Ein provokantes Stück Text
Inklusion ist ein
hehres Ziel, doch hat sie, wie die Autorin bisher erfahren hat, auch ihre
Grenzen. Hier soll der Frage nachgegangen werden, welche Wünsche und
Erwartungen die Inklusion erfüllen soll und kann, und welche Kosten hierfür
realistischerweise eingesetzt werden können.
Was ist Inklusion,
und was hat sie mit mir zu tun?
Inklusion bedeutet ja eigentlich, dass alle Menschen bereits
einbezogen sind, so wie sie sind, und daher niemand integriert werden muss.
Somit müssen Voraussetzungen geschaffen werden, bei denen alle Menschen
automatisch teilhaben können. Ist dies wirklich für alle möglich? Ich möchte
dies anhand meines eigenen Beispieles diskutieren.
Ich bin fast blind, bin seit 9 Jahren an der Dialyse mit
allen dazugehörigen Problemen wie Übelkeit, verringerte Merkfähigkeit, Schwäche
und verringerte Leistungsfähigkeit. Im Rahmen meiner Grunderkrankung namens
Senior-Loken-Syndrom stellt sich auch die Frage, ob die nun endlich
diagnostizierte multimodale Wahrnehmungsstörung dazugehört, und eventuell auch
der atypische Autismus, der im Jahre 2012 diagnostiziert wurde. Ich selbst
betrachte mich als schwerstmehrfach behindert. Nach meiner Schulzeit, die ich
zum Teil in einer integrativen Einrichtung verbracht hatte , deren Scheitern
ich schon an anderen Stellen näher beschrieben hatte, habe ich mit
Normalsehenden studiert, wobei die Universität aber prinzipiell auf alle
sehbehinderten und blinden Rücksicht nahm, da das Studium der angewandten
Sprach- und Kulturwissenschaft mit dem Berufsziel Übersetzer ideal für
Sehgeschädigte zu sein schien. Nach meinem Studium tat ich alles erdenklich
Mögliche, um Arbeit zu finden, bin aber kläglich gescheitert. Kein Arbeitgeber
konnte sich vorstellen, eine blinde Frau einzustellen. Als Übersetzerin hätte
ich nämlich auch andere Bürotätigkeiten machen müssen, die dann eine
Arbeitsassistenz hätte erledigen müssen, wobei dieses Konzept zu derzeit noch
nicht ausgereift war. Freiberuflich zu arbeiten war ebenfalls keine Option, da ich aus welchen
Gründen auch immer, trotz großer Bemühungen nie an Aufträge heran kam.
Es war dann ein Projekt im Dunkeln, dass mir zu meiner
Arbeitsstelle verhalf, bei der ich 2 Jahre bleiben sollte. Nach der Arbeit im
Dunkelgang, wo ausschließlich Sehgeschädigte arbeiteten, musste jeder von uns,
der eine solche ABM bekommen hatte, ein Praktikum in einer anderen Einrichtung
machen. Der Zufall wollte es, dass im Berufsförderungswerk eine Lehrerin
kündigte, und ich spontan diese Chance ergriff, ihre Arbeit als
englisch-Ausbilderin übernahm und mich dann mithilfe meines Abteilungsleiters
für die vakante Stelle bewarb. Damals wurden von der Agentur für Arbeit im
Rahmen eines Projektes 1000 Jobs für Schwerbehinderte geschaffen, wobei das BFW
während der 2 Jahre ein Jahr mein Gehalt von der Arbeitsagentur bekam. Der
Vertrag wurde nicht verlängert, da in diesem Fachbereich an Festanstellungen gekürzt
wurde. Ich hätte auch nicht mehr als Honorarkraft dort arbeiten können, da ich
als Schein selbstständig gegolten hätte, wenn ich meine Hilfsmittel dort untergebracht
hätte, um in den Ausbildungs-Lücken meinen Unterricht vorzubereiten, wie ich es
als fest angestellte in meinem eigenen Büro getan hatte. Zu dieser Zeit gab es
noch keine Möglichkeit, mit dem öffentlichen Nahverkehr in dieser Einrichtung
zu fahren, so das ich zwischen den Ausbildungs-Lücken auch nicht nach Hause
hätte fahren können, um dort den Unterricht vorzubereiten und dann wieder ins
BFW zu fahren, denn die Pendelbusse des BFW fuhren nur morgens und abends. Aus
diesen und anderen Gründen war meine Arbeit dann nach 2 Jahren dort beendet.
Ein Jahr später wurde ich dialysepflichtig und berentet.
Reicht Inklusion auch
in Freizeit und Privatleben?
Was stellt man nun an, wenn man den ganzen Tag nichts zu tun
hat? Ich unternahm mehrere erfolglose Versuche, mich bei verschiedenen
Projekten zu bewerben. Schließlich hörte ich von einem Radioprojekt
Namensohrenblicke, bei dem blinde und Sehbehinderte gesucht wurden, die Spaß
daran hatten, Radio zu machen. Dieses Projekt läuft seit 2009, wobei alle 2
Monate 1 Stunde gesendet wird. Mir macht
diese Tätigkeit sehr viel Spaß, aber als
jemand, die hart für ihre Ausbildung gearbeitet hat, füllt mich dies natürlich
vor allem intellektuell nicht aus. Ich hatte mir ein Leben als Übersetzerin
vorgestellt, die an ihrem Schreibtisch zu Hause sitzt und an kniffligen
Problemen arbeitet und so ihren – wenn vielleicht auch mageren –
Lebensunterhalt verdient. Dieser Traum, der beinahe in einer Promotion gegipfelt
hätte, ist nun ausgeträumt.
Einer meiner weiteren Träume war es, mit meiner Gitarre in
einer Folk-Band mitzuspielen. Aufgrund meiner Probleme mit der Feinmotorik
stieß ich aber an einen sogenannten "artistic celing", soviel ich
auch übte. Dasselbe passierte mir mit meiner Querflöte, wo ich nach 7 Jahren disziplinierten
Übens aufgab, da ich schon nach 3-4 Jahren absolut keinen Schritt mehr weitergekommen
war. Ich suchte nach Musikpartnern und schaltete mehrere Inserate, die alle
erfolglos blieben. Außer zweideutigen Zuschriften oder einmaligen Treffen mit
Leuten, die entweder stark über oder stark unter meinem Niveau waren, ergab
sich nichts. Nun hörte ich von einer inklusiven Musikschule. Dort fragte ich,
ob es vielleicht ein Ensemble mit Saitenmusik gibt, bei dem ich mitwirken
könnte. Ich las zu meiner Freude, dass die Lehrer eine spezielle Ausbildung
durchlaufen hatten, um Behinderte besser unterrichten zu können. Somit schöpfte
ich Hoffnung, hier einmal ein Erfolgserlebnis zu haben. Als ich dort hinkam,
stellte ich mit Schrecken fest, dass alle wesentlich besser waren als ich. Der
Lehrer war ziemlich im Stress, da bald einige Aufführungen anstanden, so konnte
er mir nicht helfen. Da ich auch etwas langsamer begreife, und obendrein ein
extrem schlechtes Gedächtnis habe, hätte er mir einige Dinge zeigen müssen, die
ich mit den Augen nicht von seinem Griffbrett hätte abnehmen können, und er
hätte mir auch einige Stücke nach der Stunde kurz auf mein Diktiergerät
aufspielen sollen, damit ich diese mit nach Hause nehmen kann, da ich aufgrund
meiner sehr schlechten Augen keine Noten mehr lesen kann. Als spät erblindete
kann ich auch keine Braille-Noten, und der Aufwand, mir mit einer Hand die
Stimme zu ertasten und mit der anderen Hand zu spielen, wie man es beim Klavier
machen kann, wäre einerseits nicht
möglich, und selbst wenn, dann andererseits noch umständlicher, als die Musik
gleich aufzuzeichnen , um sie mir bis zur nächsten Stunde auditiv zu erarbeiten. Mir wurde angeboten,
bis zu den Sommerferien erst einmal kostenlos dabei zu sein, und es wurde mir
versichert, dass es nach den Sommerferien entspannter zugehen würde, und dann
mehr Zeit bliebe, um mir etwas zu zeigen, doch befürchtete ich, dass sich an den Anforderungen und auch
am Schwierigkeitsgrad nichts Wesentliches ändern würde, und nach einigen Stunden
mit Unterstützung das alte Tempo wieder aufgenommen werden würde, wenn dann
wieder Aufführungen anstanden . Man schlug mir während der Schnuppertage vor,
in eine Gruppe mit geistig Behinderten zu gehen, die von einer der
Kursteilnehmerinnen des schwereren
Kurses ihrerseits wiederum selbst geleitet wurde, da ich dort mehr Aussichten
darauf hatte, auf meinem Niveau mitzukommen. Bisher war ich ein paarmal dort , und bisher bin ich noch nicht an einer
meiner Zahlreichen Grenzen
gescheitert. Aber ich würde mir
wünschen, dass sich bei uns auch ein
paar Nichtbehinderte einfinden
würden, und ich finde es schade, dass ich sozusagen wieder bei Behinderten, also
bei meinesgleichen gelandet bin. Ich sprach dies gegenüber einer der
Sekretärinnen der Schule an, und die meinte, es können in jede Gruppe auch Behinderte
gehen. Ich frage mich, ob dann angesichts
des Probenstresses wirklich langsamer und rücksichtsvoller vorgegangen werden
kann, oder ob der behinderte mehr Voraussetzungen mitbringen müsste, um genauso
schnell wie die anderen in der Gruppe mitzukommen, oder zumindest nicht so
extrem stark behindert sein darf , wie ich es z.B. bin.
Und was ist dann
wirklich Inklusion, und wird es sie je für jeden geben?
Inklusion würde für mich bedeuten, einen Weg zu finden, dass
ein behinderter mit seinen Einschränkungen tatsächlich in einer Gruppe von
Nicht-Behinderten mitkommt. Inklusion bedeutet für mich nicht, wenn es in einer
Schule für Nicht-Behinderte eine oder zwei Klassen mit Behinderten gibt. Wobei
es natürlich ein Fortschritt ist, dass Behinderte nicht mehr komplett in
separaten Einrichtungen unterrichtet werden, sondern in einer für alle
zugänglichen Einrichtung sichtbar werden.
Ich frage mich daher, ob wirklich die volle Inklusion mit gemischten Gruppen möglich ist, oder ob es
immer wieder Menschen geben wird, die so stark behindert sind, dass sie nicht
inkludiert werden können. Immerhin ergeben sich hier auch finanzielle Grenzen. Bei
mir tut sich z.B. noch ein weiteres Problem auf, nämlich der Weg zu dieser
Musikschule. Sie ist 10 km von mir entfernt, und ich komme aufgrund meiner
schlechten Orientierung alleine dort nicht hin. Die Schule ist von der U-Bahn
zu weit weg, als dass ich, die es gerade mal schafft, Nahziele wie Bäcker oder
Metzger mit Mühe und Not zu erreichen, dort ohne größere Probleme selbst mit
intensivem Üben des Weges hinfinden würde. So müsste ich die Hin- und Rückfahrt mit dem Taxi bestreiten, wobei
uns jährlich ein stattliches Kontingent von 1500 km vom Bezirk zur Verfügung
gestellt wird. Ich würde also im Monat 80 km verbrauchen, wobei ich dann kaum
noch andere Fahrten zu Veranstaltungen wie Kino oder Konzerten durchführen
könnte. In dieser Schule gäbe es nun auch ab nächstem Jahr die Möglichkeit, wieder
Querflötenunterricht zu nehmen, und dann kostenlos in diesem Ensemble
mitzuspielen. Wenn ich den
Flötenunterricht nicht nehme, zahle ich für das Ensemble eine geringere
Jahresgebühr, habe aber dann nur einen Kurs . Daher wollte ich gerne beide
Angebote wahrnehmen, da ich hoffte, dass man mir vielleicht dort auch ohne
Noten und mit all meinen behinderungsbedingten Einschränkungen helfen könnte,
zumindest einige Stücke auf meinem Niveau zu erlernen. Diese hätte ich dann
auch gleich in dem Ensemble zum Einsatz bringen können. Denn jahrelang hatte
ich nur gelernt, ohne meine musikalischen Kenntnisse einmal mit anderen
umsetzen zu können, oder das schöne Gefühl zu erleben, in Gemeinschaft zu
musizieren. Dann allerdings würde ich pro Monat 160 km verbrauchen, da ich ja
dann zweimal zu dieser Schule fahren müsste. Es gibt für mich keine andere
Möglichkeit, zu dieser Schule zu gelangen, es sei denn, ich fahre mit dem ÖPNV zu einer nahegelegenen Haltestelle und
lasse mich dort von einem Taxi abholen.
Dort kann man aber über die Zentrale kein Behindertentaxi bestellen, so
dass ich mir ein zuverlässiges Taxiunternehmen suchen musste, welches bereit
ist, mich diese zwei Kilometer von der Haltestelle zur Schule zu bringen und
dort auch wieder abzuholen und zur U-Bahn zu chauffieren . Bei zwei Kursen pro Woche ergibt sich durch den immensen Zeitaufwand
von einer Stunde einfacher Fahrt mit
ÖPNV und Taxi dann wieder einmal ein behinderungsspezifisches Problem.
Was darf Inklusion
kosten, und lohnt sich der Aufwand für jeden?
Ich frage mich, inwieweit es möglich ist, einen Menschen mit
so starken Behinderungen wie von meinem Ausmaß in der Gemeinschaft teilhaben zu
lassen, und wie weit hierfür die Kosten übernommen werden können. Inklusion hat
ihre Grenzen, und ich kann mir nicht vorstellen, dass man zur Bespaßung einer
einzelnen behinderten so einen hohen finanziellen Aufwand betreiben würde, mir
zum Beispiel eine Möglichkeit zu schaffen, doch noch ohne diesen beschriebenen Aufwand an diesem
Unterricht teilzunehmen. Mir wird nichts anderes übrig bleiben, als mich
wiederum einzuschränken.
Wie teuer Inklusion sein darf, hängt meiner Meinung nach
sicher auch davon ab, welchen Nutzen ein behinderter noch bringt. Ein Steven
Hawking wird sicher die hohen Kosten, die er verursacht, in vollem Umfange
ersetzt bekommen. Eine mehrfach behinderte Rentnerin, sei sie auch erst 47,
deren Hobbys aber niemandem mehr von Nutzen sind, wird für ihre
Lieblingsbeschäftigungen, die sie nur für sich selbst unternimmt, keinen so
hohen finanziellen Aufwand wert sein. Wie teuer darf also Inklusion sein, wenn
es dabei ausschließlich um die Freude geht, Teilhabe an einer (z.B. musizierenden)
Gruppe zu haben? Können wir uns dies leisten, und wenn nicht, ist dann die
Inklusion nur eine Utopie?
Ist jeder
inklusionsfähig, und wenn ja, warum dann doch nicht jeder?
Ich selbst halte mich für nicht Inklusionsfähig. Meine
Behinderungen sind zu stark und zu vielfältig , und ich stoße bei jeder
Tätigkeit, bei der ich mich verwirklichen und entfalten möchte, an irgend eine
meiner Grenzen. Ich habe es beruflich nicht geschafft, mich in die Welt der
sogenannten "Normalen" zu integrieren. Ich hatte auch später nie die
Möglichkeit, meine Kompetenzen und Fertigkeiten und erworbenen Fähigkeiten in
die Gemeinschaft einzubringen, worunter ich heute noch leide, da es auch in
meinem privaten Leben nicht möglich ist, mein Wissen und meine Stärken
anzubringen, da mir selbst mein Fachwissen von meiner Umwelt häufig nicht
abgenommen wird, denn aufgrund meines Erscheinungsbildes werde ich gemeinhin
unterschätzt. Es ist nahezu unmöglich, eine ehrenamtliche Tätigkeit zu finden,
wo ich gebraucht werde und mein mühevoll
erworbenes Wissen vielleicht doch noch unterbringen könnte, da ich aufgrund
meiner sozialen Schwierigkeiten andere häufig nicht von meinem Wissen und
meiner Kompetenz überzeugen kann. Auch in meiner Freizeitgestaltung schaffe ich
es häufig nicht, die sich mir darbietenden Herausforderungen zu überwinden, und
ich habe auch nicht die speziellen Fähigkeiten , die sich zum Beispiel auf die Teilnahme an einem Chor für Sehende oder
an einem Gitarren-Ensemble ausgleichend auswirken würden , wie z. B. ein absolutes Gehör oder die Merkfähigkeit, die Stücke auswendig zu
lernen. Es gibt durchaus Behinderte, die
so gut sind, dass sie durch ihre Stärken ihre Behinderung kompensieren können.
Für durchschnittlich begabte Menschen wie mich gibt es keine Möglichkeit, meine
großen behinderungsbedingten Defizite auszugleichen.
Ist eigentlich jeder
behindert, und sind Nichtbehinderte auch exkludiert?
Wenn ich mit Nicht-Behinderten über meine Grenzen spreche, sagt
man mir oft, jeder sei doch irgendwie behindert. Ich persönlich fühle mich dann
regelmäßig verhöhnt, auch wenn solche Sätze gemeinhin gut gemeint sind. Es gibt
wahrscheinlich wenige Menschen, die meine heftige emotionale Reaktion auf
solche Äußerungen verstehen können. Ich habe nämlich noch nie einen Arbeitgeber
erlebt, der mir sagte, jeder ist doch irgendwie behindert, sie haben eine gute
Abschlussnote, andere Bewerber sind genauso behindert, daher suche ich mir sie
aus. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass andere Menschen, die als
nicht-behindert bezeichnet werden, permanent an solche Grenzen stoßen wie ich,
auch wenn mir gegenüber die Menschen immer betonen, dass doch jeder seine
Grenzen hat. Nun, es gibt Grenzen, mit denen man leben kann, es kann nicht
jeder ein Flamenco-Meister werden. Meine Grenze tritt aber schon wesentlich
früher auf, sodass meine Fertigkeiten nicht einmal ausreichen, um in einer Band
die Gitarrenbegleitung vollständig zu übernehmen, oder nicht einmal dazu, mich sozial in einen Chor für
Sehgeschädigte zu integrieren, da ich aufgrund der oben erwähnten Problematik
Kontaktschwierigkeiten habe. So frage ich mich, ob die Menschen, die jeden für
irgendwie behindert halten, mit mir tauschen würden, und ob mir deren
„Behinderung“ vielleicht doch besser gefallen würde. Nun gibt es ja die
Aussage, wir sind nicht behindert, wir werden behindert, es läge also an der
Umwelt, die nicht genügend für inklusive Bedingungen sorgen würde. Ich kann
aber für mich ganz persönlich sagen, selbst wenn alle Bedingungen erfüllt
wären, um behinderte zu inkludierem, hätte ich immer noch genügend eigene
Schwierigkeiten, die es verhindern, dass ich in einem zufriedenstellenden Maße
am Leben teilhaben könnte. Meine internistischen Probleme oder meine neurologischen
und psychosozialen und
wahrnehmungsbedingten Schwierigkeiten würden sich durch eine vollständig
barrierefreie Umwelt nicht beheben lassen.
Wieviel darf's denn
sein, und was sollte man sich grundsätzlich abschminken?
Dauernd höre ich den Satz, ich hätte einfach zu hohe
Ansprüche (an mich). Wenn man mich mit dem Maßstab misst, an dem man schwerst
mehrfachbehinderte Menschen miteinander vergleicht, habe ich wahrscheinlich
mehr erreicht als diejenigen, die als sogenannte geistig Behinderte in einer
Behindertenwerkstatt landen. Im Zuge der Inklusion sollte man aber beginnen,
uns behinderte an den allgemeinen Maßstäben der Welt der Nichtbehinderten zu
messen. Und im Vergleich zu ausgerechnet denen, die mir ein hohes
Anspruchsdenken vorhalten, lege ich auf der Skala ganz unten. Ich darf mir
nicht anmaßen , dass es mir nicht ausreicht, nur alle 2 Monate eine
Radiosendung zu machen, dass es mich nicht befriedigt, nur für mich alleine zu
musizieren, und ansonsten einfach nur zu wohnen und zu existieren und zur
Dialyse zu gehen. Ich habe keine eigene Familie und aufgrund zahlreicher
Schwierigkeiten auch keine Katzen mehr, keine berufliche Perspektive, kann mich
musikalisch nicht so verwirklichen, wie es ohne diese mannigfaltigen Hürden mit
meinem großen Einsatz eigentlich möglich gewesen wäre, konnte aufgrund meiner Probleme mit
Gleichgewicht und Koordination keinen Führhund haben, und scheitere aufgrund
meiner Probleme mit Sensibilität und Feinmotorik an der Nutzung eines iPhones
oder iPads, welches als Hilfsmittel für blinde immer wichtiger wird, und ohne dies
man langsam abgehängt wird. Meine Mobilität ist aufgrund meiner
Dialysepflichtigkeit und der damit verbundenen Erschöpfung sowie wegen meiner
Orientierungsprobleme und Verschlechterung meiner Augen geringer geworden,
sodass sich mein Handlungsradius noch mehr eingeschränkt hat. Ich kann zu Hause
Fernsehen und Hörbücher hören und habe auch einen einzigen Nachhilfe Schüler,
der übrigens der Erste von zahlreichen Gitarren- und Nachhilfeschülern ist, der
bei Nicht-erscheinen absagt und sich an die Grundregeln des menschlichen
Umganges hält. Das muss reichen, der Wunsch nach Selbstverwirklichung,
intellektuellem Austausch, bei dem ich auch mein Wissen anderen zur Verfügung
stellen könnte, mein sehnlichster Wunsch nach wachsender musikalischer
Entfaltung oder nach größerer Mobilität durch ein für mich nutzbares
Navigationsgerät oder durch die gescheiterte Nutzung eines Führhundes sind für
mich ein zu anspruchsvolles Unterfangen. Ich würde mir einfach wünschen, dass
es Menschen gibt, die zumindest sehen können, dass meine Ansprüche weit unter
dem liegen, was ein normaler Mensch in unseren Breitengraden alles unternehmen
kann. Inklusion erschöpft sich aber bisher nur darin, dass angeblich alle
irgendwie behindert sind, und dass es ein paar mehr Projekte gibt, wo Behinderte
meist unter sich annähernd dieselben Dinge tun können, die Nichtbehinderte
schon längst tun.
Wie weit muss also
Inklusion gehen, damit sie wirklich jeden, aber auch jeden mitnimmt, und können wir uns
das überhaupt leisten?
Inklusion ist für mich dann erfüllt, wenn meine Wünsche nach
beruflicher Teilhabe gemäß meines Abschlusses, nach angemessener
Freizeitgestaltung und nach ausreichender Mobilität nicht mehr als
anspruchsvoll oder als zu hoch gegriffen sondern als realistisch, legitim und
machbar angesehen werden. Und als vollwertiger Mensch mit allen
Grundbedürfnissen und Wünschen ernstgenommen fühle ich mich dann, wenn meine
eigenen Ziele, Fortschritte bei Musik und Technik zu machen oder mich mit
Nichtbehinderten messen zu können, nicht mehr als zu hohe Erwartungen an mich selbst angesehen werden, sondern dass es
Möglichkeiten gibt, die Geduld, die Zeit, die Ressourcen und das Geld
aufzubringen, dass mir dies ermöglicht wird, zumal ja die geistigen
Voraussetzungen vorhanden sind.
Was hat Inklusion mit
Ernstnahme zu tun?
Ein geistiges Bewusstsein macht aber meine jetzige Situation
nicht gerade einfacher sondern eher noch schlimmer, da ich das volle Ausmaß
meiner Situation in vollem Umfange begreife. Und obwohl ich geistigfit bin und
verbal ausreichend eloquent bin, um meine Situation zu schildern, erhalte ich
von meinen Mitmenschen meistens nur gut gemeinte und schlicht gestrickte
Ratschläge, nicht aufzugeben, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, es könne
ja noch schlimmer sein, und ich solle immer weiter alles probieren, und wie
gesagt, nicht immer so schnell und gleich aufgeben. Ich frage mich, ob ich mein
Anliegen überhaupt ausreichend klarmachen kann, oder ob man mir aufgrund meiner
Wirkung überhaupt zutraut, schon jahrelang alles probiert zu haben und auf die
meisten Ratschläge, die man mir angedeihen lässt, nicht auf schon selbst
gekommen zu sein . Einen Menschen ernst nehmen bedeutet halt manchmal auch, ihn
mit der Unabänderlichkeit seiner Situation auszuhalten und mitzutragen, oder
wirklich und ehrlich nach Wegen zu suchen, echte Abhilfe zu schaffen. Dazu
gehört eben auch der Fortschritt in der Inklusion, die aber leider Gottes, wie
hier ausgeführt, eben auch ihre Grenzen hat.
Vita:
Geboren 1968, Besuch einer Sehbehindertenschule mit Internat
von 1974-1980, Besuch eines integrativen Gymnasiums mit Internat von 1980-1989,
Amerikaaufenthalt von 1989-1990, Studium der angewandten Sprach- und
Kulturwissenschaft in Germersheim von 1990-1997, zwei Auslandssemester in
England von 1993-1994, Arbeit im Berufsförderungswerk als Englisch-Ausbilderin
von 2002-2004, Dialysepflichtigkeit seit 2006.
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