Donnerstag, 3. Oktober 2024

Allen Recht getan, ist eine Kunst, welche Inklusion kann

Ende Juli ging ich zu einer Tanzveranstaltung, die für blinde beschrieben werden sollte. Im Frühjahr war bereits eine solche Tanzveranstaltung, und daher nahm ich damals Kontakt mit den Organisatorinnen auf, weil ich nicht wusste, wie ich vom Taxi ins Theater kommen würde. Somit kamen wir überein, dass ich die beiden Organisatorinnen auch interviewen durfte. Damals gab es eine Vorstellung mit Nele Buchholz, einer Frau mit Down-Syndrom und der Choreografin. Es ging um das Thema Frau und Frau sein. Ich durfte auch damals auf der Bühne die Requisiten anfassen, und die beiden Frauen beschrieben sich vor der Vorstellung. Danach wurde ich zu meinem Platz gebracht, und mir wurde ein Kopfhörer angepasst. Später gab es dann noch Musik von einer Band, so wurde ich an einen Tisch geleitet, und die eine der Organisatorinnen gab mir eine Flasche Wasser. Die Band war von der dortigen Musikschule, es waren Menschen mit Behinderung und ohne Behinderung, die auch ziemlich viele bekannte Lieder spielten, unter anderem auch Lemon Tree von Fool's Garden aus Pforzheim. Da habe ich natürlich begeistert mitgesungen. Am Nachbartisch waren auch einige junge Frauen, die in sehr gutem Englisch mitsangen, und es stellte sich heraus, dass es eine Gruppe aus Schottland war. Nachdem ich die beiden Frauen interviewt hatte, gaben sie mir einen neuen Termin bekannt, bei dem eine Tanzveranstaltung im neu eröffneten Künstlerhaus stattfinden sollte, die ebenfalls wieder mit einer Audiodeskription für blinde versehen war. Da wollte ich natürlich unbedingt dabei sein. Leider konnte meine Assistenz nicht, sodass ich meinen Taxifahrer bat, mich dort hinzufahren. Das hat gut geklappt, und der Freund einer der beiden Organisatorinnen holte mich ab und brachte mich in den Vorraum der Veranstaltung. Dort gab es Tablets, von denen er mir eines in die Hand drückte, und diese zeigten kleine Filme der Darsteller und Darstellerinnen, die sich selbst beschrieben und den Grund, weshalb sie bei diesem Projekt mitmachten. Ich merkte aber schon, dass es extrem heiß und extrem schwül war. Ich hatte mich so schick gemacht mit einem schönen Kleid, die Haare hochgesteckt, schönen Schmuck angelegt und schöne Sandalen angezogen. Kaum waren wir aus dem Haus getreten, fing es an zu regnen, und das passiert mir oft, wenn ich mal ein Kleid anziehe. In dem Vorraum war es schon extrem schwül, es war ein Altbau. Dann ging die Tür auf, und alle drängten in den Raum, in dem dann die Veranstaltung selbst stattfinden sollte. Die Vorhänge waren zugezogen, damit man die Darsteller auf der Bühne auch sehen konnte. Mir wurde erst einmal die Bühne gezeigt, denn es sollte dort ein Tanzstudio aus den fünfziger Jahren dargestellt werden mit Tischen und kleinen Vasen und altmodischen Stühlen. Diese durfte ich auch anfassen, und mir wurde die Farbe all dieser Tischdecken und Stühle beschrieben. Ich merkte aber, dass mir auf einmal extrem übel wurde, und ich fast umgefallen wäre. Es roch auch noch etwas nach Materialien, nach Farbe und nach Umbau, wahrscheinlich kamen dabei wohl viele Chemikalien zum Einsatz. Aus bürokratischen Gründen durfte die Klimaanlage noch nicht in Betrieb genommen werden, da diese noch nicht überprüft worden war. Demnach war es extrem heiß. Ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, so hat man mich wieder nach draußen gebracht. Tatsächlich hat man mir dann Kopfhörer gegeben, und wir haben wirklich ausprobiert, ob ich die Musik und die Audiodeskription auch von draußen mitbekommen würde. Ich saß also im Vorraum direkt am offenen Fenster und konnte die Luft genießen, weil mir wirklich elend war. Dabei konnte ich aber die Musik hören, es wurde alles genau überprüft, ob es auch funktioniert. Die Frau, die die Audiodeskription machte, gab schon mal eine Sprechprobe ab, und der Begleiter, der sich die ganze Zeit um mich kümmerte, gab ihr Handzeichen, dass ich alles verstehen konnte. Ich habe also die Stimmung, die Atmosphäre und die ganze Darbietung mitbekommen, obwohl ich in einem ganz anderen Raum saß, und obwohl ich gar nichts sehen konnte. Der Begleiter hat mir dann auch noch eine Flasche Wasser in die Hand gedrückt. Das Thema waren verschiedene Tanzstile von den fünfziger Jahren bis jetzt. Die Darsteller, teilweise im Rollstuhl und teilweise Fußgänger und Fußgängerinnen, trugen bestimmte Gegenstände herum und benutzten sie, um damit Tanzeinlagen zu geben. Sogar Breakdance wurde vorgeführt, das war klasse. All dies wurde mir genau beschrieben. Es war wirklich wunderbar, die Leute klatschten, sie jubelten, und ich konnte die ganze Stimmung mitbekommen. Ich war wirklich zutiefst gerührt, dass man es wirklich allen recht machen konnte, und dass wirklich die Bedürfnisse von allen Menschen vollständig erfüllt werden konnten. Ich habe wirklich alles auf einmal gehabt, ohne, dass ich Abstriche machen musste. Danach wurden dann die Fenster geöffnet, die Vorhänge waren zurückgezogen, und es kam Luft herein. Es gab dann einen Durchzug, da das Fenster, an dem ich gesessen war, auch noch offenbar. Das brachte sehr viel frische Luft herein. Die Choreografin zeigte noch einige Tanzschritte und Bewegungen, mein Begleiter konnte mir dies aber nicht wirklich erklären, und ich hüpfte nur etwas herum. Also tanzen ist nun wirklich nicht unbedingt das, was für mich infrage kommt, in dieser Hinsicht bin ich nicht fähig für die Inklusion. Aber sie meinten, Hauptsache, es macht Spaß. Ich könnte aber in so eine Gruppe wie in vielen anderen Gruppen auch nicht mitmachen. Aber dennoch war es ein toller Nachmittag, denn sie haben sich extrem um mich bemüht und wirklich versucht, das Beste für mich und alle anderen heraus zu holen. Das war eine wirklich super Erfahrung. Danach wartete ich ewig auf den Taxifahrer, und mein Begleiter blieb bei mir. Ich rief dann an, und der Fahrer kam, nachdem er erst einmal zur Apotheke gefahren ist. Er erzählte mir doch tatsächlich, dass es ihm auch elend war, dass er Migräne bekam, und dass er anhalten musste, weil ihm schwarz vor Augen war. Und das geschah genau zum gleichen Zeitpunkt, als ich fast in Ohnmacht gefallen wäre. So etwas nennt man dann wohl Synchronizität. Wenn es nicht so unangenehm gewesen wäre, wäre es faszinierend gewesen, wie gleich und wie zeitgleich wir doch tickten. Wenn man sich gut kennt und ähnlich gestrickt ist, kommt das wohl vor. Wahrscheinlich hatten wir dieselbe Wetterfühligkeit. Aber ich kam dann gut nach Hause, ich war nur etwas traurig darüber, dass mein tolles Kleid gar nicht wirklich so zur Geltung kam, weil es so sehr geregnet hatte. Aber trotzdem war es wunderbar und eine lohnenswerte Erfahrung. Jetzt wird ein online Workshop für blinde angeboten, es ist kreatives Tanzen. Beim ersten Mal habe ich etwas gezweifelt, denn zuerst wurden ziemlich viele Körperübungen und Übungen der Wahrnehmung gemacht, die ich aus dem Yoga kenne, und die ich jetzt bei einem Tanzworkshop nicht vermutet hätte. Danach wurde schon etwas getanzt, nachdem wir einige Varianten von verschiedenen Schritten oder Bewegungen im Raum durchgegangen waren, die für mich ganz selbstverständlich sind, wie zum Beispiel erst die Zehenspitzen aufsetzen und dann die Fersen und umgekehrt. Am Ende wurde aber recht angezogen, dann wurde der Salsa-Schritt erklärt, und es wurde auch noch angeregt, die Arme mitzubenutzen. Ich habe noch nie Salsa getanzt, und es ging doch relativ schnell. Ich habe ja Probleme mit der Koordination, ich kann noch nicht mal mit den Armen Schlenkern, wenn ich laufe, und wenn ich mich auf einen bestimmten Schritt konzentrieren muss, würde ich komplett rauskommen, wenn ich dann dazu auch noch die Arme bewegen müsste. Beim letzten Mal habe ich es ausgelassen, jetzt werde ich es aber wieder mal versuchen und wieder mitmachen. Ich bin gespannt, was dann geboten wird. Wenn mit mir jemand das Tanzen üben würde, müsste er sehr geduldig sein. In unserer Theatergruppe hat mal eine den Walzer Schritt auf meinen Oberschenkeln geklopft, das habe ich sofort verstanden. Sie hat einfach beide Hände genommen und die Bewegungen gemacht, das hat mir sofort ein geleuchtet. Das hat sie ganz intuitiv so gemacht. Aber ich denke, ich würde ja keinen Tanzpartner finden, und dann müsste man auch sehr geduldig mit mir als Einzelperson arbeiten, weil ich in einer Gruppe ja nicht mitkomme, und wenn ich das dann geübt hätte, wen hätte ich dann, der mit mir Salsa, Walzer oder was auch immer tanzen würde? Als Jugendliche hat mich das absolut nicht interessiert, ich wollte einfach nur frei tanzen. Mir war das zu bieder und zu spießig, und ich war auch nie in einem Tanzkurs. Eine unserer blinden Mitschülerinnen war im Tanzkurs und kam jedes Mal weinend nach Hause, weil nie jemand sie aufgefordert hat. Das hat mich schon abgeschreckt, und ich wollte einfach nur meinem Inneren Ausdruck geben und tanzen und mich bewegen, wie mir war, mich austoben und überschüssige Energie loswerden. Damals interessierte mich das also nicht, feste Schritte zu lernen. Ich war auch dafür nie geschickt genug. Wäre aber schön, wenn ich ab und an mal jemanden hätte, der mir das zeigen kann. In einer Tanzgruppe wäre ich aber hoffnungslos verloren. Wenn wieder mal so eine Darbietung ist, werde ich natürlich wieder hingehen, denn sich das anzuschauen bzw. anzuhören ist wirklich ein Erlebnis, ein Vergnügen und ein Genuss.

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