Ich habe nur einen Tag Erfahrungen
machen dürfen, wie es in einem Chor mit lauter Sehenden zugeht. Eine ehemalige
Mitpatientin von der Dialyse fragte mich, ob ich bei einem laut ihrer Aussage
einfachen romantischen Chorstück mitsingen wolle, sie bräuchten noch Leute im
Alt. Ich ging also hin und wurde auch sehr freundlich von der Organisatorin
aufgenommen und zu einem Stuhl geführt. Dann kam der Chorleiter herein, es gab
kein Ein Singen, er selbst hatte eine dementsprechend raue Stimme, es ging
sofort los, wobei er die Nummer des Taktes angab, an dem gesungen werden
musste. Ich bin spät erblindet und kann daher nur die Blindenkurzschrift aber
keine blinden Noten. Die hätte es sowieso nicht gegeben. Er ging sofort in die
Vollen, und aufgrund meines zusätzlich sehr schlechten Gedächtnisses konnte ich
mir die Melodie nicht merken. Außerdem war es ein Jazz- Chor, und die Melodien
waren extrem schwierig mit sehr vielen chromatischen Tonschritten. Danach folgte ein englisches Stück, und ich
muss zu meiner Schande gestehen, obwohl ich Englisch studiert habe, verstand
ich kein einziges Wort. Selbst wenn ich den Text vor mir gehabt hätte, wäre mir
jedes 3. Wort fremd gewesen. Ich erhielt dann netterweise von der Organisatorin
ein Programm namens Capella, bei dem man die Töne hören kann. Zunächst
hörte ich mir einmal die Datei mit allen Stimmen, also Tutti an. Das angeblich
einfache romantische Stück klang entsetzlich für meine doch sehr an Harmonie
gewöhnten Ohren. Der Text stand darunter, aber
es war nicht möglich, die Silben genau auf dem Ton zu hören, auf dem sie hätten
kommen müssen. Die Sprachausgabe plapperte einfach den Text zu der ziemlich
schauerlichen Musik. Es wäre absolut unrealistisch gewesen, mir hier den Text
zu merken und zu lernen, wie ich ihn singen müsste. Mir den Text aus dem
Internet zu ziehen, hätte auch keinen Zweck gehabt, da ich die passende Melodie
dazu nicht hätte singen können. Es wäre auch nicht möglich gewesen, alles mit
meinem Notizgerät aufzunehmen, da ich überhaupt nichts von den Worten verstand,
die gesungen wurden. Die Einzelstimmen wurden auch kaum geprobt, da
vorausgesetzt wurde, dass sowieso jeder Noten lesen kann. Weiter ging es mit
Takt Nummer soundso, und der wurde dann zweimal durchgeprobt, dann sollte man
es können.
In dem Chor auf der
Musikfreizeit, auf der ich schon mehrmals in Wernigerode teilgenommen hatte,
wurde für jede Stimme alles mehrmals geprobt, wobei die Worte zu den einzelnen
Sequenzen der Melodie passten. Man konnte alles bequem aufnehmen und später
einüben. Zusätzlich gab es dann Capella als Tutti- Version oder für die
einzelnen Stimmen, da einige Chormitglieder dieses Programm auf ihrem Laptop
dabei hatten. So konnte auch ich mit meinen mehrfachen Beeinträchtigungen gut
klarkommen.
Da ich mir schon immer sehnlichst
gewünscht hatte, in einer Gruppe mit zu musizieren, hatte ich mehrere Annoncen
aufgegeben, wobei dann aber immer ziemlich zweifelhafte Antworten kamen, die
mit allem Möglichen aber nichts mit Musik zu tun hatten. Wenn es doch einmal zu
einer Zusammenkunft von Musikern kam, hat sich derjenige nicht mehr gemeldet,
obwohl die Begegnung recht harmonisch verlaufen war. Ich hatte dann auch mit 2
anderen Blinden, die in meiner Ohrenblicke-Redaktion waren, musiziert, wir
wurden nach unserer Darbietung beim Radio-Sommerfest vom Fleck weg für ein
inklusives Fest engagiert, aber die beiden waren in ihrer Behindertenwerkstatt
und für Proben und Workshops in ihrer dortigen Band so stark eingebunden, dass
sich angeblich kein Termin zum Proben vor der Aufführung finden ließ, und wir
das mit einer Gage von 50 € pro Person dotierte Engagement sausen lassen
mussten, und sich auch keine weiteren Auftritte und Proben mehr ergaben.
Jetzt habe ich mich an einer
inklusiven Musikschule angemeldet, um dort ein für mich passendes Ensemble zu
suchen. [Näheres hierzu im vorherigen Blog-Eintrag. ]
Alles in allem muss ich sagen,
dass ich aufgrund meiner mehrfachen Behinderung und der zahlreichen Grenzen,
die sich mir an jeder denkbaren Front auftun, immer wieder an irgendeinem Punkt
scheitere, der es verhindert, dass einer meiner größten Wünsche sich erfüllt,
und sei es nur, dass ich, egal ob unter Sehenden oder Blinden, erst einmal in
der eingeschworenen Gemeinschaft eines Chores oder einer Band Kontakt finden muss,
was für mich auch nicht einfach war. Ich bewundere daher alle Blinden, die es
schaffen, in einem Chor, zumal noch unter lauter Sehenden mit zu singen, sich
die Melodien zu merken, die Texte mitlesen zu können oder zu hören, und die ein
so großes Talent haben, dass sie ihre Behinderung so gut kompensieren können,
was mir bei fast keiner meiner Tätigkeiten oder Vorhaben in meinem Leben bisher
gelungen ist. Umso mehr lerne ich jetzt zu schätzen, was hier schon viele
berichtet haben, und dass sie sogar in sehr anspruchsvollen Chören mitsingen.
Hut ab und weiterhin gutes Gelingen wünscht [hier Steinböckle]
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