da sei. Ich wunderte mich schon, warum ich auf einmal so auf Abstand gehalten wurde. Aber den Grund sollte ich bald erfahren. In der Zwischenzeit war ich auf einem Vortrag über zivilen Ungehorsam. Dort ist mir jemand von unserer blinden Seelsorge über den Weg gelaufen und hat mich angesprochen und ist mit mir zum Bahnhof gegangen. Die Frau kannte mich, da ich schon ein paarmal dort Bücher ausgeliehen und wieder zurückgebracht hatte. Ich erzählte ihr von meinem Chaos mit meiner Küchenplanung. Daraufhin sagte sie mir, sie kenne ein Küchenstudio, welches enge Verbindungen zu unserer blinden Schule hätte, und dass eine blinde Person sich auch dort eine Küche hat machen lassen. Sie nannte mir den Stadtteil des Küchenstudios. Ich fand dann über mein Smartphone die Postleitzahl des Stadtteils heraus und suchte dann über diese Postleitzahl des Küchenstudio. Ich rief dann aufs Geratewohl dort an und fragte nach, ob sie Verbindungen zur Blindenschule hätten. Ich hatte Glück, es war genau das richtige Möbelgeschäft. Er bot mir auch noch an, mit der Hausverwaltung Kontakt aufzunehmen, um die Sache mit der Heizung herauszubekommen. Welch eine Fügung! In der Zwischenzeit rief ich noch mal bei unserer Hausverwaltung an. Die Frau an der Pforte hatte dann ein großes Engagement und sagte mir, falls ich von dem Techniker bis zum Mittag nichts hören würde, sollte ich noch mal bei ihr anrufen, sie würde ihn da noch mal ansprechen. Das tat ich dann auch, nachdem ich vergeblich gewartet hatte. Prompt läutete dann mein Telefon, und der Architekt war am Apparat. Er machte umgehend einen Termin für die nächste Woche mit mehr aus. Er würde dann die Pläne mitbringen, um die Sache mit dem Balkon und der Heizung mit mir zu besprechen. Die Frau an der Vermittlung rief dann noch mal bei mir an und erklärte mir, dass der technische Leiter schon längst mit dem Architekten Kontakt aufgenommen hatte, ihn aber erst heute auf der Baustelle erreichen konnte, um ihn noch mal auf das Problem mit der Anschaffung meiner Küche und der Positionierung der Heizung im Zuge der Planung der Balkone anzusprechen. Daher hat mich der Architekt dann eben sofort selbst angerufen. Jetzt kann ich mir auch das Zögern des Angestellten erklären, als er meinen Namen hörte. Wahrscheinlich wurde ihm geheißen, erst noch abzuwarten und die Sache zurückzustellen, bis der technische Leiter den Architekten hatte erreichen können. Ich hatte während des Termins mit dem Architekten gerade Besuch aus dem Schwarzwald. Mein guter Freund war wieder einmal da, wir hatten es doch nach längerer Zeit mal wieder geschafft, dass er mich besuchen konnte. Er sollte also auch dabei sein, da er ja als sehender die Sache besser überblicken könnte. Der Architekt hatte die Pläne auf seinem Handy. Er meinte, ich solle mir um die Küchenzeile keine Gedanken machen, es wäre doch schade, nicht die ganze Zeile auszunutzen. Die heutigen Heizkörper hätten ein Zirkulationssystem, sodass die Luft von unten angesaugt und nach oben wieder heraus geblasen würde. Daher könne ich auch meine Bank vor die Heizung stellen. Man würde also die Heizung auf die längere Seite links hin montieren, und so könnte ich dann das Billy Regal und die Bank austauschen, denn das Billy Regal würde hinter der Balkontüre Platz finden. Die Bank würde ja verhindern, dass man die Tür öffnen kann. Das war von Anfang an der Plan, diese beiden Gegenstände dann auszutauschen. Nun würde also die Bank vor der Heizung stehen, meine Besucher hätten es also immer schön warm im Winter. Im Sommer sowieso. Somit brauchte ich also bei den unteren Schränken meiner Küche keine Abstriche zu machen. Der Architekt meinte, die Leitung der Heizung ginge um die ganze Küche herum, sodass die Heizung überall hin könnte. Notfalls könne man sie auch hinter die Küchentür machen. Er sagte, ich solle meine Küche einfach planen und keine Rücksicht auf die Heizung nehmen. Er erklärte uns dann noch, wie die Balkone aussehen würden. Zu meiner großen Freude erstreckt sich der Balkon über die gesamte Schmalseite der Küche, mit 5,40 m erhalten wir, mein Nachbar und ich, einen Doppelbalkon mit Trennwand. Die Tiefe beträgt 1,50 m. Der Balkon wird nahezu so groß wie der in meiner alten Wohnung. Somit kann ich all meine Möbel wieder dorthin stellen. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Aufgrund des Denkmalschutzes kann keine Balkontür eingebaut werden, die ganz und gar aus Glas besteht. Der untere Teil wird aus Holz sein, und in der Fensterscheibe gibt es eine senkrechte und eine waagrechte strebe. Das obere Drittel geht ganz durch, der untere Teil des Fensters ist dann durch eine senkrechte Strebe geteilt. Somit habe ich weniger Licht als zuvor. Ich dachte, wenn eine Glasscheibe eingesetzt wird, hätte ich dann die ganze Morgensonne auf der Ostseite. Ich habe mir daher überlegt, dass ich im oberen Drittel vielleicht bunte Fensterbilder oder durchsichtige farbige Folie anbringen könnte, damit es etwas wie ein altes Fenster mit Bleiverglasung, also Tiffany aussieht. Dann leuchtet die Sonne herein und bringt etwas Farbe mit. Der Architekt erklärte uns auch den Ablauf der ganzen arbeiten. Es gebe 3 Tage, wobei an einem Tag das Loch für die Balkontür, der Boden und die Balkontüre selbst angebracht würden. Man hätte aber dann noch 2 Tage, falls sich etwas verzögert oder nicht gleich klappt. Am selben Tag würde auch die Heizung versetzt. Dann dürfe ich 4 Wochen nicht auf den Balkon. Man würde ein Brett vor die Türe machen, denn sonst kämen die Mieter in Versuchung, doch einmal schnell auf den Balkon zu gehen. Ehe der Architekt den Balkon nicht abgenommen hat, darf man ihn nicht betreten. Denn das gelte als stille Abnahme, dann könne der Architekt nicht mehr in Regress genommen werden. Es sei schon vorgekommen, dass Leute heimlich auf den Balkon gegangen seien, dann hätte es Schäden gegeben, und der Architekt sei dafür verantwortlich gemacht worden, wobei das Betreten dann doch rausgekommen war. Die Farbe des Geländers wäre ein helles Braun, denn es würden eine Art Holzbretter verwendet. Ich stelle mir das in etwa so wie bei Küchenschränken aus Holzimitat vor. An die Trennwand, an die nichts hingenagelt werden darf, kommt aber eine Halterung für Kleiderbügel. Es wurde aber offenbar an alles gedacht, damit niemand individuelle Veränderungen vornimmt. Es soll auch eine Vorrichtung für 2 Blumenkästen geben. Man kann dann seine eigenen Blumenkästen hinein stellen. Meine Blumenkästen warten schon sehnsüchtig darauf, dass dieser Moment kommt. Ich hatte mir gedacht, vielleicht kann man, ohne etwas anbohren zu müssen, einen Spiegel an die Trennwand in schräger Lage anbringen, um etwas Licht in die Küche zu bekommen. Der Architekt meinte, wir könnten doch etwas herumlaufen und uns die bereits angebrachten Balkone einmal ansehen. Ich war nun erst einmal beruhigt, dass die Sache mit der Küchenzeile geklärt war, und wir hier weitermachen konnten. Wir gingen also los, um uns die bereits bestückten Wohnungen einmal von außen anzusehen. Mein Bekannter hob mich etwas über den Bauschutt, sodass wir näher an den Balkon herankamen. An den Häusern waren schwarze Leichtmetallstangen befestigt, die von unten bis oben senkrecht angebracht wurden, und dort hängen die Balkone drin. Da die Balkone doch relativ breit sind, gibt es bei jedem Balkon in der Mitte noch einmal eine senkrecht verlaufende Stange. Die Farben sind immer etwas anders. Es gibt sogar Häuser, die durchgehende Glastüren haben. Nebendran ist sogar noch ein kleines Fenster bei denen. Offenbar hängt das auch mit dem Denkmalschutz zusammen. Zufällig landeten wir genau bei dem Balkon meines Nachbarn, der alles mitkriegt und immer aus dem Fenster herausschaut. Auch hier besteht Licht und Schatten. Auf der einen Seite ist es schön, wenn jemand sofort zur Stelle ist, wenn man Hilfe braucht. Auf der anderen Seite fühle ich mich auch immer etwas beobachtet, wenn einer auf magische Weise wie Jack in the Box auf einmal vor mir auftaucht, rauchend vor meinem Fenster steht, oder ganz gebannt in meinem Briefkasten schaut, wenn ich ihn öffne, um mir dann zu erklären, dass nichts drin ist. Daher bleibe ich immer so lange seelenruhig vor meinem Briefkasten stehen, bis er weg ist. Ich unterhalte mich dann eine Weile mit ihm, mache aber keinerlei Anstalten, das Ding aufzumachen. Es ist zwar nichts Geheimes drin, aber ich habe immer das Gefühl, als käme mir da jemand zu nahe und würde mir in den Mund schauen. Der Preis ist, dass, wenn ein Brief herausfällt, er ihn auch sofort entdeckt und mich darauf aufmerksam macht. Das ist die Ambivalenz von Fürsorge und Kontrolle. Dieser Nachbar kam auch prompt jetzt an seine Balkontür, hinaus treten konnte er ja noch nicht. Er erklärte uns, dass die Arbeiten doch etwas länger dauern würden, als man ihm das gesagt hätte. Die Miete würde um 50 € angehoben. Und ich solle auch bedenken, dass der Balkon über mir ebenfalls Schatten wirft. Das würden viele nicht bedenken. Er hätte jetzt den ganzen Tag in der Küche das elektrische Licht brennen und hätte andere Lampen gebraucht. Ich habe sowieso, sobald ich in der Küche bin, das Licht an, es sei denn, ich erwische an einem heißen Sommermorgen noch den Zeitpunkt, an dem die Sonne direkt in meine Küche scheint, und ich dann die wunderbare Morgensonne auf der Ostseite ohne elektrisches Licht genießen kann den Rest des Tages ist es dort sowieso schon immer ziemlich schattig.. Daher kam mir eben auch die Idee mit dem Spiegel. Er muss halt nur so angebracht werden, dass sich niemand beobachtet fühlt. Denn rechts von mir ist die Türe unseres eingangs in den Innenhof. Das könnte so aussehen, als ob ich beobachten wollte, wer rausgeht und reingeht. Vielleicht ahmt mein Nachbar dann diese Konstruktion womöglich auch noch nach...lach… Er ist aber nicht mein direkter Nachbar. Da könnte man sich glatt das Kabelfernsehen sparen... Ich freue mich schon riesig auf meinen Balkon. Ich freue mich, wenn ich die Sachen aus dem Keller herauf holen kann. Ich freue mich schon darauf, wenn der Keller wieder etwas übersichtlicher wird. Ich freue mich, wenn ich dann die 1. Samen in meine Blumenbeete streuen kann. Und ich freue mich, wenn ich dann vielleicht an einem Sommermorgen die Morgensonne auf der Ostseite bei einem Frühstück direkt draußen auf meinem Balkon genießen kann. Und ich freue mich darauf, den ganzen Tag im Schatten zu sitzen, wenn es brütend heiß ist, und abends noch eine Weile draußen auf dem Balkon sitzen zu können. Aber dazwischen kommt noch die Sache mit der Küche.

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