Mittwoch, 1. Mai 2024

Einmal verwöhnen lassen

Letztes Jahr ist sehr viel passiert, es gab sehr viele Kämpfe, von denen ich unter anderem auch in meinem Blog berichtet habe. Das Schlimmste war, dass ein Familienmitglied urplötzlich an Krebs verstorben ist. Dies ging überraschend schnell und brutal vonstatten, ich konnte das Familienmitglied noch zweimal im Krankenhaus besuchen und durfte das Familienmitglied bei noch klarem Verstand am Telefon sprechen. Bei meinen Besuchen war das leider wegen Unruhe- und Verwirrtheitszuständen nicht der Fall. Alldem ging ziemlich viel durcheinander voraus, wobei ich erst große Mühe hatte, die nötigen Informationen von den Beteiligten zu erhalten. All dies war für uns alle ein großer Stress und ein großes Leid. Zum Glück ist das Familienmitglied wenigstens friedlich eingeschlafen. Kurz vor der Beerdigung musste dann auch ich noch ins Krankenhaus, worüber ich im vorherigen Beitrag berichtet habe. Zum Glück hat man nichts Ernstes gefunden, aber nach all dem, was wir vorher allesamt durchgemacht hatten, hatte ich schon große Ängste. Ich konnte dann aber doch überraschend schnell nach Hause,, und ich konnte auch den Gottesdienst der Beisetzung musikalisch mit Gitarre und Querflöte mitgestalten. All dies war im Oktober und Anfang November, die Ereignisse überschlugen sich also innerhalb weniger Wochen. Nach diesem Jahr wollte ich einfach einmal nicht kämpfen und nicht immer alles selbst machen müssen. Wenn ich zu Hause ein schönes Leben haben will, muss ich mich in zwei Personen aufteilen, den Butler und Miss Sophie. Da der Butler sich anstrengt, profitiert Miss Sophie, die ich in Personalunion mit dem Butler bin, relativ wenig davon. Im Sommer habe ich häufig mein Tablett für das Frühstück beladen, Brote geschmiert, Kaffee gemacht, das Nötige mit rausgenommen, innerhalb von ebenso 20 Minuten war alles, was ich nüchtern und hungrig innerhalb von 20 Minuten vorbereitet hatte, aufgegessen. In meinen Zwanzigern war ich einmal auf einem Seminar, wo eine Frau meinte, wie herrlich es doch sei, sich einmal an einen gedeckten Tisch setzen zu dürfen. Ich war damals erst seit wenigen Jahren dem Internat entwachsen, und daher war ich glücklich, dass ich selbstständig all das vorbereiten durfte, was ich mir selbst aussuchte und essen wollte. Daher hatte ich damals für ihre Äußerung wenig Verständnis, und sie meinte, eines Tages wirst auch du es zu schätzen wissen, dich an einen gedeckten Tisch zu setzen. Daran denke ich noch häufig. Und einer meiner größten Wünsche war es im letzten Jahr, mich einmal an einen gedeckten Tisch setzen zu dürfen. Ich bekomme zwar Essen auf Rädern, aber einmal einen schön für mich vorbereiteten und gedeckten Tisch vorzufinden mit all den Sachen, die jemand anderer für mich hingestellt und hergerichtet hat, das werde ich in diesem Leben wahrscheinlich nicht mehr erleben, wenn ich realistisch bin. Ein schönes Frühstück beinhaltet Vollkornbrot oder -brötchen, Sesam- oder Mohnbrötchen, geschnittenes Gemüse, vielleicht noch ein Ei, vegetarischen oder begannen Brotaufstrich, Schnittlauch auf dem Brot, Honig oder Marmelade, Kaffee mit Milch und vielleicht noch ein Stück Obst hinterher. Dazu habe ich ja jetzt zum Glück meine Kitchenette. Dieses Gerät ist wirklich ein Wunderwerk der Technik und bereitet wunderbaren Salat und Obstsalat zu. Der Abwasch dieses Gerätes und seines Zubehörs ist schnell getan, das ist das geringste Problem. An Weihnachten habe ich mir jedes Mal in den letzten Jahren ein Menü anliefern lassen, denn ich wollte es ja auch mal ein bisschen schön haben. Wenn ich es mir zum Kaffee schön machen will, dann mache ich selbst den Milchschaum, ich backe alles an Gebäck auf, oder ich habe Joghurt und Obstsalat, wobei ich festgestellt habe, dass ich Joghurt nicht gut vertrage. Das Essen auf Rädern ist schon eine große Erleichterung, aber trotzdem möchte ich es mir ja auch zwischendurch schön machen, abends bereite ich mir einen koffeinfreien Kaffee zu, schneide Obst und hole mir ein Stückchen Schokolade oder einen Keks dazu, nicht immer aber manchmal. All das muss ich ja dann sorgfältig vor den Fernseher balancieren. Hinterher muss natürlich alles abgespült werden, der Milchschäumer für den nachmittäglichen Cappuccino, die Teile für den Kaffee Vollautomaten, all das Geschirr etc. Das hört sich zwar wenig an, aber während des Frühstücks muss ich dann mehrfach aufstehen, um die einzelnen Sachen zu holen, oder um nicht mehr gebrauchte Sachen schon einmal in den Kühlschrank zurückzustellen. Gemütlich ist da meistens anders. An manchen Tagen bin ich dann bis zum Kaffeetrinken schon so kaputt, dass mir dann der ganze Becher mit dem heißen Kaffee auch noch umkippt und über den Schoß fließt. Das passiert zum Glück nicht häufig. Häufig höre ich dann von Leuten, du hast doch Zeit, dass die Vorbereitung all dieser Leckereien aber zum einen bei mir mindestens doppelt so lange dauert wie bei nicht behinderten Menschen, dass sie keiner. Außerdem muss ich ja sonst schon immer um viele Sachen kämpfen, und da möchte ich wenigstens Gemütlichkeit beim Essen haben. Wenn ich mir einen schönen Filmabend bescheren möchte, muss ich, um einen Film von 90 Minuten in der Mediathek zu finden, manchmal sogar fast 1 Stunde vorher suchen, bis ich ihn habe, weil ich mir da ja eher schwertue, Sachen zu finden. Bei manchen Serien haben wir geübt, da haben wir die Serie in der Mediathek gekennzeichnet, so dass ich sie schnell wiederfinde, und daher das Auffinden schon etwas schneller geht. Sonst vergeht einem wirklich die Lust daran, es sich schön zu machen. Außerdem bewirte ich ja häufig andere Leute, wenn diese zu mir zu Besuch kommen, mache ihnen den Kaffee, springe mehrmals auf, um etwas nachzulegen, und ich muss ja auch dann alles entweder vorher beim Bäcker kaufen und bezahlen oder auf backen. Die einzige Möglichkeit, dass auch ich einmal bewirtet werde, ist dann, wenn ich zu einer Veranstaltung der Behindertenseelsorge oder beim Blinden- und Sehbehindertenverband gehe. Da fühle ich mich dann wie eine alte Frau, die sich freut, auch einmal mit Kaffee und Kuchen verwöhnt zu werden. Schon länger war ich nicht mehr im Urlaub, zum einen grassierte ja Corona, und zum anderen hab ich nicht mehr so sehr die Kraft, mich überall durch zu fragen und zu viel Energie aufzubringen, alles zu organisieren, mich vor Ort dann durchzuschlagen, wie ich das früher, bevor ich Nierenpatientin wurde, ohne weiteres getan habe. Früher wollte ich nie in die sogenannten blinden Hotels, ich konnte das nie verstehen, warum Menschen immer in denselben Ort in Urlaub fahren. Mittlerweile verstehe ich das, man kennt sich aus, man muss sich nicht jedes Mal wieder neu durch kämpfen und wieder alles neu erarbeiten, und wenn man sich dann alles drauf geschafft hat, darf man wieder nach Hause fahren. Ich war einmal in einem blinden Hotel auf einem Seminar, damals hieß es, dass eine der Teilnehmerinnen ihr Zimmer wird vorzeitig räumen müssen, die Frau wird aber vorher informiert, diese Frau war natürlich ich. Informiert wurde ich nicht, ich fand meine noch offene Reisetasche in einer Abstellkammer, die paar fehlenden Gegenstände, die noch draußen herum standen, hatten die Zimmerleute von sich aus einfach angefasst und in die Tasche gepackt, sie waren einfach reingekommen und haben das erledigt. Ich dachte mir damals, vom Kur- und Erholungsheim sind wir noch nicht so weit weg, wie man sich das wünschen würde. Dies war aber dieses Mal, als ich wieder hin fuhr, ganz anders. Ich rief dort an, man hat mir sofort die Adresse eines Taxiunternehmens gegeben, welches mich pünktlich und gemäß meiner Vorbestellung abholte. Mit Hermes hatte alles geklappt, das hatte ich über die Bahn organisiert, ich habe zwar einen Hermes Shop in der Nähe, ich wollte es aber lieber direkt bei der Bahn machen, damit alles in einer Hand ist. Die Frau am Telefon bei der Bahn war dann auch recht nett, und da Hermes über Weihnachten einige Tage Feiertag machte, habe ich dann noch mit dem Hotel abgeklärt, dass Hermes mein Gepäck auch erst einen Tag nach meiner Abreise holen könnte, und mein Koffer so lange dortbleiben durfte. Man würde sich darum kümmern, auch wenn ich nicht mehr vor Ort sei. Ich hatte große Sorge, aber diese war zum Glück unbegründet, der Koffer wurde bei mir zu Hause pünktlich abgeholt, ich hatte zwar ein Zeitfenster mit gebucht, welches fünf Euro mehr kostete, trotzdem kam der Hermesbote schon früher, zum Glück hatte ich am Vortag bereits gepackt, sodass ich dem Boten schon mein Gepäck mitgeben konnte. Bei der Ankunft konnte ich gleich einen ganzen Kasten Mineralwasser bestellen, welcher wunschgemäß auf mein Zimmer geliefert wurde. Zuerst habe ich ihn nicht gefunden, aber eine von den Damen aus dem Speisesaal ging mit mir nach oben und fand den Kasten in einer Ecke stehend. Ich wollte dies so, denn wenn ich jedes Mal am Abend beim Ausschank etwas getrunken hätte, wäre das teurer gewesen, und ich wollte ja eigentlich einfach nur dort Freizeit verbringen, meine Bücher lesen, Hörbücher hören und sonst nichts machen. Mit dem Kasten hatte ich dann die volle Kontrolle über meine Ausgaben, denn sonst würde man immer die Rechnung aufs Zimmer buchen, und am Ende hätte man dann eine böse Überraschung. Das wollte ich vermeiden, und vorwiegend trinke ich ja sowieso nur Mineralwasser, und das konnte ich auch gut und gern im Zimmer trinken, wo ich dann auch gleich meine Medikamente nehmen konnte. Nach dem Mittagessen gönnte ich mir noch einen Cappuccino, das hielt sich aber in Grenzen. Da eine Freundin von mir ein paar Tage später Geburtstag hatte, fragte ich gleich nach, denn man hatte dort sehr viele schöne Produkte, unter anderem Badezusätze, Duschgel, Pralinen, Tee etc. Die Frau an der Rezeption zeigte mir alles bereitwillig. Ich fragte, ob sie eine kleine Schachtel hätte, da ich alles gleich verschicken wollte. Auch die hatte sie, und ich bat sie darum, dass sie die Sachen zur Post bringen lässt. Normalerweise geht das nicht, aber sie können morgen mit einer Gästebetreuerin zur Post gehen. Die Gästebetreuerin sprach ich dann an, und diese bot an , sie könne auch das Paket gleich heute Abend mitnehmen, und ich sollte ihr dann später das Geld für das Porto geben. Das fand ich total nett, da ich mir dann die Kosten für die Zeit Sparte, die ich die Frau sonst hätte buchen müssen. Natürlich gab ich ihr ein Trinkgeld für diesen Service. Als ich dann bei Tisch saß und diese Begebenheit erzählte, wunderten sich meine Tischnachbarn, denen man diesen Service nicht hat angedeihen lassen, vielmehr habe man ihnen gesagt, an der Rezeption würde man grundsätzlich keine Pakete annehmen und für die Gäste versenden. Es kommt halt immer drauf an, wer gerade an der Rezeption Dienst hat, dazu noch später. Nachdem dann die Rezeptionistin mit mir all das mit meinem Paket geregelt hatte, zeigte sie mir noch das Zimmer, und später rief sie mich an, dass jetzt eine Einführungsveranstaltung stattfinden würde. Ich wurde dann mit hinübergenommen in den großen Saal, und der stand schon so unter Alkohol, dass ich vom Einatmen schon schwindelig wurde. Ich hörte mir die Auftaktveranstaltung an, ließ mich dann aber wegen Kopfschmerzen wieder zurückbringen, die ich normalerweise nicht habe. Wenn man nicht schon besoffen war, würde man es alleine durch die Dämpfe werden. Und ich vertrage relativ wenig Alkohol. Die Veranstaltung wurde von dem Küchenchef durchgeführt, der sehr lustig und unterhaltsam war, und da er aus dem Ausland stammt, war es sehr witzig, wie er einige Sachen gestaltete und sich um korrekte Aussprache bemühte. Er hat einfach ein Talent zum Alleinunterhalter. Beim Abendessen lernte ich dann eben das Ehepaar kennen, die mit mir am Tisch saßen. Am nächsten Morgen kam dann noch jemand hinzu, und das Ehepaar hatte sich sofort mit ihr angefreundet. Sie hatten ihr sofort das Du angeboten, bei mir waren sie wesentlich reservierter. Ich fragte dann, ob ich nicht auch du sagen könnte, weil ich es blöd fand, dann als einzige mit den Leuten per sie zu sein. Das wurde dann auch so angenommen. Da ich mich aber nicht wirklich an dem Tisch wohl fühlte, weil das Ehepaar immer nur die eine Frau ansprach, und ich mich jedes Mal von mir aus ins Gespräch bringen musste, bat ich darum, an einen anderen Tisch gesetzt zu werden. Ich hatte das Gefühl, dass diese Leute einer Wellenlänge entstammen, und ich gehörte mal wieder nicht dazu. Ich wurde dann also an den Tisch von drei Frauen aus dem Schwabenland gesetzt. Zunächst waren sie ganz nett und sehr freundlich, dann fing die eine an, laufend mit mir in Konkurrenz zu treten. Wenn ich erzählte, dass ich Essen auf Rädern bezog, konterte sie sofort, sie könne noch alleine kochen. Ich sagte, jeder, wie er kann. Als ich erzählte, dass ich einige Neffen und Nichten hätte, kam sie gleich damit heraus, dass sie sogar eigene Kinder hätte. Wenn ich erzählte, dass ich noch einige von den auf dem Teller im Zimmer befindlichen Keksen übrig hatte, meinte sie sofort in triumphierend-herausforderndem Tonfall, ich hab noch den ganzen Teller. Ich kam mir vor wie im Kindergarten. Egal, was ich sagte, sie wusste immer alles besser und hat dauernd mit mir gewetteifert. Ich weiß nicht, wo ich das her habe, und warum ich das habe. Ich ziehe das irgendwie an. Ich vermute, dass es doch irgendwelche morphogenetischen Felder gibt, und dass man das an sich hat, ich glaube, das kommt von der eigentlichen Welt, wie ich sie immer nenne, es gibt sicher zwei Welten, die sichtbare und die eigentliche Welt, und in der eigentlichen Welt hat jeder seinen Rang, und die Leute wollen mir einfach zeigen, dass ich in der untersten Kaste bin. Die anderen Frauen waren relativ gemäßigt und freundlich. Diese eine hatte auch dauernd etwas am Essen auszusetzen, welches vorzüglich war. Es gab mehrere Lesungen, Musik , Choraufführungen etc. Auch hier saß ich oft alleine, irgendwann platzte mir der Kragen, und ich fragte, ob ich denn aussätzig sei, weil ich immer ganz alleine in der Reihe saß. Dies passiert mir auch häufig bei Theaterveranstaltungen an meinem Heimatort, erst dann, wenn wirklich kein Platz mehr frei ist, und es nicht mehr zu vermeiden ist, setzt sich jemand links und rechts von mir hin. Ansonsten bleibt meine Reihe leer. Ich habe schon versucht, mich umzusetzen, oder ich setze mich in eine Reihe, in der schon Leute saßen, aber dann haben sich die anderen Weg gesetzt. Dieses Mal hatte dann eine Frau Mitleid mit mir, die mir schon vorher geholfen hatte , als sich ein Bonbon auswickeln wollte und es nicht schaffte wegen meiner Probleme mit der Feinmotorik, und die lud mich dann ein, dass ich doch neben ihr sitzen könne. Ich habe ihr dann zehn Euro für die CD geliehen, die nach dem Konzert verkauft wurde, die hat sie mir sehr schnell am nächsten Tag von sich aus wieder gebracht. Das war auch mal eine neue Erfahrung, weil ich meinem Geld sonst oft hinterherlaufen muss. Ansonsten hat mich kaum jemand angesprochen. Als ich einmal in dem Caféstübchen saß, um einen Cappuccino zu trinken, saß ein Mann bei mir am Tisch, er sprach kein Wort mit mir. Dann kam eine ganze Horde von Leuten, es schien, als ob sie mich gleich vom Platz werfen würden. Ich sagte, dass ich sowieso jetzt gehen wollte, weil gleich ein Markt stattfand, und den wollte ich natürlich anschauen und besuchen, weil es dort um selbst gemachten Weihnachtsschmuck ging. Also ließ ich die anderen hineinrutschen, und als ich mich wieder hinsetzen wollte, schlug mir der eine fast seinen Stock um die Ohren, und selbst wenn man blind ist, finde ich, dass man etwas aufpassen oder sich zumindest hinterher entschuldigen kann. Ich stammelte laufend, ich bin gleich weg, ich bin gleich weg, weil ich merkte, dass die es gar nicht eilig genug hatten, mich nun endlich loszuwerden. Ich hatte schon Angst vor Heiligabend, denn ich fürchtete, dass ich bei dieser Weihnachtsfeier ganz alleine sein würde. Ich hatte Glück, ich saß neben einer Frau, die sich mit dem Ehepaar angefreundet hatte, meiner ehemaligen Tischnachbarin, wenn sie alleine war, war es sehr angenehm mit ihr. Wir saßen zusammen nebeneinander, und wir haben uns über verschiedene Musikrichtungen und über verschiedene Gruppen unterhalten, die wir beide gerne mögen. Somit fragte ich sie, ob sie in unsere WhatsApp Gruppe kommen wollte, wo verschiedene Leute zusammenkommen, die gerne Musik machen und Musik hören. Sie ist nicht beigetreten, aber wir haben eine Zeit lang WhatsApp Kontakt gehabt. Der Conférencier, wieder der Küchenchef, hatte ein sicheres Gespür dafür, wie er die Leute so unterhalten konnte, dass sich jeder einbezogen fühlte. So ging er ab und zu mit dem Mikrofon herum, während wir sangen, und hielt es uns einfach unter die Nase. Das war natürlich sehr witzig. Außerdem erzählte er viele lustige Sachen und meinte, an Weihnachten sollten wir nicht traurig sein. Man merkte, dass er spürte, dass einige Leute wohl da waren, weil sie zu Hause einsam waren. An diesem Abend war das nicht der Fall. Das Essen war immer vorzüglich. So gab es zum Beispiel an Weihnachten Reis mit Maronenstückchen , die Leute, die Fleisch aßen, bekamen auch ein Stück von einer Gans. Ich hatte einen Sellerie, der schmeckte aber komisch, der Rest war super. Somit habe ich noch mal nachbestellt, und meine Tisch Nachbarinnen meinten, der eine junge Koch würde mich anlächeln und sie ganz traurig anschauen, weil ich die einzige war, die noch mal Nachschlag wollte. Einmal hatten wir sogar rote Beete mit Ananas, und ich hatte früher rote Beete gehasst, hier habe ich sie wirklich lieben gelernt. Es gab verschiedene vegetarische Küchlein, unter anderem auch Klöße aus roter Beete, die beim Kochen hell wurden, und man konnte immer von allem probieren. Das Essen war wirklich hervorragend. Die nach Speisen waren nicht immer so gut, aber meistens waren sie vortrefflich. Am Weihnachtsabend dachte ich, dass wir wieder innerhalb der normalen Essenszeiten kommen dürften. Die eine an unserem Tisch war schon die ganze Zeit, auch beim Frühstück, extrem garstig zu mir. Ich bin dann erst um 18:00 Uhr gekommen, nachdem der Küchenchef persönlich bei mir anrief, weil es hieß, man solle um 18:00 Uhr da sein, und ich dachte, man könne auch dieses Mal wie immer in der gewohnten Zeitspanne kommen. Ich wurde von der Frau gleich lautstark begrüßt, hast du wohl keine Uhr? Dann lag mehreres Besteck dar, und ich tastete, und die Frau gegenüber erklärte mir, man nimmt das Besteck immer von außen nach innen, was mir dann auch wieder einfiel. Da giftete dann gleich die Frau neben mir, so etwas weiß man. Ich holte mit dem Fuß aus und trat so kräftig wie ich konnte gegen ihr Stuhlbein. Ich musste mich sehr beherrschen, und ich hätte beim nächsten Satz beinahe ausgeholt, die Hand durchgezogen und ihr mitten in ihr Gesicht gehauen, es war wirklich nicht mehr auszuhalten, und das alles ohne Grund. Sie nutzte wirklich jeden Moment, gegen mich zu reden. Wenn ich sagte, die Suppe ist heute aber sehr heiß, weil die Suppenterinen sehr stark vorgewärmt waren, kam gleich wieder, man kann halt nicht Kalt kochen. Wenn ich sagte, das könnte sein, dass dies ein besonderer Pfeffer ist, kam sie gleich mit, oder einfach nur Pfeffer. Egal, was ich sagte, irgendwann hörte ich ihr nicht mehr zu. Der Weihnachtsabend verlief trotzdem sehr schön, und die verschiedenen Speisen waren wirklich hervorragend. Wann immer Fleisch irgendwo drin war, sprang der Küchenchef sofort her und sorgte dafür, dass ich etwas ohne Fleisch bekam. Wann immer irgendwo Alkohol drin war, und meine Tischnachbarin schräg gegenüber von mir und ich schon nur das Gesicht verzogen, sprang er schon heraus und gab uns etwas ohne Alkohol. Er war wirklich extrem aufmerksam. Ich hörte später, dass er selbst bestimmte Dinge nicht essen dürfte, und daher wusste er, wie das war. Am Ende fragte ich ihn noch halb im Scherz, ob ich ihn mit nach Hause nehmen dürfte, das ging natürlich nicht, leider. Hätte ich das Geld, ich hätte ihn gleich eingestellt. Auch jeden Morgen gab es ein wunderbares Buffet. Die Frauen kamen an den Tisch, und wir sagten, was wir wollten, und es wurde uns gebracht. Sobald wir mit einem Gang fertig waren und etwas herumschauten, kam schon jemand, um uns den nächsten Gang zu bringen. Ich sagte dann einmal zu meiner Tischnachbarin, ich verstehe gar nicht, warum du dich beschwerst, hier schmeckt doch wirklich alles. Einmal hatte ich dann einen Nachtisch, der mir nicht geschmeckt hatte, und den ich daher stehenließ. Sie hat mindestens 5 Minuten lang gekräht, siehst du, es schmeckt halt nicht immer alles, siehst du, und du sagst, schmeckt immer alles, siehst du, es schmeckt halt doch nicht immer alles, wo du das doch noch gesagt hast, siehst du usw. und sofort. Zumindest habe ich ihr am Tag nach Heiligabend beim Frühstück den Wind aus den Segeln genommen, weil ich einfach absolut nicht mehr auf sie reagierte. Das hat sich auch auf die anderen übertragen, die Frau mir gegenüber hat mich angesprochen, ich habe ihr geantwortet, und wenn die andere dazwischen gekeift hat, habe ich einfach nur mit der anderen weiter geredet, und ihr Keifen ging ins Leere. Am Ende standen die beiden Frauen mir gegenüber auf, umzugehen, und ich stand auf, und die Frau musste alleine weiter essen. Ich dachte mir, ich werde dir jetzt mit Sicherheit nicht Gesellschaft leisten. Es war für mich eine richtige Genugtuung, sie alleine am Tisch zurückzulassen, nachdem sie die ganze Zeit so ekelhaft zu mir war. Mittlerweile hatte sich bei mir ein richtiger Hass aufgebaut. Als ich am letzten Abend sagte, dass ich ein Lunchpaket mitnehmen wollte, ging der ganze Tisch auf mich los, man bräuchte doch für die kurze Zeit kein Lunchpaket. Ich sagte, ich habe das Essen bezahlt, ich kann es auch noch später essen, und ich habe, als ich angekommen war, kein Essen gehabt, und daher würde mir das auch zustehen. Ich wollte mir einfach noch etwas von dem guten Essen mitnehmen und das schöne Gefühl auch noch bei der Fahrt haben. Da hat sie dann auch gleich wieder gekeift, ich halte den ganzen Tag ohne Essen aus. Am letzten Morgen war sie beim Frühstück dann wieder ganz normal wie am Anfang, kein Keifen, kein Wetteifern, kein Dagegen-Reden, kein Stänkern, sie war auf einmal wieder ganz freundlich und angenehm. Ich weiß nicht, was ich an mir habe, aber es ist eine Verhexung, dessen bin ich ganz sicher. Ich kann machen, was ich will, vollautomatisch werden die Leute so, ich darf nichts besser können, nichts besser machen, da nicht kränker sein als irgendwer sonst auf der Welt. Ich muss mich immer klein machen, und die anderen müssen immer besser dastehen. Hauptsache, ich bin die Verliererin und unterlegen. Ich habe auch dort das erste Mal Smoothies gegessen, ich dachte immer, das sei etwas Schleimiges. Aber ich habe diese Dinger so lieben gelernt, dass ich mir selbst ein Smoothie- Gerät angeschafft habe. Ich bin wirklich mit Wehmut nach Hause gefahren, all das zurücklassen zu müssen. Nur einmal hatte ich eine unangenehme Frau an der Rezeption. Als mein Mineralwasserkasten zu Ende war, bat ich sie, mir noch ein paar Flaschen für die letzten beiden Tage aufs Zimmer bringen zu lassen. Stattdessen unterbrach sie mich und meinte, dazu müssen Sie zum Ausschank gehen, dafür bin ich nicht zuständig, danke, ja, wiedersehen. Und sie drehte sich weg. Ich dachte mir, den Beschluss mache ich, ich lasse mich von einer Frau an der Rezeption nicht einfach so herablassend weg winken. Zuvor hatte ich einige Sachen gekauft, die ich für mich mit nach Hause nehmen wollte. Da ich nicht alles tragen konnte und nach oben gehen und dann einfach nochmals kommen wollte, kam sie aus der Loge heraus und riss einfach meine Handtasche auf und stopfte mir alles hinein. Ich kam mir wirklich bescheuert vor. Außerdem sprach sie sehr leise, und hinter mir war es sehr laut, und ich hatte sie zuvor gebeten, dass ich kurz zu ihr reinkommen dürfte, weil ich kein Wort verstand von dem, was sie mir sagte. Da wollte sie aber nicht rauskommen. Als sie das Zeug dann aber so resolut in meine Tasche stopfte, dass ich mir wie ein Kleinkind vorkam, konnte es ihr offenbar schon nicht schnell genug gehen. Ich bin also dorthin, wo sie mich hinverrwiesen hatte, aber der Preis der einzelnen Flaschen schreckte mich ab. Ich verstand nicht, was da los war. Mir wurde erklärt, dass das Mineralwasser, welches es normalerweise nur beim Ausschank gibt, im Einzelnen wesentlich teurer sei. Und im Kasten sei es eben einfach insgesamt günstiger. Wenn ich nur ein paar Flasche wollte, müsste ich mehr bezahlen als zuvor pro Flasche. Da ich wohl leicht irritiert klang, kam dann eine nette Frau heraus, die sich zuvor auch schon öfter um mich gekümmert hatte. Ich beschwerte mich, dass die Frau an der Rezeption mit mir so umgesprungen war und mich so rüde weggewinkt , abgewürgt und weitergeschickt hatte. Die nette Frau nahm meine Beschwerde entgegen und erklärte mir, dass das Leitungswasser hier auch sehr gut sei, wenn mir das Mineralwasser zu teuer sei, sie würde das auch trinken. Ich dachte mir, guter Tipp, dann nehme ich jetzt eine Flasche Mineralwasser mit und fülle sie hinterher wieder mit Leitungswasser. So habe ich es dann bis zum Schluss gehalten, es waren ja nur noch zwei Tage. Sie räumte aber durchaus ein, dass man mit einem Gast nicht so umgeht, wie die Dame es getan hatte. Ich hörte aber dann auch von anderen Gästen, dass sie die Frau an der Rezeption nicht als so angenehm wie die anderen empfunden hatten. Auf der Fahrt zum Bahnhof waren wir dann mehrere Leute im Taxi, sodass wir uns die Fahrt teilen konnten. Die anderen, zufällig meine ehemaligen Tischnachbarn, hatten eine Einsteigehilfe bestellt, ich wusste nicht, dass das angeboten wurde. Diese Frau schimpfte erst einmal ordentlich darüber, dass Deutschland das einzige Land sei, welches Umweltschutz betreibt, und die anderen Länder würden sich ja auch an nichts halten, und was wir denn mit dem Klima und all dem zu tun hätten. Ich fragte sie, ob sie eine Bekannte von mir auch kennt, die dort häufiger hingeht, und schon fing sie an, über die herzuziehen, dass die sei wie eine Dampfwalze, und dass sie jedes Mal klagt, wenn es zum Wandern geht, und dass sie mit ihr so viele Probleme hätten. Natürlich hat sie alle anderen damit amüsiert, das war ja der Zweck der Übung. Ich fand dieses Verhalten wirklich unkorrekt, denn so spricht man eigentlich nicht über andere Menschen, geschweige denn über Gäste, obwohl sie ja dort nicht angestellt war. Als wir dann zum Zug gingen, nahm sie natürlich nur die fitten Leute mit, ich hinkte wieder hinterher und wurde dann von zwei Schaffnerinnen ein paar Türen davor geschnappt und in den zugezogen. Später konnte ich dann das Abteil mit den anderen finden. Die Unterhaltung war freilich wie sonst auch, mit meinen Ansichten stand ich wieder ganz alleine da, egal, worum es ging. Ich unterhalte mich lieber nur mit einer Person, denn dann bin ich allenfalls nur manchmal der Verlierer, aber ich bin nicht jedes Mal die, die immer mit ihrer Meinung alleine ist. Ich war wirklich froh, dass ich so viele Sachen dort entspannt machen konnte wie Lesen, Hörbücher hören, verwöhnt werden, gut essen und nichts dafür tun müssen, schöne Musik hören, schöne Lesungen und schöne Konzerte mitbekommen, und vielleicht komme ich dort auch mal wieder hin. Ich war ganz neidisch , eine der früheren Tischnachbarn erzählte mir, als sie in dieser Stube saß, wurde sie sofort angesprochen, sie solle doch mal ihre Kopfhörer herunternehmen, man wolle sich mit ihr unterhalten. Ich stand häufig irgendwo allein herum, mich hat von selbst nie jemand angesprochen. Es gab mehrere Märkte, bei denen wir schöne Sachen kaufen konnten, die teilweise aber recht teuer waren. Ich hätte das auch so gerne, dass ich einfach so herumstehen und auf den Beginn einer Veranstaltung warten kann, nette Gespräche habe und einfach dabei bin. Das werde ich wohl niemals finden. Dennoch fand ich diesen Aufenthalt extrem angenehm und entspannend, und ich hatte den Eindruck, dass viele, was sich aus den Tischgesprächen mit anhören konnte, ein hartes Jahr hinter sich hatten, und dass sie es sich hier einfach mal gut gehen lassen wollten. Das mit dem verwöhnt werden hat sehr gut geklappt und hat sehr gut getan. Es war eine tolle Erfahrung, dass Dinge auch einfach mal funktionieren, ohne, dass man ewig kämpfen muss.

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