Samstag, 2. November 2024
Siemens ohne Werbung -- ein toller Ausflug
Ohne wirklich Werbung zu machen, möchte ich sagen, dass wir einen wunderschönen Tag bekommen haben. In unserer Bezirksgruppe kam ein Rundschreiben, dass Siemens einen Ausflug zu einem Freilichtmuseum anbietet. Es würden von der Firma Begleitpersonen zur Verfügung gestellt. Ich rief sofort an bei unserer Bezirksgruppe, ja, das sei so, und da ich eine der ersten sei, würde ich auch eine Begleitperson von den Mitarbeitern von Siemens bekommen. Daher musste ich mich nicht mehr selber um eine Begleitperson kümmern, was doch häufig sehr mühsam ist. Erst muss ich einen Assistenten suchen und fragen, ob die Person Zeit hat, und außerdem, wenn diese dann nicht kann, muss ich sie auch noch bitten, mein Gesuch weiter zu reichen, möglicherweise wird dieser Gefallen dann auch noch abgelehnt, und ich muss dann selber noch mal anfragen. Mir ist es auch schon passiert, dass ich die Assistenz lange Zeit vorher schon gefragt hatte, und dann fiel ihr plötzlich eine Woche vorher ein, ich habe an dem Tag eigentlich gar keine Zeit. Oder es hieß dann, ich hätte nicht dazu gesagt, dass es sich um einen Tagesausflug handelt, und nun müsste ich erst abklären, wie lange es dauern würde etc. Auch muss ich dann für die Begleitperson jedes Mal alles mit bezahlen, das Essen wird zwar von dem Verein gestellt, der die Assistenten schickt, aber die Eintritte und die Busfahrt muss ich für die Assistenten mit übernehmen. Somit zahle ich häufig den doppelten Preis, dafür hat man übrigens das Blindengeld. Trotzdem ist es manchmal schon viel, was man da noch zusätzlich an Kosten am Bein hat.
Zuerst einmal verpasste ich die U-Bahn, die mir natürlich direkt vor der Nase wegfuhr. Luzifer macht es immer so, dass ich die Straßenbahn oder die U-Bahn immer noch sehen darf, die mir davon fährt. Ich komme nie zwischen zwei Abfahrten, sondern immer so, dass ich noch die Rücklichter betrachten kann. Ich war stinksauer, aber eine liebe Studentin sprach mich an und sagte, ich muss eigentlich lernen, ich wollte jetzt zur Uni, aber ich bring sie schnell zu ihrem Treffpunkt. Für einen Behinderten, auch wenn es immer heißt, es ginge jedem so, ist ja der Umstieg von einem Verkehrsmittel in das andere schwieriger, und die Zeiten sind so getaktet, dass wir dann häufig das erste Verkehrsmittel verpassen, dann warten müssen und obendrein gleich wieder das zweite dann auch nicht mehr kriegen. Wer sich einmal ein Bein gebrochen hat oder einen anderen Unfall hatte, der kann das vielleicht eine Zeit lang am eigenen Leib erfahren.
Mit Umarmung verabschiedete sich dann die liebe Studentin, und ich wurde von unseren Leuten in Empfang genommen. Ich stieg in den Bus, und sofort setzte sich einer von der Firma Siemens neben mich und stellte sich vor. Er erklärte mir, dass er in der Informatik arbeiten würde und Programme entwickelt, damit Radiologen Herzklappen einsetzen können, Blutgerinnsel auflösen oder Stents setzen können. Das war mal wieder so richtig nach meinem Geschmack, ich fühlte mich fast wie früher, als ich noch in meinem ersten Leben einmal ein medizinisches Fachgebiet an der Uni studiert hatte. Es war seit langem mal wieder so, dass ich mir nicht lernbehindert vorkam, und dass ich gleich Begriff, was man mir erklärt. In der Tat, ich war mittlerweile sogar schon so weit, mir jemanden zu suchen, der bei mir eine kognitive Einschränkung diagnostiziert. Aber genau aus dem gleichen Grund, aus dem ich diese kognitive Einschränkung habe, gelingt es mir nicht, jemanden zu finden, der mir hilft und sie diagnostiziert. Dies ist ein hermeneutischer Zirkelschluss.
Wir kamen dann bei dem Freilichtmuseum an und wurden in mehrere Gruppen aufgeteilt. Wir durften in verschiedene Häuser, und wir konnten verschiedene Gesteine betrachten, es wurden uns unterschiedliche Häuser erklärt, und es gab sogar für blinde extra angefertigte Mappen mit tastbaren Plänen, die mit Blindenschrift versehen waren. Es wurde uns alles beschrieben, außerdem gab es das Angebot, wenn man wirklich alleine kommt und niemanden hat, eine Führung mit eins zu eins Betreuung zu erhalten, wofür man nichts extra außer natürlich den Eintritt zahlen muss. Das ist ein großartiges Angebot. Es wurde uns auch gesagt, dass es mittlerweile überall Stationen mit auditiven Angeboten gibt, und wir sahen auch einige Bildschirme, auf denen bestimmte Sachen dargestellt wurden, die uns dann von unseren Begleitpersonen erklärt wurden.
Tiere gab es auch, so gingen wir zum Beispiel einmal in einen Ochsenstall, und es wurde mir dringend empfohlen, mich den Tieren nicht weiter zu nähern, denn sie mögen es nicht so, wenn man von hinten an sie herantritt. Ein Tritt eines Ochsen hätte mir vielleicht auch nicht ganz so gut getan. Mein Begleiter erklärte mir einmal , dass Hühner herumlaufen, und dass sogar in dem Moment ein Huhn unseren Weg gekreuzt hätte. Wir hörten einen Hahnkrähen, zunächst dachte jemand, das sei eine Blinden Uhr. Außerdem konnten wir ein kleines einsames Schweinchen in seinem Stall betrachten, welches das letzte seiner Geschwister war, dass noch nicht zum Schlachter gebracht wurde. Uns allen tat es sehr leid, denn geschlachtet werden ist schlimm, als Schwein aber allein zu leben ist nicht viel schöner, kein Schwein ruft mich an, fiel mir da ein. Schweine sind ja schließlich intelligente Tiere.
Wir durften auch verschiedene Werkzeuge anfassen, mit denen bestimmte Ornamente gestaltet wurden, zum Beispiel Schnecken, die man aus irgendwelchen Gründen Voluten nennt. Zuerst sah man nur den Gesteinsblock, dann wurden bestimmte Stemmeisen oder Stößel gezeigt, mit denen etwas aus dem Gesteinsbrocken heraus gemeißelt wurde, dann gab es bestimmte Schleifwerkzeuge , mit denen dann der Stein spiegelglatt geschliffen wurde, und dann bei der nächsten Station wurden schon die ersten Formen der Schnecke heraus gemeißelt. Die Geräusche wurden uns über ein Video eingespielt. Wir konnten sehr viele Fachwerkhäuser bewundern, und uns wurde erklärt, dass die Häuser in Blöcken von 50 t zerlegt und in dieses Museum verfrachtet wurden aus verschiedenen Orten unseres Heimatgebietes. Mir fiel der Begriff Gnadenhof für Häuser ein, denn die Führerin erzählte uns, dass sie tagtäglich Anfragen bekommen, ob man Häuser vor dem Verfall retten und hier aufstellen könnte. Sie könnten gar nicht alle Häuser „aufnehmen“.
Wir durften auch in die Häuser hinein, und in einem Haus war ein Kachelofen angeschürt, es war dort so wunderschön warm, man fühlte sich sofort pudelwohl. Wir saßen alle um einen Tisch herum, und wir konnten das Tischtuch mit seinen Stickereien abtasten, die Stühle hatten wunderschöne geschnitzte Ornamente. Wir erhielten auch Tastpläne von dem Grundriss dieser Häuser. Keine Wärme, so stellte ich fest, ist so schön wie die Wärme eines Holzofens. Es roch auch sehr angenehm, die Frau erzählte uns, dass ihr die Kollegen immer wieder sagen, man riecht, dass du in diesem Haus warst. Innerhalb der Stube gibt es dann ein kleines Kabinett, darin stehen zwei Betten, welche für kranke oder ältere Menschen vorgesehen sind, damit sie weiterhin am Leben teil nehmen und alles hören können. Darin war es so gemütlich, ich wäre darin am liebsten geblieben, schade, dass man sowas nicht zu Hause einrichten kann.
Es gab auch eine Apfelausstellung, mir wurde zum Beispiel eine Mole Busch in die Hand gedrückt, und ich sagte nein, das ist eine Birne. Wir hatten zu Hause sehr viele Äpfel und Birnen, ich werde zu Hause nur die Apfelmühle genannt, und ich kenne zahlreiche verschiedenste Sorten von Äpfeln und Birnen. Daher war ich begeistert, es war sehr verführerisch, ich musste mich schon zusammenreißen, um nicht einfach in einen der Äpfel hinein zu beißen. Es gab auch die kleinen Kornäpfel und die noch kleineren, deren Namen ich jetzt vergessen habe, die ich aber auch schon oft gekauft hatte.
Was ich auch interessant fand und noch nie gehört hatte, war, dass es einen Erdkeller gab, soviel ich mich noch erinnere, der einfach mitten im Hof stand, und in welchen ein paar Treppen hinunterführten. Dort war es Sommer wie Winter immer gleich warm. Der Keller im Haus war ebenfalls so konzipiert, dass man die Kartoffeln oder das Obst einfach durch das Kellerfenster werfen konnte, und alles landete in einer Art schütte. So etwas hatte ich auch noch nie gesehen. Es gab auch einen großen steinernen Backofen, dort konnte man 30 Brote backen, und uns wurde dann ziemlich lapidar erklärt, dass man damals schon mal eben einfach so schimmliges Brot gegessen hatte, das war egal, die 30 Brote wurden auf einmal gebacken und dann einfach nacheinander aufgegessen. Und die Leute haben es überlebt. Eigentlich müssten wir ja demnach auch befähigt sein, mit Schimmel fertig zu werden, denn diejenigen, die den Schimmel überlebt haben, haben uns ja ihre Gene weitergegeben. Wären alle daran gestorben, gäbe es jetzt nur noch ein paar Leute, die extrem resistent gegen Schimmel sind. Aber ich würde trotzdem nicht unbedingt Schimmel essen wollen, lach. Die Methode, Brot einfach einzutauchen, kenne ich auch noch. Wenn ältere Menschen harte Brezeln oder hartes Brot noch aufheben, tunken sie es ebenfalls in den Tee, und ich tunke jedes Mal meine Cantuccini , italienische Kekse, in meinen Cappuccino. Dann quellen sie erst so richtig schön auf und schmecken erst so richtig lecker.
Die anderen kamen dann am Ende hinzu und berichteten uns, dass sie bei den Schafen waren, dass sie einen Webstuhl gesehen hätten, und dass ein sehr lieber Kater namens mi cash sie begrüßt hätte, der offenbar sehr gerne mit den Touristen schmust. Ich hatte zuvor schon gedacht, dass man das arme kleine einsame Schwein auch hätte Paschik nennen können. Vielleicht gäben die beiden, wenn man sie zusammen täte, ein gutes Empfangsduo ab.
Nach der sehr interessanten und sehr aufschlussreichen Führung gingen wir dann in ein Gasthaus, zuvor hatten wir schon bestellt. Ich habe natürlich wieder meine heiß geliebten Käsespatzen bestellt. Und dieses Mal, siehe da, war ich nicht die letzte, die so lange warten und hungern musste. Wir hatten eine gute Unterhaltung, und es war sehr lustig, da einer mir seine Chuck Norris Witze erzählte, die außer ihm und mir niemand witzig fand. Ich schlug vor, „meinen“ Siemensianer auf einen Cappuccino einzuladen als Dank für seine Führung. Er nahm lachend an, aber wir warteten vergeblich auf den Wirt, der einfach nicht abkassierte. Und da erfuhren wir den Grund, Siemens hatte nämlich auch noch das ganze Essen für alle bezahlt, den Cappuccino, den ich für uns beide bestellt hatte, eingeschlossen. Wir waren wirklich sehr erstaunt, es war wirklich total schön.
Nach dem Essen stiegen wir wieder in den Bus, und es war insgesamt eine sehr schöne Stimmung. Ich habe meiner Begleitung noch meine E-Mail-Adresse gegeben, da er ein so schönes Foto von dem Ochsenkarren gemacht hat, welcher durch das Freilichtmuseum fuhr. Ob es die beiden Ochsen waren, die wir schon im Stall begrüßt hatten, konnten wir natürlich nicht mehr erkennen.
Mir hat der Ausflug so gut gefallen, und es war so schön, einmal nicht ständig alles bezahlen zu müssen, dabei so viel Neues zu lernen und so eine tolle Begleitung zu haben. Es hat auch mal gut, jemanden neben sich zu haben, der ein gewisses Bildungsniveau hat und nicht so auf mich herabsieht und mir dauernd das Gefühl gibt, dass ich irgendwie zurückgeblieben oder weltfremd sei, und der zwanghaft immer Recht haben muss. Wir hatten eine Unterhaltung, die auf Augenhöhe verlief, und ich konnte von meinen Sachen erzählen, und er erzählte von seinen Dingen. Das hat auch mal gut getan, und es gab mir das Gefühl, dass ich nicht nur die hilflose, Behinderte und lebensunfähige Person bin, als die ich mich in meinem Alltag häufig betrachten muss. Ich fand, dass diese Leute sehr sensibel, empathisch und achtsam mit uns umgegangen sind, dass sie viel Neues von uns erfahren wollten, dass sie interessiert und neugierig waren, und dass sie nicht immer alles gleich besser wussten, wie ich das sonst im Alltag oft erlebe. Ich hoffe, dass wir wieder mal einen Ausflug mit Siemens oder vielleicht einem anderen Unternehmen machen. Ich finde es eine gute Idee, das Unternehmen ihren Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen die Möglichkeit geben, einen sozialen Tag einzulegen, denn dann erweitern sie auch ihren Horizont, da sie ja, wie jeder andere Mensch auch in ihren eigenen Bezügen sind, und da die meisten Menschen in ihrem Alltag wenig mit Behinderten zu tun haben. Vielleicht, so wäre meine Hoffnung, werden dann mehr Behinderte eingestellt, wenn man sieht, wie wir "in vivo" sind, sozusagen in der freien Wildbahn oder in unserem natürlichen Lebensraum. Dann fallen vielleicht die Berührungsängste weg, und der Kontakt mit Menschen aus anderen Lebensbezügen dient beiden Seiten, etwas Neues von unterschiedlichsten Menschen zu lernen. Vielleicht wirkt sich das auch auf die Unternehmenskultur aus und damit natürlich auch wieder auf die Produktion oder auf die Ideen für neue Entwicklungen.
Es ist auf jeden Fall schon geplant, dass ich mit meinem Taxifahrer nächstes Jahr noch einmal in dieses Freilichtmuseum fahre, damit wir dann die Stationen mit der Audioeinrichtung oder Häuser, die noch nicht besucht habe, noch erkunden können. Und außerdem soll das Örtchen, in dem das Freilichtmuseum ist, ebenfalls sehr reizvoll sein. Auf jeden Fall kann ich mich schon wieder auf was freuen, was wir dann vielleicht um meinen Geburtstag Herumunternehmen.
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