In der Zeitschrift "Die
Gegenwart" hat sich eine
Psychologin zu dem Fall der taubblinden Zwillinge geäußert, die aktive
Sterbehilfe in Anspruch genommen hatten.
Sie hat auf das Entsetzen und die Empörung der Behinderten reagiert, die
den Akt der Sterbehilfe als "Vergiften statt Helfen" bezeichnet haben
und es lieber gesehen hätten, wenn diesen Menschen die Möglichkeit der
Kommunikation trotz Taubblindheit mittels z.B. des Lormens nahegebracht worden
wäre. Es stimmt zwar, wie sie sagt, daß
man nicht den Stab über Menschen brechen sollte, die diesen Ausweg gewählt haben, doch denke ich, daß niemand
ein moralisches Urteil über diese beiden zusätzlich auch noch schwerkranken
Menschen gefällt hat sondern eher über diejenigen, die diesem Todeswunsch vielleicht zu schnell nachgekommen
sind.
Es wird hier
angedeutet, daß die Behindertenbewegung -- vielleicht traumatisiert durch die
Vorgänge im dritten Reich -- sehr emotionalisiert über die Frage der aktiven
Sterbehilfe urteilt. Nun, was ist
eigentlich auch so schlimm daran, aus einem Trauma heraus bestimmte
Schlußfolgerungen zu ziehen, ob verarbeitet oder nicht, ein Trauma bedingt
immer eine Einstellungsänderung, und diese ist doch hier nicht ganz so
verkehrt.
Natürlich ist es ein Unterschied, ob Menschen gegen ihren
Willen getötet werden, oder ob sie aus freien Stücken diesen Weg wählen. Hier aber genau ist der Knackpunkt. Die Frage
ist, ob wir wirklich frei sind. Darüber
streiten sich Psychologen und Philosophen noch heute. Wir unterliegen sehr vielen Notwendigkeiten
und Zwängen in unserem Leben, alleine schon durch unsere Biologie, wir müssen
essen, schlafen, haben viele andere Bedürfnisse, die wir nur schwer
unterdrücken können. Uns ist selbst gar
nicht bewußt, wie sehr unser Gehirn bestimmten Zwängen unterliegt, da diese
völlig ohne unser Wissen ablaufen.
Ebenso unbewußt sind uns oft gesellschaftliche Zwänge, z.B.,
daß wir nicht auffallen dürfen, anderen nicht zur Last fallen dürfen, möglichst
viel alleine tun können sollten, und um sich anderen zuzumuten, dazu gehört
eben, wie das Wort schon sagt, viel Mut.
Im Zuge der sich umkehrenden Alterspyramide habe ich die Sorge, daß das
sogenannte "sozialverträgliche Frühableben" immer mehr Schule macht,
wenn dies auch nicht offen so kommuniziert wird. Aber wie oft hört man von alten Menschen,
wenn auch eher etwas emotional erpresserisch den Satz: "Es wäre wohl das
Beste, ich wäre nicht mehr da." Wie schnell kann ein solches Klima wenn
auch unbewußt die Entscheidung beeinflussen, ob man auf dieser Erde noch
verweilen möchte.
Ich denke, daß nicht nur in Fällen, bei denen die
Entscheidungsfreiheit offensichtlich eingeschränkt ist, wie z.B. bei
psychischen Erkrankungen, die Gefahr besteht, daß Entschlüsse nicht wirklich selbständig getroffen werden können und eher
Kurz-Schlüsse sind, sondern, daß jeder Mensch gewissen Manipulationen
unterworfen ist. Zum einen ist die
Grenze zwischen psychisch gesund und krank sehr fließend, und es kann auch bei vorher psychisch Gesunden in Extremsituationen, wie sie eine
Behinderung oder schwere Krankheit nunmal darstellen, zum sogenannten Tunnelblick kommen, in dem
sie nur noch einen Ausweg sehen. Auch
hier ist ein besonderer Schutz notwendig und vorallem die Aufklärung, was noch
alles möglich ist, wo es (auch
finanzielle) Hilfen zu holen gibt, daß Betroffene nicht alleine gelassen
werden, und daß andere Möglichkeiten und Auswege existieren können. Ich behaupte einmal ganz axiomatisch, daß
kein Mensch per se Todessehnsucht hat, sondern daß man einfach nur so nicht
mehr leben will.
Ich selbst als Blinde und Dialysepatientin habe schon oft
mit dem Gedanken gespielt, daß ich diese Situation nicht mehr länger erdulden
will. Darum bin ich die Allerletzte, die
moralisch den Stab über jemanden brechen würde, der diese Entscheidung
trifft. Nur stört mich der Begriff der
"Freiheit". Kann mir wirklich
jemand ganz sicher beweisen, daß Menschen, die diesen Weg gewählt haben,
tatsächlich aus freien Stücken gehandelt haben?
Mein Motto ist immer:
Love it, change it or leave it. Nun
ist die Frage: Kann ich es lieben?
Nein! Kann ich es ändern? Nein!
Bin ich also frei, habe ich also zwei Möglichkeiten, die ja per
definitionem das Wesen der Freiheit sind?
Nein! Die Entscheidung, sich in
so einer Situation umzubringen ist genauso frei wie die eines Menschen, der im
zwanzigsten Stock eines brennenden Hochhauses steht und die Wahl hat, an
Rauchvergiftung zu sterben oder ohne Sprungtuch auf dem Pflaster aufzukommen. Bildlich gesprochen müssen wir also ein
Sprungtuch aufspannen, um eine echte Wahlfreiheit zu gewährleisten. Gibt es Hilfen, kann man die Lage ändern,
kann man die Schmerzen palliativ behandeln, gibt es finanzielle Möglichkeiten,
um den Spielraum zu erweitern? Wenn dies
alles gegeben ist, und dann ein Mensch immer noch sagt, daß er nicht mehr leben
will, dann muß man seinen Willen wohl respektieren. Freitod ist für mich der Begriff für einen
Menschen, der ein langes und zufriedenes, erfülltes Leben hatte und dann
einfach sagt: "Nun ist es genug!"
Und selbst da stellt sich mir die Frage, ob derjenige nicht große Angst
vor dem drohenden Autonomieverlust hat, den das Alter mit sich bringt, aber vielleicht hätte dieser
hypothetische Mensch dann genug Geld, um
sich die Hilfe einzukaufen, die er benötigt und wählt dennoch diesen Weg nach
reiflicher Überlegung.
Ich bekomme Bauchschmerzen bei dem Gedanken, daß jemand ans
Bett eines Schwerkranken tritt und ihm das Angebot macht: "Übrigens, Du
kannst auch die Euthanasie wählen, wenn Du willst." Irgendwie muß er ja diese Information dann
bekommen, aber könnte darin nicht schon der Gedanke mitschwingen, daß man
dieses Angebot dann auch bitte schön
annehmen sollte?! Wer kann ausschließen,
daß Angehörige, die vielleicht sogar mehr unter der Situation leiden, jemanden
hilflos daliegen zu sehen, nicht doch irgendwie durchblicken lassen, daß sie
erleichtert wären, wenn alles nun endlich vorbei wäre, und der Betroffene sich
aus Loyalität zu seinen Angehörigen verpflichtet sieht, diese zu entlasten?
Meiner Meinung nach ist es auch nicht die Aufgabe von
Ärzten, ein Leben zu beenden. Ärzte sind
dazu da, das Leben zu erhalten, zu verbessern oder, wenn keine
Verbesserungsmöglichkeit besteht, den Patienten palliativ zu begleiten. Ärzte sind dafür da, richtig zu dosieren, das
haben sie gelernt, um dem Patienten zu
helfen. Ich finde es für mich nur dann legitim, das Leben
aktiv zu beenden, wenn der Tod ohnehin irreversibel vor der Türe steht, und ein
qualvolles Sterben verhindert werden soll, oder wenn bei nicht mehr
erträglichen Schmerzen so starke Schmerzmittel gegeben werden, daß auch der Tod
mit in Kauf genommen werden kann, wie eben bei der terminalen Sedierung. (Aktueller Hinweis: In einem Buch über Palliativmedizin habe ich gelesen, dass es gar nicht möglich sei, jemandem so viel Morphium zu geben, dass er dran stirbt, bzw. es gab Beispiele von 10facher Dosierung, wo nichts passiert sei.)
Die Erfüllung eines Sterbewunsches gehört für mich in die
Hand eines gesetzlichen Betreuers oder eines Juristen, wobei zuvor einwandfrei
abgeklärt werden muß, auch mit Hilfe von Psychologen oder geistlichen
Seelsorgern, ob es wirklich der freie Wille des Betroffenen ist, und
dieser zuvor auch wirklich umfänglich über alle tatsächlich
in die Praxis umsetzbaren Alternativen aufgeklärt wurde. Und genau bei der Beantwortung dieser Frage,
inwieweit eine zweifelsfreie Abklärung diesbezüglich möglich ist, und wie frei
jemand wirklich ist, so eine unumkehrbare Entscheidung zu fällen, da habe ich
große Zweifel.
Auch der Einwand, daß es besser ist, etwas zu legalisieren, was ohnehin getan wird,
wobei bei diesen Handlungen dann obendrein noch andere -- wie z.B. Lokführer,
Angehörige oder Angestellte, die denjenigen dann auffinden, mit reingezogen
werden, ist damit zu entkräften, daß
nicht einfach folgenschwerste Handlungen wie Sterbehilfe oder assistierter Suizid durch
ihre Legalisierung weniger problematisch werden. Auch die präimplantive Diagnostik, wo bereits
vorgeburtlich selektiert wird, ist in der BRD nicht erlaubt, und diese sowie
andere problematische Verfahren werden dann immer mit dem Argument
gerechtfertigt: "wenn wir's nicht tun, dann machen's andere". Schließlich werden auch bei der legalen
aktiven Sterbehilfe Menschen mit hineingezogen, z.B. diejenigen, die sie dann
ausführen müssen. Auch beim assistierten
Suizid muß einer da sein, der das Gift besorgt.
Das einzige, was daran noch beruhigend wirkt, ist die Tatsache, daß man
handlungseingeschränkten Betroffenen eine für sie durchführbare Möglichkeit zur
Verfügung stellt, sich selbst umzubringen und es selbst in der Hand zu
haben. Nur wäre es danach unterlassene
Hilfeleistung, denjenigen liegen zu lassen, und es müßte ohnehin wieder gehandelt werden. Weiterhin
bleibt immer noch die Frage, ob derjenige dann noch den Mut hat, seine vorher
geäußerte Entscheidung dann doch wieder rückgängig zu machen und er die Kraft
aufbringt, sich dann im letzten Moment doch noch umzuentscheiden, oder ob die Versuchung nicht doch zu groß ist, in der Situation möglicherweise dem Druck nachzugeben, weil
doch nun soviel Aufwand betrieben wurde, um ihm diesen Ausweg zu ermöglichen, und
es für ihn somit "kein Zurück"
mehr gibt.
Ich möchte keineswegs
moralisieren, und ich finde es anmaßend, einem
Leidenden zu sagen: "Du mußt Dein Kreuz tragen." Das Hintertürchen offen zu haben,
jederzeit aus dem Leben scheiden zu können, kann auch beruhigend sein, seinen
Weg weiter zu gehen, und mit dem Wissen, sich dann immer noch umbringen zu können, wenn's wirklich
nicht mehr geht, kann man vielleicht sogar noch mutiger sein und noch größere
Strapazen auf sich nehmen, als man es ohne dieses Hintertürchen tun würde. Daher
sehe ich Selbstmord auch nicht unter moralischem Gesichtspunkt. Jemand, der eine Krankheitsdiagnose mit fortschreitender
Prognose erhält, wird eventuell länger
durchhalten, wenn er sich darauf verlassen kann, daß jemand diesen
"Liebesdienst" für ihn erledigt, den er dann später nicht mehr selbst
tun kann, anstatt sich schon gleich zu Anfang der Erkrankung umzubringen. Dennoch bleibt die Frage, ob er, sobald er
dann tatsächlich in der Situation ist, noch genauso denkt, da er diese zuvor ja lediglich gedanklich vorweggenommen
hatte. Was ist, wenn er dann in der
konkreten Lage ganz anders entscheiden würde, es aber dann nicht mehr äußern
kann?
Es wäre natürlich ungerecht, jemandem, der sich selbst kein
Gift mehr besorgen kann zu sagen: "Du
hast gefälligst leben wollen zu müssen." Dennoch ist es so, daß wir bei jedem anderen
Menschen, der -- aus welchen Gründen
auch immer -- Selbstmordabsichten äußert, doch genauso alles tun, um dies zu
verhindern, somit müssen wir es hier ebenso tun. Der Wunsch,
nicht mehr leben zu wollen, ist ein Hilferuf nach Verbesserung. Solange wir auf Todeswünsche und Selbstmordäußerungen nur entweder so
reagieren, daß wir denjenigen in die Geschlossene stecken oder im anderen
Extremfall seinem Wunsch barrierefrei nachkommen, anstatt ein barrierefreies
Leben zu gestalten, verpassen wir die Chancen,
die Nöte desjenigen zu hören und unsere Gesellschaft dementsprechend versuchen zu verändern. Da der Tod zum Leben gehört, gehört zur
Lebenshilfe irgendwie auch die Hilfe zum und beim Sterben dazu. Aber solange die Hilfe zu einem
selbstbestimmten und freien Leben noch so extrem ausbaubedürftig ist, kann die Option, dann lieber zu sterben, keine
freie Entscheidung sein. Ich befürchte,
wenn wir den ermöglichten Selbstmord bzw. die aktive Sterbehilfe zulassen, wird
weniger dafür getan, die
Lebensbedingungen von Behinderten und Schwerstkranken zu verbessern, da es ja
eine bequemere Lösung gibt. Mir macht,
um es kurz zu sagen, die Vorstellung, daß einem Kranken die Möglichkeit der
Sterbehilfe angeboten wird, große Angst.
Es ist keine Frage des moralischen Zeigefingers sondern die große Sorge
in einer sozial eher kälter werdenden Umwelt.
Wer Lust hat, sich mit diesen Gedanken näher zu befassen,
der lese z.B. das Buch von Klaus Dörner: "Tödliches Mitleid"
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