Meine Helferin hat dann noch einmal ein Video von mir
gedreht, wobei ich dann nur noch das Nötigste erzählte, da sie mich ja jetzt
schon über den Audiobeitrag kannten. Zunächst hörte ich nichts mehr und dachte,
daraus ist nichts geworden. Irgendwann rief dann die Castingfirma an und
meinte, sie wollten, dass ich komme. Es gäbe zwei Städte zur Auswahl, der
Regisseur dachte, beide seien gleich nah, doch ich suchte mir die
nächstgelegene aus, mit der ich auch kostenlos mit dem Zug hinfahren konnte,
falls es eine günstige Verbindung gab. Allerdings fand ich nur eine Verbindung
mit dem ICE, und so, da ich im Moment wirklich sehr knapp bei Kasse bin wegen
meines Umzuges, bestellte man mir über meine BahnCard, deren Nummer ich vorher
weitergegeben hatte, ein Ticket. Ich konnte die Nummer des Tickets bei mir ins
Handy eingeben und erhielt tatsächlich das Ticket direkt aufs Handy. Das finde
ich eine sehr praktische Einrichtung.
Ich wurde dann vom Taxifahrer der Produktionsfirma abgeholt.
Schon im Auto erlebte ich, wie es so beim Film zugeht. Denn in dem Moment rief
eine Frau an und bat ihn, eine Babyschale zu besorgen, da sie im nächsten Film
ein Baby haben würden. Der Fahrer ist schon jahrelang für diese Filmfirma
tätig. Er lieferte mich direkt in der Wohnung des Regisseurs ab, denn ich war
ja in die nächstgelegene Stadt gekommen, und dort sollte dann das Casting nicht
im Studio sondern bei ihm zu Hause stattfinden. Ich dachte, ein Regisseur hat
bestimmt eine riesengroße und teure Altbauwohnung. Es war in einem Außenbezirk,
und das Haus war, wie ich schon roch und irgendwie an dem
ganzen Fluidum merkte, wahrscheinlich in den siebziger Jahren oder den
achtziger Jahren gebaut worden. Das merkte man auch im Aufzug. Als wir
ausstiegen, kamen wir in eine Wohnung mit einem großen Zimmer mit PVC oder Linoleum und mit Fenstern, die die
ganze Front ausfüllten, wie man die Wohnungen in den achtzigern oder den frühen
neunzigern hatte. Das Bad war wie mein früheres ohne Fenster, aber wenigstens
mit Lüftung. Der Regisseur war noch sehr jung, er hatte erst sein Studium
abgeschlossen oder war noch mittendrin, denn der Kameramann, den er dabei
hatte, um die Szenen zu filmen, war sein Studienkollege, der ebenfalls Regie
studierte. Zuvor hatte ich einen Ausschnitt des Drehbuchs erhalten, um eine
bestimmte Szene einzuüben. Diese musste ich auswendig lernen. Dazu sollte dann
ein Partner kommen, der die andere Rolle spielte, damit ich reagieren konnte.
Ich tue mir sehr schwer, Dinge wortwörtlich auswendig zu lernen, aber das war
offenbar kein Problem. Sinngemäß kannte ich meine Rolle und konnte sie auch gut
darstellen. Zwischendurch gab dann der Regisseur immer wieder Anweisungen, wie
man es anders spielen sollte, oder er setzte uns einmal um, wir saßen auf
kleinen Filmhockern. Mal sollte ich es etwas aggressiver spielen, mal etwas
weniger laut, und dann wieder mehr, als sei ich die beleidigte. Ich fand das
total toll, denn ich durfte auch etwas, wie ich es hochtrabend nannte, und
worüber er wohl etwas schmunzeln musste, künstlerische Freiheit walten lassen,
und ich durfte auch ein paar Sachen dazu erfinden oder die Rolle etwas
abändern. Er machte einige Vorschläge, auch sein Kameramann, und auch ich
machte Vorschläge oder meinte, dieses oder jenes würde mir jetzt nicht so gut
gefallen. Oder ich bat meinen spielpartner, da oder dort etwas langsamer zu machen oder mehr Pause,
damit ich dazwischen kam. Das hat wirklich Spaß gemacht. Zuvor hatte er mir
genau den Inhalt des Filmes beschrieben, wodurch dann diese Szene, die ich
erhalten hatte, wesentlich mehr Sinn ergab. Aus dem Kontext heraus genommen
hatte ich sie nämlich gar nicht wirklich verstanden. Aber als mir dann der
Zusammenhang klar war, konnte ich es auch besser spielen. Ich bat ihn, dass er
mir auf jeden Fall die Filmausschnitte, in denen wir die Szenen geprobt hatten,
zuschicken sollte, falls ich nicht die Besetzung werden würde. Er erklärte mir,
dass es manchmal beim Film auch auf Äußerlichkeiten ankäme, zum Beispiel auch
auf die Nase oder die Haarfarbe, wobei ich meinte, Haare könne man ja auch färben.
Er sagte, auf jeden Fall müsse die Zusammensetzung der Gruppe stimmen, und die Chemie
müsse zwischen den Leuten auch passen. Das müsse er eben dann beurteilen, und
ich würde vor Weihnachten Bescheid bekommen.
Als der Taxifahrer mich abgeliefert hatte, hatte er gefragt,
wie lange es dauern würde. Der Regisseur meinte, jetzt haben sie sie eine halbe
Stunde früher gebracht, jetzt müssen sie sie auch eine halbe Stunde früher
holen. Denn er hatte mehrere Kandidaten zum Casting eingeladen, und die sollten
sich nicht begegnen, um Konkurrenzverhalten zu vermeiden. Der Taxifahrer fragte
genau nach der Uhrzeit, und da meinte der Regisseur, der Taxifahrer solle halt
anrufen. Dies fand ich etwas merkwürdig, denn normalerweise muss ja derjenige
anrufen, der abgeholt werden will, zum Beispiel hätte das ja jemand anderer
machen können, der noch anwesend war. Er hat dann einfach die ganze
Zeit unten vor dem Haus gewartet.
Als ich den Taxifahrer daraufhin
ansprach, meinte er, beim Film müsse man mit allem rechnen. Eigentlich war mir
gesagt worden, ich solle Verpflegung mitnehmen, aber es war ein kleines Buffet
aufgebaut mit Kaffee und ein paar Broten, doch hatte ich alles dabei, und es
war sowieso überhaupt keine Zeit, mir etwas davon zu holen, und ich wollte meine eigenen Sachen auch nicht verkommen lassen. Später wurde ich dann verabschiedet
, mit der Aussage, vor Weihnachten würde ich Bescheid kriegen, bisher habe ich
noch nichts gehört. Allerdings glaube ich, dass dies noch kommen wird, denn
auch die anderen Antworten zuvor kamen immer recht verzögert. Das wird
wahrscheinlich nicht anders planbar sein. Auf jeden Fall versuche ich, es nicht
persönlich zu nehmen, wenn ich es nicht
werde, denn es können ja alle möglichen Gründe sein, weshalb ich nicht
ausgesucht wurde. Er meinte, es müsse nicht immer daran liegen, dass jemand
nicht spielen kann, sondern einfach daran, ob er äußerlich und auch sonst zu
den anderen passt, und was von dem einzelnen rüber kommt, und ob er für die
Rolle geeignet sei. Er habe schon einige vorher abgelehnt, die überhaupt nicht
der Typ für die Rolle waren. Es haben sich einige blinde und einige sehende
Schauspieler gemeldet. Er wird erst alle Bewerber anhören und sich danach alle
Videos ansehen, bevor er sich definitiv entscheidet. Ich bin gespannt, wie es
wird, aber in jedem Falle möchte ich die Filmausschnitte haben. Auch wenn ich es nicht werden kann, habe ich
jedoch eine interessante Erfahrung gemacht, denn wer wird schon einmal in
seinem Leben zu einem Casting eingeladen. Selbst wenn ich nur bis hierhin
gekommen bin, bin ich doch ein paar Runden durchgekommen, und als ich dort war,
wurde ich nicht hochkantig rausgeworfen, oder es hat mich niemand angebrüllt,
ich solle mein Zeug packen und sofort verschwinden. Ich dachte, beim Film wird
man wahrscheinlich sofort rausgeschmissen, wenn man hinkommt und nichts taugt,
und die springen einem sofort ins Gesicht. Ich dachte, da sagt man dann drei
Sätze, und der Regisseur unterbricht und
sagt, wie man es in Spielfilmen häufig sieht, danke, ich hab genug gesehen,
wieder sehen, wir melden uns, der nächste bitte. So hatte ich mir das
vorgestellt, aber es ging doch etwas humaner zu. Ich
wurde dann auch wieder zum Bahnhof gebracht, und dort hat mich dann der
Taxifahrer, der selbst eine Behinderung hatte, beim Infopoint abgegeben. Alles
in allem ging die Sache sehr schnell über die Bühne. Wenn ich es werden würde,
dann würde der Film im Sommer gedreht, und zwar an einem Stück über mehrere
Wochen hinweg, und da müsste ich dann für mehrere Wochen in ein Hotel. Ich
sagte, dass ich mir das finanziell nicht leisten könnte, aber dafür würde dann
wahrscheinlich jemand aufkommen. Ich bot auch an, eine Begleitperson
mitzubringen, denn ich habe ja einen Bekannten, der mit mir schon auf Reha war
oder mir beim Umzug geholfen hatte, warum sollten wir dann nicht auch mal beim
Film zusammen hingehen, und warum sollte er mich dann nicht auch dort
begleiten? Wir wollen ja schon jahrelang zusammen nach Vorarlberg fahren, um
dort in das Hotel für blinde zu gehen, aber bisher ist jedes Mal etwas anderes
dazwischen gekommen, meistens positive Dinge wie die Transplantation oder der
Umzug. Es wäre wirklich witzig, wenn jetzt der Dreh eines Filmes dazukäme. Aber
warten wir's mal ab, die Chancen sind jetzt nicht sonderlich groß, die
Wahrscheinlichkeit ist also nicht hoch, ich versuche, auf keinen Fall
enttäuscht zu sein, denn immerhin habe ich ja etwas erlebt. Hätte ich mich
nicht gemeldet, wäre ich nicht mal bis hierhin gekommen und hätte nie an
einem Casting teilgenommen.
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