Sonntag, 28. Februar 2021

Du bist vermaledeit unter den Jacken

Vor mindestens 30 Jahren hab ich eine braune schöne wild Lederjacke bekommen. Die war von unserem Second-Hand-Shop, einem Wohlfahrtsladen, in dem meine Mutter vom Frauenbund aus tätig war. Ich bin damals sogar noch zum Schneider und habe sie umarbeiten lassen. Diese Jacke habe ich zwar nicht oft tragen können, denn entweder es ist zu heiß, oder es regnet, oder es ist zu kalt, aber ich habe sie über viele Jahre hinweg immer wieder getragen. Die Jacke hatte schon Kultstatus. Sie war ziemlich lang, fast schon ein Mantel. Sie wurde häufig bewundert. Irgendwann war sie dann so abgetragen, dass eine meiner Assistentinnen meinte, ich solle der Jacke doch jetzt endlich mal die Freiheit schenken. Wir haben sie dann über die Straße zum Altkleidercontainer gebracht und sie dort zu Grabe getragen. Meine Mutter hat auch eine Wildlederjacke besessen, eine blaue, die sie nie getragen hat. Diese hat sie mir dann vermacht. Allerdings war der Schnitt ziemlich altmodisch, sie war mir wesentlich zu groß und zu weit, und die Knöpfe waren aus blauem Kunststoff, Ton in Ton mit der Jacke. Das sah fürchterlich aus. Somit haben wir die Jacke zum Schneider gebracht, um sie für mich ändern zu lassen. Die Taschen hingen so weit unten, dass ich die Arme eines Schimpansen gebraucht hätte, um etwas hinein zu stecken oder herauszuholen. Daher kürzten wir einfach die Länge an der Taille, sodass die Jacke kürzer und schmäler wurde. Die Knöpfe wollte ich mir auch ändern lassen. Wir suchten also schöne hellbraune Knebelknöpfe aus, ähnlich denen, die ich an meiner braunen früheren Wildlederjacke hatte. Als ich dann die Jacke abholte, stellte ich zu meinem Schrecken fest, dass die Knöpfe nicht durch die Löcher gingen. Wir hatten das aber zuvor ausprobiert. Die Schneiderin behauptete steif und fest, es sei dieselbe Größe, aber ich war mir sicher, dass die Knöpfe, die sie angenäht hatte, größer waren. Ich suchte mir also andere Knöpfe aus und gab noch einmal Geld dafür aus, dass diese angenäht wurden, die dann besser durch die Löcher gingen. Es waren dunkelbraune runde lederne Knöpfe, ebenfalls recht hübsch, aber eben nicht so schön wie Knebelknöpfe. Als ich dann mit einer Bekannten in einem Konzert saß, fasste ich zufällig in die Innentasche meiner blauen Jacke. Und dort fand ich dann die Tüte mit den Knöpfen, die zuvor an die Jacke angenäht werden sollten. Die Schneiderin hatte also die ausgesuchten Knöpfe in eine Tüte gesteckt und diese in die Innentasche gepackt, den Reißverschluss zugemacht, und alles an ihren Sohn zum Nähen weitergegeben. Der hatte aber nicht in die Innenseite der Jacke geschaut und dann ähnliche Knöpfe eine Nummer größer angenäht, daher hatten sie damals nicht gepasst. Meine Bekannte schwor mir, nachdem wir uns in dem Konzert für die anderen Gäste aus unerfindlichen Gründen halb tot gelacht hatten, dass sie mit mir zu dem Geschäft gehen würde, und dass sie dort mit mir ordentlich auf den Putz hauen würde. Ich habe ihr dann alles übersetzt, da sie kein Deutsch konnte, was die Schneiderin sagte. Diese behauptete, die Knöpfe seien genauso groß, und würden nicht durch passen. Ich bestand aber darauf, hätte sie die richtigen Knöpfe genommen, die in der Innentasche verborgen waren, dann hätte es gepasst. Natürlich ist meine Bekannte eingeknickt, wie das ja immer bei mir der Fall ist. Erst spucken die anderen große Töne, aber dann lassen Sie mich hängen. Auf jeden Fall habe ich es durchgesetzt, dass die Knöpfe angenäht wurden. Wir einigten uns darauf, dass der Faden mit den Knebelknöpfen etwas länger gelassen würde, damit die Knöpfe mehr Spiel hatten und damit besser durch die Löcher passten. Ich habe ihr dann noch mal Geld gegeben, obwohl ich eigentlich ihrem Mann, der mir damals die fertige Jacke gebracht hatte, schon mal 5 € Trinkgeld gegeben hatte. Dass er mir die Jacke damals gebracht hatte, schien mir mehr als gerechtfertigt. Denn zuvor war ich mehrfach umsonst in den Laden gekommen, als ich die Reparatur der Knöpfe aus Leder veranlasst hatte, und alles noch nicht fertig war, sodass wir darum baten, dass ihr Mann die Jacke bringen sollte. Und damals hatte ich ihm eben dann noch das Trinkgeld gegeben. Außerdem habe ich ihr dann noch etwas gegeben, da ich dies als Kompromiss verstand, weil sie die ursprünglich gewünschten Knöpfe nun annähte. Und sie hatte zuvor auch nicht von selbst bemerkt, dass die Taschen auch Knöpfe hatten, obwohl ich mehrfach gefragt hatte, ob die Knöpfe an der Knopfleiste die einzigen waren, oder ob es sonst an der Jacke noch Knöpfe gebe. Daher musste das noch separat hinterher gemacht werden. Für die Leder-Knöpfe hatte sie dann noch einen Aufschlag verlangt, da diese teurer waren als die Knebelknöpfe. Die durfte ich aber dann zumindest behalten, konnte aber sowieso nichts mehr damit anfangen. Und sie wollte noch mehr Geld, da das Leder so hart zu nähern gewesen sei, sie hätte nicht gewusst, dass das echtes Leder ist. Normalerweise gehe ich davon aus, dass ein erfahrener Schneider das sieht. Endlich sah die Jacke gut aus, und nachdem sie laufend geändert wurde, und ich zig mal beim Schneider war, konnte ich sie auch tragen. Irgendwann kam ich aber auf den Gedanken, ich könnte mal wieder meinen ledernen Rucksack einwachsen lassen. Denn ab und zu muss dieser neu eingefettet werden, da er schon sehr alt ist. Er stammt noch aus der Schulzeit meiner Schwester. Und er sieht ziemlich „vintage" aus. Und dann war ich noch so blöd und setzte das Ding sofort auf. Und das mit der blauen Wildlederjacke an. Als ich dann einmal mit Leuten im Restaurant saß, stellten diese fest, dass ich 2 große und dicke Flecken auf meiner Wildlederjacke hatte. Ich beschloss also, die Jacke zur Reinigung zu bringen. Bei der Reinigung sagte man mir, man müsse die Reinigung der Jacke einem speziellen Lederexperten überlassen, und das kostet 60 €. Die 60 € habe ich auf mich genommen und per Vorkasse bezahlt. Ich sollte in 3 Wochen wieder anrufen. 3 Wochen später sagte man mir, die Jacke sei noch nicht wieder von dem Experten zurückgekommen. Dies wiederholte sich mehrere Male. Irgendwann kam dann die Jacke wohl zurück, aber die Flecken waren nicht raus. Sie wollten sie noch mal zu dem Lederfachmann geben, das würde aber nichts extra kosten. Ich habe auch mehrfach angerufen, und wieder hieß es, die Jacke sei noch nicht zurück. Irgendwann war es dann soweit, ich hatte die Jacke wohl irgendwann im September oder Oktober dort abgegeben, und im Dezember sollte ich dann die Jacke holen. Jedes Mal hatte ich keine Zeit. Dann schneite es, da wollte ich nicht den schwierigen Weg dorthin laufen. Mein Navigürtel hat mir dabei übrigens gute Dienste geleistet. Aber im Schnee wäre mir das trotzdem zu gefährlich gewesen. Denn die Straßen sind dort ziemlich krumm und schief. Irgendwann gingen dann meine Assistentin und ich mal dort vorbei, aber der Laden war zu, wegen Corona seien die Öffnungszeiten reduziert worden. Sie hat mir gesagt, merk dir einfach, dass du jeden Tag zwischen 10 und 12 dorthin kannst. Sie wollte dann noch mal für mich dorthin, als sie später wieder mal bei mir war, aber dann haben wir es nicht mehr geschafft. Das war an einem Donnerstag. An einem anderen Dienstag bin ich dann selbst noch mal dorthin gelaufen. Zuerst war ich im Supermarkt, und mein Navigürtel wies mir den kürzesten Weg vom Supermarkt dorthin. Als ich dort stand, war der Laden geschlossen. Zum Glück kam gerade eine Frau mit ihrem Hund vorbei und lass mir die Öffnungszeiten genauer vor. Ich sprach mir diese auf mein Diktiergerät, und am Dienstag sowie donnerstags war der Laden geschlossen. Ich dachte mir, wenn ich es jetzt diese Woche nicht schaffe, dieses Teil abzuholen, lasse ich es dort und erkläre denen schriftlich, dass sie die Jacke der nächsten Obdachlosen Frau schenken dürfen. Aber tatsächlich, am Mittwoch hörte ich dann mein Diktiergerät ab, und ich wollte am Vormittag hin, schaffte es aber wegen anderer Dinge nur zum Hausarzt, um ein Rezept abzuholen, ging aber dann am Nachmittag tatsächlich noch mal los. Und der Laden war geöffnet, oh Wunder! Die Zeiten haben gestimmt. Ich hatte zuvor aber vorsichtshalber lieber noch mal angerufen, dass ich jetzt kommen würde. Man übergab mir also die Jacke zusammen mit einem weißen T-Shirt, welche sich wegen 2 rosa Flecken ebenfalls dorthin getragen hatte. Meine Abholnummer war 88, manchen Menschen sagt ja diese Zahl etwas, ich fand diesen Code ziemlich Bedeutung tragend. Die Jacke war etwas rauer als zuvor, und die Flecken waren nicht ganz rausgegangen, das hatte man mir aber schon zuvor am Telefon gesagt. Aber sie würden nicht mehr so auffallend sein. Jetzt kann ich nur hoffen, dass es niemandem auffällt, wie aufgeraut die Jacke war, und dass die Flecken immer noch bestanden. Noch immer sehne ich mich nach meiner guten alten fuchsbraunen und langen Wildlederjacke zurück, denn die neue würde dieser das Wasser niemals reichen können. Ob ich da jemals reinwachse, ist die Frage.

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