Sonntag, 5. Januar 2025

Theater mal anders

Vor einiger Zeit war ich ja in einer Tanzveranstaltung, die mit Audiodeskription geboten wurde. Vor ein paar Wochen erhielt ich eine Nachricht, dass wieder zwei Veranstaltungen mit Audiodeskription kommen würden. Ich fragte nach einer Ermäßigung, den durch die allgemeine Inflation sitzt der Geldbeutel auch nicht mehr so locker, dass man mal eben in sämtliche Veranstaltungen gehen kann. Ich erhielt eine kostenlose Vorstellung und wurde dann sogar gebeten, doch die Audiodeskription hinterher zu bewerten und kritische Rückmeldungen zu geben, dafür würde ich eine Aufwandsentschädigung erhalten. Dies darf ich auch offen sagen, denn eine Aufwandsentschädigung darf man auch mit Grundsicherung bis zu einem gewissen Betrag bekommen. Das erste Stück war „Die Verwandlung“ von Kafka, wobei die humoristische Seite von Kafka erforscht werden sollte. Die Regisseurin war wohl der Ansicht , dass Kafka vielleicht in Wahrheit ein Clown gewesen sei. Dies hat mich schon stark gewundert, habe ich doch seine Biografie gelesen, die Serie im öffentlich-rechtlichen Fernsehen über ihn angeschaut und auch „Das Schloss“ und „Der Prozess“ gelesen. Ich vermute, Kafka war auf dem Autismusspektrum, denn eigentlich waren nur ein paar wenige Freunde das Bindeglied zwischen ihm und der Welt, er hatte feste Gewohnheiten und ein sehr starres Essensregime, konnte Lärm nicht ertragen und dachte in Bildern. Zusätzlich waren seine Werke ziemlich abstrus, und für mein schmales literarisches Verständnis handelten sie häufig davon, dass man eigentlich gar nicht den Grund kennt, weshalb man verurteilt wird oder irgendwo nicht reinkommt, dass dies vollkommen willkürlich geschieht. Es entsteht der Eindruck, das es offenbar eine Metaregel gibt, wonach es einfach gar keine Regeln gibt, nach welchen es Kriterien geben könnte, die man erfüllen könnte, um irgendwo reinzukommen, also ins Schloss . Es wird dem Leser vermittelt, dass es keinerlei Möglichkeit gibt, keine Regeln und keinerlei Auflagen, die man erfüllen könnte, um nicht (mehr) schuldig zu sein, also gibt es keinerlei Möglichkeit und auch keinerlei logische Autorität, der man etwas opfern könnte, um seine Schuld verbüßen zu dürfen. Nicht einmal ins Gefängnis kann man gehen und die Schuld damit abtragen, nein, man trägt sie immer auf eine bestimmte Weise mit sich herum. Egal, welche Anträge man stellt, das Schloss bleibt einfach unzugänglich, und hat man das erfüllt, was einem auferlegt wurde, ändern sich einfach wieder die Regeln, und man bleibt trotzdem draußen . Auf die ein oder andere Weise kenne ich diese Gefühlszustände. Ob das allerdings stimmt, oder ob ich da mehr selbst hinein lese als das, was wirklich gemeint ist, und ein seriöser Mensch oder gar ein Literaturwissenschaftler was ganz anderes darüber denken und dazu sagen würde, bleibt offen. Aber Humor, das hätte ich nun Kafka wirklich nicht zugetraut. Ich ließ mich demnach überraschen und dachte, vielleicht hat die Regisseurin mit einem gewissen Schmunzeln einfach den Humor eingebaut. Ich wurde sogar abgeholt, wie immer wurde ausgemacht, dass der Taxifahrer mich zum Parkplatz bringen möge, wo eine Mitarbeiterin des Hauses mich abholte. Dort nahm mich dann die Leiterin der Tanzgruppe, die allerdings dieses Mal nicht selbst spielte, aber alles mit organisierte, in Empfang. Sie gab mir das Gerät, mit dem die Audiodeskription gehört werden konnte. Ich sitze bei der Audiodeskription lieber hinten, denn zum einen ist dann die Verbindung zum Sprecher besser, man kann sich auch mal mit Handzeichen verständigen, und vorne auf der Bühne wird es teilweise so laut und lebhaft, dass man zum einen die Audiodeskription gar nicht mehr hört, und weil ich dann häufig zu nah am Geschehen war und fast schon etwas abbekommen hätte. Einmal bekamen wir Plastikplanen auf den Schoß, und es wurde mit Theater Blut gespritzt. Ein andermal wurde so viel Theaternebel gesprüht, dass ich keine Luft mehr bekam, und die Feuerwehr kommen musste, weil die Rauchmelder so eingenebelt wurden, dass sie anschlugen, die Sprinkleranlage anging, und sämtliche Technik, die unter der Bühne war, Klatsch nass wurde. Wir mussten alle raus, mehrere Löschzüge kamen an, und nach dem falschen Alarm durften wir dann alle wieder rein. Auch saß ich schon mal bei einer Theatervorstellung mit allen auf den Boden in der ersten Reihe, und ich hatte wirklich Angst, dass die Schauspieler auf mich draufspringen. Wenn es da emotional wird, wird man regelrecht wie bei einem vorbeifahrenden Zug mitgerissen. Das ist mir unangenehm, und vorne ist es auch wesentlich lauter von der Musik und den Geräuschen her. Darum wurde ich auch dieses Mal wieder in eine der hinteren Reihen platziert. Die Vorstellung fand im Foyer und nicht in einem der Säle statt. Ich wurde erst mal auf der Bühne herumgeführt, sodass ich die verschiedenen Gegenstände abtasten konnte. Die Schauspieler beschrieben sich selbst, und ich durfte auch das Kostüm des Käfers anfassen. Es gab sehr viele Betten auf der Bühne, mit denen man dann später ziemlich durcheinanderkam. Auf jeden Fall war alles eher abstrakt und sehr interessant aufgebaut. Lustig war allerdings gar nichts, die Audiodeskription war gut, einiges habe ich natürlich dann hinterher schon an Vorschlägen zur Verbesserung rückgemeldet, aber insgesamt konnte ich gut mitkommen. Das Ende war traurig, obwohl ich das Buch nicht gelesen hatte, hatte ich den Eindruck, dass man sich so ziemlich an den Text gehalten hatte. Und da der Text wahrscheinlich nicht witzig war, war natürlich dann folglich auch das Stück überhaupt nicht lustig, und ich hörte auch niemanden lachen. Der Hauptdarsteller wurde von zwei Schauspielern gespielt, einer Frau und einem Mann. Alleine so etwas passiert ja mehr bei ernsteren, mehr experimentellen Stücken, dass sich eine Person sozusagen aufspaltet. Die anderen Schauspieler waren nur zu hören, sie wurden nur mittels Tonband abgespielt, so viel Sparsamkeit kenne ich eigentlich aus Komödien auch nicht. Das passiert auch mehr meines Wissens bei den Stücken, wo man sich das meiste selbst denken muss, und wo es um ganz wesentliche Dinge geht, und dann eben nur ganz bestimmte Eindrücke dargestellt werden, und mehr die Fantasie und die Gedanken des Zuschauers gefragt sind. Auch das abstrakte Bühnenbild trug nicht dazu bei, dass man alles als Komödie hätte auffassen können. Aber immerhin kannte ich jetzt den Inhalt und brauche das Werk demnach nicht mehr selbst zu lesen. Dann kann man immerhin mitreden, wenn es mal heißt, das ist ja kafkaesk. Das andere Stück Wein Tanzstück. Ich wurde ebenfalls wieder abgeholt, und dieses Mal wurde die Audiodeskription von der Leiterin selbst durchgeführt. Man hat mich schon vorgewarnt, dass die Musik ziemlich gruselig sein würde. Die Schauspieler, eine Frau und ein Mann, beschrieben sich mir, und das Bühnenbild durfte ich auch anfassen. Es sollte um die Vermischung von Realität und Internet gehen, demnach waren verschiedene Leinwände aufgestellt, die je nach Lichttechnik beide als Projektionsfläche benutzt wurden, oder durch die, da sie aus Gase bestanden, einfach hindurchgeleuchtet werden konnte, als seien sie nicht da, sodass man nur die hintere Leinwand und die davor stehenden Darsteller sehen konnte. Ich bekam wieder das Kästchen, und die Musik ging los. Es war eine grauenhafte Musik, eher Lärm, es war ein leises Brummen, mehr wie in einem medizinischen Gerät, und dazu tickte unablässig eine Uhr. Die Audiodeskription begann, die Musik wurde immer gruseliger. Realität und Fantasie vermischten sich immer mehr, es war wirklich schizophren. Eine Frau kam auf die Bühne, es wurde beschrieben, dass sich eine Frau mit großen Schritten nähert, und man konnte ein lautes und regelmäßiges Stampfen hören. Irgendwann erschien dann auf der Leinwand ein Auge, für mich war ja alles dunkel, aber die Audiodeskription lautete dann, "jetzt sieht man ein großes Auge, es wird immer größer," und die Musik wurde immer schauerlicher und unheimlicher. Es kamen noch hohe Töne dazu, die immerfort andauernd zu hören waren. Es waren nur ungefähr 25 Leute im Publikum. Ich habe mir das Ohr zugehalten, in dem nicht der Knopf für den Kopfhörer war, um nicht die schauerlichen Töne von außen hören zu müssen, aber es war zwecklos. Mein Ohr fing an zu schmerzen. Ich hielt es nicht mehr aus, ich vertrage solche grauenhaften und gruseligen Töne nicht. Ich hatte solche Angst, und ich stand einfach auf und ging zur Seite des Ranges. Die Frau mit der Audiodeskription bemerkte dies und kam zu mir und holte mich ab. Ich zitterte regelrecht, es war einfach schauerlich. Danach hatte ich immer noch Ohrgeräusche. Die Beschreibung mit dem gruseligen Auge, die schauerlichen Musik, die Vermischung von Realität und Leinwand, es war einfach fürchterlich. Was das aussagen sollte, weiß ich nicht. Ich finde, Theater sollte immer auch Witz und Charme haben, damit man gerne zuhört, damit man hinterher nicht vor Betroffenheit völlig gelähmt bleibt, damit man handlungsfähig bleibt, es soll zum Nachdenken anregen, sollte aber auch immer spielerisch sein. Es sollte mit Dingen spielen, die auf der Bühne geschehen, aber das Publikum sollte ein Teil dieses Spiels werden. Man sollte nach Hause gehen, neue Ideen, Anregungen und Impulse erhalten , man sollte dabei beschwingt und bereichert sein, die Unterhaltung darf auch nicht fehlen, die richtige Mischung macht es. Ich war nur noch froh, als ich zu Hause war. Ich hörte auch, dass das Stück schon in anderen Städten aufgeführt wurde, und ich vermute, dass vielleicht entweder die Leute sich gegenseitig informierten über das Stück, oder dass man schon zwischen den Zeilen im Programm herauslesen konnte, dass es nicht nur schwere sondern nahezu unverdauliche Kost werden würde. Drum war der Saal auch fast leer. Alleine das gab mir das beklemmende Gefühl, ich wäre alleine in einem stockfinsteren Raum mit entsetzlichen Maschinengeräuschen, und ein entsetzliches Auge beobachtet mich, wie in einem Horrorfilm, und Realität und Wahnsinn mischen sich wie bei Menschen mit einer Psychose, von denen ich schon einige Menschen in so einem Zustand erlebt habe. Wahrscheinlich fühlen die sich genauso, wie ich mich in dem Moment gefühlt habe. Die Aufwandsentschädigung kann ich jetzt natürlich knicken, und ob die mich noch mal für was anderes hernehmen, weiß ich nicht. Wahrscheinlich denken die sich jetzt, die kann man ja nicht brauchen, die bricht ja zwischendrin ab, bei der muss man ja aufpassen, die kann man ja höchstens beim Ohnsorg-Theater reinlassen. Da habe ich es mir wohl mal wieder selbst verdorben. Das war wie in dem Altenheim, wo ich Gitarre spielen sollte, aber dann aufgrund des hohen Virenaufkommens andauernd krank war. Außerdem brauchte ich ständig Begleitung, und ich war nicht bereit und fähig, ohne Aufsicht mit den alten und dementen Menschen, die teilweise mittendrin aufstanden, aggressiv wurden oder teilweise auf einmal Weg getreten waren, Musik zu machen, sodass sie wegen mir dann auch noch die Gesellschafterin, eine dafür abgestellte Krankenpflegerin, dazu setzen mussten, was sie bei meiner Vorgängerin, die sogar mit einer Begleitperson kam, auch gemacht hatten. Außerdem wollten sie mir auf einmal nur noch 80 € pro Monat geben und verlangten, dass ich zweimal die Woche, unter anderem auch am Sonntagvormittag käme, das wären dann zehn Euro für die Stunde. Ausgeschrieben war diese kleine Stelle für 35 €. Meine Freundin, die mir die Stelle vermittelt hatte, hat 30 € bekommen, ich sollte zunächst erst nur 25 € kriegen. Die wussten nicht, dass ich den Preis kannte. Die Begründung lautete, dass sie ja von weiter her käme, und daher müsse sie auch mehr Fahrtgeld bezahlen. Normalerweise wird dies aber bei einer Arbeitsstelle nicht berücksichtigt, von wie weit jemand herkommt. Dies kann man höchstens bei der Steuer geltend machen, soviel ich weiß. Mit der Begründung, sie sind ja blind und können ja froh sein, dass sie auch mal eine Arbeit kriegen, hat man den Preis so gedrückt. Ich habe aber einfach geblöfft , ich bin Diplomübersetzerin und habe es nicht nötig, nur, um beschäftigt zu sein und auch mal was zu verdienen, diese Arbeit zu machen. Hätten die mir damals gesagt, wir haben kein Geld, wären sie auch bereit, ehrenamtlich zu kommen, sie kriegen auch einen Kaffee und ein Stück Kuchen, und sie sind herzlich willkommen, und wir sind Ihnen sehr dankbar, hätte ich sofort zugesagt. Aber wenn man mir so kommt, ist das unter aller Würde. Mittlerweile haben sie einen Nichtbehinderten, der kann ohne Aufsicht dort spielen, und der darf spielen, was er will und nicht das, was die Gesellschafterin sagt, und er bekommt 35 € die Stunde. Ich hatte nach meiner Zeit dort noch einem Blinden die Telefonnummer gegeben, aber nach mir wollten die keine Blinden mehr. Er meinte, ich hätte den Blinden damit einen Bärendienst erwiesen. Ich sei schuld, dass die jetzt keine Blinden mehr nehmen. Das wird jetzt sicher bei dem Theater genauso sein. Da hatten wir so eine blinde, die ist durchgedreht, weil die Tanzmusik so komisch war und hat abgebrochen, sowas können wir nicht noch mal brauchen. Ich war in diesem Altersheim wochenlang ausgefallen, weil ich dauernd krank war. Dort grassierte ständig irgendein Virus, den ich natürlich sofort aufgeschnappt hatte und dann wochenlang damit zu kämpfen hatte, bis ich wieder gesund war. Als ich dann wieder kam, um mein Geld abzuholen, drückten sie mir trotzdem noch mal einen Obolus in die Hand, aber dann war dies das Ende. Ich habe wirklich das Gefühl, ich bin zu nichts zu gebrauchen. Das habe ich jetzt mal wieder gesehen. Schade, aber ich bin ja nicht umsonst voll erwerbsgemindert. Ich hoffe, dass das mit den Audiodeskriptionen weitergeht, und dass ich vielleicht doch noch auf die eine oder andere Weise mithelfen kann. Zumindest werde ich die Sache unterstützen, indem ich fleißig hingehe, und ich hoffe, dass nicht noch mal so ein merkwürdiges Tanzstück aufgeführt wird. Ich habe auch an unser Theater geschrieben und nachgefragt, ob denn dort auch mal darüber nachgedacht werden könnte, Stücke mit Audiodeskription darzubieten, und ich erhielt die gute Nachricht, dass im Jahre 2025 zwei Theaterstücke und zwei Opern mit Audiodeskription aufgeführt werden sollen. Ich hoffe auch, dass sie dies dann dementsprechend verbreiten, denn in den letzten beiden Vorstellungen mit Audiodeskription war ich die einzige Blinde. Wenn dann kein Bedarf besteht, wird das freilich wieder eingestellt, denn dann wird es heißen, da kommt ja niemand, warum sollen wir uns die Kosten und die Mühe machen, wenn sowieso kein Interesse besteht. Das Problem ist einfach, dass blinde bis heute diese Angebote schlichtweg aus ihrem Leben gestrichen haben, weil sie bislang gewohnt waren, dass diese Dinge für unsereins sowieso nichts sind, und man wendet sich dann einfach anderen Beschäftigungen zu. Es muss also erst langsam zu den Sehgeschädigten durchdringen, dass man mittlerweile auch bei Tanzvorstellungen, bei Opern, Operetten, Theaterstücken oder sogar beim Puppentheater Audiodeskription bekommen kann. Ich zum Beispiel kann Opern absolut nicht ausstehen, aber ich finde es toll, dass man die Wahl hat, zudem Genre hinzugehen, welches einem am besten gefällt.

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